Thema | Kulturation 1/2004 | Film- und Fernsehgeschichte | Ulla Büchner | Story und Figuren des Psychothrillers MESCHUGGE (1998) Die Lena-Figur der Maria Schrader
| Die
Filmstory ist als Kriminalstory angelegt. Ein Mensch wird tot
aufgefunden und plötzlich werden sein Leben und die Umstände seines
Todes in Frage gestellt. In diesen modernen Thriller verwoben ist eine
Liebesgeschichte, die weitere Brisanz in sich birgt. Mit dem jüdischen
Milieu als Schauplatz und (scheinbarem) Lebensinhalt der Protagonisten
kommt eine starke historische Komponente hinzu, die mit differenziertem
Blick versucht, sich aus heutiger Sicht bzw. aus dem Blickwinkel der
Generation der heute 30jährigen mit den Verbrechen Nazideutschlands
auseinander zu setzen. In dem das Autorenteam Schrader/Levy sich eines
Genres des klassischen Erzählkinos, des Psychothrillers, bedient hat,
haben sie in der Kombination mit einer anderen klassischen
Kinokomponente, der Liebesgeschichte mit Happy End, nicht nur für sich
eine neue und ungewöhnliche Filmform gefunden, sich diesem Thema zu
nähern.
Im Gegensatz zu ihrem letzten gemeinsamen Film „Stille Nacht“,
einer Studioproduktion, haben Schrader/Levy und der Kameramann Charly
Koschnik für „Meschugge“ einen viel rasanteren Kamerastil gewählt. Die
Bilder sind von großer Beweglichkeit geprägt, lehnen sich eher dem
dokumentarischen Charakter an. Sowohl inhaltlich als auch von der
Kameraführung lässt sich klar erkennen, dass „Meschugge“ in der
Tradition von „Ohne mich“ (1993) steht.
Gerade in sich zuspitzenden Szenen wurde häufig die Handkamera
eingesetzt, z.B. als Lena auf dem Bahnhof vor dem plötzlich
auftauchenden Kaminski flüchtet. Dort arbeitet Koschnik auf einem
Motorrad sitzend mit geschulterter Handkamera, was dieser Szene neben
Tempo vor allem Authentizität, Brisanz und Bedrohlichkeit verleiht und
den Fluchtcharakter in dieser Situation unterstreicht. Insgesamt
entsteht durch den Gebrauch dieser Technik für den Zuschauer der
Eindruck, zum einen unmittelbarer am Geschehen beteiligt zu sein und
zum anderen werden damit wichtige Spannungsmomente hervorgerufen.
Die unbedingte Nähe und Spannung zu und zwischen den Protagonisten
wird auch durch etliche Nah- und Großaufnahmen gewährleistet. Immer
wieder fängt die Kamera ihre Helden aus dieser Distanz ein, denn
oftmals gelten Augen-Blicke als Sprachersatz. Darüber hinaus unternimmt
die Kameraführung viele Gänge mit den Figuren, folgt ihnen beim
Überqueren der Straße oder bei der Jagd durch den Bahnhof. Dabei nimmt
die Kamera eine beobachtende Perspektive ein, sie verfolgt nicht
unbedingt einzelnen Bewegungen der Figuren, sondern filmt sie in ihrer
ganzen Erscheinung. Hektik und das Überschlagen von Ereignissen finden
auch ihren Ausdruck in der begleitenden, fahrenden Kamerafahrt parallel
und durch größere Menschenmengen, ein scheinbar unkontrolliertes Hin
und Her, wie auf dem Flughafen, als Lena versucht, noch ihre Mutter
abzufangen. Die Panik und Ungewissheit Lenas wird durch die
Kreisförmigkeit der Kameraperspektive gesteigert. Zusätzliches Tempo
und Schnelligkeit in den Szenen wird erreicht, wenn die Figurengänge
mit Stimmen aus dem Off-Bereich unterlegt werden. Wenn wie bei Davids
Treffen mit Kaminski in den Straßen New Yorks ihnen die Kamera folgt,
ist gleichzeitig die Stimme von Davids Mutter aus dem Off zu hören, mit
der David während der Unterhaltung mit Kaminski per Handy telefoniert.
Überhaupt finden die Einblendungen von Stimmen aus dem Off häufig
Verwendung. Bei Telefonaten wird weder das Bild geteilt, so dass beide
Teilnehmer zu sehen sind, noch bleibt das Gesprochene am nicht
sichtbaren Teil der Telefonleitung ungehört. Wenn beispielsweise Lena
anfängt, ihrer Mutter zu misstrauen und sie per Telefon mit der im
Hotel gefundenen Toten konfrontiert, ist ihre Mutter in der Off-Sequenz
anwesend. Dadurch wird schon während des Gesprächs die Szenerie
dramatisiert und prägnanter verarbeitet. Der Film spart sich so
zusätzliche Einstellungen, die die Handlungsführung möglicherweise
unnötig erweitern würden.
Einige Szenen werden oft aus zwei Perspektiven gezeigt, vor dem
Polizeipräsidium in New York oder wenn der Großvater sich nach dem
Feuerspektakel und Medienrummel „Luft macht“, aus dem Haus tritt und
seine Enkelin Lena sucht. Die Vogelperspektive wechselt mit der Totalen
bzw. zoomenden Großaufnahme. Von der Globalen auf den konkreten
Ausschnitt - dies konzentriert den Blick des Zuschauers.
Ebenfalls zu konstatieren ist, dass die Protagonisten oftmals
frontal gezeigt werden bzw. das die Eingangsperspektive für eine sich
anschließende Großaufnahme ist. Mit dieser geradlinigen Konzentration
auf die Figur können dramaturgische Spannungen bzw. Kollisionen o. ä.
vorbereitet werden, z.B. als Lena das Hotelzimmer ihrer Mutter sucht,
sie statt dessen die schwerverletzte Ruth Fish auf dem Gang findet. Die
Szene beginnt mit der als harmlos erscheinenden Frontalperspektive der
Kamera auf die ihr folgende gut gekleidete Lena, mit einem Blumenstrauß
in der Hand. Als sie die am Boden Liegende wahrnimmt, zeigt sich erst
das erstaunte Gesicht von Lena, dann wechselt die Kameraperspektive und
stellt sich hinter sie.
Die Rasanz und das Tempo in der Abfolge der Ereignisse erhöht sich
durch schnelle Schnittfolgen und Gegenschnitte. Auch werden Szenen
ineinander geschnitten, so dass Szenen weich ineinander über gleiten
können, wie z.B. am Anfang, als Davids Mutter die Zeitung mit der
folgenreichen Schlagzeile vor David ausbreitet, die Kamera die Meldung
in Nahaufnahme zeigt, wieder aufzieht und die gleiche Ausgabe bei Lena
auf den Knien liegt, während sie im Auto zum großväterlichen Grundstück
gefahren wird. Auf diese Weise werden geographische, thematische und
zeitliche Wechsel vollzogen und übersprungen. Dani Levy scheint für
diese Schnitt- und Montagetechnik in dieser Filmarbeit eine Vorliebe
entdeckt zu haben: häufig bilden Gegenstände wie das Dartspiel
interessante Schnittübergänge und Szenenwechsel, oder es dienen
Großaufnahmen von Gesichtern der Helden, die die Szenerie verfolgen,
als Trenner.
Levy nutzt am Schneidetisch sogar die Bewegungen der Figuren und
die Kamerabewegung, um in die Szenen überzublenden und Figuren
miteinander zu verbinden: z.B. telefoniert Lena mit ihrer Mutter in
Deutschland, nachdem sie unter den Sachen der Toten die Brille ihrer
Mutter entdeckt hat und völlig durcheinander ist. Bald gibt die Mutter
ihre Verzweiflung zu. Der Zuschauer sieht Lenas nackten Rücken, während
sie auf dem Bett sitzend telefoniert. Die Kamera fährt während des
Gesprächs langsam ihren Rücken hinauf. Dann folgt der Schnitt zu David,
der, ebenfalls mit neuen Wahrheiten über Lena und ihre Mutter
konfrontiert, etwas ziellos durch New York irrt und eine Treppe hinauf
rennt. In der Bewegung ergeben die beiden aufeinanderfolgenden Szenen
eine aufwärtsstrebende Richtung.
Gerade im Finale bedient sich Levy ungewöhnlich häufig
montageartiger Mittel. Wenn Lenas Mutter beginnt, David ihre Geschichte
zu erzählen, nutzt Levy die Mittel der Rückblendentechnik und
Parallelmontage, das Gesagte zu unterstreichen und zu veranschaulichen.
Damit wird es ihm gleichzeitig möglich, die Wirkung der grausamen
Wahrheit zu erhöhen.
Auch finden für einen Krimi typische Metaphern Verwendung bzw.
bilden Bildübergänge. Wenn in z.B. Kaminski sich zunächst skeptisch zum
Fall der fragwürdigen Vergangenheit von Ruth Fish verhält, diese
daraufhin sein Büro verlässt, gibt er nach kurzem Zögern ihrem Sohn
David zu verstehen, dass er sich des Falls doch annehmen wird. Als
Trenner fungiert die beliebte Einstellung, wie die Brille Kaminskis auf
die Zeitung mit der unruhestiftenden Meldung fällt, als unterstützendes
und abschließendes Zeichen, dass er den Fall übernimmt.
Für Maria Schrader als Darstellerin der Lena ist die Häufigkeit
ihrer Großaufnahmen, die Konzentration auf ihr Mienen- und Augenspiel
mittlerweile eine typische und lohnende Kameraeinstellung. Es fällt
auf, dass ihr Gesicht vor allem dann groß gezeigt wird, wenn sie neue,
erschreckende Wahrheiten erfährt. In solchen Situationen spiegeln ihre
Augen Ungläubigkeit und Angst vor dem, was kommen wird, wider. Ist sie
dann einem Geheimnis auf der Spur, folgt ihr die Kamera in unruhigen
Bewegungen, wie z.B. als sie nachts über den Flur auf ihr Zimmer
zusteuert, von ihrem Liebhaber Win überrascht wird und damit die
nächste Szene ihres nächtlichen Einbruchs in Kaminskis Büro vorbereitet
wird.
Viele Szenen arbeiten vor agierendem Vorder- bzw. Hintergrund, z.B.
als am Ende Lenas Mutter im Vordergrund des Bildausschnittes verharrt
und hinter ihr zu erkennen ist, wie sich Lena schweren Schrittes ihrem
Großvater nähert. Alle drei sind mit dem Folgenden unmittelbar
betroffen. Unklar ist, ob die Szenen, die in Deutschland spielen,
absichtlich in ihrer Farbgestaltung kräftiger wirken, sich damit z.B.
vom jüdischen Milieu in New York abheben sollen oder ob es sich dabei
um Unterschiede in der Materialqualität handelt.Wie für einen
Kriminalfilm typisch finden viele entscheidende Situationen und
Intimitäten im Halbdunkel statt, etwa wenn sich David und Lena im
dunklen Hausflur näherkommen und zum ersten Mal küssen, Lenas Einbruch
bei Kaminski und der folgende Kampf der beiden.
Man könnte sogar soweit gehen zu behaupten, dasss Worte mitunter
ihre Entsprechung im Himmel finden, nämlich in der nächtlichen Szene
über den Dächern New Yorks, als David Lena gegenüber sein Bedauern zum
Ausdruck bringt, nicht genug Zeit für seine Mutter gehabt zu haben.
Einen Augenblick später fängt es an zu regnen. Die Schilderung des
jüdischen Milieus erfolgt gegensätzlich. Bis zum finalen Ende leben in
Deutschland Lenas Verwandte, Mutter und Großvater, unter einer Art
jüdischem Deckmantel. Sie geben vor, Juden zu sein. Infolgedessen
präsentieren sie zunächst das Bild der reichen, gebildeten jüdischen
Familie, der es gelungen ist, den Faschismus zu überleben und die
familiäre Fabrik erfolgreich fortzuführen. Dementsprechend wohlhabend
leben sie. Und auch die Enkelin Lena verkörpert ein entsprechend
vorstellbares Leben im fernen New York.
