Thema | Kulturation 2/2003 | Film- und Fernsehgeschichte | Günter Agde | Filmutopien vor der Katastrophe Friedrich Wolfs Filmprojekte für Meshrabpom-Film Moskau (1931 – 1933)
| 1.
Lange
Zeit waren Wolfs Pläne für Meshrabpom-Film unbekannt, wurden übersehen
oder nur marginal erwähnt./1/ Meist begnügte man sich mit der Erwähnung
von Titeln und mit Spekulationen über deren Scheitern, hinterfragte
jedoch weder die Bedeutung der auftraggebenden Firma noch die
inhaltlich-ideellen, ideologischen Dimensionen der Projekte selbst./2/
Auch Friedrich Wolf, der sonst aufmerksam darauf bedacht war, seine
Werke zu platzieren und Misserfolge lange mit sich herumtrug, ist nie
wieder auf diese große Hoffnung zurückgekommen. Der ausschlaggebende
Grund für Wolfs Beschweigen dieser Pläne lag in seiner unbeirrbaren
Parteitreue: Spätestens seit Willi Münzenbergs Ausschluss aus dem
KPD-ZK 1938 galt alles, was mit dem Namen Willi Münzenberg
zusammenhing, als Tabu. Und Meshrabpom-Film war in Münzenbergs
Medienkonzern die späteste, wenngleich erfolgreiche und äußerst
bekannte Betriebsteilgründung gewesen./3/ Münzenberg und die Leute, mit
denen Friedrich Wolf bei seinen Filmprojekten für Meshrabpom-Film zu
tun hatte, waren – wenigstens bis zum Tode Wolfs - Unpersonen: der
avantgardistische Regisseur Erwin Piscator und Alexander Maaß
(Rundfunksprecher beim WDR, nach Moskau emigriert, später bei den
Internationalen Brigaden in Spanien, nach 1945 wieder beim WDR) galten
als Renegaten, Otto Katz, agiler Organisator und Journalist mit dem
Pseudonym André Simone als Westemigrant, Paul Dietrich, Bekannter Wolfs
aus Stuttgarter Zeiten und seit 1930 als Politfunktionär für Agitation
bei der Komintern, war erschossen worden, der Moskauer
Münzenberg-Stellvertreter und IAH-Resident für Meshrabpom-Film
Francesco Misiano und Studiodirektor Boris Babitzki waren Repressionen
ausgesetzt gewesen. Deutsche Filmkollegen wie die Regisseure Carl
Junghans und der avantgardistische Hans Richter wurden übersehen.
Hans Rodenberg, der jene Internationale Abteilung bei
Meshrabpom-Film leitete, die eben diese Pläne realisieren wollte, hielt
sich nach 1945 wie Friedrich Wolf stillschweigend an diese Art
Verdrängung durch Schweigen./4/ Der Stalinismus und der sog. Große
Terror haben auch hier für gründliche, andauernde Auswirkung gesorgt.
2.
Als Friedrich Wolf im März
1931 von der Moskauer Filmproduktionsfirma Meshrabpom-Film die
Einladung erhielt, für sie Filmszenarien zu schreiben, hatte der
Dramatiker bereits einige dubiose Erfahrungen als Autor für
Filmproduktionen erlebt. Für den abendfüllenden Kulturfilm der Ufa
„Wege zu Kraft und Schönheit“/5/ hatte er ein Treatment geschrieben,
und sein erfolgreiches Theaterstück „Cyankali“ war von Hans Tintner
verfilmt worden./6/ Sein Anteil an dem erfolgreichen Abenteuerfilm „SOS
Eisberg“ war bis zur Unkenntlichkeit modelliert und Wolfs Name
anonymisiert worden./7/
Friedrich Wolf hatte erleben müssen, dass viele seiner
Intentionen in beiden Filmen entstellt und entschärft wurden. (Beim
„Cyankali“-Film war Friedrich Wolfs Verärgerung vor allem durch die
Besetzung der weiblichen Hauptrolle - Grete Mosheim statt die von ihm
gewünschte René Stobrawa – bestimmt.)/8/
Friedrich Wolf hat seine frühe Film-Szenariums-Erfahrung
zeitlebens nicht vergessen und kam immer wieder auf sie zurück. Mit
Zorn postulierte er noch Jahre später entschlossen das Primat des
Manuskripts beim Film./9/ Friedrich Wolf teilte den Schmerz aller
Autoren, die je für Kino geschrieben haben: dass ihre literarischen
Ambitionen (und das waren bei Friedrich Wolf auch stets politische!)
sehr häufig durch Regisseur- oder Produzentenwünsche verändert wurden.
