Thema | Kulturation 2/2005 | Deutsche Kulturgeschichte nach 1945 / Zeitgeschichte | Lina Elter | Das sozialistische Frauenbild im DDR-Gegenwartsfilm (1971 - 1989)
| 1. Einleitung
(Untersuchungsgegenstand - Fragestellung - Vorgehensweise )
2. Das Frauenleitbild der SED – politisch-Ideologische Grundlagen
(Die Frau in der Ära Honecker - Die Frau im Beruf und in der Familie - Die Frau in der Familie)
3. Kulturpolitik und Film in der DDR
(Die Siebziger: Enttäuschte Hoffnungen - Die Achtziger: Erstarrung und Resignation)
4. Das Frauenbild in ausgewählten DDR-Gegenwartsfilmen
„Der Dritte“ von Egon Günther (1972)
(Gleichberechtigung im privaten Bereich – Eine Frau zwischen beruflicher Souveränität und Passivität in der Intimsphäre)
„Leben mit Uwe“ von Lothar Warneke (1974)
(Mehrfachbelastung durch Beruf und Familie - Zurückstecken einer Frau für die Kinder und den Beruf ihres Ehemannes)
„Bis dass der Tod Euch scheidet“ von Heiner Carow (1979)
(Selbstverwirklichung gegen den Willen des Mannes - junge Frau in den Grenzen einer traditionellen Ehe)
„Bürgschaft für ein Jahr“ von Herrmann Zschoche (1981)
(Gesellschaftliche Anforderungen und eigener Lebensstil – Unangepasste Heldin mit individuellem Glücksanspruch)
„Das Fahrrad“ von Evelyn Schmidt (1982)
(Ungleiche soziale Stellungen in der Gesellschaft – sozial benachteiligte Frau als nicht gleichberechtigte Partnerin)
„Kaskade Rückwärts“ von Iris Gusner (1984)
(Selbstverständliche Emanzipation und daraus folgende Möglichkeiten
- Frau mit selbstbewusstem Anspruch und dessen aktiver Umsetzung)
5. Fazit: Frauen im DDR-Film – Fortgeschrittene Emanzipation aber keine Gleichberechtigung
Anmerkungen
Quellen- und Literaturverzeichnis
1.
EINLEITUNG
1.1. UNTERSUCHUNGSGEGENSTAND
Seit der Wiedervereinigung Anfang der neunziger Jahre besteht ein
verstärktes Interesse an der Geschichte der Deutschen Demokratischen
Republik (DDR). Im Mittelpunkt der wissenschaftlichen Forschungen stand
lange Zeit das Herrschaftssystem der Sozialistischen Einheitspartei
Deutschlands (SED). Inzwischen hat sich der Fokus geweitet und es
werden immer mehr auch Fragen der Sozial-, Kultur- und
Gesellschaftsgeschichte einbezogen.[1] Dieser Tendenz folgt auch die
hier vorliegende Arbeit, die sich mit der Geschichte der Frauen und des
Films in der DDR beschäftigt. Dabei wird insbesondere das offiziell
propagierte sozialistische Frauenleitbild der Ära Honecker und die
Auseinandersetzung mit diesem in ausgewählten Gegenwartsfilmen
untersucht. Es soll, ausgehend von der Frauenpolitik der SED,
herausgearbeitet werden, welches Frauenbild die DEFA-Spielfilme dieser
Zeit zeigten, und dieses mit den politisch-ideologischen
Verlautbarungen der DDR-Führung verglichen werden. Damit wird ein
Ausschnitt der Kultur- und Sozialgeschichte der DDR in den siebziger
und achtziger Jahren dargestellt. Mit dieser Untersuchung soll auch
dazu beigetragen werden, die Frage zu klären, inwieweit der
Gegenwartsfilm der Ära Honecker in der Lage war, Widersprüche zwischen
der offiziellen Gleichberechtigungspropaganda und dem Alltag der
DDR-Frauen kritisch aufzugreifen.[2] Die zeitliche Eingrenzung des
Themas auf die Ära Honecker ist unter anderem durch folgende Aspekte
begründet. Erst Ende der sechziger Jahre wandten sich Filmemacher [3]
in der DDR zunehmend dem Gegenwartsfilm zu und Frauenschicksale
spielten dann auch erst seit Anfang der siebziger Jahre in Spielfilmen
der Deutschen Film AG (DEFA), des staatlichen, monopolistischen