Ganz anders wird das Leben von Davids Familie in New York
beschrieben. Dort stoßen vergleichsweise zwei Welten aufeinander: David
als moderner, junger Jude, der sich dem Zeitgeist für seine
Verhältnisse entsprechend kleidet: zwar trägt auch er die schwarzweiße
„Uniform“ der jüdischen Männer, mit weißem Hemd und schwarzem Anzug,
jedoch verzichtet er ansonsten in seinem Erscheinungsbild auf weitere
jüdische Symbole wie Frisur, Hut usw. Damit unterscheidet er sich vom
streng gläubigen Auftreten seiner Verwandten. Als Gegenpol wird der
Ehemann seiner Schwester Rahel eingesetzt. Die Familie Davids wohnt im
jüdischen Viertel der amerikanischen Metropole und ihr einziger „Luxus“
besteht in der Nutzung des Daches als Terrasse. Die ist mit einer
bunten Mischung aus Stühlen und Girlanden entsprechend ausgestattet.
Vom klassischen Erzählmotiv ausgehend verfolgt der Film die
Dramaturgie des Krimis. Eine Frau kommt auf mysteriöse Weise ums Leben,
ihre Familie beginnt, Nachforschungen anzustellen. Davon ausgehend
lassen sich drei Handlungs- bzw. Themenstränge konstatieren: 1. die
Kriminalstory um die Aufklärung des Todes von Ruth Fish, Davids Mutter;
2. die Liebesgeschichte zwischen David und Lena und 3. die historische
Auseinandersetzung mit den Naziverbrechen an den Juden und ihre
Verflechtung mit der Kriminalstory.
Die Handlung ist im jüdischen Milieu angesiedelt, mit den zwei,
nicht nur geographisch sehr unterschiedlichen Handlungsorten New York
und Hameln in Deutschland.Beginn und Auslöser der Geschichte ist eine
unheimliche Begebenheit in Deutschland: eine Schokoladenfabrik ist von
Neonazis angezündet worden, der jüdische Besitzer konnte sich retten.
Dieses Unglück zieht eine weitere unheimliche Begebenheit nach sich: in
New York wird eine ältere Frau schwer verletzt in einem Hotelflur
aufgefunden, wenig später stirbt sie. Ihr Sohn, David Fish, will der
Polizei die Unfallversion nicht glauben. Er vermutet Zusammenhänge mit
der Zeitungsmeldung vom Fabrikbrand in Deutschland, die seine Mutter
noch so aufgewühlt hatte und schaltet den Detektiv Kaminski ein.
Parallel bzw. gleichzeitig verliebt er sich in Lena, die seine Mutter
im Hotel gefunden hatte. Bald muss Lena feststellen, dass sie und ihre
Familie auf schrecklichste Weise in diesen Kriminalfall verwickelt
sind.
Im Vordergrund dieses Thrillers steht die Liebesgeschichte zwischen
David und Lena. Diese Liebe bildet den Kernpunkt der Story. Mit ihr
entwickeln sich auch die beiden anderen, parallel verlaufenden
Handlungsstränge weiter und verwickeln sich doch gleichlaufend immer
mehr miteinander. Die Situationen spitzen sich zu, die Entdeckungen
werden immer schrecklicher, die die beteiligten Personen, besonders die
beiden Liebenden, über sich erfahren müssen. Vor diesem Hintergrund
scheint es eigentlich unmöglich, Liebe zu empfinden. Doch das ist die
Stärke der Protagonisten und die des Films. Das macht ihn zu einem
ungewöhnlichen Ereignis.
Die Story ist auf zwei spektakulären Situationen aufgebaut (Feuer
in der Fabrik von Lenas Großvater, Tod von Davids Mutter), die zum
einen den Fortgang der Handlung bestimmen und zum anderen von Beginn an
die beiden Hauptfiguren ohne ihr Wissen miteinander verbinden.
DAVID stammt aus dem typischen New Yorker Judenmilieu, hat sich
aber soweit von der Familie und deren Lebensweise abgenabelt, dass er
sich mit eigenem Appartement, mit Firma und Handy eine moderne und
selbständige Existenz aufgebaut hat. Sein jüdischer Glaube verbindet
ihn mit seinen Verwandten, ansonsten entspricht seine Lebensweise eher
dem seiner Generation der Dreißigjährigen. Diesbezüglich sind ihm im
Film seine Schwester Rahel und deren Ehemann gegenübergestellt, die das
traditionelle Lebensmuster vorleben. Mit Rahel gerät David immer wieder
in Streit, sie ist nicht bereit, sein „Abweichen“ von der
Traditionslinie zu tolerieren, sei es im Äußerlichen (Kleidung) oder in
Gefühlen (seine Liebe zu der „Deutschen“ Lena). Rahels Ehemann als
streng orthodoxer Jude unterstreicht allein durch sein Auftauchen
diesen Konflikt. Die Heiratskupplerin Martha Galinski reiht sich mit
ihren vergeblichen Versuchen, David zu verheiraten, in die
traditionellen Vorstellungen vom jüdischen Leben ein. In seinem Äußeren
ergibt sich David noch am ehesten dem jüdischen Brauch, indem er die
traditionelle Eintönigkeit an sich trägt, mit weißem Hemd und dunkler
Anzughose. Doch lassen ihn eine gewisse Saloppheit im Umgang damit
nicht unattraktiv erscheinen.
In den ersten Drehbuchfassungen war die Figur des David weitaus
strenger angelegt: im traditionellen jüdischen Aussehen mit Hut, Anzug
und Frisur verkörperte er einen zutiefst gläubigen jungen Juden, der
von der Liebe und den Frauen noch unberührt war.
In der jetzigen Filmfassung ist David ein Mann, der zwischen
moderner und traditioneller Lebenswelt hin und her gerissen wird. Auf
der einen Seite lebt er sein eigenes Leben, voller Hektik inmitten der
Metropole, andererseits muss er sich die ständigen Vorwürfe seiner
Schwester gefallen lassen. Nach dem Tod der Mutter hält er sich eigenes
Versagen vor, nicht genug Zeit für sie gehabt zu haben. Nur zu ihrer
Beerdigung erfüllt David das Bild des Juden.
Mit dem Tod seiner Mutter rücken für ihn zwei Hauptmotive für sein
weiteres handeln in den Vordergrund: die Aufklärung des Unglücks und
die Beziehung zu Lena. Gerade mit seiner Liebe zu ihr setzt er sich
über gewaltige Konventionen hinweg. Denn bald muss er erfahren, dass
Lena nicht nur die Tochter der Mörderin seiner Mutter ist, sondern
unter falscher, jüdischer Identität lebte.
Der Zuschauer erlebt David in ständiger Bewegung, auch ein Ausdruck
dafür, wie schwer es für ihn sein muss, sich mit der immer schrecklich
werdenden Wahrheit auseinander zu setzen und dennoch um seine Liebe zu
kämpfen.
Am Ende überlässt er es Lena, das wahre Verbrechen aufzudecken und
ihren Großvater zu überführen. Das Schuldgeständnis von Lenas Mutter
lässt nur kurz auf Davids Gesicht eine Regung erkennen. Selbst in
dieser Situation scheint die Liebe zu Lena die Vergangenheit zu
überdauern.
LENA ist eine Frauenfigur, die eigentlich ein sehr freizügiges
Leben führt: sie arbeitet in Amerika als Setdesignerin, wird von ihren
Eltern aus Deutschland finanziell unterstützt, hat einen farbigen
Liebhaber und ist vom Wesen her eine sehr attraktive und selbstbewusste
Person. Mit ihrer leichten, modischen Kleidung und ihrer auffallend gut
gestylten Frisur entspricht sie der jungen, erfolgreichen Frau von
Heute. Binnen kürzester Zeit muss sie allerdings die Erfahrung machen,
dass ihr bisheriges Lebensbild wie ein Kartenhaus in sich
zusammenfällt. Ihre ganze Vergangenheit wird zur Lüge, die ihr
nahestehendesten Menschen haben sie um ihre Existenz betrogen. Am Ende
muss sie feststellen, dass auf ihrer Familie ein schrecklicher Fluch
ruht.
Das einzige, was sie in dieser Situation aufrecht hält und woran
sie ihre verbliebene Hoffnung knüpft, ist ihre Liebe zu David. Es ist
eine Liebesbeziehung unter Schwierigkeiten: Sie verlieben sich in dem
Moment ineinander, wo beide unabhängig voneinander wissen, wie schwer
belastet Lena bereits durch die Vergangenheit ihrer Familie ist bzw.
dass ihre Mutter etwas mit dem Tod von Ruth Fish zu tun hat. Am Ende
verliert Lena alles: ihre Familie, ihre jüdische Identität und damit
ihre Vergangenheit, ihre bisherigen Konstanten im Leben. Dafür gewinnt
sie Davids Liebe.
Wie Maria Schrader in dem anschließenden Interview unterstreicht,
sieht der Zuschauer Lena von Beginn an mit heiklen und extremen
Situationen konfrontiert: die Angst um den geliebten Großvater nach dem
Brand seiner Fabrik, das Finden der schwerverletzten Ruth Fish, die
sich erhärtenden Verdächtigungen gegen ihre eigene Mutter, die
Enthüllung der schrecklichen Vergangenheit ihres Großvaters. Lena kommt
nicht zur Ruhe, und selbst in den kurzen Momenten mit ihrem Liebhaber
oder später mit David holen sie die Ereignisse ein und lassen sie nicht
Ruhe, als sie etwa ihren Liebhaber Win befragt, wie er sich verhalten
würde, wenn sie jemanden getötet hätte. Selbst ihre privatesten Momente
lassen keine Besinnung zu. Ihr Liebesgeständnis für David verhallt im
Hotelzimmer, der Liebesakt zwischen beiden findet zwischen zwei
Verabredungen mit dem „Verfolger“ Kaminski statt.
Lena wird in ihrer aufkeimenden Liebe zu David von den Ereignissen
überrollt. Natürlich wehrt sie sich anfangs mit allem, was ihr zur
Verfügung steht, gegen die sie erdrückenden Wahrheiten. Als sie
erkennen muss, dass ihre Mutter zur Mörderin geworden ist, gibt sie
David frei und versucht, durch den Einbruch in Kaminskis Büro, sich und
ihre Mutter zu retten. Als David ihr zeigt, dass er zu ihr hält, begibt
sie sich aus Liebe unter seine Obhut und vertraut ihm als Einzigem, um
die Wahrheit aufzudecken. Als sie glaubt, David mache mit Kaminski
gemeinsame Sache, bricht ihre letzte Hoffnung weg.
Großen Symbolcharakter hat ihre Halskette mit dem Davidstern. Zum
einen ist er ein Zeichen ihrer jüdischen Identität. Gleichzeitig wird
diese Kette dreimal in den Bildmittelpunkt gerückt, die diese Identität
erschüttern: 1. im Krankenhaus, als sie in ihrer Ohnmacht die Kette
verliert, David sie ihr wieder um den Hals legt und so zweimal Nähe
zwischen beiden erzeugt wird – körperlich und seelisch; 2. nach dem
Brand in Kaminskis Büro legt sie die Kette wie eine Last oder einen
vorübergehenden Stillstand ihrer Identität ab, um sich von Win
verarzten zulassen, und 3. übergibt sie am Schluss David ihre
Halskette. Damit trennt sie sich von ihrer bis dahin geglaubten
jüdischen Herkunft und legt gleichzeitig ihr vergangenes und
zukünftiges Leben in seine Hände, weil er um ihre Sache weiß.
KAMINSKI erfüllt in seinem Auftreten zunächst die typische,
klassische Vorstellung des Detektivs. In gedeckten Farben gekleidet
trägt er meist einen lockeren Anzug mit ebenso sitzender Krawatte und
sitzt hinter einem unaufgeräumten Schreibtisch in einem kleinen Büro.
