Thema | Kulturation 1/2003 | Kulturelle Differenzierungen der deutschen Gesellschaft | Beate Binder | "Heimat" Berlin? Einige Überlegungen zur Produktion von Ortsbezogenheit als Ziel stadtentwicklungspolitischer Maßnahmen
| Das
Museum Europäischer Kulturen zeigte von Juli bis Oktober 2002 eine
Ausstellung mit dem Titel "Heimat Berlin?". Zu sehen waren Fotografien
zum Thema "Migration, Arbeit und Identität", gemacht von Fotografen,
die selbst "Zugewanderte" sind und die "ihrer jeweiligen
Herkunftskultur eng verbunden" in Berlin leben und arbeiten./1/ Mit der
Ausstellung stelle man die Frage danach, so die Initiatorinnen im
Vorwort des Ausstellungskatalogs, ob "die neuen Migrant/innen und ihre
Nachkommen als Berliner/innen akzeptiert" werden und ob sie Berlin "als
ihre Heimat" empfinden. Man wollte zum Nachdenken darüber anregen, in
welchem Maß zugewanderte Menschen das Bild der Stadt beeinflussen. Zu
sehen waren Fotografien von MigrantInnen: Bilder von Menschen, die sich
in der Stadt eingerichtet haben, die ihren Bedürfnissen und
Möglichkeiten entsprechend vom städtischen Raum Besitz genommen haben
und die damit das Bild Berlins nicht nur nachhaltig prägen, sondern
auch zu dessen stetiger Veränderung beitragen.
Mit diesem Konzept legt die Ausstellung ihren BesucherInnen die Annahme
nahe, dass das Heimischwerden in Berlin ein spezifisches Problem genau
jener Menschen darstellt, die aus "fremden Kulturen" in die Stadt
kommen. Sind doch von diesen Menschen früher wie heute besondere
Adaptionsleistungen zu erbringen, auch und gerade gegen die Vorurteile
und Fremdbilder, mit denen sie von der Aufnahmegesellschaft
konfrontiert werden. Zugleich fehlen Bezugspunkte in der zunächst noch
fremden Stadt. In dieser Hinsicht will die Ausstellung nach beiden
Seiten vermitteln: Sie zeigt die angeeigneten Orte als
Identifikationsorte für Menschen aus "anderen Kulturen" und bietet
Deutungsrahmen, mit denen die schon lange hier sesshaften BewohnerInnen
Berlins ihre Stadt anders sehen lernen sollen. Denn sie will den Blick
auf die stete Veränderung einer Stadt "durch Innovationen und die
Begegnung von Kulturen, Mentalitäten oder Milieus" richten und die
BesucherInnen dafür sensibilisieren, dass unsere Gesellschaft und die
Stadt Berlin ein "Ergebnis von Kulturkontakten" ist, ein seit zwei
Jahrhunderten gewachsenes "kulturelles ‚Patchwork'". "Heimat" Berlin,
das meint hier das Ergebnis des Zusammenlebens und sozialen Austauschs
von Menschen unterschiedlicher Herkunft.
Meine unter demselben Titel angestellten Überlegungen zum Thema
"‚Heimat' Berlin?" gehen in eine etwas andere Richtung. Auch wenn meine
Frage ebenfalls eng mit Migrationsphänomenen verknüpft ist,
interessiert mich nicht die Integration von MigrantInnen in die
(Stadt-)Gesellschaft und die Aneignung der Stadt durch Zugewanderte.
Vielmehr steht im folgenden die Frage im Mittelpunkt, wie in Berlin
durch Maßnahmen der Stadtentwicklungspolitik ein Gefühl des "Heimisch-"
oder "Beheimatet-Seins" für die BewohnerInnen dieser spätmodernen Stadt
hergestellt werden soll.
Im Folgenden werde ich zunächst zumindest knapp den gesellschaftlichen
Kontext skizzieren, in dem die Frage nach dem "Heimisch-Werden"
gegenwärtig meiner Meinung nach relevant wird, dann einige Bemerkungen
zu meinem Verständnis des (problematischen) Begriffs "Heimat" machen,
um abschließend die beiden, zunächst in unterschiedliche Richtungen
weisenden stadtentwicklungspolitischen Maßnahmen des Planwerks
Innenstadt und des Quartiersmanagements unter der so gewonnenen
Perspektive zu diskutieren.