Hinter diesem branchen-typischen Dauer-Widerspruch freilich verbirgt
sich ein mediales Problem und ästhetisches Charakteristikum eigener
Art, dass nämlich Literaten (auch Dramatiker) nur selten wirklich die
Adaption eines Lese-Schreibe-Textes in die Visualisierung auf die große
Leinwand des Kinos nachvollziehen und tolerieren konnten, zumal, wenn
sie nicht über ausreichende Kenntnis der ästhetischen Eigenheiten des
Films verfügen.
Die bitteren Enttäuschungen waren Erfahrungen Wolfs mit der bürgerlichen
Filmindustrie: vor allem mit der Ufa, deren
nationalistisch-konservativen Charakter als Instrument bourgeoiser
Ideologien unter der Leitung des Erzkonservativen Hugenberg Friedrich
Wolf ziemlich genau erkannte. Und über diese Firma hatte Wolf keinerlei
Illusionen.
Das Angebot von Meshrabpom-Film jedoch war das Angebot
einer Firma aus Moskau, dem damaligen Zentrum der kommunistischen
Weltbewegung, wie auch Friedrich Wolf es verstand. Sie war eine
sozialistische, eine proletarische und eine sowjetische Firma, die
folglich seinen, Wolfs, szenaristischen Ambitionen besonders nahe
kommen musste. Überdies führte sie die von Friedrich Wolf
hochgeschätzte Internationale Arbeiterhilfe (IAH) in Namen und
Vorspann-Signet.
Seine Begeisterung, mit der er der Einladung folgte, war
wesentlich von diesem Spezifikum gespeist. Für Friedrich Wolf übertrug
sich auch der Nimbus der „Russenfilme“/10/ – die sowjetischen Filme,
die in den 20er Jahren mit großem Erfolg in Deutschland liefen und die
allesamt von Meshrabpom-Film produziert worden waren - als Verheißung
auf die eigenen Projekte. Die Namen der Regisseure, die als Kandidaten
für seine Projekte gehandelt wurden, bildeten eine erhebliche Option
auf künstlerische Qualität und parteilich konsequente Ausrichtung:
Alexander Dowshenko, Nikolai Ekk, Ilja Trauberg, Jakow Protasanow,
Boris Barnet./11/ (Auch der Theaterregisseur Wsewolod Meyerhold, der
prononcierteste Vertreter des avantgardistischen Theaters im Moskau
jener Jahre, war im Gespräch.) Die Filme dieser Regisseure haben
europaweit die filmische Avantgarde des noch jungen Mediums Kinos
mitgeprägt. Sehr gut vorstellbar, dass Friedrich Wolf darauf
spekulierte, seine expressiv-revolutionären Filmprojekte würden in der
Realisation gerade durch diese innovativen Leute eine filmische
Potenzierung von Ambition und Wirkung erreichen.