Anfangs lässt er sich mit den Ermittlungen Zeit, er lässt eine Woche
verstreichen, ehe er David von seinen Nachforschungen in Kenntnis
setzt. Lena gegenüber bekundet er von Anfang an Misstrauen und zieht
sie als Hauptverdächtige mit in Betracht. Diesbezüglich rät er David zu
unbedingter Vorsicht. Auch in seiner Ermittlungsweise geht er klassisch
vor: die Verdächtigen im festen, beobachtenden Blick wirft er ihnen
Brocken/Vermutungen vor, auf die sie reagieren müssen. Als er erkennt,
welche Ausmaße die Ergebnisse seiner Nachforschungen annehmen, holt ihn
seine Vergangenheit ein, seine Figur wird um ein brisantes, politisches
Detail erweitert: Seine Mitgliedschaft in der JEWISH DEFENSE LEAGUE.
Damit rückt seine persönliche Ambition an der Aufklärung des Mordes,
aber viel mehr die an der Aufdeckung der wahren Herkunft von Lenas
Familie in den Mittelpunkt seiner Aktivitäten. Sein ermittelndes Motiv
als angeheuerter Detektiv in einem Mordfall wandelt sich in ein
politisches und persönliches Motiv bei der Aufdeckung eines
Naziverbrechens an den Juden. Darin entpuppt er sich als radikaler
Verfechter seiner politischen Anhängerschaft, der keine Gewaltmittel
scheut, um ans Ziel zu gelangen. Praktisch im Alleingang will er den
Großvater als Kriegsverbrecher überführen. Dies unterstützend hat er
mit seiner Ankunft in Deutschland sein Äußeres verändert, hat den
schlichten Anzug mit der militärgrünen Tarnuniformierung vertauscht.
Auch ein Hinweis darauf, daß sich die Handlung zuspitzt und Kaminski
den Part des Einzelkämpfers für seine Sache übernommen hat.
Rollendiskussion zu Maria Schrader als Lena
Wie Maria Schrader im nachfolgenden Interview bestätigen wird,
führt sie die Rolle der Lena in ihrer Entwicklung als Schauspielerin
weiter. Vorausschickend kann festgehalten werden, dass Maria Schrader
1998 in Kinofilmen zu sehen war, die über ihr bisheriges Rollenspektrum
hinausführten. In den hier berücksichtigten Filmen „Der Unfisch“,
„Meschugge“ und „Aimèe und Jaguar“ bewegt sie sich weg von den von ihr
mit Vorliebe verkörperten Frauenfiguren, die sich ihr Selbstbewusstsein
im Alltag erkämpfen, ihren Platz im Leben wie in der Liebe suchen und
ihre innere Größe und Stärke als Frau erst allmählich zum Vorschein
kommen lassen. Diese Frauenfiguren waren als Mittelpunkte Objekte der
Filme, die ihren Weg zur eigenen Identität beinhalteten.
In den drei neuen Produktionen spielt Maria Schrader Frauenrollen,
die zwar immer noch mehr oder weniger im Zentrum der Filme stehen.
Jedoch haben sich die sie umgebenden Komponenten verändert. Diese
Frauen werden nicht mehr durch den Alltag und ihre Fragen ans eigene
Dasein bestimmt, sondern sie erweitern ihre Identität nun um eine
phantastische („Der Unfisch“) und historische („Meschugge“, „Aimèe und
Jaguar“) Komponente. Es sind Frauen, die sich nicht mehr beweisen
müssen. Besonders die Sophie Moor in „Der Unfisch“ und die Lena in
„Meschugge“ stellen sich vielmehr in den „Dienst“ einer Sache. Ihre
eigentliche Person spielt erst in zweiter Instanz eine Rolle. Bis auf
„Ohne mich“ ist die historische, in diesem Fall jüdische Komponente neu
für die Rollen der Maria Schrader.
Mit der Lena hat die Schrader eine Rolle übernommen, die man eher
als Mittel zum Zweck bezeichnen könnte. Schließlich ist Lena eine Art
Schlüsselfigur: sowohl für den Kriminalfall, dem Mord an Davids Mutter,
als auch für die Aufdeckung der schrecklichen Verbrechen, die ihre
Familie an den Juden begangen hat. Sie selber rückt darüber hinaus nur
in den Mittelpunkt, wenn es um die Liebe zwischen ihr und David geht.
Aber all die anderen Dinge, die die früheren Figuren der Schrader
prägten, werden in dem Film vernachlässigt. Der Zuschauer erfährt
nichts über ihre persönliche Konstitution und ihre Lebenswelt. Das ist
auch nicht wichtig.
Von Beginn an ist die Figur der Lena in den Ablauf der Ereignisse
involviert. Sie ist die Person, die unbewusst den roten Faden in den
Händen hält, die mit ihrem Erscheinen die Handlung vorantreibt, sich
dabei aber auch selber zurücknimmt.
Man weißt nicht viel von ihr. Erst über die einzelnen Geschehnisse
(Feuer in der Fabrik ihres Großvaters, Mord an Mutter Fish, ihre
beginnende Liebe zu David, Aufdeckung der Nazivergangenheit ihrer
Familie) und die kleinen Zwischenspiele (ihr Verhältnis zu ihrer Tante,
ihre Beziehung zu ihrem Liebhaber Win, Einbruch bei Kaminski, der
Besuch bei Davids Familie) erfährt man mehr über sie.
Während all dessen bröckelt langsam ihr Bild der selbstbewussten
und lebensfrohen jungen Frau, die sich in Amerika eine eigene Existenz
aufgebaut hat. Bis zu ihrem Gespräch im Polizeipräsidium glaubt sie,
einem Irrtum zu folgen und verteidigt sich und ihre Familie. Als sie
dort die Brille ihrer Mutter sieht, wird sie zum ersten Mal mit der
Lüge konfrontiert und beginnt, an der Version ihrer Mutter zu zweifeln.
Gleichzeitig verliebt sie sich in David. Auch diese Beziehung bedeutet
eine Art Spagat für sie. Sie merkt, wie sie immer mehr in den Strudel
der Ereignisse, Verstrickungen und Lügen gezogen wird und fängt an,
Dinge zu tun, die sie selber von sich nicht erwartet hätte. Sie lügt
für ihre Mutter und belügt damit auch David. Sie stellt zwar nicht ihre
Liebe in Frage, riskiert mit ihrem falschen Spiel allerdings, diese
Liebe wieder zu verlieren. Bis zu dem Zeitpunkt ihres gemeinsamen
Fluges mit David nach Deutschland scheint ihr die eigene Identität und
die ihrer Familie unantastbar zu sein. Dabei steht ihr wahres
Liebesempfinden für David außer Frage.
Eine nicht unerhebliche Rolle spielt die Kleidung der Lena, mit der
sich gewisse Mechanismen verbinden lassen. Als weitgereiste Tochter des
Hauses taucht sie zu Beginn des Films, nach dem Brand der
großväterlichen Fabrik, im strengen Kostüm daheim in Deutschland
auf.Nachdem sie Ruth Fish gefunden hat und ihre eigene Mutter unter
Verdacht gerät, trägt sie vorwiegend leichte Kleider, die viel nackte
Haut zeigen, jedoch ohne anzüglich zu sein. Wenn sie aber in dieser
Aufmachung in Szenen mit Kaminski agiert, offenbart sie damit
metaphorisch gesehen eine Angriffsfläche. Andererseits nutzt er ihre
Attraktivität und kehrt sie um, um David von ihr fernzuhalten.
Die Freizügigkeit ihrer Kleidung drückt aber auch eine
Verletzlichkeit, Zartheit und Sensibilität aus. Besonders in der Szene,
als sie nach ihrem Einbruch am darauffolgenden Morgen von David
aufgesucht wird, steht sie völlig ungeschützt vor ihm: nur mit einem
Unterhemd bekleidet, hat sie ihren vor Angst zitternden Körper lose mit
einer Decke umwickelt, die Wunde am Hals ist nicht zu übersehen. Von
ihren Gefühlen überrollt fängt sie hemmungslos an zu weinen und glaubt
sich rettungslos verloren, bis David sie in die Arme schließt.
Als sie anschließend beide nach Deutschland fliegen, hat sich Lena
mit Hosen, Hemd und Pullover gegen ihre Gewohnheit gekleidet und
gleichermaßen darin verschanzt, ein Zeichen dafür, wie angeschlagen sie
ist.
Zum Finale hat sie ihr entschlossenes Frausein wiedergefunden,
nachdem sie David ihre Liebe gestanden hat. Sie glaubt sich seiner
sicher, als sie auf dem Bahnhof eine Überraschung erleben muss.
Maria Schrader gelingt es, sich hinter die Figur der Lena
zurückzuziehen. Sie agiert zwar mit den ihr eigenen Mitteln, ihrem
variantenreichen Spiel zwischen Mimik und Gestik, etwa wenn sie
verwirrt ist, setzt sie ihr typisches, leicht irritiertes Kopfwackeln
ein: dabei sieht sie erst hin, dann dreht sie sich kurz weg, um danach
um so länger und intensiver zu schauen. Doch spielt sie sich nicht in
den Vordergrund, wie es andere Rollen von ihr erforderten. Sie füllt
die Lena eher auf leise und behutsame Art mit ihrem Spiel, agiert sehr
nuanciert und weiß, sich im richtigen Moment in Szene zu setzen. Sie
nimmt sich zurück, wenn sie in Kaminskis Büro durch den Kinderkoffer
von Davids Mutter mit der Wahrheit konfrontiert wird oder bricht aus
ihrer selbstbewussten Erscheinung aus, als David sie nach der
Einbruchnacht aufsucht. Mit der Figur der Lena hat Maria Schrader bewiesen, dass sie
nicht nur Frauen in ihrer verdeckten Vielschichtigkeit spielen und
deren Charaktere möglichst breit anlegen kann, sondern dass sie ihr
Spiel auch reduzierter zugunsten der Geschichte einzusetzen bereit ist.
Ulla Büchner
Interview mit Maria Schrader zu MESCHUGGE (Regie: Dani Levy, 1998)
A.
I. Biographische Daten
Zum Zeitpunkt der Dreharbeiten zu „Meschugge“, von August bis
Oktober 1997 lässt sich festhalten, dass Maria Schrader zu den
bekanntesten Kinoschauspielerinnen der BRD gehört. Was ihre Kreativität
bezüglich der Filmarbeit betrifft, so nimmt sie unter ihren Kolleginnen
ohne Zweifel eine Ausnahmeposition ein: Welche andere deutsche
Schauspielerin kann neben der Schauspielerei auf eine gleichzeitige
Arbeit als Co-Autorin und Co-Produzentin verweisen?! „Meschugge“ ist
die fünfte „Gemeinschaftsproduktion“ zwischen ihr und dem Schweizer
Regisseur Dani Levy.
Maria Schrader hat in den 90iger Jahren bereits wichtige Filmpreise
(Bundesfilmpreis, Bayrischer und Hessischer Filmpreis, Max
Ophüls-Preis) gewonnen und genießt in der Branche und beim Publikum ein
hohes Ansehen als anspruchsvolle und wandelbare Darstellerin, die gegen
gängige Klischees spielt und mit ihren Frauenrollen versucht, ein Stück
Realität auf die Kinoleinwand zu transformieren. Analysiert man das
Medienecho auf ihre Arbeit, so kann man konstatieren, dass zwar einige
Filmproduktionen, in denen sie mitwirkte, mitunter mit harter Kritik
bedacht wurden, der Schauspielerin Maria Schrader aber stets
wohlwollend Beifall gespendet wurde.
Andererseits muss man auch feststellen, dass sie (noch) nicht an
den Bekanntheitsgrad einer Katja Riemann oder Veronica Ferres
heranreicht. Der wesentlichste Grund dafür ist sicherlich die deutsche
Komödienwelle der 90er Jahre. Die genannten Schauspielerinnen haben in
fast allen erfolgreichen Produktionen dieser Zeit weibliche Hauptrollen
gespielt und erlangten somit einen hohen Bekanntheitsgrad. Wenn von den
Komödien die Rede war, dann wurden ihre Name damit in Verbindung
gebracht.
Maria Schrader sucht sich dagegen ihre Rollen in ungewöhnlichen und
unbequemen Filmen, die vergleichsweise eine geringe Zuschauerzahl in
die Kinos locken, bis auf „Keiner liebt mich“ mit knapp anderthalb
Millionen ‘Filmliebhabern’. Insofern genießt sie eher in kleineren
Kreisen Fan-Status, wird aber besonders vom weiblichen Publikum für
ihre Figureninterpretationen verehrt.
