Thema | Kulturation 1/2010 | Deutsche Kulturgeschichte nach 1945 / Zeitgeschichte | Klaus Hölzle | Die KulturInitiative'89 – Entwurf einer lexikalischen Darstellung
| Für
eine lexikalische Darstellung der KulturInitiative'89 hat Klaus Hölzle
Daten aus ihrer Geschichte gesammelt und in einer Skizze
zusammengestellt. Wir stellen seinen Entwurf einer geschichtlichen
Darstellung (hier noch ohne Fotos und Faksimiles) zur Diskussion und
bitten Zeitzeugen um Ergänzungen und Korrekturen. So sie über
Faktenmeldungen hinausgehen, sollen sie an dieser Stelle publiziert
werden. Die Redaktion
Die Kulturinitiative‘89 e.V, undenkbar ohne die Entwicklung
der Disziplin Kulturwissenschaft, konstituierte sich in den bewegten
Zeiten des Jahres 1989 in der noch existierenden Deutschen
Demokratischen Republik (DDR). Helmut Hanke legte am 12.11.1989 einen
ersten Entwurf ‘Gründungsaufruf / erste Vorstellung von
Arbeitsschritten‘ zur Gründung einer Kulturpolitischen Gesellschaft der DDR vor.
Zu Beginn dieses Entwurfes heißt es: „Die Unterzeichner rufen zur
Gründung einer ‘Kulturpolitischen Gesellschaft der DDR‘ auf. Sie
bekennen sich zur demokratischen Erneuerung der Gesellschaft, zu
radikalen Veränderungen in Politik, Wirtschaft und Kultur. Zu seiner
Gesundung braucht der erkrankte soziale Organismus eine Reform an Haupt
und Gliedern; auch in der Kultur muß Ballast abgeworfen, müssen
Strukturen beseitigt werden, die seit Jahrzehnten die freie Entwicklung
des menschlichen Geistes, der schöpferischen Fähigkeiten des Volkes,
der Begabungen und Talente jedes einzelnen Menschen behindern und
verhindern. Die Fortsetzung des sozialistischen Experiments auf
deutschem Boden unter völlig veränderten Bedingungen und mit
grundlegend neuen Zielsetzungen ist ein Gebot der Vernunft. Nur durch
solidarisches Handeln aller Menschen und ein neues Verhältnis zur Natur
kann die Menschheit überleben, können die verschiedenen Regionen des
Planeten Heimat gleichberechtigter Völker und Nationen sein.“
Dieser Aufruf basierte auf einer Beratung ‘Über die mögliche
Gründung einer kulturpolitischen Vereinigung in der DDR‘ vom 11.
November 1989, an der Lothar Bisky (Rektor der Hochschule für Film und
Fernsehen "Konrad Wolf"), Dr. Thomas Flierl (Mitarbeiter im
Kulturministerium), Dr. Horst Groschopp (Institut für
Kulturwissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin), Prof. Helmut
Hanke (Prorektor der Hochschule für Film und Fernsehen "Konrad Wolf")
und Prof. Dietrich Mühlberg (Institut für Kulturwissenschaft der
Humboldt-Universität zu Berlin) teilnahmen. Dem ‘Initiativkomitee zur
Gründung einer Gesellschaft für kulturelle Erneuerung in der DDR‘, das
am 17. November 1989 zu einer Sitzung zusammentrat und noch am selben
Tag den 'Aufruf zur Mitwirkung' veröffentlichte, gehörte u.a. auch
Prof. Jürgen Marten (Institut für Kulturforschung) an.
Vorangegangen waren diesem Aufruf jahrelange Diskussionen über
Möglichkeiten und Grundsätze einer Kulturreform, woraus
MitarbeiterInnen der Sektion Kulturwissenschaft und Ästhetik der
Humboldt-Universität zu Berlin im Frühjahr 1988 eine
Veranstaltungsreihe mit dem Titel „Zu einigen Perspektiven unserer
Kultur und zu möglichen Aufgaben von Kulturwissenschaft in der DDR (ein
Diskussionsbeitrag)" konzipierten. In Folge löste dies eine Reihe
weiterer Grundsatzdebatten zu allen Aspekten kultureller Entwicklung
aus. Die politischen Zuspitzungen im Sommer 1989 machten die
Notwendigkeit, endlich einen Interessenverband der KulturarbeiterInnen
in der DDR zu gründen, um so dringlicher.