Spätmoderne Stadtgesellschaften
In Städten, das zeigt sich in den letzten Jahrzehnten immer deutlicher,
bündeln sich die sozialen, ökonomischen und kulturellen
Veränderungsprozesse, die gemeinhin unter dem Schlagwort Globalisierung
zusammengefasst werden, in spezifischer Weise. Dabei sind Städte
zugleich, darauf hat u.a. Peter Niedermüller aufmerksam gemacht,
"politische und symbolische Instrumente des
Transformationsprozesses"./2/ Das transnationale Finanz- und
Wirtschaftssystem sowie die postfordistische ökonomische Struktur
zwingen Städte dazu, sich über die nationalen Grenzen hinaus im
Wettbewerb miteinander zu behaupten. Städte sind bestrebt,
Dienstleistungsunternehmen und Arbeitskräfte, Kulturinstitutionen und
Touristen anzulocken, um die Stadtökonomie zu stärken. Die mit dieser
Zielsetzung zusammen hängende Re- und Umstrukturierung des urbanen
Raums hat viele Gesichter: die Aufwertung von Stadtvierteln und das
Errichten neuer Zentren des Konsums und des Freizeitvergnügens gehören
hier ebenso dazu wie die Abwertung ganzer Viertel und die Entstehung
einer neuen "urban underclass"./3/
Vor allem aber treffen aufgrund der tiefgreifenden sozialen,
ökonomischen und geografischen Veränderungen des urbanen Raums heute in
Städten soziale Gruppen aufeinander, die in sehr unterschiedlicher
Weise von den hier nur angedeuteten Prozessen der Globalisierung
betroffen sind und diese mit äußerst verschiedenen Handlungsspielräumen
und -möglichkeiten mitstrukturieren. Auf die "alte", mehr oder minder
lange sesshafte Stadtbevölkerung treffen MigrantInnen, die in den
Städten nach einem "besseren Leben" suchen, das sie in ihren
Herkunftsländern aus politischen, ökonomischen oder anderen Gründen
nicht verwirklichen konnten. In der Stadt agieren Investoren, global
players und die "flexiblen Menschen" (Beck) der neuen
Dienstleistungsgesellschaft, die hinter ihrer Arbeit herziehen, sowie
nicht zuletzt Touristen, die hier der Wirklichkeit der Stadt-Images
nachspüren und sich vergnügen wollen.
In den Sozialwissenschaften wurde in den letzen Jahren immer wieder auf
die Desintegrationseffekte dieser weitreichenden sozialen
Transformationsprozesse und auf das Ende bislang wirksamer
stadtbürgerlicher Vergemeinschaftungs- und
Solidarisierungszusammenhänge hingewiesen. Ein Effekt der urbanen
Transformationsprozesse ist es, dass Ortsbezogenheit bzw. das Gefühl
der Zugehörigkeit zu dem sozialen Gebilde Stadt heute kaum mehr
selbstverständlich für alle BewohnerInnen einer Stadt gegeben ist. Im
Gegenteil: Die Frage, wie in einer spätmodernen Stadt überhaupt noch so
etwas wie Ortsbezogenheit - um den Begriff "Heimat" versuchsweise
neutraler zu fassen - hergestellt werden kann bzw. wie diese durch die
BewohnerInnen der Stadt hergestellt wird, scheint offen. Und diese
Frage umfasst alle, nicht nur MigrantInnen, die sich in der Stadt
niederlassen, sondern auch diejenigen, die "schon immer" hier
wohnen./4/ Räumlich weit ausgedehnte Freundschafts- und
Familiennetzwerke, berufliche Flexibilität, die zunehmende Bedeutung
von Informations- und Kommunikationstechnologien entbetten soziale
Beziehungen zunehmend aus ihrem räumlichen Kontext - kurz, dass soziale
Beziehungsnetzwerke zunehmend entbettet sind aus lokalen räumlichen
Strukturen./5/ Die Sozialwissenschaften versuchen daher, das Leben in
der globalen Stadt mit neuen Begriffen und Konzepten zu beschreiben./6/
In der Stadtentwicklungspolitik wird dagegen nach praktischen oder
praxis-nahen Antworten auf dieses Problem gesucht. Denn auch hier steht
die Frage auf der Tagesordnung, wie gesellschaftliche Kohäsion (wieder)
hergestellt bzw. wie angesichts der wachsenden gesellschaftlichen
Polarisierung das Auseinanderdriften der verschiedenen sozialen Gruppen
im urbanen Raum zumindest teilweise kompensiert werden kann./7/
"Heimat" als Leitbegriff?
Die im letzten Abschnitt angedeuteten Problemlagen können hier nicht in
ihrer ganzen Bandbreite diskutiert werden. Ich möchte vielmehr im
Folgenden den Begriff "Heimat" als Brennglas benutzen, um
stadtentwicklungspolitische Angebote zu sichten, zu deren intendierten
Zielen es gehört, Ortsbezogenheit herzustellen. Im Zentrum soll hier
also die Frage stehen, welche Rolle die Herstellung eines Gefühls der
Beheimatung in der gegenwärtigen Stadt(entwicklungs-)politik spielt.