Über ihr privates Leben gibt es keine Skandale oder ähnliches zu
berichten. Seit den 80er Jahren lebt sie mittlerweile in Berlin, seit
Mitte der 90er im Ostberliner Bezirk Prenzlauer Berg. In Mode und
Freizeit orientiert sie sich wie ihre Altersgenossinnen am Zeitgeist,
ihren Möglichkeiten und Vorlieben entsprechend.
Direkt vor den Dreharbeiten zu „Meschugge“ hat sie eine der beiden
Hauptrollen in „Aimée und Jaguar“ gespielt. Danach hatte sie einige
Drehtage zu Doris Dörries neuem Kinofilm „Bin ich schön?“, wo sie in
einer Episode zu sehen ist ( Premierentermin war der 23. September
1998).
II. Produktionsbedingungen
Wann haben die Planungen für „Meschugge“ begonnen?
1989 gab es erste Ideen. Die Frage nach der Anzahl der
Drehbuchfassungen ist nicht ganz leicht zu beantworten, ich würde
sagen, es gibt ca. sieben Drehbuchfassungen.
Wer hat sich um die Planung der Dreharbeiten gekümmert?
In dem Moment, wo es Geld gibt, wo das Projekt finanziert ist und
einen Startschuss kriegt, werden Leute von der Firma, hier: X-Filme,
engagiert, also Produktionsleiter, Herstellungsleiter etc. Bei
„Meschugge“ arbeitete Milanka Comfort als Produktionsleiterin in
Deutschland. Und dann gibt es diesen speziellen Fall, wo ein Großteil
des Films im Ausland gedreht wird. Dann muss man natürlich Leute vor
Ort engagieren, die dort mit dem Filmgeschäft und der ganzen Struktur
der Stadt vertraut sind.
D.h. wir haben die Produktionsleiterin Margot Bridger in Amerika
angestellt, die uns empfohlen worden ist und sonst mit uns nichts zu
tun hat. Sie hat den ganzen amerikanischen Teil kalkuliert. Die hat
praktisch gesagt, zur Durchführung dieses Teils des Films in New York
benötige ich so und so viel Geld, das hat sie dann von X-Filme zur
Verwaltung bekommen. Ihrerseits hat sie ein komplettes amerikanisches
Team von 70 Leuten engagiert. Sie stand immer in Verbindung mit der
deutschen Produktionsleiterin, wurde von ihr quasi auch kontrolliert.
Neben den Herstellungs- und Produktionsleitern gibt es die ‘head of
departments’, die Abteilungsleiter, d.h. die Kostümbildner, Ausstatter
usw., die vor allem dann anfangen, kreativ zu arbeiten. Die haben unter
sich wiederum einen Stab von Leuten. In Amerika war die Ausstatterin
immer umgeben von fünf oder sechs Leuten, die für sie gearbeitet haben.
Aber all diese Abteilungsleiter haben wiederum Sitzungen mit dem
Regisseur, der ihnen seine Vorstellungen erzählt, mit dem sie ihre
Entwürfe abstimmen müssen.
Für die amerikanischen Schauspieler gibt es eine Castingfirma,
genauso wie in Deutschland. Die meisten Filme entstehen ja so, daß man
eine Castingperson bzw. firma engagiert und die suchen, haben Ideen,
stellen Schauspieler zusammen, machen Videos, tapen Leute. Letztendlich
wählt sie der Regisseur aus, also Levy.
Es gab nur sehr wenige Leute aus Deutschland, die mit nach Amerika gegangen sind, ansonsten wäre es viel zu teuer geworden.
Inwieweit hast Du Dich als Co-Autorin und Co-Produzentin mit in die Dreharbeiten eingebracht, ausgenommen der Schauspielerei?
Es wird eine richtige Premiere geben mit diesem Film in der
Zusammenarbeit von Dani und mir, weil dieser Film nicht heißen wird:
‘ein Film von Dani Levy’ sondern: ‘ein Film von Maria Schrader und Dani
Levy’. Und das ist das Neue.
Es ist einfach so, dass wir die ganze Entstehung und Durchführung
dieses Films gemeinsam gemacht haben. D.h., dass ich war beteiligt am
Casting, Dani hat immer Rücksprache mit mir gehalten. Wir haben die den
Film bestimmenden Entscheidungen gemeinsam getroffen.
Es gibt bestimmte Bereiche, deswegen heißt es auch: ‘Regie - Dani
Levy’, und das ist auch richtig so, mit denen ich nichts zu tun habe,
das ist z.B. die Auflösung des Films. Diese ist essentiell wichtig, und
zwar ist das die Arbeit zwischen Regisseur und Kameramann, die
entscheiden, wie eine Szene gefilmt und aufgelöst wird, in welchen
Einstellungen etc., wie erzähle ich sie. Das ist etwas, worin Dani irre
gut ist, er hat eine wahnsinnig visuelle Phantasie, kennt sich mit der
Kamera aus und ist durch die vielen Filme, die er mit Charly Koschnik
zusammen gemacht hat, ein eingespieltes Team. Das ist ein Bereich, in
den ich mich überhaupt nicht einmische.
Was in diesem Film auch so neu war, ist, dass Dani eine so große,
tragende Rolle gespielt hat, noch mehr als in „I was on Mars“. Daraus
ergab sich für ihn fast eine fifty/fifty-Teilung zwischen
Schauspielerei und Regie. Es wurde sehr schnell klar, dass in dem
Moment, wo er als Schauspieler vor der Kamera steht, ich hinterm
Monitor sitze. Dann habe ich Regie geführt. Regie aber nur in dem Sinne
der Schauspielerregie. Die ganze Choreographie solcher Szenen hat Dani
bestimmt, ich habe nur schauspielerisch eingegriffen und hatte sein
Vertrauen dabei, mit der Zeit kam auch das Vertrauen der anderen
Schauspieler hinzu. Ich bin dann zu den Schauspielern hingegangen und
hab gesagt: ‘Nicht dass es Euch verwirrt, aber in dem Moment, wo Dani
spielt, bin ich diejenige, die Kommandos gibt und die dann auch die
Verantwortung hat, ob das gut genug war oder ob es noch einmal
wiederholt wird o.ä.’ Das wurde akzeptiert, es war toll für mich.
Am schwierigsten ist es natürlich für Leute wie David Strathirn
gewesen, der eine Szene mit Dani spielt und ich geb’ plötzlich
Anweisungen und die nächste Szene spielt er mit mir, ich bin dann
wieder nur Partnerin für ihn. Manchmal habe ich ein bisschen den
Eindruck gehabt, besonders am Anfang, dass es problematisch ist. Weil
ich eine Frau und so viel jünger bin, weil ich den Film geschrieben
habe, mit ihm mitspiele, ihm auch noch Anweisungen gebe. Ich habe mit
dieser Art von Autorität viel mehr Probleme als das Männer haben oder
als das Dani hat. Und ich hab auch gemerkt, dass David viel größere
Probleme hat, das bei mir zu akzeptieren als bei Dani, obwohl das ja
mit Dani genau das Gleiche ist. Alles in allem muss ich sagen, David, der den Kaminski spielt,
ist ein Supertyp, der bereits in vielen großen Filmen mitgespielt hat.
Wie hoch lagen die Kostenpunkte des Films?
Der Film hat ca. 5.6 Millionen DM gekostet. Wobei ich nicht weiß,
ob er in der Zwischenzeit mit der Nachproduktion und dem Schnitt nicht
schon mehr gekostet hat. Der Film ist finanziert worden von den
Filmförderungen NRW, Berlin-Brandenburg und der Schweiz, den
Fernsehsendern WDR und Arte sowie dem Schweizer Fernsehen. Das sind die
Hauptgeldgeber. Und natürlich Jugendfilm als Verleih. Die sind auch als
Co-Produzenten beteiligt, weil sie Referenzmittel – über 600 000 DM –
investiert haben. Das sind Gelder, die man für Filme erhält, die viel
Publikum gehabt haben. Sie haben ein Projekt gesucht, in das sie diese
Gewinnprämie anderer Kassenknüller investieren konnten und haben
„Meschugge“ gefunden, dadurch sind wir verbandelt.
Buena Vista war zunächst sehr interessiert an „Meschugge“. In der
Sekunde, wo sie gesehen haben, „Stille Nacht“ läuft nicht so, wie sie
sich das vorgestellt haben, haben sie uns fallen gelassen und auch nie
wieder ein Wort darüber verloren. Die haben sich richtig schlecht
verhalten.
Wie verhält es sich mit der Filmförderung NRW?
Nun, der ganze deutsche Teil ist dort gedreht worden. Die
eigentliche Auflage von NRW ist, dass man das 1 1/2-fache der
Förderungsmittel dort ausgeben muss, d.h., wenn man eine Million
bekommt, muss man dort anderthalb Millionen ausgeben.
Wie viele Nachdrehs fanden statt?
Es hat ein Nachdreh stattgefunden, weil ich mir in der letzten
Woche der offiziellen Dreharbeiten den Fuß gebrochen habe. Und zwar bei
der Rennszene auf dem Frankfurter Bahnhof, bevor ich mich fallen lasse.
Da gibt es noch diese eine Rennszene in der Rohschnittfassung, wo ich
wegrenne. Das bin ich schon nicht mehr, das ist ein Double, da konnte
ich schon nicht mehr laufen. Es war eine Bänderdehnung mit einer
Knochensplitterung. Ich hatte sechs Wochen einen Gips. Das war ein
Versicherungsfall. Wir haben noch ein paar Sachen im Sitzen gedreht und
danach mussten wir die Laufszenen auf dem Bahnhof noch mal nachdrehen.
Das war dann sechs bis acht Wochen später, im November bzw. Anfang
Dezember 1997.
Wie wurden Vertrag und Gage ausgehandelt?
Ich mache einen Vertrag als Darstellerin und einen als Autorin.
Dabei habe ich ja zwei klare Berufe. Für „Meschugge“ habe ich als
Darstellerin 120 000 DM bekommen. Bei solch einer Größenordnung
vernachlässigt man die Tagessätze. Wenn man eine Hauptrolle in so einer
Größenordnung spielt, dann wird das pauschaliert. Wenn ich einzelne
Tage drehe, habe ich einen Tagessatz von 5000 bis 7000 DM. Hat man
jedoch ungefähr 30 Drehtage, rutscht der Tagesatz runter und die Gage
wird pauschaliert. Wenn ich aber nur zehn Drehtage habe, steigt der
Tagessatz und ich werde pro Drehtag bezahlt.
Den Vertrag als Autorin habe ich im Falle von „Meschugge“ noch gar
nicht gemacht. Mit den Drehbuchgeldern ist das ein bisschen
komplizierter. Für diesen Film haben wir schon eine Drehbuchförderung
von 40 000 DM erhalten. Man lässt sich praktisch finanzieren, dass man
überhaupt in der Lage ist zu schreiben. Das ist aber schon Jahre her.
Ich weiß nicht genau, wie es sich jetzt diesbezüglich mit der Gage
verhält. Ich glaube, es ist so, dass wir noch einmal 50 000 DM
erhalten, die werden zwischen mir und Dani geteilt. Dazu kommen noch
die Gelder, die bei jeder Ausstrahlung fließen. Daran sind wir mit
einem kleinen Prozentsatz beteiligt. Dani Levy wird in all seinen
Funktionen bezahlt, also als Regisseur, Schauspieler, Cutter etc. Er
ist Mitinhaber der X-Filme-Firma, aber das bedeutet nur, dass er sich
Gewinn und Risiko mit den anderen Geschäftsführern teilt. In dem
Moment, wo aber ein Film kalkuliert wird, wird ein Budget aufgestellt
mit sämtlichen Posten und darin sind die Finanzierungen unabhängig,
d.h. der Regisseur wird so bezahlt, wie wenn ein anderer als Dani Levy
Regie führen würde. Bisher haben die Filme auch noch nichts abgeworfen.
Die Chance, dass man wirklich Geld damit als Firma einnimmt, ist doch
wahnsinnig gering.