Bis zur Gründung der Gesellschaft, die auf die Unterstützung des
später im Ostteil der Stadt wohl erfahrensten und erfolgreichsten
Fördervereins für dezentrale Kulturprojekte, die Kulturinitiative
Förderband, zählen konnte, hatte das Komitee seinen Sitz an der Sektion
Kulturwissenschaft und Ästhetik der Humboldt Universität zu Berlin. Zu
den Initiatoren der ersten Stunde zählen ebenfalls Persönlichkeiten wie
u.a. Christa Wolf, Fritz Cremer, Hermann Beyer, Lothar Trolle, Fritz
Marquardt, Christoph Hein und Heiner Müller.
Gliederung
1. Zur Entstehungsgeschichte der Disziplin Kulturwissenschaft in der DDR
2. Der Studiengang Kulturwissenschaften in der DDR
3. Institutionalisierung der Disziplin Kulturwissenschaft in der DDR
4. Mitteilungen aus der kulturwissenschaftlichen Forschung
5. Die Kulturinitiative ’89 - Eckdaten, Grundsatzdokumente und Veröffentlichungen
6. Kulturdebatten
7. Medienbeiträge und -kommentare zur 'Kulturinitiative ’89'
Zur Entstehungsgeschichte der Disziplin Kulturwissenschaft in der DDR
Die Geschichte der Entstehung der Disziplin Kulturwissenschaft in
der DDR ist noch wenig erforscht. Als einzigartige und eigenständige
Wissenschaftsdisziplin reicht sie dort bis in die sechziger Jahre des
20.Jahrhunderts zurück, fand ihre Wurzeln aber schon in der
zurückliegenden Arbeiterbewegung und ihren vielfältigen Strömungen. Das
Kulturthema hat die sozialistische Bewegung seit ihren Anfängen
begleitet. Es wurde auf kulturelle Werteorientierungen und reichhaltige
Ideenhaushalte der alten Sozialdemokratie von vor 1914 zurückgegriffen,
an Erfahrungen des Kulturidealismus der deutschen Linken und der
sozialistischen Abteilung der Lebensreformbewegung angeknüpft.
Praktiken der bürgerlichen Volkswohl- und Volkserziehungsbewegung und
der "ästhetischen Sozialreform" aus der Zeit zwischen 1890 und 1914
standen ebenso Pate wie die kultursozialistische Idee vom "neuen
Menschen" der 20er Jahre.
Noch 1988 bemühte man sich am Institut (der Sektion)
Kulturwissenschaft und Ästhetik der Humboldt Universität zu Berlin
intensiv darum, der Wissenschaftsentwicklung und
kulturwissenschaftlichen Aus- und Weiterbildung zukunftsweisend ein
noch schärferes Profil zu geben und dachte an die Entwicklung und
Weitergestaltung der Fachrichtung Kulturwissenschaft der kommenden
Jahrzehnte. Hier entfalteten auch Glasnost und Perestroika der
Sowjetunion durchaus widersprüchliche Wirkungen, was vorhandene
"innere" akademische Diskurse nicht unbeeindruckt ließ. Dessen
ungeachtet fanden hier insbesondere die folgenden Hauptlehrgebiete eine
höhere Bewertung: 1. kulturtheoretisch-ästhetische
Kommunikationsforschung, 2. international vergleichende
Kulturforschung, 3. ästhetische Grundlagenforschung, 4. Forschungen zu
Geschichte und Theorie der bürgerlichen Ästhetik im 20. Jahrhundert und
5. ein schneller Ausbau der empirischen Kulturforschung in der
sozialistischen Gesellschaft. Den Imperativ einer interdisziplinären
Zusammenarbeit hatte man schon lange erkannt, nun galt es, den sozialen
Lebensprozeß unmittelbar reflektierende Disziplinen noch enger zu
verknüpfen: Sozialgeschichte, Soziologie, Sozialpsychologie,
Ethnographie, Volkskunde, Wirtschaftsgeschichte u.a. 1991 wurden dann
infolge von strukturellen Reformen und radikalen Veränderungen die
Sektionen der Humboldt Universität zu Berlin umgebildet. Aus der
Sektion für Ästhetik und Kunstwissenschaften wurde der Fachbereich 8
(Kultur- und Kunstwissenschaft).