Friedrich Wolf hatte viele Filme von Meshrabpom-Film in
Deutschland gesehen, hatte im süddeutschen Raum maßgeblich für deren
Popularisierung gesorgt und über seine sehr aktive Mitarbeit am
Volksfilmverband für deren Multiplizierung gesorgt./12/ Interna der
Firma und deren Produktionsweise, ihre Position in der IAH und im
sowjetischen Filmwesen interessierten ihn kaum./13/
Wolf erfuhr erst, als er in direkten Arbeitskontakt mit
der Firma kam, dass Meshrabpom-Film auch mit anderen deutschen
Künstlern über prononcierte Filmpläne verhandelte: Carl Junghans,
Piscator, Hans Richter, sowie mit dem Holländer Joris Ivens und dem
Ungarn Béla Balázs (die beide über glänzende deutsche Sprachkenntnisse
verfügten) und mit Schauspielern, die auch Wolf gesehen hatte. (Den
deutschen Schauspieler und kommunistischen Funktionär Hans Rodenberg,
der von Meshrabpom-Film engagiert worden war, als die Firma ihre
internationalistischen Strategien ausbauen wollte, kannte Friedrich
Wolf bis dahin noch nicht.) Wolf nahm diese „Konkurrenzen“ als
Stimulans für die eigene Produktion. Völlig selbstverständlich und der
Sicherheit seines Instinkts vertrauend setzte Friedrich Wolf darauf,
dass der Wahrnehmungsvertrag zwischen Film/Kino und Zuschauern – wie er
ihn für die „Russenfilme“ in Deutschland beobachtet und befördert hatte
– auch für seine Filme gelten würde, dass nämlich von derlei Filmen
revolutionäre Impulse auf die Zuschauer ausgehen und
klassenkämpferische Potentiale unterstützen würden.
Spätestens hier muss man auf Wolfs Filmverständnis
verweisen, das man auch aus diversen Beschreibungen über Filme etc.
herausfiltern kann. Und man muss sein berühmtes Pamphlet „Kunst ist
Waffe“ nach seinem Filmverständnis absuchen: Film wird dort als
„unmerkliche Waffe im Klassenkampf, als geschmack- und geruchsloses
Kampfgas“/14/ benannt, eine „eigene Arbeiterfilmproduktion“ als
nützlich „für die Werbung, die Entfaltung, die Kampfkraft des
sozialistischen Gedankens“ bezeichnet. Film sei „eine Fahne, ein
Schwert, ein Machtfaktor, eine Waffe“./15/
3.
Bevor Friedrich Wolf
Projekte bei Meshrabpom-Film einreichte, plante er mit Hans Richter
bereits einen „Russlandfilm“/16/, offenbar einen Dokumentarfilm nach
Art der in Deutschland erfolgreichen sowjetischen Dokumentarfilme „Das
Dokument von Shanghai“ (1928, Regie Jakow Blioch) und „Ein Sechstel der
Erde“ (1926, Regie Dsiga Wertow). Der Film wurde nicht realisiert,
Wolfs Manuskript für diesen Film ist verschollen. Die
enthusiastisch-aktivistische Arbeitsverbindung zwischen Friedrich Wolf
und Hans Richter wechselte – nach dem Scheitern dieses Projekts -
problemlos zu dem neuen Filmprojekt, das Richter nun nach Friedrich
Wolfs Szenarium für Meshrabpom-Film realisieren soll: „Metall“ (auch
als “ Hennigsdorf“ bezeichnet). Hans Richter hat – nach eigenen Angaben
- Wolfs Script in Moskau weiterentwickelt und dann in Moskau und Odessa
800 m Schwarzweiß gedreht - immerhin 1/3 eines Spielfilms normaler
Länge. Dann wurde das Projekt abgebrochen, die Gründe dafür sind
dokumentarisch nicht exakt überliefert. Ob Wolf Richters gedrehtes
Material gesehen hat, ist unklar, das Material selbst gilt als
verloren./17/
In dem Entwurf „Metall“ wird keine Fabel im
traditionellen Sinne mit handelnden Figuren, Konflikten und
Entwicklungen gestaltet. Stattdessen beschreibt Wolf wortreich und mit
publizistisch-agitatorischem Impetus soziale Kräfte und ihre
Auseinandersetzungen und Entwicklungen. Schwere Konflikte zwischen den
Stahlwerkern des Ruhrgebiets (den „Ausgebeuteten“) und den
Industriellen daselbst (den „Ausbeutern“) um Lohndumping,
Produktionskrise, Aussperrungen und Massenarbeitslosigkeit bestimmen
die Exposition. In der Folge steigern sich die Aktivitäten der beiden
involvierten Arbeiterparteien SPD und KPD und der Gewerkschaft in Form
des Deutschen Metallarbeiterverbandes (DMV).