Woher bezieht X-Filme Geld?
Stefan Arndt als Produzent zahlt sich ein geringes monatliches
Salair. Im Moment kommen X-Filme z.B. Bundesfilmpreisnominierungen
zugute. „Das Leben ist eine Baustelle“ von Wolfgang Becker war letztes
Jahr nominiert, „Der Winterschläfer“ von Tom Tykwer ist dieses Jahr
nominiert – das bedeutet Preisgelder. Sobald man mit einem Film
nominiert ist, kriegt man schon mehrere hunderttausend Mark
Produktionsgelder.
Fanden während der Dreharbeiten Interviews statt?
Geringfügig, ja. Der „Stern“ hat etwas gemacht. In Amerika fanden
einige Interviews statt. In Köln gab es eine kleine Pressekonferenz,
vor allem für die dortigen regionalen Medien von NRW. Verschiedene
Fernsehsender mit ihren Kinosendungen, wie „Premiere“, waren auch vor
Ort.
Natürlich ist es so, wenn man einen Film ab einer gewissen
Größenordnung und mit bekannteren Leuten macht, dann kommen automatisch
Anfragen. Die Drehtermine werden in Produktionsspiegeln o.ä.
veröffentlicht, dann weiß man, dort und dort wird gedreht und
automatisch gibt es journalistische Anfragen. Das wird sehr
unterschiedlich gehandelt. Ich hab schon Dreharbeiten erlebt, wo jeden
zweiten Tag irgendwelche Leute da waren und es überhaupt keine
Limitierung gab. Es wurde ständig mitgefilmt und Interviews gemacht,
das kann zum Teil sehr störend werden. Du musst dich natürlich als
Filmemacher oder als Produzent fragen, inwieweit das nicht auch in
deinem Interesse ist. Es wird auf Halde produziert und erst zum
Kinostart gesendet.
Es ist meistens so, dass man vorher die interessanten Tage
bestimmt, wo es sich lohnt, dass Journalisten den Drehs beiwohnen. Dann
wird das Team informiert, dass eben an den jeweiligen Tagen die Presse
kommt, es gibt ‘ne kleine Pressekonferenz etc. Oft gibt es eine extra
Firma, die diese Pressebetreuung organisiert. Die kanalisieren dann die
Leute, führen sie rum und organisieren Interviews.
Wenn ein Fernsehteam kommt, dann entstehen zum Teil auch schöne
Impressionen, das schau ich mir auch gern als Zuschauer an. Ich
persönlich finde solche ‘Making-off’s’ sehr spannend, wenn man von der
Set-Atmosphäre etwas spürt.
Wo sind die Arbeitsproben zu „Meschugge“ zugänglich?
Die ganze bürokratische Angelegenheit, der Schriftverkehr usw. wird
natürlich bei X-Filme archiviert, praktisch eine Art
wirtschaftlich-technisches Protokoll.
Die anderen Sachen sind in Privathänden. Ich habe aus
Sentimentalität die ganzen handschriftlichen Bücher behalten, wo wir
die Szenen geschrieben haben, bevor wir die Bücher abgetippt haben. Ich
habe ein paar Briefe behalten, die zu „Meschugge“ geschrieben wurden,
beispielsweise zwischen Dani und mir, oder meine Drehbücher, die mir
wertvoll und wichtig erscheinen, wo meine eigenen Notizen drinstehen.
Das alles behalte ich.
Liegt dem Stoff ein authentischer Fall zugrunde?
Nein.
B.
I. Textaneignung
Hast Du Dich für die Rolle der Lena an anderen Vorlagen, Texten
etc. orientiert oder hast Du aus Deinem eigenen Erfahrungsschatz heraus
die Figur entwickelt?
Die Lena habe ich aus mir selbst heraus gespielt. Ich kann mich
nicht erinnern, dass ich andere Filmfiguren als Vorbild genommen habe,
aber es gab schon hin und wieder Sachen, die ich mir richtig ausgedacht
habe. Die ich vielleicht irgendwo mal gesehen habe und sie mir dann für
Figuren zur Regel gemacht habe. Z.B. bei „Keiner liebt mich“ habe ich
mir vorgenommen, der Rolle bestimmte Eigenarten zu geben, die sich
durchziehen und was zu ihr gehört: Immer zu schnell zu reden und dann
mitten im Satz lange Pausen zu machen. Das habe ich auch Doris Dörrie
vorgeschlagen, ob es sein kann, dass Fanny Fink dann immer ein bisschen
stottert und Sachen nicht zu Ende spricht.
Bei „I was on Mars“ habe ich mir überlegt, dass die Silva irgendwie
lustig gehen muss, da hab ich mir eben ein paar Dinge ausgedacht.
Bei Lena war das gar nicht so.
Bist Du jemand, der sich auf Dreharbeiten bzw. auf eine Rolle intensiv vorbereitet oder vernachlässigst Du das eher?
Es ist natürlich ein Unterschied, ob das meine eigenen Filme sind.
Bei „I was on Mars“ habe ich die Vorbereitungen nicht nur aus
schauspielerischer Recherche betrieben, sondern weil wir gar keinen
Kostümbildner in dem Sinne hatten. Ich habe ja die ganzen Sachen, von
den Kostümen bis hin zu den Lebensmitteln, in Polen gekauft. Ich wollte
Authentizität. Es ist immer ein bisschen anders, wenn man’s mit
schreibt und sich mit ausdenkt. Man ist dann auf eine Art kreativer und
entwickelt mehr an und mit den Figuren.
Normalerweise ist es schon so, dass ich mir überlege, wie die Figur
ist, was die für ein Temperament hat, wie sie in Stresssituationen
reagiert usw., ob sie komisch geht, ob sie Macken oder Ticks hat. So
denk ich mir meistens was aus für die einzelnen Szenen. Ich bereite
mich vor, indem ich vorher meistens im Kopf die Sachen spiele und einen
Plan habe von dem, was ich machen möchte.
Wurde während der Dreharbeiten improvisiert oder lief alles nach Drehplan ab?
Improvisiert wurde fast überhaupt nicht. Dazu müssen die Absprachen
viel zu präzise sein, weil viel zu viele Leute parallel an so einer
Sache arbeiten und weil man viel zu wenig Zeit hat. Gerade mit dieser
besonderen Schwierigkeit bei „Meschugge“, mit dieser Zweisprachigkeit,
musste man sich mit den Darstellern absprechen. Wir haben die letzte
Fassung des Drehbuchs direkt in Englisch geschrieben, ohne dass es
unsere Muttersprache ist, d.h. sie musste zusätzlich noch einmal
korrigiert werden. Dani hat wahnsinnig viel an seinem Akzent
gearbeitet. Er hatte einen Sprachcoach, da konnte man nicht kommen und
sagen: ‘Los, jetzt sag mal statt dem Satz einen anderen!’, weil er sich
wahnsinnig auf diese einzelnen Sätze vorbereitet hat. Es war also ein
Konzept, was eingehalten werden musste.
Die Lena ist eine neuartige Figur für mich gewesen. Im Vordergrund
des Films steht die Geschichte, steht das Ereignis, was passiert. Es
gibt eigentlich gar keine Szene in dem Film, wo man Lena „nur“ als
Mensch kennen lernt. Sondern man lernt sie von vornherein in besonderen
Situationen kennen, und das unterscheidet den Film absolut von „I was
on Mars“ und „Keiner liebt mich“, die atmosphärische Filme sind, die
sich auf die Eigenwilligkeiten von Figuren konzentrieren. So ist Lena
in dem Film immer in Ausnahmesituationen anzutreffen. Man lernt sie
kennen, wo sie nach Deutschland reist, weil die Fabrik ihres Großvaters
abgebrannt ist. Dann kommt sie zurück mit der Mutter, dann findet sie
diese Tote. Sie ist immer nie entspannt sie selbst.
Das ist für mich auch etwas sehr Neues gewesen, dass ich gemerkt
habe, schauspielerisch musst du dich auch gewissen situativen Vorgaben
unterwerfen. Es geht nicht darum, was Lena für Macken hat. Das musst du
alles in den Dienst der Geschichte stellen, die erzählt wird. Und wenn
es nicht direkt mit dem Plot verknüpft ist, dann fliegt’s sowieso raus.
Das ist schließlich ein Krimi. Und das ist eine total neue Erfahrung
gewesen, wie stringent die Szenen ablaufen, wie du keine Zeit hast,
dich mit irgendwelchen Kleinkram auszubreiten, sondern wie die Figuren
einfach auch eine Geschichte erleben müssen. Wenn sie die nicht
erleben, dann fliegt die Szene raus. Das merk ich jetzt auch beim
Schneiden, es verläuft alles sehr story-orientiert.
Gab es am Set Meinungsverschiedenheiten oder ähnliches zwischen Dir und Dani Levy?
Also diese großen Missverständnisse, die es manchmal gibt, dass man
ein ganz anderes Bild von der Szene hatte als der andere oder so, ist,
glaube ich, nur ein- oder zweimal passiert. Ansonsten haben wir
natürlich durch das gemeinsame Schreiben den großen Vorteil, daß man
sich über Dinge schon längst verständigt hat, die man manchmal als
Schauspielerin mit dem Regisseur erst vor Ort klärt. Da haben Dani und
ich einfach einen Riesenvorsprung, das wir in vielen Sachen längst
einer Meinung sind bzw. uns da hingearbeitet haben und darüber
überhaupt nicht mehr reden müssen.
Es gab zweimal Missverständnisse, die aber auch story-orientiert
waren. Einmal war das eine Szene, die im Film nicht mehr drin ist, aber
noch in den Drehbüchern steht: Wo David sich zum Schluss ein Auto
mietet und die Frau von der Vermietung ihm die Geschichte über den
Rattenfänger von Hameln erzählt. Wir haben angefangen zu drehen, ich
war nicht diejenige, die da gespielt hat, sondern Dani. Ich saß davor,
die haben diese Szene gespielt und alles war in Ordnung, aber es war so
nix. Und dann habe ich zu Dani gesagt: ‘Das geht so nicht. Die Szene
ist nur dann gut, wenn man Deine ganze Aufregung spürt, wenn Du
innerlich total hysterisch bist und die Geschichte, die sie Dir
erzählt, eine schicksalhafte Bedeutung für Dich kriegt, wenn das wie so
ein Sog ist. Es darf überhaupt nicht so ein flirtiges ‘Ich geh mir
jetzt mal so ein Auto mieten’ haben.’ Dani hat die Szene immer so
interpretiert, dass das wie eine kurze Erholung ist, wie ein Aufatmer
in der Geschichte. Ich hab aber gemerkt, es muss das Gegenteil sein, es
muss quasi die Schlinge noch weiter zuziehen, seine Angst, nach Hameln
zu fahren, noch weiter erhöhen. Es muss unheimlich werden und all das.
Genau das ist der Grund, weshalb die Szene am Ende rausgeflogen ist,
dass sich weder das eine noch das andere so richtig übertragen hat.
Diese Szene war wie ein Alien im Film, so dass man denkt: ‘Moment,
jetzt läuft der Film schon über hundert Minuten und nun kommt eine neue
Figur und die erzählt die Geschichte vom Rattenfänger in Hameln’. Es
hat sich nicht so integriert, dass es diesen Sogcharakter hatte, dass
es zu dieser Geschichte gehörte. Jetzt ist es so, dass er direkt in
diesem Auto sitzt und niemand fragt sich, wie er in dieses Auto kommt,
es ist auch völlig egal. Deswegen ist die Szene draußen. Das war ein
großer Punkt, wo wir einfach zwei völlig unterschiedliche Vorstellungen
von der Interpretation, vom Spielen her hatten. Wir haben verschiedene
Takes von dieser Szene gemacht.
Es war auch kein Streit in dem Sinne. Es war nur so: Das kann man
vielleicht so spielen, aber die Kamera macht’s z.B. dann nicht mehr
mit. Viel schwieriger, als dass man manchmal unterschiedlicher Meinung
ist, ist öfter, dass man sich was ausdenkt und es funktioniert so
nicht. Also: Man ist einer Meinung und denkt, das muss so sein und man
baut die Kamera auf, das Licht und man probt und dreht- und es
funktioniert nicht, du siehst es nicht, es überträgt sich nicht, was du
meinst. Dann ist es auch oft schwer, rauszukriegen, woran es liegt.