Dafür ist zunächst die Verwendung von "Heimat" als Leitbegriff selbst
erklärungsbedürftig, zumal der Begriff in dieser Weise in offiziellen
Statements und politischen Programmen nicht benutzt wird. Er ist weder
ein neutraler Begriff - und auch die von mir im Versuch der
Distanzierung gesetzten Anführungszeichen erhöhen höchstens seinen
Erklärungsbedürftigkeit - noch ist er - im klassischen Sinn - eine
wissenschaftliche Kategorie. Vielmehr gehört er, zumindest in der
bundesrepublikanischen Diskussion, zu den Begriffen, die - da von
rechts und vor allem durch den Nationalsozialismus besetzt - stets
umstritten waren. Auf den ersten Blick suggeriert der Begriff ein
konservativ konservierendes und nostalgisches Festhalten an
Traditionen. Herman Bausinger hat wiederholt darauf aufmerksam gemacht,
dass die auf Verwurzelung und Tradition setzende Heimatvorstellung ein
Produkt bürgerlicher Ideologie ist. In dem Maß, in dem die Welt in der
Moderne in Bewegung geraten war, wurde Heimat als der jenseits dieser
Veränderungen liegende Kompensationsraum für die Zumutungen der Moderne
konzipiert und propagiert./8/ Aus dieser Perspektive ist der Heimat-Ort
oder der Ort der Beheimatung ein abgegrenzter Raum mit einer
essentialistischen und tendenziell unveränderlichen Identität. Er steht
für eine gewachsene, sich auf gleich Werte und Vorstellungen berufende
Gemeinschaft, die sich im Fluss einer tradierten gemeinsamen Geschichte
wahrnimmt. Diese Denktradition hat sich bis heute gehalten. Denn auch
in der gegenwärtigen Debatte, wird das Lokale häufig als Ort der
Verwurzelung und des Tradierten entworfen, der - darauf hat unter
anderem die Sozialgeografin Dorreen Massey aufmerksam gemacht - gegen
die Zumutungen und Anforderungen gesetzt wird, die die globalen
Herausforderungen für den einzelnen darstellen./9/
Gegen solche Konzepte der Heimat wurden immer wieder Versuche der
Neudeutung und Umwertung unternommen. Zu nennen ist hier etwa Ernst
Blochs utopische Fassung - "Heimat ist dort, wo noch keiner war" -,
Daniel Cohn-Bendits Ausspruch, Heimat sei dort, wo er sich verliebe,
und auch die von sozialwissenschaftlicher Seite vorgenommenen
Umwertungen des Begriffs - etwa Heimat als gelebte Zeit und gelebten
Raum zu fassen, als Ort des Handelns, der Arbeit und der
Beziehungsnetzwerke. Allen gemeinsam ist, dass sie einerseits die
utopisch handlungsleitende Facette des Begriff betonen und also Heimat
"als Medium und Ziel der Auseinandersetzung" verstehen, und dass sie
andererseits versuchen, den symbolischen Überschuss des Heimatbegriffs,
der dicht mit der Gefühlsstruktur dessen, was Heimat meint, verbunden
ist, nicht außer acht zu lassen./10/
Hermann Bausinger wies Anfang der 1980er Jahre darauf hin, dass sich
die gesellschaftliche Vorstellung von Heimat vom "passiven Gefühl" zur
"aktiven Auseinandersetzung" gewandelt habe. Er berief sich dabei auf
die Entstehung von Bürgerinitiativen, der Öko-Bewegung, von
Nachbarschaftsinitiativen zur Rettung von Stadtteilen sowie
Hausbesetzungen in der westdeutschen Gesellschaft, die sich allesamt,
wenn auch unterschiedlich akzentuiert, auf den Begriff der Heimat
beriefen./11/ Gerade die neuen sozialen Bewegungen setzten dem
sentimentalen und retrospektiven Heimatbegriff einen aktiven entgegen,
der die Vorstellung von Heimat als innerer Einstellung und als Ausdruck
von Lebensqualität ebenso umfasste wie den Aspekt der Aneignung und
Auseinandersetzung mit dem Ort des eigenen Lebens. Betont wurde damit
die Bedeutung von Heimat bzw. der Nahwelten für die Erzeugung eines
Gefühls des Dazugehörens und für die Ausbildung einer Position, die
gesellschaftliches und/oder politisches Handeln (überhaupt erst?)
ermöglicht.