Filmbetriebs der DDR, vermehrt eine Rolle.[4] Außerdem schien der
Machtwechsel von Walter Ulbricht zu Erich Honecker im Jahre 1971 für
eine Weile neue kulturpolitische Perspektiven zu eröffnen. Das
bedeutete, dass sich unter anderem auch Filmschaffende stärker
getrauten, Tabus zu thematisieren und Kritik an der politischen und
gesellschaftlichen Ordnung in ihren Spielfilmen anzudeuten.[5] Hinzu
kam, dass die SED seit Beginn der siebziger Jahre die Vereinbarkeit von
Beruf und Mutterschaft propagierte. Es galt das neue sozialistische
Leitbild der werktätigen Frau und Mutter, das mit vielen
sozialpolitischen Maßnahmen verbunden wurde. Damit sollte dem Trend
entgegen gewirkt werden, dass die Überbelastung der Frauen im Alltag
vor allem zu einer rückläufigen Geburtenzahl, einer hohen
Scheidungsrate und zu vermehrter Teilzeitarbeit führte.[6] „Die
gesellschaftlich engagierte, hochqualifizierte, im Beruf anerkannte
Mutter von – möglichst – drei Kindern war die Heldin der letzten beiden
Jahrzehnte der DDR.“[7] Dieses offiziell propagierte Leitbild und die
damit einhergehende Mehrfachbelastung wurde aber unter anderem von
Wissenschaftlerinnen, Schriftstellerinnen und Bürgerrechtlerinnen sowie
von ganz „normalen“ Frauen zunehmend kritisch und selbstbewusst
hinterfragt. Dabei wurde auch auf die Beschränktheit der
Gleichberechtigungsidee aufmerksam gemacht, soweit sich diese nur auf
die gleichberechtigte Teilnahme der Frauen an bezahlter
Produktionsarbeit bezog und nicht auch auf die Gleichberechtigung in
Ehe und Familie.[8] Leitbilder werden in dieser Arbeit definiert als
„Ideal- bzw. Normvorstellungen staatlicher Entscheidungsträger“, die
das Ziel haben „normierend und strukturierend auf individuelle
Lebensentwürfe“ einzuwirken.[9] Frauenleitbilder waren somit von der
SED festgelegte Zielvorstellungen, die den Lebenskonzepten der
DDR-Frauen die Richtung weisen sollten. Als ein der sozialistischen
Gleichberechtigungsidee entgegengesetztes, aber deswegen in dieser
Arbeit relevantes Konzept können bürgerliche bzw. traditionelle
Vorstellungen von Geschlechterrollen gelten. Diese werden hier
definiert als durch die bürgerliche Gesellschaft des 19. Jahrhunderts
geprägte Erwartungen hinsichtlich der für Angehörige des weiblichen und
männlichen Geschlechts typischen und angemessenen Verhaltensweisen. Für
die Frau bedeutet dies die Unterordnung unter den Mann in
patriarchalischen Ehe-oder Familienstrukturen. Frauen sind dabei sozial
und ökonomisch von den Männern abhängig und vor allem für den
häuslichen und familiären Bereich zuständig.[10] Patriarchalismus wird
hier nach Max Weber definiert als persönliche und direkte Herrschaft,
die politische Repräsentation und die Verfügungsgewalt unter anderem
über Arbeit und Sexualität aller Beherrschten einschließt. Das
patriarchalische Verhältnis wird seiner inneren Struktur nach
charakterisiert als ein Gewaltverhältnis getragen durch die Ambivalenz
von Fürsorge und Gewalt.[11] Die Diskrepanz zwischen der gesetzlich
postulierten Gleichberechtigung der Frau und der Realität im
beruflichen und privaten Bereich wurde gerade im Gegenwartsfilm der
siebziger und achtziger Jahre stark thematisiert. In der Kunstform Film
konnte trotz aller staatlichen Kontrollen eine Art
„Ersatzöffentlichkeit“ geschaffen werden, in der eine Diskussion über
die Probleme in der Gesellschaft und in den zwischenmenschlichen
Beziehungen, zumindest im Subtext und in der Bildsprache möglich war.