Ganz heftig war das bei einer Szene von „Stille Nacht“, und zwar
die Szene zum Schluss, wo ich als Julia den Kopf in die Krippe stecke
und singe. Jeder wusste, was mit dieser Szene gemeint war: Julia ist am
Ende. Es war allen sonnenklar, worum es geht. Ich fand diese Situation
immer super geschrieben und sie fängt an, dieses Scheiß-Weihnachtslied
zu singen und sie kommt nicht über dieses eine Wort hinaus, weil sie
sich nicht erinnert und dann fängt sie an, darüber zu heulen und völlig
zu verzweifeln. Das fand ich gut geschrieben, prägnant, ich wusste,
worum’s geht, wir waren uns alle einig. Ich hab’s gespielt, „irre“
vorbereitet – Ausbrüche sind immer schwer zu spielen – ich hab’s auch
gut gespielt. Dani sitzt hinterm Monitor und sagt: ‘Alles ist so
richtig und ich spür nichts.’ Es war extrem. Dann war es so, dass wir
Einstellungen neu eingebaut haben. Ich war total verunsichert. Ich hab
gesagt: ‘Gut, lasst es uns noch mal machen, vielleicht liegt’s doch an
mir.’ Und ich hab’s noch zweimal gespielt und Dani sagte immer: ‘Gut,
gut, aber die Szenen könnt ich streichen, da tut sich nichts bei mir’.
Horror! Dann haben wir angefangen, die Kamera woanders hinzubauen, weil
wir dachten, vielleicht hat’s mit dem Ausschnitt zu tun, vielleicht
musste man was anderes sehen. Dann hab ich das noch mal gespielt, immer
wieder, und zum Schluss haben wir es dann relativ frustriert
aufgegeben. Wir haben gedreht, was wir konnten. Dann haben wir die
Muster auf der Leinwand gesehen und es hat total funktioniert. Erst auf
der Leinwand hat man diese Szene gespürt. Man kann sich also doch immer
wieder in solchen Dingen täuschen.
Gerade die Auflösung ist besonders wichtig für die Geschichte eines
Krimis wie „Meschugge“. Das hab ich gerade jetzt beim Schneiden
bemerkt. Man wird noch einmal mit all seinen Fehlern und Überlegungen
konfrontiert. Das Schlimmste ist, wenn etwas nicht auf dem Film ist,
wenn du siehst, was du vergessen hast.
Wenn man so eine Geschichte erzählt wie „Meschugge“, dann gibt’s
Spannungsfäden, dann gibt’s Szenen, sogenannte Plotpoints, da muss das
Publikum definitiv mitkriegen, was passiert, es muss reagieren. Das
sind die spannenden Momente. Das muss man im Film beeinflussen, man
muss es vorbereiten, indem die Konzentration und Aufmerksamkeit der
Zuschauer durch bestimmte Dinge gelenkt wird. Natürlich durch Musik,
aber auch durch die Auflösung. Es gibt sehr komplizierte
Kameraauflösungen, wo man in dem Moment, wo man’s dreht, nicht genau
weiß, wie es sich überträgt. Man hat ein Bild davon, was das im
Publikum auslöst, das man etwas zeigt, nicht zeigt oder so zeigt. Am
Ende kommt es doch ganz anders. Wenn man die Auflösung nicht so
zusammen mit dem Spiel schafft, dass die Konzentration erhöht oder auf
irgendeinen Punkt geführt wird, dann muss man anfangen, mit der
Fertigstellung des Films zu tricksen. Du musst dir etwas einfallen
lassen, damit der Film das erfüllt, was eigentlich gemeint ist.
Da sind die Regeln in einem Krimi natürlich strikter als in einem
atmosphärischen Film, wo man Dinge anders auffangen kann. Beim Krimi
müssen gewisse Sachen sitzen. Wenn das ein Publikum verpasst, dann hast
du verloren.
Beschäftigt man sich vorher mit dem Genre?
Wir haben das zum Teil viel zu undiszipliniert gemacht. Das
Wahnsinnige an „Meschugge“ war, dass, solange wir für dieses Projekt
gearbeitet haben, so sehr haben sich die Dinge zum Schluss
überschlagen. Wir haben gedacht: ‘Wow, das ist schon irre!’ Wir sind so
lange den Ereignissen hinterhergelaufen und jetzt kommen wir gar nicht
nach, sind viel zu schlecht für gewisse Sachen vorbereitet. Das war
extrem. Zum Teil sind wir in Szenen reingeschlittert, ohne zu wissen,
wo hinten und vorne ist, sozusagen.
Letztlich aber hat sich Dani Levy als Regisseur viele Gedanken über
die Visualität des Films gemacht. Neben seiner Intuität hat er sich
durchaus ein optisches Konzept überlegt. Z. B. in der Kameraführung,
die hier das genaue Gegenteil von „Stille Nacht“ ist: In „Stille Nacht“
war die Kamera auch bewegt, aber immer geführt, alles ist scharf und
durch- choreographiert. Die Kamera bewegte sich wie ein schleichendes
Tier, das alles immer kontrollierte. Bei „Meschugge“ ist es viel
wilder. Da entstehen zufällige Bilder. Im Stil erinnert das viel eher
an „Ohne mich“, ein dokumentarischerer Teil, der auch in der
Durchführung ganz andere Regeln hat.
So wie „Stille Nacht“ gedreht ist, probt man ganz viel, die Kamera
probt ihre Bewegungen, den Rhythmus, als Schauspieler muss man genau
die Macken der Figuren treffen. Bevor man anfängt zu drehen, probt man
ohne Ende.
Bei „Meschugge“ war es improvisierter. Da gab es ganz viel Bewegung
in der Kameraarbeit – was sieht die Kamera, was nicht – es wurde ganz
viel mit der Handkamera gearbeitet, es sind viele Unschärfen drin. Es
ist einfach ein ganz anderer Stil. Es hat etwas Wahrheitlicheres als
diese saubere Komposition von „Stille Nacht“. Um das noch weiter zu führen: Die ursprüngliche Idee von Dani war
sogar, immer mit zwei Kameras zu drehen. Das hätte auch extrem gut
funktioniert. Das gibt dir die Chance, Dinge entstehen zu lassen und
trotzdem schneiden zu können, weil es unterschiedliche, miteinander
kombinierbare Winkel sind, in denen man die Szene filmt. Man filmt
schon den Schnitt/Gegenschnitt. Aber das konnten wir uns nicht leisten.
Bis zwei Wochen vor Drehbeginn war das zweite Kamerateam mit in der
Kalkulation drin. Aus Geldgründen ist es zum Schluss gestrichen worden.
In dem Moment, wo man dokumentarisch dreht und das nur mit einer
Kamera, muss man es viel öfter drehen, um es schneiden zu können. Und
da kriegst du dann Schnittprobleme. Z.B. die Szene, in der Lena bei Win
übernachtet und David kommt hinzu, an dieser Szene ist ein halber Tag
gedreht worden. Ich hab einfach nichts anderes gemacht, als diesen
Gang, Bettlaken um mich rum, hinten stehen, immer mit der Hand an der
Halswunde, immer den Ausbruch und die Sätze. Immer alles gleich. Dass
man es einmal im Film sieht, dafür hab ich’s mindestens zwölf Mal
gespielt.
Hat man nach all den Jahren immer noch Angst, beim Drehen etwas übersehen zu haben?
Ja, ständig. Man hat auch nur in Ausnahmefällen die Möglichkeit zum
Nachdrehen, außer man heißt Wim Wenders. Je mehr Geld du hast, je
berühmter du bist, um so größer wird der Luxus.
Deswegen ist es ja auch so dämlich, wenn so viele Leute denken:
‘Naja, der macht immer so kleine low budget-Filme, der kann mit was
Großem gar nicht umgehen.’ Gerade die Leute, die wenig Geld zur
Verfügung haben, müssen viel besser organisiert sein.
Ich bin der Meinung, dass man sich nicht ausschließlich daran
orientieren sollte, wer Erfolg hat, der bekommt auch Geld. Leute, die
sich diese anderen Filme anschauen, denen bedeuten sie sehr viel. Sie
erzeugen einen anderen Blickwinkel, der für viele Leute essentiell
wichtig ist, auch wenn er nicht so populistisch ist. Man kann sich ja
nicht nur am Mainstream orientieren.
Trotzdem läuft es manchmal über die Verhältnisse hinaus. Ich weiß
nicht, ob in Deutschland wieder eine Filmindustrie entstehen wird. Auf
der anderen Seite besteht man auch auf Kultursubvention. Sollte bei uns
wieder mehr passieren, müssen Studios gefüllt und mehr Leute
beschäftigt werden, das bedeutet, es werden auch mehr Chancen gegeben.
Und Leute, die durch irgend etwas auf sich aufmerksam machen, werden
tatsächlich beachtet.
Es existiert diese landläufig wahnsinnig arrogante Haltung, nach
der manche rausgepickt und andere fallen gelassen werden können. Das
würde mit einer funktionierenden Filmindustrie nicht passieren, weil
sie sich das in der Form gar nicht leisten kann. In Amerika ist das
anders. Beispielsweise Spike Lees Indieproduction „She’s gotta have it“
war in Amerika ein vergleichsweiser Erfolg wie „Du mich auch“ [der
erste Kinofilm von Dani Levy, 1985]. Nach diesem Film hat Dani Levy
keine öffentliche Mark für sein nächstes Projekt „RobbyKallePaul“
erhalten. Es ist keine Filmförderung eingestiegen, obwohl man wusste,
dass „Du mich auch“ mit 250 000 DM der einzige Film war, der neben
einer Produktion von Wenders in Cannes gelaufen ist, über zwei Jahre in
Berlin in den Kinos war und über 200 000 Zuschauer hatte. Das ist ein
Erfolg gewesen. In Amerika wäre der Regisseur unterstützt worden.
Ich finde das schon ziemlich typisch für Deutschland. Was sich in
den letzten Jahren im deutschen Filmbusiness geändert hat, ist, dass es
plötzlich um Geld geht. Die Leute haben das Gefühl, man kann an Filmen
wieder richtig verdienen. Der Erfolg ist ja ganz schön. Das
Selbstbewusstsein wächst, weil die Leute wieder in deutsche Filme
gehen. Was aber in erster Linie die Produktionslandschaft verändert,
ist, dass Leute ein wirtschaftliches Interesse bekommen. In dem Moment,
wo ein wirtschaftliches Interesse herrscht, wird die kulturelle
Subventionspolitik völlig zweitrangig. Wenn jemand Erfolg hat, dann
kann er nicht ohne weiteres unter den Tisch gefegt werden.
Ich habe auch Angst vor dieser Tendenz, dass nur noch Filme
finanziell unterstützt werden, die von vornherein eine Garantie mit
sich bringen.
II. Erarbeitung der Rolle
Inwieweit musstest Du Dich für die Rolle der Lena verändern?
Die neue Frisur im Film ist eine gemeinsame Entscheidung zwischen
Dani, mir und der Maskenbildnerin gewesen. Bei „Aimée und Jaguar“ habe
ich mit der Maskenbildnerin fünf Frisurentests gemacht. Ich wollte mich
auch nicht ständig wiederholen, in „Meschugge“ wollte ich nicht wieder
aussehen wie in „Stille Nacht“. Lena ist auf der einen Seite im
Modegeschäft, kommt aus einem privilegierten Elternhaus, wird aus
Deutschland finanziert – im Prinzip verkörpert sie einen Typ, der sehr
gestylt ist. Wir haben nach dieser Frisur gesucht, es hat ein wenig
gedauert, bis sie uns gefallen hat. Ich finde, so wie Lena jetzt
aussieht, hat sie beides: auf der einen Seite kann sie sehr modisch und
gut aussehen, auf der anderen Seite kann sie auch so unbestimmt dabei
wirken.