"Heimat" als heimliche Leitkategorie der Stadtentwicklungspolitik
Beide Vorstellungen und Bedeutungsgehalte des Begriffs "Heimat" - der
retrospektiv verklärende wie der auf aktive Aneignung setzende -, so
meine These, haben in die gegenwärtige Stadtentwicklungspolitik Einzug
gehalten. Und sie produzieren dort Widersprüche. Ich möchte den Begriff
im folgenden dazu nutzen, diesen Widersprüchen zu folgen und dabei -
allerdings wenig systematisch - an einigen Beobachtungen aus den
letzten Jahren ansetzen. Eine der leitenden Fragen wird dabei sein, wer
zu welchem Zweck für wen Heimat bzw. eine spezifische Ortsbezogenheit
erzeugen will.
Mir scheint diese Frage vor allem deshalb zentral, weil die Produktion
von Ortsbezogenheit mit der Produktion von Vorstellungen oder Images
verbunden ist, mit denen die Stadt bzw. einzelne Stadtviertel oder
Straßenzüge belegt werden. Wie Sharon Zukin und Dorreen Massey
herausgearbeitet haben, ist es eine der zentralen und wirkmächtigsten
Macht-Strategien in spätmodernen Städten, urbanen Räumen ein möglichst
essentialistisches und eindeutiges Image zuzuweisen. Dadurch werden
Optionen für die legitime Nutzung und Aneignung von Raum
festgeschrieben und kann der Ein- bzw. Ausschluss von sozialen Gruppen
legitimiert werden./12/ Eine vergleichbare Strategie scheint mir auch
dort anzusetzen, wo unter dem Vorsatz, Ortsbezogenheit oder "Heimat" in
der Großstadt herzustellen, Raumbilder erzeugt werden bzw. bestimmte
Images oder Erzählungen mit einzelnen Orten verbunden werden.
Besonders deutlich wird "Heimat" im Sinne der Identitätsstiftung dort
zur leitenden Vorstellung, wo Stadt gebaut und geplant wird. Die
Debatte um die Berliner Architektur, also um die Richtlinien für den
Weiterbau der Stadt nach 1990 setzte vornehmlich dort an, wo die
Identität des Raums Berlin ausgemacht wird: an ihrer Geschichte und dem
im Stadtraum materialisierten Gedächtnis der Stadt. Indem dieses
bewahrt, rekonstruiert und zur Richtschnur für den Weiterbau der Stadt
gemacht wurde, wurde auf die Lesbarkeit der Stadt gesetzt und auf die
Möglichkeit, an gemeinsame Traditionsbestände anzuknüpfen. Gerade die
historische Stadt wurde damit als zentraler identitärer Bezugspunkt
auch ihrer BewohnerInnen gedeutet.
In diesem Sinn beschreibt etwa Senatsbaudirektor Hans Stimmann die
bauliche Textur der Stadt als das Gedächtnis ihrer BewohnerInnen und
geht dabei implizit von einer lang tradierten Geschichte aus, die einen
gemeinsamen Bezugspunkt für die BewohnerInnen Berlins darstellt./13/
Die beiden Leitbilder der "historischen Rekonstruktion" und der
"europäischen Stadt" waren in den 1990er Jahre in je verschiedenen
Bereichen der Stadtentwicklungsplanung richtungsweisend. Insbesondere
im Zentrum, so Stimmann, bestand der Wunsch nach einem
"identitätsstiftenden historischen Zentrum", als dessen spezielle "Orte
der Sehnsucht" er den Pariser Platz, den Potsdamer Platz, den
Checkpoint Charlie, die Friedrichstraße und den Schlossbereich
nennt./14/
Unbenannt bleibt in solchen Darstellungen, dass das "Gedächtnis" bzw.
die bauliche Textur der Stadt immer das Ergebnis machtvollen
Eingreifens in städtischen Raum ist. Nur diejenigen Vorstellungen von
Stadt und Urbanität können sich letztlich in großen Strukturen
niederschlagen bzw. sich materialisieren, die zu hegemonialen
Positionen werden konnten. Nur diejenigen gesellschaftlichen Gruppen,
die über Macht und Einfluss verfügen, können ihre Vorstellung von Stadt
in Strategien der Stadtplanung übersetzen und den urbanen Raum
nachhaltig strukturieren. Aus der gesellschaftlich marginalisierten
Position heraus kann demgegenüber nur durch taktisches Handeln der
gebaute Raum angeeignet und mitstrukturiert werden. Dieses taktische
Handeln derjenigen, die sich mit den geschaffenen städtischen Räumen
arrangieren mussten, bleibt meist nur als Spur präsent./15/
Insofern bleibt in den Diskussionen um die städtebaulichen Konzepte
meist auch die Frage offen, für wen "Geschichte" im öffentlichen Raum
einen Bezugspunkt darstellt bzw. darstellen kann. Und es wird so getan,
als verbänden sich historische Erzählung und spezifischer Ort auf quasi
natürliche Art und Weise "von selbst". Dass aber die Lesbarkeit der
Stadt immer damit einhergeht, ein "concerning eye" (Yi-Fu Tuan) zu
schaffen, wird ins Vergessen gedrängt. Sicherlich: Durch die Bewahrung
von historischen Strukturen bleibt Berlin als Stadt identifizierbar,
solange wie die Erzählung von Berlin mit diesen historischen Icons in
Einklang gebracht werden kann.