Genauso wie im Ruhrgebiet verläuft kurze Zeit später eine
massive Auseinandersetzung zwischen Stahlwerkern und Industriellen im
Stahlwerk Hennigsdorf bei Berlin um die gleichen Probleme. Den Sieg der
Stahlwerker bringt die Bildung der Revolutionären
Gewerkschaftsopposition (RGO)./18/ Wolfs Manuskript/19/ weist der
inhaltlichen Struktur nach deutlich auf Sergej Eisensteins Film
„Panzerkreuzer Potemkin“, der Friedrich Wolfs Leitfilm war. In einer
breiten Exposition wird die Anhäufung sozialen Zündstoffes dargelegt.
Not und Bedrängnis der Stahlarbeiter und ihrer Familien nehmen zu –
vergleichbar dem Elend der Matrosen auf dem Panzerkreuzer (das
verdorbene Fleisch für die Speisen, die Arroganz der Offiziere).Dann
schlägt die angehäufte Quantität in eine neue Qualität um: die
Erhebung, der Protest, die Gegen-Aktion. Wolf folgt hier seinem
Lieblingsbauplan einer antithetischen Dramaturgie und strukturiert und
akzentuiert deutlich die Bewegungen, die Kurven im An- und Abschwellen
der Massenkräfte und ihrer Aktionen, also der Arbeiter, der
Streikenden, der Ausgesperrten, der Alten. Er verzichtet erklärtermaßen
und entschieden auf einen oder mehrere zentrale Helden (was sonst in
Friedrich Wolfs Theaterstücken ein schnell auszumachendes
Charakteristikum bildet) und baut bipolar den Zusammenprall zweier
Kräfte-Blöcke. Er formt einen kollektiven Helden (die Streikenden):
„Der ‚Held’ kann gerade in diesem Film wirklich nur die MASSE
sein“./20/ (Damit nimmt Wolf eine merkliche Anleihe bei
vulgär-marxistischen Auffassungen jener Jahre.) Folglich führt Wolf
einzelne Figuren in nur episodischen, anekdotischen Szenchen, in
Splittern und Momentaufnahmen physischer Verrichtungen vor. Sie lockern
die Massenszenen auf, bieten aber weder charakterliche Vielfalt noch
Profile tragender Figuren an. Die Analogie zu „Potemkin“ suggeriert
auch das Finale. In „Potemkin“ wird der gewaltlose Abzug der
rebellierenden Matrosen – auf dem Riesenschiff durch die feindlichen
Linien „in die Sicherheit des Auslandes“ - als Triumph gezeigt.
Historisch bildete dies keinen revolutionären Umsturz, aber dennoch
einen Sieg, insofern, als die Zuschauer des Films in Gedanken die
„Sinngebung“ des Vorgangs verlängerten zur erfolgreichen
Oktoberrevolution 1917. In „Metall“ wird die Gründung der RGO als Sieg,
als einzige Lösung des existentiellen Konflikts und als Apotheose
gesetzt.
Wolfs Text „Metall“ kann als „erste deutsche
Filmerzählung eines Massenstreiks“ gelten, wie Lew Hohmann
notierte./21/ Das Projekt war noch vor dem ersten deutschen
proletarischen Spielfilm „Kuhle Wampe“/22/ konzipiert worden und konnte
dessen szenische Vorschläge zur filmischen Gestaltung revolutionärer
Bewegungen nicht auswerten oder auf sie reagieren, die andere
Vorschläge waren, als sie Eisenstein mit „Panzerkreuzer Potemkin“
gemacht und Wolf sie aufgegriffen hatte.
Das von Wolf erkannte und gestaltete Anwachsen
revolutionärer Kräfte und Bewegungen war illusionär angesichts des sich
in Deutschland real verstärkenden Faschismus. Weiterhin bestand das
Illusionäre in dem Szenarium in - dem Favorisieren und der schlussendlichen Lobpreisung der RGO,
die Wolf als revolutionäre Errungenschaft und als wirkliche soziale
Kraft mit Aussicht auf Erfolg feiert. Weil sie jedoch die damalige
Arbeiterbewegung weiter spaltete, wurde sie bald von der KPD als
soziale, revolutionär gemeinte Bewegung verworfen, - der totalen Verkennung der Massenbasis der faschistischen
Bewegung: die von Wolf erfundene Figur des Nazis („Stahlhelmers“) Buck
geht ohne jedes Profil durch die Handlung. Er fungiert nur als Mitglied
des Betriebsrates und wirkt wie ein Statist, der keinen Dialogsatz,
keine Aktion, der nichts hat, um seine Position und diese als reale,
gesamtgesellschaftliche, massenhafte Erscheinung zu präsentieren,
geschweige als wirkliche Gefahr. Ebenso funktioniert eine Mini-Szene,
in der die Streikküche des Stahlhelms (also der Faschisten) von den
sehr bedürftigen Streikenden boykottiert wird, ohne dass die Gründe für
den Boykott angegeben werden, - der Unterschätzung der „Kapitalisten“, die als klischierte
Typen und gröbste Vereinfachungen durch die Handlung gehen und
abstraktes Deutsch platter Propaganda-Broschüren reden.