Die beiden Figuren, David und Lena, kommen ja aus sehr
unterschiedlichen Welten. Das sind natürlich Gedanken, die man sich
vorher macht: Wie weit ziehen wir sie auseinander –- am extremsten wäre
es gewesen, wenn David der orthodoxe Jude geblieben wäre, wie er
ursprünglich erdacht war. Gleichzeitig muss man aber auch bedenken,
dass es realistisch sein muss, dass die beiden sich ineinander
verlieben. Es muss auch eine Chance dafür vorhanden sein. Die
Geschichte selbst schlägt solche Gruben zwischen beide durch all das,
was sie voneinander herausfinden. Dass Davids Mutter aus Lenas Familie
heraus ermordet wird, ist eine solche Barriere für eine
Liebesgeschichte, die schon so groß ist. Dann findet Lena noch heraus,
dass sie gar nicht die ist, die sie immer dachte. In was für eine
Identitätskrise sie damit gestürzt wird. Trotzdem unternimmt David
diesen Schritt, sie zu lieben. Zum Schluss gibt sie ihm mit ihrer Kette
ihre ganze jüdische Identität, sie verabschiedet sich von ihrem
bisherigen Dasein mehr oder weniger. Trotz allem überlebt diese
Liebesgeschichte. Das muss man zeigen. Man muss gleichzeitig den
Unterschied und die Chance klar machen, dass es tatsächlich passiert.
Das beschreibt man natürlich auch über Äußerlichkeiten.
Angenommen, ich hätte mir die Haare geglättet, supergestylt und
immer gutaussehend, dann wäre die Figur der Lena viel hermetischer
geworden. Wir haben z.B. Kostümproben gehabt, da sah ich völlig
abgedreht aus. Am Anfang sind die Kostümbildnerin und ich durch New
York getobt und haben tolle Kostüme gefunden, die schrill waren und
sich schwer einordnen ließen, fast so ein bisschen Paradiesvogel, wilde
Kombinationen, wo man denkt: ‘Wow, was für eine auffällige Frau!’ Lena
hat insgesamt vierzehn Kostüme, d.h. sie sieht vierzehn Mal anders aus.
Das hat uns in die absolute Krise gestürzt. Wir mussten für jede
Situation etwas finden. Wir haben die Sachen Dani gezeigt und der hat
gesagt: ‘Nein, das gefällt mir alles nicht.’ Wir waren völlig perplex.
Dann haben wir angefangen, lange darüber zu reden und er hat recht
gehabt. Dani hat gesagt: ‘Wenn die so stark und kräftig angezogen ist
und sich schon einen so eigenen Stil entwickelt hat, dann sind diese
ganzen Unsicherheiten, die in der Figur existieren – dass sie sich
selbst noch nicht so richtig gefunden hat – dass sie immer noch unter
der Knute ihrer Mutter steht und noch immer bei einer Verwandten in New
York wohnt, dass sie sich nicht so richtig wohlfühlt in dieser
beruflichen Fashion-Welt, dass sie angezogen und fasziniert ist von
David und seiner Familienwelt auf der Beerdigung – das wäre alles sehr
viel schwieriger gewesen zu zeigen. Auch dass David sich in sie
verliebt, weil sie auch eine offene Person auf der Suche ist. Wenn in
dem Krankenhaushof, nachdem die Mutter gestorben ist, dem David jemand
gegenübergestanden hätte, der beeindruckend gestylt gewesen wäre, dann
wäre der Zugang zu ihm viel schwieriger gewesen.
Diese verschiedenen Aspekte muss man bedienen durch Optik, durch
Kostüme, Maske und danach erst durch Spielen. Du musst ja versuchen,
dich in deiner Idee als Schreiberin und in deinem Spiel als
Schauspielerin zu unterstützen, durch diese Sachen. Das war bei
„Meschugge“ nicht einfach.
Genauso wie die Figur von David. Wenn man sich die Juden in New
York anschaut, die haben alle dunkle Anzüge an mit weißen Hemden – die
Uniform ist schon gegeben und es ist realistisch, dass die oft dieses
ganz normale Outfit haben. Auf der anderen Seite haben die meisten
schäbige Anzüge an, die sie nicht gut kleiden. So haben wir bei David
probiert, ihn ein bisschen attraktiver als die Realität aussehen zu
lassen, mit der Frisur, seinem Anzug und wie sein Hintern darin
aussieht. Das man einerseits realistisch bleibt, andererseits ihn aber
auch als Kinofigur attraktiv gestaltet. Man muss immer darauf achten,
dass ein Publikum auch Lust hat, den Mann hundert Minuten anzuschauen.
Das ist nicht einfach.
Welche Bedeutung hat Hameln?
Ursprünglich hatte es natürlich etwas mit der
Rattenfängergeschichte zu tun. Jetzt ist es etwas in den Hintergrund
gerutscht. Die ganze Idee dieser Ratte war in den früheren
Drehbuchfassungen viel stärker angelegt. Die Ratte als Symbol für das
Geschäft der Goldbergs, die als Hameln-Ansässige Pralinen in Rattenform
herstellen, das war praktisch Symbol und Wiedererkennungseffekt. Dass
die Ratte in Hameln gleichzeitig etwas Unheimliches haben kann, war in
einigen Drehbuchfassungen noch viel eklatanter verankert, als das jetzt
der Fall ist.
Das sind auch Dinge, wo wir zum Teil Fehler gemacht haben. Wo man
merkt, dass das alles mal eine gute Idee war, die aber filmisch nicht
überzeugend umgesetzt worden ist, wie es das Drehbuch verlangt hätte.
Dann muss man Kompromisse machen. Der Film entwickelt irgendwann eine
Eigendynamik, in der man bestimmte Dinge nicht mehr steuern kann und
einem Sachen misslingen.
Mich interessieren diesbezüglich auch andere Filmemacher, wie die
damit umgehen: ob die sich akribischer vorbereiten oder sich mit viel
Aufwand selber korrigieren, indem sie nachdrehen o.ä.
Was gab den Zuschlag für New York?
Diese Geschichte ist nirgendwo anders denkbar als in New York. Dass
Davids Mutter aus Nazideutschland flieht und sich woanders mit einer
derartigen jüdischen Identität eine neue Existenz aufbaut, ist nur in
Israel oder New York möglich. Natürlich hätte man auch die Schweiz
nehmen können, wobei dann der Aspekt unglaubhaft würde, dass sie 50
Jahre lang dachte, ihr Vater sei tot und sie dann nicht hätte viel
früher selber recherchieren können usw. Das musste schon dieser
geographische Abstand sein. Die Mutter hatte mit dem Kapitel ihrer
Kindheit total abgeschlossen. Plötzlich kommt über die Zeitung eine
Nachricht aus Deutschland nach Amerika, die sie damit wieder
konfrontiert. Das braucht diese Ferne.
Die Liebesgeschichte zwischen David und Lena war die erste,
ursprüngliche Idee von Dani. Sie sollte in eine Krimigeschichte mit
historischem Hintergrund verwoben sein. Lena und David sind zwei
Figuren unterschiedlicher Herkunft, die unsere moderne Generation
verkörpern, die das Gefühl haben, in Freiheit zu leben und sich selber
bestimmen zu können.
Die Lena entschließt sich in New York zu leben, sie hat eigentlich
alle Möglichkeiten: sie sucht sich den boyfriend, den sie will, wohnt,
wo sie will und ist eigentlich ein freier Mensch. Erst über den Film
erfährt sie, wie sehr sie von der schicksalhaften Geschichte ihrer
Familie beeinflusst ist. Es passieren ja Fehler, diese Wiederholungen:
dass ihre Mutter versucht, das Geheimnis ihrer Kindheit zu bewahren und
deswegen nach New York fliegt, um ihre alte Freundin Ruth zu bestechen,
dann passiert dieser schreckliche Unfall. Sie tut alles, um ihr
Geheimnis zu bewahren. Deswegen wird sie zur Mörderin und Lena auch.
Obwohl sie das Gefühl hat, längst über die Verstrickungen ihrer Mutter
hinausgewachsen zu sein. Eigentlich muss sie sich erst im Verlaufe des
Films zu einem freien Menschen entwickeln. Dem David geht es ähnlich.
Ich fand es immer spannend und interessant. etwas über die eigenen
Wurzel zu erfahren. Darin liegt auch ein Widerspruch: Lena will in
dieser Form nicht davon gefangen sein, sie will eigentlich frei sein
und verfängt sich doch immer mehr. Sie wirkt wie ferngesteuert und
macht schreckliche Dinge. Am Ende gelingt es ihr jedoch, zu sich zu
finden. Deswegen ist es für mich im Gegensatz zu „Stille Nacht“ ein
viel positiverer Film, der an die Kraft des Einzelnen und dessen
Entscheidungsfähigkeit glaubt.
Als David zum Schluss die Geschichte vom Hund erzählt, der auf die
andere Seite des Sees will, da ist es David, der in dem Moment gegen
alle Verbote angeht. Das finde ich poetisch. Es ist eine echte,
jüdische Geschichte. Ich finde die einfach super! Das ist der Glaube an
die absolute Kraft der Liebe. Der politische Aspekt dieser ganzen
Geschichte wird hingegen wahnsinnig düster erzählt. Der Drahtzieher
dieser Geschichte kommt völlig ungeschoren davon und dass die Mutter
der Lena diejenige ist, die ihr ganzes Leben darunter als Tochter
leidet. Wer von den Naziverbrechen maßgeblich beeinflusst wurde, das
war die nächste Generation. Wir haben lange darüber nachgedacht, ob wir
das wirklich machen sollen.
Wie verhält es sich mit Sprache der Figuren, der ja im
englischen Originalton aufgenommen wurde, bis auf die Szenen in
Deutschland?
Es ist wichtig, dass Lena einen deutschen Akzent hat. Dabei mache
ich auch Fehler im Englischen, bei Dingen, die man wirklich nur als
Deutscher so sagen würde. Es liegt in der Geschichte, dass Lena nicht
völlig akzentfrei sprechen darf. So brauchte ich keinen zusätzlichen
Sprachcoach. Ich glaube nicht, dass sich das amerikanische Publikum
damit schwer tun wird, sondern eher dann, wenn man bei Dani noch diesen
ausländischen Akzent hören würde. Er muss als David ein richtiges,
amerikanisches Englisch sprechen Daran wird er jetzt noch total
arbeiten. Es werden noch zusätzliche Textstellen in Englisch
nachsynchronisiert, in denen man momentan noch seinen Akzent hört. Für
Deutschland wird der ganze Film in Deutsch synchronisiert.
III. Regisseur und Darsteller
Gab es vorher Kontakte zu den anderen Schauspielern?
In Amerika ist das sehr kompliziert. In dem Moment, wo man es mit
namhaften Schauspielern zu tun hat, spricht man erst einmal nur mit
Agenten. Man fliegt nach New York und schickt das Buch zum Agenten.
Wenn man Glück hat, liest es der Schauspieler, weil es ihm der Agent
empfiehlt usw. . Ich muss sagen, es hat in diesem Falle sehr viel mit
David Strathirn zu tun gehabt, dem Darsteller des Kaminski. Bei ihm war
es viel unkomplizierter. Er hat sich sehr schnell selber eingeschaltet
und sein Interesse bekundet. Das war ein Riesenglück für uns, weil er
wirklich sehr gut ist.
Mit den anderen Darstellern ist es anders gewesen. Deutschland
unterscheidet sich auch darin von Amerika. Hier ist es so, dass wir die
Schauspieler ein bisschen kennen. Ich bin so dankbar, dass Nicole
Heesters die Rolle der Mutter übernommen hat, ich finde sie so gut. Das
ist eine der schwersten Rollen im Film. Sie agiert ja nur in
hochemotionalen, dramatischen Szenen. Dani hat mehrere
Schauspielerinnen getroffen und mit allen an der Rolle gearbeitet.