Wenn aber die historischen Zeichen als eindeutige Images mit
spezifischen Erzählungen der Entwicklungsgeschichte Berlins verknüpft
sind und auf diese Art und Weise die der Lesbarkeit der Stadt
hergestellt wird, dann ist diese Strategie immer auch Teil des "selling
places", auf das Berlin im translokalen Wettbewerb der Städte setzen
muss./16/ Hier geht es um die Produktion möglichst widerspruchsfreier
und eingänglicher Erzählungen und Zeichen. Diese Images lassen sich
verkaufen, und sie sind darauf ausgerichtet, Berlin zum Anziehungspunkt
insbesondere für diejenigen zu machen, die ihr Geld in die Stadt
bringen sollen.
In diesem Sinn wurde in Berlin etwa eine "gute Stube" eingerichtet -
doch weit entfernt, für Gemütlichkeit und ein Zusammenrücken der
StadtbewohnerInnen zu sorgen, ist der im öffentlichen Diskurs häufig in
dieser Weise bezeichnete Pariser Platz in erster Linie zum
Repräsentationsraum nationaler wie urbaner Interessenpolitik geworden.
Deshalb musste wohl zuletzt auch der Curry-Wurst-Stand weichen, trotz
aller Versuche, sich gestalterisch der Umgebung anzupassen. Der
Heimatbezug der Curry-Wurst langte jedenfalls nicht, um das Bleiben der
Bude zu rechtfertigen. Die "Gute Stube" der Stadt scheint damit
endgültig "Kalte Pracht" geworden und ähnelt dem bürgerlichen
Wohnzimmer in vielerlei Hinsicht: Hier wie dort geht es vor allem
darum, etwas auszustellen, nicht den Rahmen für alltägliche Praxen und
Kommunikationsformen zu schaffen. "Heimatbezug" meint in diesem
Arrangement Bezug auf die historischen Wurzeln der Stadt, auf das
Tradierte und in der ästhetischen Form Interpretierte der Geschichte -
das Brandenburger Tor und die historische Rekonstruktion der
Platzgestaltung, das historisierende Hotel Adlon und die anderen
Bauten, die das Leitprinzip der historischen Rekonstruktion in je
eigener Weise interpretieren, bilden die Kulisse für Events und
Feierlichkeiten, für die Inszenierung nationaler Selbstbilder und
gelegentlich auch für Protestkundgebungen, nicht jedoch den Raum für
Alltagskommunikation und gesellschaftliche Auseinandersetzung.
In eine ähnliche Richtung weist auch die Debatte um die Neubebauung des
Schlossplatzes. Auch hier wird in den favorisierten Entwürfen vor allem
auf nationale und städtische Repräsentation gesetzt. Der Schlossplatz
als Staats- und/oder Stadtmitte möchte etwas ausstellen und zugleich
ein Identifikationsangebot auch für die BewohnerInnen von Berlin mit
ihrer (Haupt-)Stadt machen, indem er auf die "großen Formen" setzt, auf
bürgerliche Kulturinstitutionen und alte Baukörper, auf das
Wiedererkennen eines vernichteten historischen Raums.
Besonders deutlich wird dies bei der Diskussion um das von der
Internationalen Expertenkommission Historische Mitte vorgeschlagene
Nutzungskonzept./17/ Während die Ansiedlung der Museen
Außereuropäischer Kulturen und die Sammlung zur Wissenschaftsgeschichte
auf dem Schlossplatz weitgehend unangefochten begrüßt wird, steht die
Translozierung der Zentralen Landesbibliothek an diesen Ort immer
wieder zur Debatte - offenbar scheint ihr Anliegen, "Raum für alle" zu
bieten, zu profan für diesen zentralen Bereich.