4.
Das Treatment „Captain
Campell“, das Wolf bei Meshrabpom-Film einreichte, hat Wolf direkt für
die Verfilmung geschrieben. In der Literatur ist es in seiner
Theaterversion unter dem Titel „Die Jungen von Mons“ überliefert. /23/
Die story gestaltete Wolf wie auch in seinen Theaterstücken gradlinig
und überschaubar: Aus Not gibt sich die Witwe eines Frontoffiziers als
deren Mann aus, trägt seine Uniform und seine Orden und gewinnt so
Zugang zu Offiziers- und Industriellenkreisen und beachtliche
Reputation. Sie organisiert eine Gruppe Frontkameraden, schult sie
militärisch und formt sie zu einer brutalen Eingreiftruppe der
Konzerne, die massiv und blutig gegen streikende Arbeiter vorgeht. Bei
einer Saalschlacht wird ihre Identität entdeckt. Die Konstruktion
bricht zusammen. Wolf benutzte einen realen zeitgenössischen Vorgang in
Großbritannien, den er Zeitungsveröffentlichungen entnommen hatte.
Kurios und nebenbei: ein deutscher Dramatiker schreibt einen englischen
Stoff für eine russische Firma.
Friedrich Wolf benutzte die Technik des
Verkleidungs-Spiels, ein altes theatralisches Muster, das bis zu
Shakespeares „Maß für Maß“ oder „Kaufmann von Venedig“ zurückverfolgt
werden kann und auch in Filmen eingesetzt wurde. Jedoch spielte Wolf
nicht durchgängig mit Verkleidungen wie in einer Verwechslungskomödie.
Die Anfangs-Komik nutzt sich rasch ab: wenn die Militarisierung der
Campell-Truppe installiert und Campells Status bei den Industriellen
unanfechtbar geworden ist, wird das Spiel nur noch brutal und
aggressiv.
Das Illusionäre in „Campell“ besteht in der
- Reduzierung realer faschistischer Gefahren auf einen psychologischen Sonderfall: eine verkleidete Frau als „Führer“,
-
Reduzierung der faschistischen Massengefahr auf die Brutalität einer
militärischen Elitetruppe, nämlich Campells „Mannschaft“, - (wieder peinlichen) Stereotypisierung von Kapitalisten-Figuren.
Freilich
thematisiert Wolf eine für die deutsche faschistische Bewegung
bestimmende ideelle „Verbindung“, die als identitätsstiftend
installiert war: die Beschwörung der Traditionen zu den Frontkämpfern
des 1. Weltkrieges und damit zu weltpolitischen „Defiziten“ (dem
„Schandvertrag“ von Versailles). Freilich: als Friedrich Wolf beide
Exposés schrieb, war er – noch – fest davon überzeugt, dass die
Klassenverhältnisse und -kräfte so seien, wie er sie gestaltet hatte,
dass also der Faschismus in Deutschland zu besiegen wäre, noch bevor er
die Macht ergreifen könnte. Zwar verwendete Wolf die Vokabel nicht,
aber von dem Bild des Sozialfaschismus, wie es die damalige KPD
verwendete, ist er nicht weit entfernt. Friedrich Wolf hat „Campell“ in
der Arbeitsbeziehung mit Meshrabpom-Film energisch und mehrfach
umgearbeitet. Aber das Grunddilemma konnte er nicht bewältigen, solange
er an seiner einseitigen und ausschließlichen Konfrontation Arbeiter /
Faschisten festhielt. Für die Bühnenfassung des Campell-Stoffes „Die
Jungens von Mons“ rettete er sich durch massiven Einbau von
Revue-Momenten (das Mons-Lied – eine Art Corps-Gesang der
Schlägertruppe - wird zum Leitmotiv) und durch weitere Privatisierung
der Campell-Figur.