Gerade die DEFA-Filme mit weiblichen Heldinnen, die sogenannten
„Frauenfilme“, versuchten, Seismographen gesellschaftlicher Zustände zu
sein.[12] Somit lässt sich von den „Frauenfilmen“ zwar nicht
unmittelbar auf die historische Realität schließen, aber in den Filmen
zeigen sich zeit- und gesellschaftsgebundene Bilder, die untrennbar mit
den (frauen-) politischen Zuständen der DDR dieser Zeit verbunden sind.
Die für die Analyse ausgesuchten Filme wurden auf Grund ihrer
frauenspezifischen Thematik gewählt, des weiteren war wichtig, dass die
Filme sich viel mit dem Alltagsleben ihrer Frauenfiguren beschäftigen.
Es wurde zusätzlich darauf Wert gelegt mit der Filmauswahl einen
gewissen zeitlichen Überblick über die in den Siebzigern und Achtzigern
entstandenen „Frauenfilme“ zu geben. Außerdem sollten Filme von
weiblichen Regisseuren vertreten sein, obwohl nur sehr wenige
Regisseurinnen in der DDR die Chance erhielten diesen Beruf erfolgreich
auszuüben.
Bei der Auswertung der Filme ist zu beachten, dass sich die
möglicherweise enthaltene Kritik nicht gegen die Idee des Sozialismus
richtet. Die Filmemacher als Teil der sozialistischen Gesellschaft
erkannten an, dass in der „Frauenfrage“ schon viel erreicht war. Es
ging vielmehr darum, einen schon erreichten sozialistischen
Entwicklungsstand zu propagieren und daraus für die Frauen
resultierende neue Probleme anzusprechen.[13] Dass in den Filmen das
Frauenleitbild dieser Zeit zum Teil propagiert wird, hängt aber vor
allem damit zusammen, dass es in der DDR nicht möglich war, Filme zu
zeigen, die nicht von staatlicher Seite gebilligt wurden und wenigstens
auf den ersten Blick mit den ideologischen Vorgaben der SED
übereinstimmten.
FRAGESTELLUNG UND VORGEHENSWEISE
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der SED-Frauenpolitik
und dem Frauenleitbild der letzten zwei DDR-Jahrzehnte sowie mit der
Frage, welches Frauenbild der Gegenwartsfilm dieser Zeit zeichnete.
Dazu werden die ausgewählten DEFA-Spielfilme im Vergleich zu den
offiziellen Rollenvorgaben und Normen ausgewertet. Die Auswertung soll
hinsichtlich der filmspezifischen Bildsprache, der Figuren und der
Aussage der Dialoge erfolgen. Die zu verwendenden Filmzitate werden
direkt von den jeweiligen Filmen übertragen, da für die ausgewählten
Filme keine endgültigen Drehbuchfassungen erhältlich sind. Bei der
Analyse der Filme soll auch versucht werden, das in Regimeherrschaften
oft angewandte Mittel der „verschlüsselten“ Botschaft, zum Beispiel
kleine Anspielungen oder ironisierte Redewendungen, aufzudecken.[14]
Dabei soll festgestellt werden, was die Filmemacher als den erreichten
sozialistischen Stand der Frauen ansahen bzw. welche Aspekte des
Frauenleitbilds sie in ihren Filmen propagieren. Vor allem soll aber
die implizite System-und Gesellschaftskritik, die anhand von
Problemdarstellungen in den verschiedenen „Frauenfilmen“ dieser Zeit
deutlich wird, herausgearbeitet werden. Es soll damit gezeigt werden,
inwieweit und an welchen Stellen das ideologische Frauenleitbild der
DDR und die propagierte Gleichberechtigung als nicht mit der Realität
übereinstimmend erachtet wurden. Im Rahmen dieser Abhandlung soll daher
auf folgende Fragen eingegangen werden:
- Wie sahen die Frauenpolitik der SED und das offizielle Frauenleitbild in der Ära Honecker aus?