Nun wäre es aber sicherlich zu einfach, diese auf Geschichtsbildern
basierenden ästhetischen Repräsentationsstrategien gänzlich jenseits
dessen zu stellen, was ich zuvor im positiven Sinn versuchsweise mit
"Beheimatung" umrissen habe. Wenn man etwa den Argumentationsfiguren
der "Gesellschaft Historisches Berlin" zuhört, dann findet sich dort
genau diese Stadtrepräsentation als Anknüpfungspunkt für ein positiv
besetztes Konzept des Berliner-Seins. Genährt wird dieses Gefühl vom
Stolz auf die Geschichte der Stadt und die bauliche Leistung der
Vorväter sowie auf die historisch gesättigte Ästhetik des gebauten
Raums. Auch hier wird ein Begriff der Zugehörigkeit stark gemacht, der
mehr an den vornehmlich ästhetischen Genuss von Stadträumen, als an
deren alltagspraktische Nutzung anknüpft. Der Spaziergang durch die
rekonstruierte Stadt bildet in diesem Konzept die Basis dafür, sich als
BerlinerIn zu verstehen, und in der Folge bei vielen auch dafür,
Verantwortung für diese Stadt und ihre Gesellschaft zu übernehmen.
Doch ist dieses Gefühl der Ortsbezogenheit stark durch das Bedürfnis
geprägt, alles Fremde, Unpassende und Widersprüchliche aus zu
schließen. Nicht die lebendige Auseinandersetzung mit der
Stadtgesellschaft mit allen ihren Interessengegensätzen und Konflikten
ist das primäre Ziel dieser Bürgerbewegungen, vielmehr die Schaffung
eines Raums, aus dem die Zumutungen, die die gegenwärtigen
Transformationsprozesse an den einzelnen richten, weitgehend
ausgeblendet werden sollen. So gerinnen auch die Widersprüche in der
Geschichte zu ästhetischen Formen, zu Gedenkritualen in Form von Tafeln
und Hinweisschildern.
Und da die Innenstadt mit ihren eingelagerten historischen Erzählungen
zugleich wenig Möglichkeiten für differente Taktiken der Aneignung
eröffnet, produziert die Ästhetik dieser Räume auch den Ausschluss von
sozialen Gruppen, die wortwörtlich nicht in dieses Bild passen bzw.
passen wollen. Kurz: Die in dieser Weise auf globale Herausforderungen
antwortende Strategie der Stadtplanung setzt auf die Produktion von
einer Urbanität, die nur bei spezifischen Gruppen ein Gefühl der
Dazugehörigkeit erzeugt bzw. erzeugen kann. Die Vorstellung, dass sich
"in der Perspektive ... eines strategisch gewollten und erkennbaren
Stadtraumes ... die Gebäude zum identitätsstiftenden Gesamtbild"
zusammen setzen,/18/ geht zumindest wohl an denjenigen vorbei, die ihre
Geschichte in den so geschaffenen Räumen nicht wiederfinden können. Und
damit sind neben MigrantInnen auch alle diejenigen gemeint, deren
Lebensentwürfe vom bürgerlichen Modell der Stadtnutzung abweichen.
Im Programm "Soziale Stadt" bzw. dessen Berliner Umsetzung in Form der
"Quartiersmanagements" findet sich eine andere Strategie,
Ortsbezogenheit zu erzeugen. Hier wird die Stadt als Lebenswelt gegen
die Repräsentationsnotwendigkeiten der Haupt- und Weltstadt Berlin eher
verteidigt. Albrecht Göschel hat vor kurzem darauf hingewiesen, dass
das Programm der Sozialen Stadt einer Identitätspolitik gleiche, da es
Probleme von Identität und Zugehörigkeit in einer fragmentierten Stadt,
nicht Ungleichheiten in einer sozialen Einheit auszugleichen bestrebt
ist./19/ Das Konzept der Quartiersmanagements setzt auf die Nahwelt als
Ressource und als Ausgangspunkt für gesellschaftliches Handeln. Der
identitäre Bezugspunkt wird hier in erster Linie in der Nachbarschaft
und dem direkten Wohnumfeld mit seinen sozialen Bezügen und Netzwerken
gesehen. Gerade die Kleinmaßstäblichkeit des Quartiers gilt als Chance,
ein Gefühl der Dazugehörigkeit bei seinen BewohnerInnen zu erzeugen.
Damit wird das Quartier - konnotiert mit Kiez-Eigenschaften -
gewissermaßen als Gegenwelt zur globalen Stadt entworfen. Und obwohl
die Kiezmentalität der BerlinerInnen im politischen Diskurs
gelegentlich verurteilt und als Borniertheit gebrandmarkt wird, wird
sie für die unteren sozialen Schichten und dort besonders für
BerlinerInnen ausländischer Herkunft als Möglichkeit für
gesellschaftliche Integration gesehen. Ziel ist es, auf diese Weise im
Quartier Raum zu schaffen für Kommunikation und Austausch, die
Auseinandersetzung zwischen den sozialen Gruppen in "Problemgebieten"
oder "sozialen Brennpunkt"-Gebieten zu fördern und gerade bei den
gesellschaftlich Marginalisierten das Gefühl zu erzeugen, Teil der
Stadtgesellschaft zu sein.