Die Illusion Wolfs in Form der Verkennung faschistischer
Gefahren hat Meshrabpom-Film zeitgleich auch mit eigenen, abgedrehten
Filmen sowjetischer Künstler gemacht: „Der Deserteur“ (Regie Wsewolod
Pudowkin)/24/ gestaltet die Erlebnisse eines Hamburger Arbeiters, der
in die Sowjetunion reist, um dort am sozialistischen Aufbau
teilzunehmen, aber überzeugt wird, dass sein Platz in Deutschland ist.
„Brennende Ruhr“ (Regie Konstantin Eggert) thematisiert die sozialen
Auseinandersetzungen im deutschen Ruhrgebiet, die auch Karl Grünbergs
Roman gleichen Titels zugrunde lagen./25/ Beide Filme wurden in Moskau
verboten. Ohne es mit Dokumenten hinlänglich beweisen zu können, kann
angenommen werden, dass die Gründe für die Verbote dieser Filme
dieselben waren wie für den Abbruch der Arbeit an „Metall“.
Die These vom politischen Schematismus und dessen
Kollision mit Realismusauffassungen bei Meshrabpom-Film stützt
unfreiwillig Wolfs zeitweiliger Mitstreiter in Sachen „Metall“ Hans
Richter. Richter, auf Drehurlaub in Berlin und also noch mitten in der
Arbeit, erwähnt höflich, aber deutlich gegenüber der deutschen Presse
seine sehr subjektive Schwierigkeit, dass „er die schablonenhaften und
für westeuropäische Zustände gänzlich unzutreffenden Vorstellungen der
Russen von ausländischen Großindustriellen und Gewerkschaftern
bekämpfen und aus ihrer Starre befreien musste. Denn es leuchtet vielen
Russen immer noch nicht ein, dass ein westeuropäischer
Wirtschaftsführer nicht wie ein vollgefressener und dauernd Orgien
feiernder russischer Großkaufmann dargestellt werden kann. ... es ist
nicht leicht, diese seit den Tagen der Revolution allmählich zu festen
Begriffen gewordenen Typen auch in der Praxis vollkommen zu
erneuern.“/26/ Die hier aufscheinenden firmeninternen Diskussionen
bedürfen weiterer Erforschung./27/
In den dreitägigen Diskussionen der deutschen
Schriftsteller im Moskauer Exil, unter ihnen Friedrich Wolf, von 4. bis
8. September 1936 wurde vielfach auch über Meshrabpom-Film geredet,
allerdings stets vom Ende der Firma her./28/ Friedrich Wolf, wiewohl
ausführlich befragt und ausführlich antwortend, hat seine Filmprojekte
mit keinem Wort erwähnt. Er wurde auch nicht nach ihnen befragt. Die
Wirklichkeit hatte seine Filmutopien „von damals“ längst überholt: der
deutsche Faschismus hatte gesiegt und seine Macht befestigt, seine
militärische Aggressivität zeichnete sich 1936 immer deutlicher
durch./29/ Jedoch: Friedrich Wolfs persönliche Utopie, einen Film mit
einer sozialistischen Produktionsfirma zu realisieren, blieb bestehen.
Sie wurde 1938 mit der Verfilmung seines Stückes “Professor
Mamlock“/30/ erfüllt und erlebte lange nach seinem Tod mit der erneuten
Verfilmung dieses Theaterstücks durch seinen Sohn Konrad einen
unzweifelhaften Höhepunkt./31/
(September 2003)
Anmerkungen
1
So zur Filmretrospektive Friedrich Wolf 1974. Auch der
Eröffnungsredner, der immerhin noch mit Wolf an der Realisierung eines
Films zusammengearbeitet hatte, Kurt Maetzig, erwähnt die Moskauer
Pläne nicht. Vgl. Kurt Maetzig, Friedrich Wolf und der Film, in: Kurt
Maetzig, Filmarbeit Berlin 1987, S. 353 ff. Auch Hans Rodenberg erwähnt
diese Pläne in seinem großangelegten, detailreichen Aufsatz zu Wolfs
50. Geburtstag 1938 nicht. Vgl. Hans Rodenberg, Friedrich Wolf zum 50.
Geburtstag, in: Internationale Literatur, deutsche Blätter Moskau, Nr.
