Thema | Kulturation 2/2004 | Die Deutschen und ihre östlichen Nachbarn: Kultur | Wolfgang Kaschuba | Die Deutschen und ihre östlichen Nachbarn – Symbolpolitik Beitrag
zur Eröffnung der Tagung "Die Deutschen und ihre östlichen Nachbarn -
wirtschaftliche und kulturelle Aspekte der neuen europäischen
Situation" im Februar 2004 | Beitrag
zur Eröffnung der Tagung "Die Deutschen und ihre östlichen Nachbarn -
wirtschaftliche und kulturelle Aspekte der neuen europäischen
Situation" im Februar 2004
Meine Damen und Herren, in meiner Funktion als Direktor des Instituts
Europäische Ethnologie der Humboldt-Universität begrüße ich Sie hier im
Senatssaal. Wir freuen uns sehr, dass diese Tagung als gemeinsame
Veranstaltung mit der Kulturinitiative’89 und der Bundeszentrale für
Politische Bildung zustande gekommen ist und ich denke, dieser Ort ist
ein guter Ort für solch eine Tagung mit dem Thema "Die Deutschen und
ihre östlichen Nachbarn". Wir wissen ja nicht, ob die
Humboldt-Universität eine Elite-Universität werden wird - Sie haben das
sicherlich auch in den Zeitungen gelesen. Eine Zeitung titelte
vielleicht nicht unzutreffend: "Harvard für Arme?" Wenn Sie sich
umschauen, ist das vielleicht durchaus stimmig.
Aber wir wissen bestimmt, denn dies ist schon Gegenwart und nicht
Utopie, dass die Humboldt-Universität eine europäische Universität ist
und sein wird und dass sie dies gerade auch durch ihre Resonanz ist,
die sie in den osteuropäischen Ländern findet. Die Universität will
also ein Forum für solche Themen sein und sie ist dies ja - wie Berlin
oder Deutschland auch - schon längst historisch und daran würde ich
gern noch einmal kurz erinnern.
„Die Deutschen und ihre östlichen Nachbarn“ - dazu könnte man
vielleicht kommentierend sagen, ihre östlichen Nachbarn waren sich ja
die Deutschen immer wieder auch selbst. Wenn man etwa zurückdenkt an
das Ostpreußen-Syndrom, das es im kaiserlichen Berlin gab. Hier konnte
man in den „feinen Kreisen“ sehr spöttisch über die Ostpreußen reden,
sozusagen über die Ostfriesen des Kaiserreiches. Und das war in diesen
Kreisen üblich. Wenn man sich an den sozialistischen Osten erinnern mag
und kann, der eben auch innerhalb Deutschlands stattgefunden hat. Den
kann ich hier in diesem Senatssaal auch autobiographisch
rekonstruieren. Hier stand ich, glaube ich, das erste Mal vor zwanzig
Jahren als Wessi, als Westler, dem vor dem zeitgenössischen Hintergrund
natürlich in der Tat hier manches eben auch östlich vorkam. Oder heute,
wenn wir überlegen, wie stark dieses östliche immer noch mit Bildern
und Bedeutungen, eben auch im deutsch-deutschen Dialog, bedeckt ist.
Und was für Berlin, für die Humboldt-Universität und Deutschland gilt
und gegolten hat, galt immer auch für Europa. Die symbolische Geografie
Europas hatte immer einen verschatteten Osten. Einen dunklen Osten,
einen Osten, der geprägt war durch Klischees und Vorurteile, der für
das eher Wilde, Unzivilisierte, das Unberechenbare im Europäischen
stand und der gespeist war aus sehr nachdrücklichen Bildassoziationen.
Die Alltagssprache ist verräterisch, wenn ich sage: Potemkinsche
Dörfer, polnische Wirtschaft, tschechische Schlitzohrigkeit oder
bolschewistischer Terror - eben nicht nazistischer Terror, sondern
bolschewistischer Terror - dann sind das eben Klischees, die in unserer
Alltagssprache überaus präsent waren und in Resten auch heute immer
noch präsent sind.
Diese Vorurteile in den Köpfen hat vor ungefähr achtzig Jahren
Aristide Briand zum Anlass genommen, die europäischen nationalen Bilder
zu zitieren, mit ihnen zu spielen. Aristide Briand, der ja ein
überzeugter Europäer war und sich deshalb leisten konnte, sehr
provozierende Bilder zu zitieren und zu formulieren und ich will Ihnen
diese kleine Fingerübung gerne einmal vorlesen, damit Sie wissen, wovon
die Rede ist. Er schrieb damals: „Ein Russe: ein Intellektueller. Zwei
Russen: ein Ballett. Drei Russen: die Revolution. Ein Italiener: eine
Mandoline. Zwei Italiener: die Mafia. Drei Italiener: die Niederlage.
Ein Deutscher: ein Pedant. Zwei Deutsche: eine Kneipe. Drei Deutsche:
der Krieg. Ein Franzose: ein Schwätzer. Zwei Franzosen: ein Liebespaar.