Gelegentlich gerät dabei jedoch der lebensweltliche Nahbereich zum
Schutzgebiet. Die "gemütliche Alternative" zum Potsdamer Platz zu
entwickeln hat sich etwa das QM "Magdeburger Platz" als Teil der
Zukunftsperspektive für das Gebiet der nördlichen Potsdamer Straße zum
Programm gemacht./20/ Der Begriff der "Gemütlichkeit" ist zwar in
Anführungszeichen gesetzt, doch lässt er ahnen, welches Bild sich
dahinter verbirgt: Die Einkaufs- und Kleine-Läden-Zeile, in der der/die
VerkäuferIn noch ihre KundInnen persönlich kennt, wo noch Zeit bleibt
für das Schwätzchen zwischendurch und wo das Wissen um einander den
Alltag beherrscht.
Auch hier finden sich vergleichbare Positionen bei lokalen Sprechern
wieder. So mutet etwa die Diskussion um die Kneipen-Flut in
Friedrichshain oder um die Touristenströme in Mitte bzw. Prenzlauer
Berg häufig wie der Kampf des lebensweltlichen Davids gegen den
globalen Goliath an. Kurz: Die Lebenswelt scheint belagert und muss vor
der feindlichen Übernahme geschützt werden. Das Lokale soll offenbar
als Gegenkonzept zum Globalen wie ein Wattebausch - oder wie die alte
Heimat - als "Kompensationsraum" vor den Zumutungen der Spätmoderne
schützen. Auf diese Weise werden jedoch weder die Widersprüche, die
durch die Globalisierung der Lebensräume in der Stadt produziert
werden, noch die sozialen Segregationserscheinungen nachhaltig in
Strategien übersetzt, die gesamtgesellschaftliche Integration und die
gesellschaftliche Beheimatung aller sozialen Gruppen in einer Stadt
befördern.
James Holston und Arjun Appadurai haben vor kurzem darauf hingewiesen,
dass Städte gerade die Arenen sind, in denen sich die Frage der
Zugehörigkeit und des staatsbürgerschaftlichen Eingebundenseins in
neuer Weise stellt./21/ Dazu gehört meiner Meinung nach aber die
Akzeptanz und Gleichgültigkeit unterschiedlicher Lebensentwürfe im
positiven Sinn und vor allem an beiden Orten - in der
(gesellschaftlichen wie räumlichen) Mitte und in der Peripherie. Und:
Um abschließend noch ein mal auf die am Anfang erwähnte Ausstellung im
Museum Europäischer Kulturen zurück zu kommen: Es gehört wohl auch
dazu, die unterschiedlichen sozialen Räume, die von Menschen bewohnt
werden und die je unterschiedliche Formen der Beheimatung und des
Dazugehörens erzeugen, ernster zu nehmen. Die Geschichten, die Menschen
über ihre Stadt erzählen, und die diese Stadt in unterschiedliche
Bezüge einbettet, könnten dann vielleicht die Grundlage einer
utopischen "Heimat" Berlin bilden.
Solange jedoch einerseits Städte in Hinblick auf ihre Vermarktbarkeit
hergerichtet und für diesen Zweck Menschen aus innerstädtischen Zonen
als "unpassend" ausgeschlossen werden und andererseits in abgewerteten
Quartieren eine Form der Zugehörigkeit etabliert wird, die allein auf
das Lokale als Bezugsgröße setzt, scheint sich das, was
Stadtgesellschaft sein könnte, nicht zu verwirklichen. So jedenfalls
werden sich die vielen verschiedenen Heimaten, die in der Stadt erzeugt
werden, nicht im Sinne gesellschaftlichen Kohärenz zusammenfügen.
Anmerkungen
1 Heimat Berlin? Fotografische Impressionen. Ausstellung im
Museum Europäischer Kulturen. Staatliche Museen zu Berlin - Preußischer
Kulturbesitz 12. Juli bis 27. Oktober 2002. Hg. von Dagmar
Neuland-Kitzerow, Elisabeth Tietmeyer. Kleine Schriften des Vereins des
Museums Europäischer Kulturen, Heft 2, Berlin 2002, S. 4, hier auch
alle weiteren Zitate.
2 Peter Niedermüller: Stadt, Kultur(en), Macht. Zu einigen
Aspekten "spätmoderner" Stadtethnologie. In: Österreichische
Zeitschrift für Volkskunde, LII/101, 1998, S. 279-301, hier S. 280.