9, Heft 3, 1939 2 Vgl. etwa Lew Hohmann, Friedrich Wolf und der Film –
Eine unglückliche Liebe, in: Mut, nochmals Mut, immerzu Mut,
Internationales Friedrich-Wolf-Symposion, Neuwied am Rhein 1989/90, S.
244 ff. 3 Vgl. Filme für die Volksfront, hrsg. von Rainhard May und Hendrik Jackson, Berlin 2001
4
Hans Rodenberg hat sich erst sehr spät und mit großer Zurückhaltung
über diese Zusammenhänge geäußert, Hans Richter erwähnt er nur
beiläufig und Carl Junghans hielt er für einen unpolitischen Menschen,
in: Hans Rodenberg, Protokoll eines Lebens, Berlin (DDR) 1980, S. 113 5 Ein Film über moderne Körperkultur, Regie: Wilhelm
Prager, Produktion: Ufa Kulturabteilung, 1925, Neufassung 1926. Zu dem
Film siehe: Michael Töteberg, Schöne nackte Körper, Wege zu Kraft und
Schönheit, in: Das Ufa-Buch, hrsg. von Hans-Michael Bock und Michael
Töteberg, Zweitausendeins Frankfurt/M 1992, S. 152 ff. 6 Uraufführung 1930
7 Uraufführung 1933. In
der Stabliste taucht sein Name gar nicht mehr auf. Vgl. CineGraph –
Lexikon des deutschsprachigen Films, München o.J. (Loseblatt-Sammlung),
Stichwort Arnold Fanck, Filmographie 8 Friedrich Wolf hat auch überhaupt wenig auf
Schauspieler geachtet und sie stets nur „bemerkt“, wenn sie seinen
Rollenintentionen nahekamen oder ihnen erheblich widersprachen. Es gibt
kein Schauspielerporträt von Friedrich Wolf oder sonst eine
bemerkenswerte Beobachtung schauspielerischer Leistungen. 9 Friedrich Wolf, Das mangelnde Manuskript oder der
Herzfehler des Films, in: Von der Filmidee zum Drehbuch, Berlin 1949,
S. 7 ff. 10 Diese Vokabel, seinerzeit häufig in der deutschen
Öffentlichkeit verwendet, erfuhr durch Alfred Kerr eine merkliche
Nobilitierung, vgl. Alfred Kerr, Russische Filmkunst, Berlin 1927 11 vgl. Brief Francesco Misiano an Friedrich Wolf,
7.8.1931, Stiftung Archiv der Akademie der Künste, Nachlaß Friedrich
Wolf, 55/10/18 12 Noch als Wolf zur szenaristischen Arbeit an seinen
Filmentwürfen bei Meshrabpom-Film in Moskau weilte, spendete er
enthusiastisches Lob für den Spielfilm „Der Weg ins Leben“ (Regie:
Nikolai Ekk), Radio-Interview für den Sender des Zentralrats der
Gewerkschaften Moskau vom 25.5.1931, geführt von „Sascha“, seinem
Freund Alexander Maaß, in: Filmwissenschaftliche Mitteilungen 3/1967,
S. 903 13 Vgl. Rainhard May, a.a.O., Günter Agde, Zwischen
Hoffnung und Illusion, Filmarbeit deutscher Emigranten in Moskau und
die Produktionsfirma Meshrabpom-Film, Internationales Jahrbuch der
Exilforschung 21/2003, S. 62 ff., ders., Kämpfer, Biographie eines
Films und seiner Macher, Berlin 2001, S. 61 ff. 14 Friedrich Wolf, Kunst ist Waffe, Ein Feststellung, hrsg. und Verlag Arbeitertheaterbund Deutschlands e.V., 1928, S. 16
15 ebenda, S. 16
16
Friedrich Wolf, Brief an Hans Richter, 1.X.1930, Nachlass Friedrich
Wolf in: Stiftung Archiv der Akademie der Künste, Nr. F.9, 53/5 17 Jewgenij Margolit und Wjatscheslaw Schmyrow, Is’jatoe