Eine historisch-kritische Analyse der mit der DDR beendeten
Kulturarbeit steht noch aus, was einerseits ihrer politischen
Instrumentalisierung bzw. Stigmatisierung und andererseits dem von
ihren Protagonisten gewollten aber zwiespältig wahrgenommenen
historisch-emanzipatorischen Charakter in der DDR geschuldet ist - das
Experiment ist abgebrochen. Dieser Widerspruch wirkt bis in die
Gegenwart und wird eine notwendige Forschung fürderhin bestimmen können
und nur dann produktiv wirken, sollten beide letztgenannten
Argumentationslinien in ihrer Ambivalenz einer gleichberechtigten
Analyse unterworfen werden.
Der Studiengang Kulturwissenschaften in der DDR
Der Studiengang Kulturwissenschaften wurde 1963 - erstmalig im
deutschsprachigen Raum - an der Humboldt-Universität zu Berlin und der
Karl-Marx-Universität Leipzig installiert und das erste reguläre
Studienjahr fand im Zeiraum von 1964 - 1968/69 statt. All dies geschah
auf Anweisung der Regierung der DDR an den Instituten für Philosophie
(Abteilung Ästhetik) beider Universitäten. Die Idee, einen
Berufsverband der Kulturwissenschaftler zu gründen gab es erstmals
1986, was jedoch erst Ende 1989 wirklich gelang. Bis 1990 sind an
beiden Hochschulen insgesamt 2500 Diplom-Kulturwissenschaftler
ausgebildet worden. Inhaltlich wurde als übergreifender Themenkomplex
die allgemeine Kulturgeschichte der Menschheit ebenso abgehandelt wie
"spezielle Probleme, die sich aus der Entwicklung der DDR ergaben. Die
Lehrangebote reichten vom antiken Schönheitsideal über die Leibnizsche
Monadologie bis zum Bauhaus, zu den Trinksitten der Arbeiter und zum
Platz der Populären Musik im Alltag von Jugendlichen. Es ging darum,
eine umfassende Bildung (namentlich in Philosophie, Kulturgeschichte,
Ästhetik, Kulturtheorie, Literatur-, Kunst-, Theater- und
Musikwissenschaft) sowie wissenschaftliche Arbeits- und Denkweisen zu
vermitteln." (Isolde Dietrich, Kulturwissenschaftlerin)
Institutionalisierung der Disziplin Kulturwissenschaft in der DDR
Nach Stalins Tod (1953) kamen unter den Führern der
"kommunistischen und Arbeiterparteien" Debatten darüber in Gang, was
denn Sozialismus als Gesellschaftsform nun sein sollte. Dabei spielten
die Gebiete Ideologie und Kultur und eine dem Sozialismus "treu
ergebene" Intelligenz eine zentrale Rolle. Die aus den Unterschichten
aufgestiegenen neuen Funktionseliten (Stichwort Arbeiter- und
Bauernfakultäten - ABF) galt es zu befähigen, um auch in der DDR eine
sozialistische Kulturrevolution zu organisieren. 1960 fand eine
Kulturkonferenz des ZK (Zentralkomitee) der SED (Sozialistische
Einheitspartei Deutschlands) statt, wo die Ausarbeitung eines
"Berufsbildes spezieller Bildungswege für Kulturfunktionäre, wie
Fachschulbildung, Hochschulbildung und mit beiden Einrichtungen
verbundenes Fernstudium" diskutiert wurde. So beschloss das zentrale
Machtorgan der SED, das Sekretariat des Zentralkomitees, zwei Jahre
später, am 8. August 1962 den Aufbau eines einheitlichen
Qualifizierungssystems für Kulturfunktionäre.