- Inwieweit war der Film als Teil der Kultur in der DDR trotz aller
Kontrolle in der Lage, Aspekte der gesellschaftlichen Verhältnisse als
problematisch darzustellen? - Was sahen die Filmemacher als von den Frauen erreichte Errungenschaften?
- Werden Aspekte des Alltaglebens und des privaten, sozialen oder
beruflichen Bereichs von Frauen in den ausgewählten Filmen als
problematisch dargestellt, gegebenenfalls welche, und zu welchen
politisch-ideologischen Verlautbarungen der DDR-Führung stehen sie im
Kontrast? - Welche Defizite werden bei der Gleichberechtigung von Mann und
Frau sichtbar und inwieweit lassen sich daraus Schlüsse ziehen, ob die
laut SED propagierte Gleichstellung der Geschlechter wirklich erreicht
war?
Die Analyse dieser Arbeit beginnt mit einer kurzen Darstellung der
politisch¬ideologischen Grundlagen des SED-Frauenleitbilds. Ausgehend
davon wird ausführlicher auf die Frau in der Ära Honecker eingegangen.
Dabei soll unter anderem geklärt werden, was die ideologischen,
politischen und ökonomischen Grundlagen des Frauenleitbilds der letzten
zwanzig Jahre der DDR waren. In diesem Zusammenhang werden auch die
sozialpolitischen Maßnahmen erörtert, die die Frauenpolitik dieser zwei
Jahrzehnte begleiteten. Danach sollen die kulturpolitischen Leitlinien
der SED in den siebziger und achtziger Jahren und die künstlerischen
Tendenzen im DDR-Filmwesen dieser Zeit dargelegt werden. Dabei soll
auch die staatliche Kontrolle der DDR-Filmproduktion behandelt werden,
um die Spielräume für kritische Andeutungen und Aussagen in Filmen
dieser Zeit einschätzen und um den Gegenwartsfilm mit seinen
Entstehungsbedingungen einordnen zu können. Im Hauptteil der Arbeit
werden die sechs ausgewählten Spielfilme idealtypisch der bestimmenden
frauenspezifischen Problematik des Films zugeordnet. Das heißt, dass
anhand jedes Films hauptsächlich ein thematisches Problem aus der
Lebensrealität von Frauen analysiert und in Vergleich zu den frauen-
und sozialpolitischen Postulaten der SED gesetzt werden soll. Diese
Vorgehensweise ermöglicht die Konzentration auf je einen Lebensaspekt
von Frauen in der DDR und die dazugehörigen politischen Vorgaben. Hier
ist anzumerken, dass die vorliegende Untersuchung keinen Anspruch auf
Vollständigkeit erhebt, also die ausgewählte Problematik nicht die
einzige ist, die in dem jeweiligen Film thematisiert wird.