kino (Das verbotene Kino, russ.) Moskau 1995, erwähnen es nicht. Hans
Richter gab später nirgendwo brauchbare Auskunft über sein gedrehtes
Material und dessen Verbleib. Jüngst sind einige Szenen- und Werkfotos
aufgetaucht, die reichlich nichtssagend sind, jedoch sorgt ein
tschechischer Schriftzug für einige Verwirrung. Vgl. Heide Schönemann,
Hans Richter und Friedrich Wolf im Meshrabpom-Programm, in: Hans
Richter, Film ist Rhythmus, Freunde der Deutschen Kinemathek e.V.,
Berlin 2003, S. 115 ff. 18 Nachlass Friedrich Wolf in: Stiftung Archiv der Akademie der Künste, Nr. 53
19
Leider haben die Herausgeber der Ausgewählten Werke Friedrich Wolfs,
Else Wolf und Walther Pollatschek, in der Druckfassung die filmischen
Ambitionen Wolfs unterdrückt, indem sie die zahlreichen
handschriftlichen Anmerkungen und andere Hervorhebungen Wolfs im
Typoskript tilgten, die deutlich eine filmische Auflösung des Materials
vorschlagen: Durchnummerierung von Szenen und Sequenzen, die
Hervorhebung von Zwischentiteln als Inserts als
Quasi-Zwischenüberschriften u.ä., siehe: Friedrich Wolf, Ausgewählte
Werke in Einzelausgaben, Bd. XI, Filmerzählungen, Berlin 1959, S. 15
ff. 20 Friedrich Wolf, „Metall“, Entwurf, Nachlass a.a.O., Bl. 2, Hervorhebungen von Friedrich Wolf
21 Lew Hohmann, Friedrich Wolf und der Film, a.a.O., S. 246
22
„Kuhle Wampe“(Regie Slatan Dudow) wurde am 30. Mai 1932 uraufgeführt,
also nachdem Friedrich Wolf seine Entwürfe bei Meshrabpom-Film
abgeliefert hatte. 23 Friedrich Wolf, Gesammelte Werke, hrsg. von Else Wolf und Walther Pollatschek, Bd. 3 Dramen, Berlin 1960, S. 197 ff.
24 1932, Buch: Nina Agadshanowa-Schutko
25
„Drusja sowestji“ (Pyljajuschtschij rur, Wosstanije w rurje), Szenarium
Oleg Leonidow, Leonid Glasytschew, Produktion Meshrabpom-Film 1932, s.
Jewgenij Margolit und Wjatscheslaw Schmyrow, Is’jatoe kino, a.a.O.
Moskau 1995, S. 30 26 Simon Koster, Ein Avantgardist stellt sich um, Hans Richter kommt zu neuen Formen, in: Filmkurier Berlin, 22. November 1932
27
Unhaltbar scheint mir freilich Heide Schönemanns These, das Ende der
Zusammenarbeit zwischen Wolf und Richter und des „Metall“-Projekts sei
als eine Art Voraus-Opfer des Großen Terrors anzusehen. Vgl. Heide
Schönemann, Hans Richter und Friedrich Wolf im Meshrabpom-Programm,
a.a.O. 28 Meshrabpom-Film war im Juni 1936 buchstäblich über
Nacht in „Sojusdetfilm“ umgewandelt worden - jedem mit der Moskauer
Kulturszene Vertrauten, also auch den exilierten deutschen Künstlern,
war dies als Liquidierung einer großen Möglichkeit bewusst. 29 Georg Lukács/Johannes R. Becher/Friedrich Wolf u.a., Die Säuberung, hrsg. von Reinhard Müller, Reinbek bei Hamburg 1991
30 Regie: Herbert Rapoport/ Adolf Minkin, Produktion Lenfilm Leningrad
31 Produktion DEFA-Studio für Spielfilme Potsdam-Babelsberg, 1961
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