3 Vgl. hierzu etwa Peter Noller, Walter Prigge, Klaus
Ronneberger (Hg.): Stadt-Welt. Über die Globalisierung städtischer
Milieus. Frankfurt/Main 1994.
4 Vgl. etwa Karl-Dieter Keim: Vom Zerfall des Urbanen. In:
Wilhelm Heitmeyer (Hg.): Was treibt die Gesellschaft auseinander?
Bundesrepublik Deutschland: Auf dem Weg von der Konsens- zur
Konfliktgesellschaft. Bd. I. Frankfurt/Main 1997, S. 245-287. Zwar ist
das Problem gesellschaftlicher Segregation nicht neu; doch scheinen
sich gegenwärtig Polarisierungstendenzen in einer Weise zu verstärken,
die die Möglichkeiten gesellschaftlicher Integration grundsätzlich in
Frage stellt. Die qualitativen Veränderungen müssten freilich genauer
bestimmt werden als es in diesem Rahmen möglich ist.
5 Vgl. hierzu Anthony Giddens, Konsequenzen der Moderne,
Frankfurt/M. 1997; Martin Albrow: Auf Reisen jenseits der Heimat.
Soziale Landschaften in einer globalen Stadt. in: Ulrich Beck (Hg.):
Kinder der Freiheit. Frankfurt/M. 1997, S. 288-314.
6 Vgl. John Eade (Hg.): Living the Global City. Globalization as Local Process. London, New York: Routledge, 1997.
7 Hier nur angedeutet werden kann, dass beides,
wissenschaftliche Konzepte und Debatte und politische Strategien
selbstverständlich in einem reflexiven Wechselverhältnis stehen.
8 Vgl. Hermann Bausinger: Heimat in einer offenen Gesellschaft.
Begriffsgeschichte als Problemgeschichte. In: Heimat. Analysen, Themen,
Perspektiven. Bundeszentrale für politische Bildung. Bonn 19990, S.
76-90.
9 Doreen Massey: A Global Sense of Place, in: dies.: Space,
Place and Gender. Cambridge, Oxford: Polity Press, Blackwell Publisher,
S. 146-156.
10 Rainer Piepmeier: Philosophische Aspekte des Heimatbegriffs,
in: Heimat, wie Endnote 7, S. 91-108; Holger Treinen: Symbolische
Ortsbezogenheit. Eine soziologische Untersuchung zum Heimatproblem, in:
Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 17/1965, S.
73-95.
11 Bausinger, wie Endnote 7, S. 86ff.
12 Massey, wie Endnote 8; Sharon Zukin: The Cultures of Cities. Cambridge/Mass, Oxford: Blackwell, 1995.
13 Hans Stimmann: Das Gedächtnis der europäischen Stadt, in:
ders. (Hg.): Von der Architektur- zur Stadtdebatte. Die Diskussion um
das Planwerk Innenstadt. Berlin: Braun, 2001, S. 11-27; auch: Peter
Strieder: Identitätsstiftung für die Stadt, in: Senatsverwaltung für
Stadtentwicklung, Umweltschutz und Technologie (Hg.): Planwerk
Innenstadt Berlin. Ein Entwurf. Berlin 1997, S. 5-8.
14 Stimmann, wie Endnote 12, hier S. 26.
15 Zur Unterscheidung von strategischem und taktischem Handeln
vg. Michel de Certeau: Kunst des Handelns. Berlin: Merve, 1988, bes. S.
85-97.
16 Chris Philo, Gerry Kearns: Culture, History, Capital: A
Critical Introduction to the Selling of Places. In: diess. (Eds):
Selling Places. The City as Cultural Capital, Past and Present. Oxford
u.a 1993, S. 1-32.
17 Internationale Expertenkommission Historische Mitte Berlin.
Abschlussbericht. Hg. vom BMVBW, Senatsverwaltung für Stadtentwicklung.
Berlin 2002.
18 Planwerk Innenstadt, wie Endnote 12, S. 8.
19 Albrecht Göschel: Vom Disparitätenproblem zum Desintegrationsproblem, in: Die alte Stadt 2/2000, S. 114-125, hier S. 125.
20 Quartiersmanagement Berlin. Bürgergutachten: Ergebnisse der
Planungszellen im Quartier Magdeburger Platz. Hg. von der
Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Berlin 2000, hier S. 11.
21 James Holston, Arjun Appadurai: Introduction: Cities and
Citizenship, in: James Holston (Ed.): Cities and Citizenship. Durham,
London: Duke University Press, 1999, S. 1-18.
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