Den Absolventen war von Beginn an ein breites Einsatzfeld sicher:
Regionale und örtliche Kulturarbeit (Kulturämter, Kulturhäuser,
Jugendklubs, Ferienheime), Kunst vermittelnde Einrichtungen (Verlage,
Theater, Museen, Galerien, Schallplattenproduktion, Agenturen,
Management der Unterhaltungskunst, Ausstellungswesen), Massenmedien
(Kulturredaktionen der Zeitungen und Zeitschriften, Hörfunk, Film und
Fernsehen), Umweltgestaltung (Mode, Design, Stadtplanung), Großbetriebe
(betriebliche Kulturhäuser, Erwachsenenbildung, bis Mitte der 70er
Jahre auch als "Kulturassistenten" in Betriebsleitungen), Parteien und
gesellschaftliche Organisationen (Kulturabteilungen, kulturelle
Einrichtungen), Staat (untere bis mittlere kulturpolitische Funktionen
in nachgeordneten Einrichtungen des Kulturministeriums und in den
Kulturabteilungen in den Bezirken, "höhere" Funktionen verlangten hier
- wie bei den Parteien - einen anderen Karriereverlauf), Lehre und
Forschung (Universitäten, Kunsthochschulen, Akademieinstitute).
1973/74 gab es einen Modellversuch von Künstlern der Hochschule der
Künste Berlin (HdK) - Westberlin, die 1975 einen ersten Kontakte zur
DDR aufnahmen, um sich nach dem hier bereits institutionalisierten
Fernstudium zu erkundigen und an einer Kooperation, z.B. mit den Mitteilungen aus der Kulturwissenschaftlichen Forschung (MKF)
und dem Kulturwissenschaftlichen Institut der Humboldt Universität
interessiert waren. Diese Zusammenarbeit sollte bis zum Ende der DDR
und darüber hinaus anhalten. Die Westberliner nutzten die Erfahrungen
zum Aufbau eines eigenen Fernstudienlehrgangs. Da die MKF auch ein
Rezensionsexemplar waren, erschien darin auch Literatur aus
Westdeutschland und Westberlin.
Mitteilungen aus der kulturwissenschaftlichen Forschung
Die Weimarer Beiträge - Zeitschrift für Literaturwissenschaft,
Ästhetik und Kulturwissenschaften wie auch die Mitteilungen aus der
kulturwissenschaftlichen Forschung (MKF) waren in der DDR zwei der
renommiertesten Literatur- und Kulturzeitschriften. Beide
kulturwissenschaftlichen Publikationen konnten die rasante
Umbruchsphase 1989/90 nur überstehen, da sie insbesondere im
betreffenden akademischen Milieu eine feste Verankerung gefunden hatten
und durch die ’Kulturinitiative 89’ vorerst weitergetragen wurden. Die
“Weimarer Beiträge“ galten als das 'zentrale Diskussions- und
Führungsorgan' für Ästhetik, Literatur- und Kulturwissenschaften in der
DDR und wurden 1991 durch den Aufbau Verlag eingestellt. Seither werden
sie vom Passagen Verlag herausgegeben.
Die Schriftenreihe Mitteilungen aus der kulturwissenschaftlichen
Forschung dagegen war unter den veränderten Bedingungen schließlich
nicht mehr zu halten und wurde 2003 eingestellt. Diese Reihe verstand
sich zum Schluß als ein Ost-West-Diskussionsforum (so mit den Ausgaben
31 Geschlechterverhältnisse, 32 Kultur in Deutschlands Osten, 33 Ostdeutsche Kulturgeschichte, 34 Enquete kultureller Wandel, 35 Was soll Kulturpolitik, 36 Differente Sexualitäten) und dokumentierte vor allem den kulturellen Wandel nach 1990.