Gemeinsam haben wir uns dann für die Heesters entschieden. Insgesamt sind wir über alle Darsteller so richtig glücklich. Es
ist ein ziemlich gutes und einheitliches Spiel. In Amerika lief die
Schauspielerauswahl über eine Casting-Agentur. Dort haben diese Firmen
einen viel wichtigeren Status als hier in Deutschland. Ohne die kommt
man an keinen Schauspieler ran. Alles trifft sich dort. man schickt
sein Buch an die Agentur und die sagen dann: ‘Ja, das interessiert uns,
das machen wir.’ Da hatten wir Glück, weil unsere Casting-Agentur
bereits riesige Filme gemacht hat, wie z.B. „Seven“. Sie sind relativ
bekannt, das bedeutet, wenn die einen Agenten anschreiben, ist es
wiederum für die Agenten interessant. Grundsätzlich war es für uns
toll, in Amerika als Nobodies zu drehen. Niemand kannte uns, niemand
weiß, wer Dani Levy und Maria Schrader sind. Du kommst eben dahin mit
dem Buch, es gefällt den Leuten oder es gefällt denen nicht. Wenn es
ihnen gefällt, treffen die sich mit dir, dann gefällst du ihnen oder
nicht und so entsteht eine Zusammenarbeit oder nicht. Das finde ich
sehr angenehm, weil die ganze Heuchelei wegfällt, es ist pur: entweder
es interessiert oder nicht. Es ist ganz jungfräulich, dass man sich
trifft und kaum etwas voneinander weiß. Man unterhält sich und
entscheidet sich dafür oder dagegen, völlig wertfrei Das fand ich sehr
angenehm.
Und wir hatten tatsächlich großes Glück, dass das Buch und die
Geschichte gut ankamen. All diese Leute, die mitspielen, sind sehr
bekannte Schauspieler. Geoffrey Wright als Win, der vorher den
„Basquiat“ gespielt hatte, ist nur noch in großen Filmen zu sehen. Lynn
Cronen, die die Mutter von David spielt, hat in zwei Woody Allen-Filmen
mitgespielt und große Theater- und Filmprojekte gemacht. Das sind alles
bekannte Leute, die das nicht wahnsinnig nötig hätten, bei uns
mitzuwirken. Die haben alle unter ihrer Gage gearbeitet, weil sie dazu
Lust hatten. Und das ist natürlich eine tolle Voraussetzung gewesen.
Vor allem wenn es kleine Rollen sind, werden die Leute direkt
besetzt über die Tapeansichten. Oder Dani sagt: ‘Okay, mit der will ich
mich treffen ...’, wie z.B. bei der Rolle der Sarah Singer. Die Juden
auf der jüdischen Beerdigungsfeier wurden als Typen besetzt, um dem
Milieu zu entsprechen.
Wieso ist der Schiffsplot rausgeflogen?
(In den ersten Drehbuchfassungen fand ein großer Teil der Handlung
auf einem Ozeandampfer statt, auf dem sich Lena und David als blinde
Passagiere nach Deutschland einschiffen. Während dieser Überfahrt
setzen sie ihre Nachforschungen fort und werden dabei aufgespürt.)
Diese Idee haben wir nicht aus kostentechnischen Gründen abgesagt,
sondern weil sich die Geschichte so verändert hat, dass wir den
Schiffskomplex nicht mehr gut fanden.
Das Schiff war lange ein Bild für die Vermischung von Traum und
Wirklichkeit, als Sinnbild für die Zeitreise, für das Schiff, mit dem
Davids Mutter angekommen ist, für die wiederkehrenden Träume Davids, wo
er am Pier ist, das Schiff kommt an und er sucht seine Mutter als
kleines Mädchen. Auch für Kaminski, als der in dieser Golem-Figur noch
der Untote aus der jüdischen Mythologie war, gehörte das Schiff so ein
bisschen als Gefährt dazu.
Im Laufe der Drehbuchfassungen ist die Geschichte viel heutiger,
sachlicher, trockener, glaubwürdiger geworden. All dieses Traumhafte
ist weg und damit ist auch der Schiffsplot gefallen.
War die Wiedergabe des jüdischen Milieus schwierig?
Nein. Erstens ist es ja nicht so breit im Film verankert. Es ist ja
wirklich nur diese Phase der Beerdigung. In dieser Situation ist Dani
zu versiert, als dass es Komplikationen geben könnte. Zum anderen
hatten wir es auch mit Leuten zu tun, die authentisch sind, der Rabbi
war ein echter Rabbi usw. Da gab es keine Berührungsängste. Es ist
keine Frage, wie gläubig oder ungläubig du bist. In dem Moment, wo du
Jude bist, bist du Jude. Als Dani sich in den Gesängen unsicher war, er
sie lernen und üben musste, dann sind die Juden sofort da gewesen und
haben geholfen und korrigiert. Sie waren wahnsinnig daran interessiert,
dass er das schafft und sie ihn dabei unterstützen können. Das ist
typisch jüdisch.
Grundsätzlich herrscht eine große Offenheit. In dem Moment, wenn
Juden unter Juden sind, entsteht sofort eine familiäre Atmosphäre. Egal
wie religiös oder unreligiös du bist.
Habt Ihr beim Drehen improvisiert oder verlief alles nach Drehbuch?
Beim Drehen selbst haben wir verhältnismäßig wenig geprobt, weil
das Pensum riesig war. Wir hatten nicht die Ruhe und Freiheit wie bei
„Stille Nacht“. Der Dreh ist irrsinnig hektisch gewesen, es kam
bestimmt immer etwas Unvorhergesehenes dazwischen. Wir waren immer von
Zeitnot bestimmt. Zum Teil war das auch furchtbar. Als wir dieses
Drehbuch geschrieben haben, hatte man gewisse Dinge vor Augen. Ich habe
noch Stapel von den Entwürfen. Doch dann kommt man an den Drehort und
weiß, man hat anderthalb Stunden, und wenn man es in dieser Zeit nicht
schafft zu drehen, dann wird es nie gedreht. Von allem, was du dir
vorgestellt hast, musst du dich dann verabschieden oder kannst nur
hoffen, dass es irgendwie funktioniert – mit der richtigen Idee zum
richtigen Zeitpunkt. Es war alles sehr abenteuerlich. In New York
hatten wir 28 Drehtage. Wie haben nicht in Hameln gedreht, sondern in
Köln und in der Nähe von Bonn. Insgesamt haben wir in Deutschland noch
einmal 10 Tage gedreht.
Es wurde nicht in zeitlicher Abfolge gedreht. Mir wurde z.B. die
Brandwunde am Hals geschminkt und die entsprechenden Szenen gedreht,
bevor es am Set das Feuer für die jeweilige Szene gab. Wir sind während
der Dreharbeiten ganz schön kreuz und quer gesprungen, das war
abenteuerlich. Ich habe manchmal vor dem Ganzen solche Angst gehabt,
weil es einen Zeitdruck gab, der einem auch oft den Spaß verderben
konnte.
Eigentlich hätte alles spaßig, entspannt und schön sein können,
wenn es nicht immer das Gefühl gegeben hätte: ‘Wir sind zu spät, wir
schaffen das nicht ...’ In dieser Not hat man Dinge viel zu schnell
machen zu müssen oder ganze Konzepte über den Haufen geworfen. Alles
was Dani sich schön mit der Kamera ausgedacht hatte, das haben wir
teilweise nicht geschafft, weil es nur schnell gehen musste. Trotzdem
habe ich gespürt, wie sehr es uns geholfen hat, dass wir uns so lange
mit dem Stoff beschäftigt haben, dass wir so viele Fassungen
geschrieben und die richtigen Entscheidungen getroffen haben. Es war
wie die Saat ernten. Es war schön, wir haben uns dabei richtig gut
verstanden. Und ich glaube, es war auch für die anderen einfach, mit
uns zusammenzuarbeiten. Es war überhaupt nicht so ein Pärchen-Hickhack.
C.
I. Ausdrucksbedürfnisse in der Massenkommunikation und
II. Funktionen von Darstellerinnen in der Wertorientierung sozialer Gruppen
Glaubst Du, dass dieser Film ein großes Publikum findet bzw. sich das Publikum damit identifiziert?
Was das betrifft, so habe ich vor ein paar Jahren diesbezüglich
meine Naivität verloren. Ich wünsche mir, dass die Leute einen guten
Krimi sehen und Spaß haben, den Film zu sehen. Und das es erst im
zweiten Atemzug um das Thema der Nazivergangenheit geht und all das.
Genauso kann ich mir aber auch vorstellen, daß der Film schon als
‘jüdisch-deutscher Ethnofilm’ angekündigt wird und die Leute gar nicht
reingehen.
Legt man den Schwerpunkt auf die Auseinandersetzung mit der
Nazizeit, dann glaube ich, dass man gleich die leeren Kinos hat. Vom
Konzept her steht mehr die Liebesgeschichte im Vordergrund, aber
natürlich anhand einer deutsch-jüdischen Geschichte.
Für mich ist das schon immer ein Thema in meinem Leben gewesen,
schon ganz früh. Auch durch das Zusammenleben mit Dani. Ich kann
Desinteresse und auch diese Übersättigung bei Leuten nicht so richtig
teilen. Ich kann Allergien teilen, die man hat, was moralisch-betuliche
Aufklärungswerke betrifft à la Atze Brauner: ‘die bösen Deutschen und
die armen Juden’. Das geht mir irrsinnig auf die Nerven. Ich finde sie
undifferenziert und unklug, weil doch alles in diesem Land von dieser
Zeit beeinflusst ist, auch das Bewusstsein von Leuten unserer
Generation. Diese ganze Diskussion, warum die Deutschen keine richtigen
Galaveranstaltungen hinkriegen, das hat in meinen Augen alles damit zu
tun. Deshalb werden sie sich nie in einer Form feiern können wie die
Amerikaner beim Oscar.
Für Dani und mich war es auch immer ein Anliegen, aus dieser
Generation heraus einen Film über diese Zeit zu machen. Ich behaupte
auch, dass „Meschugge“ einen ganz anderen Ansatz hat. Der geht viel
interessanter mit diesen Streitigkeiten von Schuld und Unschuld,
Erbschaft und scheinbarer Freiheit um. Dieser Film konnte erst jetzt in
den 80/90ern gemacht werden und nicht in den 50/60ern, in der
Generation, wo Brauner groß wurde. Das ist das Interessante an dem
Film, obwohl das Thema der Nazivergangenheit die Allergie ist, auf die
man stößt. Das ist der Publikumskiller schlechthin. Ich hoffe, dass das
Krimigenre und die Liebesgeschichte die Leute anziehen.
Trotzdem, ich glaube nicht, dass man sich so völlig frei aussuchen
kann, was man macht und für welche Leute man es macht. Ich werde nie
einen Film machen, der sich der Komödienwelle anschließt. Das will ich
aber nicht werten, sondern ich glaube, ich würde es gar nicht
hinkriegen. Ich würde es gar nicht können, weil ich anders bin, genauso
wie andere wieder anders sind. Sönke Wortmann könnte auch nie
„Meschugge“ schreiben, da könnte der machen, was er wollte, das könnte
der nicht, oder Detlef Buck. Erstens, weil die Orientierung eine ganz
andere ist, das finde ich auch gut so. Genauso könnte ich mir auch nie
„Männerpension“ ausdenken. Selbst wenn ich es mir vornehmen würde, eine
Komödie wie „Allein unter Frauen“ zu machen, ich glaube nicht, dass ich
das schreiben könnte. Ich denke, man ist da doch von seiner eigenen
Geschichte und seiner Erziehung geleitet. Deswegen kann es sein, dass
ich nie Filme machen oder selber schreiben werde, die ein wirklich
großes Publikum erreichen.
Natürlich wünschen wir uns, dass viele Leute den Film sehen wollen,
dass sie Lust haben, einen guten Krimi zu sehen und dabei auch noch
eine Liebesgeschichte mit serviert bekommen. Wie viele Krimis schau ich
mir an, von denen ich die letzten zwanzig Minuten einfach in den Müll
werfen kann, weil mir ein Plot verkauft wird, der so schlecht gemacht
und einfach billig ist. Natürlich wünsche ich mir, dass die Leute
„Meschugge“ sehen wollen, weil sie denken, dass es ein guter Film ist
und sie nicht enttäuscht werden. Doch ob das klappen kann, weiß ich
nicht. Ich kann es selber nur so gut machen, wie ich glaube.
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