Drei Franzosen: eine Konferenz. Ein Engländer: ein Schwachkopf. Zwei
Engländer: ein Match. Drei Engländer: die größte Nation der Welt. Ein
Amerikaner: ein Cocktail. Zwei Amerikaner: zwei Cocktails. Drei
Amerikaner: drei Cocktails.“
Sie lachen und damit beweisen Sie natürlich, dass Sie diese Bilder
noch sehr genau kennen. Die Bilder in unserem Kopf, die Bilder
sozusagen von unseren Nachbarn. Man könnte dieses Musée sentimentale
des Aristide Briand fortsetzen und wir würden ganz leicht auch für die
Ungarn oder die Polen oder die Tschechen entsprechende Bilder mit „ein,
zwei, drei“ finden. Vielleicht können Sie sich in der Pause damit
beschäftigen, dies zu vervollständigen. Für solche Bilder, für solche
symbolischen Bedeutungen, für solche symbolischen Prägungen
interessiert sich vor allem mein Fach, die europäische Ethnologie. Wir
wollen uns mit diesem Europa beschäftigen, mit einem Europa des Westens
und des Ostens und natürlich auch des Südens und des Nordens. Wir
wollen uns mit Fragen von Geschichte, Ökonomie und Kultur beschäftigen,
vor allem aber interessiert uns immer wieder das Symbolische, diese
Bilder, diese Erinnerungsfragmente, diese Gedächtnisse, die aufgebaut
werden und die ja früher wie heute strategisch aufgebaut werden,
absichtsvoll.
Wie funktioniert also Europäisierung? Antwort: Wenn überhaupt, dann
gerade auch über diese Bilder, diese kollektiven Gedächtnisse, diese
Erinnerungen, also über Symbolpolitik. Dazu wird am Institut für
Europäische Ethnologie viel geforscht und getan, gerade auch deshalb,
weil die Akteure, die mit diesen Symbolen und Bildern umgehen müssen,
auch im Institut sind. Wir haben zum Glück auch sehr viele Studierende
aus Osteuropa. Es gibt Magisterarbeiten und Dissertationen, die sich
etwa ganz aktuell mit Deutschlandbildern und Polenbildern beschäftigen,
auch wechselseitig, welches Bild existiert jeweils in der anderen
Nation. Wir fragen nach den nationalen Diskursen, die gegenwärtig
stattfinden, insbesondere auch in den postsozialistischen Ländern, die
ihre Geschichte ja völlig neu bearbeiten und völlig neue Bilder
herstellen. Bilder, die eben sehr oft sozusagen auf eine
Zielvorstellung Europa hin tendieren. Wir haben gegenwärtig ein
Forschungsprojekt, das die Stadtgesellschaften von Berlin und Moskau
vergleicht oder ich habe vor einigen Monaten gerade erst ein eigenes
Studienprojekt mit deutschen und polnischen Studierenden zur Euroregion
Pomerania abgeschlossen, also zur Frage, wie diese Nachbarschaft
diesseits und jenseits der Oder ganz konkret, ganz praktisch, ganz
biografisch gelebt wird. Wir haben dort Feldforschungen gemacht in
Deutschland wie in Polen, die Studierenden haben Texte geschrieben, die
in polnischen und deutschen Zeitungen veröffentlicht worden sind, sie
haben eine Ausstellung konzipiert, die jetzt gerade in Stettin ist und
die in einer Woche in Berlin, im Museum Europäischer Kulturen in
Dahlem, eröffnet werden wird.
Und neben all diesen Bildern aus der Geschichte, die wir gesammelt
haben, war für mich der tiefste Eindruck eine Diskussion in Stettin mit
dortigen polnischen Studierenden, die noch einmal versucht haben,
deutlich zu machen, wie tief diese kollektive Unsicherheit ist, wie
sich die Deutschen und die Polen als Nachbarn an der Oder
gegenüberstehen, wie tief diese Unsicherheit auch in ihren Köpfen noch
verankert war. Die Frage, ist Stettin unsere Stadt? Bleibt Stettin
unsere Stadt? Diese Frage war auch für die Fünfundzwanzigjährigen und
Achtundzwanzigjährigen noch keineswegs beantwortet. Sie waren geprägt
von dieser Sorge der älteren Generation, vieles sei nur provisorisch,
sie seien sich nicht sicher, ob Stettin auf Dauer eine polnische Stadt
sein würde. Diese unsichere Nachbarschaft, denke ich, ist eben auch ein
Thema dieser Tagung und ein Ziel dieser Tagung, solche Nachbarschaften
eben sicherer zu machen.
Ich selber bin in gewisser Weise auch davon berührt. Kaschuba - der
Name klingt irgendwie polnisch, und irgendwie stimmt das auch, ich will
da jetzt aber nicht weiter in die Tiefe gehen. Es häufen sich die
Einladungen, ich werde zunehmend aufgefordert, mich im Rahmen einer
Kaschubologie für kaschubische Kultur in Polen zu engagieren. Und dies
ist für mich vielleicht eine wichtige Zukunftsaufgabe. Wenn wir also
mit der EU-Erweiterung fortschreiten, dann werde ich hoffentlich
endlich auch meinen eigenen Stamm in Polen finden. In dieser Hoffnung
und in diesem Sinne wünsche ich uns zwei erfolgreiche und interessante
Tage hier im Senatssaal der Humboldt-Universität.
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