Um weiterhin in den öffentlichen Diskurs einzugreifen, nutzte die
’Kulturinitiative 89’ u.a. die neuen Medien über die Online-Plattform
Kulturation - Das Online-Journal für Kultur, Wissenschaft und Politik,
auf der eine Vielzahl von Texten, Publikationen und
Veranstaltungsthemen der Initiative abrufbar bleiben. Dort heißt es im
ständigen Editorial: "Mit der Begründung eines
kulturwissenschaftlich/kulturpolitischen Online-Journals setzt die
KulturInitiative 89 ihre Bemühungen fort, eine Art von
Gesellschaftsbetrachtung und eingreifender Praxis öffentlich zu machen,
wie sie vor allem für die Berliner Kultur- und Wissenschaftslandschaft
seit längerer Zeit typisch ist. Das in den 1970 und 80er Jahren in
Berlin Ost und West ausgebildete kulturwissenschaftliche Potential gibt
es nicht mehr. Teils wurde es abgewickelt, teils verdrängt, teils ist
es in neue Zusammenhänge eingebunden, und etliches hat sich gewandelt.
Dieses kulturwissenschaftliche Milieu konnte in der damals auf andere
Weise geteilten Stadt schon situationsbedingt nicht annähernd homogen
sein. Doch zeichnete es sich systemübergreifend durch die soziale
Rückbindung und ein praktisches Engagement der wissenschaftlichen
Arbeit aus, war mit der Kulturarbeit verbunden, verfolgte kritische
Ansätze und engagierte sich politisch im linken und linksliberalen
Spektrum. Es gab so etwas wie eine
kulturwissenschaftlich/kulturpolitische Szene in Berlin. Einer ihrer
Kristallisationspunkte war das Kulturwissenschaftliche Institut der
Humboldt-Universität mit seinen Kolloquien und den dort erscheinenden
MKF. Es fühlte sich verwandt mit jenen, die zwischen Birmingham und
Tübingen die Kulturen der kleinen Leute, der Außenseiter und
Oppositionellen ins Licht rückten und zugleich den Kulturformen der
Moderne verschrieben waren." Dieses Journal erscheint fortlaufend, wird
halbjährlich zu einer Ausgabe zusammengefaßt und im Archiv
nachgewiesen.
Die Kulturinitiative ’89 - Eckdaten, Grundsatzdokumente und Veröffentlichungen
Da es in der DDR kein Vereinsrecht gab, betraten die Initiatoren
der 'Kulturinitiative '89' Neuland. Nachdem sich die Initiative am 17.
November 1989 konstituiert hatte, informierte sie die Öffentlichkeit
mit einer Pressemitteilung und startete einen Aufruf zur Mitwirkung. Am
27. November 1989 stellten die Initiatoren beim Kulturminister einen
ordentlichen Antrag zur Registrierung der Initiative der positiv
beantwortet wurde. Während das kleine Gründungskomitee ausnahmslos aus
Kulturwissenschaftlern bestand, war die Kulturinitiative schon nach
wenigen Tagen ein West-Ost-Unternehmen, das am 22. Dezember die erste
große deutsch-deutsche Kulturdebatte in der Akademie der Künste
organisierte. Im Februar 1990 wurden in einem Fünf-Punkte-Programm die
Grundsätze der Arbeit (Entwurf) der Kulturinitiative vorgestellt. Im
selben Zeitraum gestaltete sich auf kommunaler Ebene eine
Zusammenarbeit zwischen den Stadtbezirken Prenzlauer Berg und
Berlin-Kreuzberg und es wurden Tagungen zur Kultur- und Kommunalpolitik
abgehalten. Die Resonanz darauf war allerding sehr schwach. Aus dem
Verein MKF wurde den veränderten Bedingungen geschuldet plötzlich ein
Freier Träger mit Kuratorium, Vorstand, Geschäftsführung und annähernd
140 Mitarbeitern sowie einem Büro in den Räumer der ehemaligen
CDU-Zentrale (Ost) am Gendarmenmarkt. 1. Vorsitzender war Prof. Jürgen
Marten und die Geschäftsführung übernahm Manfred Hübner.
Zu den wichtigsten eigenen Publikationsmedien der Initiative zählen
die Mitteilungen aus der kulturwissenschaftlichen Forschung und die Blätter für demokratische Kultur.
Zwei miteinander verbundene praktische Arbeitsschwerpunkte traten
zu Beginn in den Mittelpunkt: kommunale Kulturpolitik und
Beschäftigungsmaßnahmen für arbeitslose und von Arbeitslosigkeit
bedrohte Künstler. Das für den Osten neue Phänomen
Massenarbeitslosigkeit griff flächendeckend und betraf insbesondere
auch Beschäftigte im Kultursektor. Als man in einen Erfahrungsaustausch
trat, wirkten im Bereich der kommunalen Kulturpolitik die seit den
siebziger Jahren bestehenden Ost-West-Kooperationen (wie es sich z.B.
an den Beziehungen zwischen HdK einerseits und MKF und dem
Kulturwissenschaftlichen Institut der Humboldt Universität andererseits
darstellte) nach. In den 90er Jahren war der kulturelle Wandel ein
beständiges Thema der Kulturinitiative'89, was sich in zahlreichen
Publikationen, auf unterschiedlichen Diskussionsveranstaltungen und in
einem kleinen zeitgeschichtlichen Archiv zur ostdeutschen Kultur
manifestierte. Der Zwiespalt, einerseits mit den Brüchen eigener
Geschichte so objektiv wie nur möglich umzugehen und eine andererseits
erzwungene nur teilweise Integration in den Wissenschafts- und
Kulturbetrieb oder die nur zeitlich begrenzten ABM-Projekte und daraus
resultierende prekäre Arbeits- und Lebenssituationen bestimmten den
Alltag, was dazu führte, dass über weitere Publikationsmöglichkeiten
nachgedacht wurde und Anstrengungen dahingehend unternommen wurden, in
die Bildungs- und interkulturelle Arbeit einzusteigen sowie mögliche
Ausstellungsprojekte und Medienproduktionen zu organisieren. Das
Projekt "Abgewickelt" verdeutlichte die absurd-realitätsnahe Situation
vieler entlassener Mitarbeiter kultureller Einrichtungen, die ihren
eigenen Abstieg in die soziale Ungewissheit selbst dokumentieren
sollten. Das Projekt "Kulturelle Umbrüche" wiederum dokumentierte die
kulturellen Veränderungen in Ostberlin in den Jahren 1989 bis 1991.
Am 19. März 1994 fand anläßlich der fünften Jahreshauptversammlung
der Kulturinitiative '89 ein Kulturwissenschaftliches Kolloquium statt,
dem noch weitere folgen sollten. Am 19. September 1995 beschloss der
Vorstand der Kulturinitiative '89 die Gründung eines eigenen
Medienzentrums. Im Februar 1996 wurde zu einer Feier aller Absolventen
der kulturwissenschaftlichen Institute geladen und nachfolgend eine
Reihe von Kulturforen und Kulturtagen organisiert. So zum Beispiel am
19.03.1994 das III. Berliner Kulturforum (Bürohaus Charlottenstraße)
und am 16.03.1996 das IV. Berliner Kulturforum (Kulturhaus Mitte).
Bisher bekannte Kulturtage fanden an den folgenden Tagen statt: 24. Mai
1997, 1. Ostdeutscher Kulturtag der Kulturinitiative '89 (Der Vorstand
beschliesst, einen zweiten Ostdeutschen Kulturtag durchzuführen). 24.
Oktober 1998, 2. Ostdeutscher Kulturtag der Kulturinitiative '89
Kulturdebatten
Im neuen Jahrzehnt konzentrierte sich die Initiative neben
Publikationen im eigenen Online Journal 'Kulturation' auf eine
finanzierte Vortrags- und Diskussionsreihe, die zuerst im März 2000 im
Kulturhaus Thälmannpark begonnen, dann im Kulturhaus Mitte Berlin und
schließlich, mit Unterstützung der Stiftung Denkmalschutz, im Turm
Frankfurter Tor fortgesetzt wurde. Insgesamt wurden mit Stand vom
Herbst 2010 120 Veranstaltungen durchgeführt. Zu den weiteren
Arbeitsschwerpunkten zählen Untersuchungen zur Geschichte des
Studiengangs Kulturwissenschaft an der Humboldt-Universität, dem
Verbleib von Absolventen bzw. der Nachforschung ihrer Berufsbiographien
zwischen 1963 und 2007 (z.B. mit der Verbleibstudie der
Kulturwissenschaftlerin Isolde Dietrich, "Was aus ihnen geworden ist")
sowie Veranstaltungsreihen wie z.B. "Bausteine Ostdeutscher
Kulturgeschichte" oder die in Zusammenarbeit mit dem "Salon Rohnstock"
durchgeführten "Kulturdebatten im Salon", wie z.B. seit 2006 "Lust und
Last der Autobiographie" oder der Vortrags- und Diskussionsreihe
"Kulturdebatte Neue Medien", die im April 2008 nach sechsjähriger Pause
mit neuer Besetzung fortgesetzt wurde. Am 12. und 13. Oktober 2007 fand
unter dem langen Titel "Kulturwissenschaft - ein neuer Studiengang -
Versuch einer Standortbestimmung nach 44 Jahren Kulturwissenschaft in
Berlin" eine Tagung statt, zu der Absolventen und an ihrer Ausbildung
beteiligte Wissenschaftler eingeladen waren. Diese Tagung ist im
Wesentlichen im Online Journal 'Kulturation' dokumentiert, das als
zentrale Publikationsplattform der Kulturinitiative '89 bis in die
Gegenwart - Stand Ende 2010 - regelmässig Zeitgeschehen und die
Initiative betreffende Veranstaltungen dokumentiert.
Medienbeiträge und -kommentare zur 'Kulturinitiative ’89'
- Neues Deutschland, 20. Dezember 1989, „Gesellschaft für demokratische Kultur“ in der DDR gegründet
- Berliner Zeitung, 20. Dezember 1989, Forum für Künstler und
Geistesschaffende. Gesellschaft für demokratische Kultur gegründet - DER TAGESSPIEGEL, 24. Dezember 1989, Mehr Furcht als Hoffnung. „Zwischen-Rede“: Deutsch-deutsches Kulturtreffen in Ost-Berlin
- SONNTAG 9/1990, Ohne Apparat. Über die >>Gesellschaft für
demokratische Kultur, DDR<<, Interview mit Dietrich Mühlberg - Tageszeitung (TAZ), 16.01.92, Hilfe bei Jobsuche. Ein Besuch
bei der Kulturinitiative 89 e.V., die sich um arbeitslose Künstler
bemüht - Berliner Zeitung, 24. Mai 1997, Brief von Kiefert, Rudolf an
Dr. Maier zum ersten Ostdeutschen Kulturtag der Kulturinitiative '89 - Märkischer Markt, 21./22. Mai 1997, Der Ostdeutsche als
besserer Mensch? Ernste und heitere Duelle am „Ostdeutschen Kulturtag“
in Berlin - Neues Deutschland, 25. November 1997, Das Neueste aus der Vereinsmeierei
- DER TAGESSPIEGEL, 26. Oktober 1998, Das allererste Charakteristikum des sogenannten Ossis ist die Exotik
- Die Welt, 27. Oktober 1998, Ost-Medien: Henry Maske und Ampelmännchen?
- Neues Deutschland, 28.10.1998, ein Rückblick auf den 3. Ostdeutschen Kulturtag. Der Ostmensch und die Medien
- Frankfurter Allgemeine Zeitung, 04.11.1998, Zusammenverwachsungen. Vorwiegend stimmlos: Der Ostmensch in den Medien
- Zitty 22/1998, Kulturtage. Brauchen wir Ossis?
|
| |