Vielmehr überschneiden sich die Filme zum Teil bei den von ihnen
angesprochenen privaten und beruflichen Problemen der Frauen. Am Anfang
jedes der sechs Kapitel wird der jeweilige Spielfilm mit dem Regisseur
bzw. der Regisseurin und dem Inhalt kurz dargestellt. In der dann
folgenden Analyse soll die den Filmen immanente Kritik an den
politischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten für Frauen
herausgearbeitet werden. Darüber hinaus wird untersucht, in welchen
Lebensaspekten der Frauen die größten Widersprüche zu dem offiziellen
Leitbild sichtbar werden und wo sich ein Mangel an Gleichberechtigung
zwischen Mann und Frau zeigt. Dabei soll aber auch herausgestellt
werden, was die Filmemacher als die bereits erzielten Errungenschaften
für Frauen betrachten. Zusätzlich werden die Reaktionen auf die Filme,
das heißt hauptsächlich die veröffentlichten Filmkritiken und sonstigen
Artikel zu den Filmen, untersucht. In allen untersuchten Spielfilmen
sind die Protagonistinnen überwiegend berufstätig. Das Bild der
werktätigen Frau spiegelt in den Filmen die DDR-Gesellschaft wider,
denn der Anteil von berufstätigen Frauen unter denen im erwerbsfähigen
Alter stieg in der DDR kontinuierlich an. Im Jahre 1970 lag er bei
74,8%, 1989 waren 91,2% aller Frauen im erwerbsfähigen Alter entweder
erwerbstätig oder befanden sich in der Schul- bzw.
Berufsausbildung.[15] Insofern wird sich diese Arbeit auf berufstätige
Frauen bzw. auf Frauen als Wiedereinsteiger in den Beruf beschränken.
Darüber hinaus hatte die DDR eine hohe Mütterrate. In den achtziger
Jahren brachten über 90% der Frauen mindestens ein Kind zur Welt.[16]
Auch die Protagonistinnen der Filme sind alle Mütter. Aus diesem Grund
wird sich diese Untersuchung außerdem nur mit Frauen auseinandersetzen,
die zumindest ein Kind haben. Da die Förderung von weiblicher
Berufstätigkeit und Mutterschaft spezifischer Bestandteil der
Frauenpolitik der DDR war, eignen sich die ausgewählten Filme und die
darin gezeigten Frauenfiguren gut für einen Vergleich mit der
SED-Frauenpolitik und dem dazugehörigen Leitbild.
2.
DAS FRAUENLEITBILD DER SED – POLITISCH-IDEOLOGISCHE GRUNDLAGEN
Im Gegensatz zum traditionellen Hausfrauenideal der jungen BRD
wurde schon in den Anfangsjahren der DDR ein neues sozialistisches
Frauenleitbild propagiert.[17] Die Frauenpolitik der DDR war in ihren
ideologischen Grundannahmen geprägt durch die marxistisch-leninistische
Emanzipationstheorie sowie durch die Ergebnisse, die in den „Klassikern
der Frauenfrage“ von Friedrich Engels, August Bebel und Clara Zetkin
erarbeitet wurden.[18] Die Theoretiker sahen die Ursache der
Unterdrückung und der rechtlosen Stellung der Frau in der Entstehung
des Privateigentums an Produktionsmitteln. Die Grundlagen für die
„Lösung der Frauenfrage“, also die Frauenbefreiung, bestand für sie in
der Aufhebung des Privateigentums an Produktionsmitteln, der
Einbeziehung der Frau in die gesellschaftliche Produktion und in der
Auslagerung von Kindererziehung und großer Teile der Hausarbeit an
gesellschaftliche Einrichtungen. Davon ausgehend war die Forderung nach
Gleichberechtigung der Frau in der DDR nicht nur eingebunden in den
Kampf für eine sozialistische Gesellschaft, sondern diesem auch
untergeordnet. Es wurde angenommen, dass der Aufbau der sozialistischen
Gesellschaft mit seiner Überwindung der kapitalistischen
Produktionsweise und seiner Einbindung der Frau in die Erwerbsarbeit
den größten Teil der sozialen, ökonomischen und politischen
Gleichstellung und Unabhängigkeit der Frau gewährleisten würde. Die
Integration der Frau in die Arbeitswelt erschien als wichtigste
Vorraussetzung für ihre gleichberechtigte Stellung in der Gesellschaft,
wurde doch angenommen, dass jedes Abhängigkeitsverhältnis letztlich in
der „ökonomischen Abhängigkeit des Unterdrückten vom Unterdrücker
wurzelt“.[19] Dieser verengte theoretische Ansatz, der in der
Produktionsarbeit das bewegende Moment für gesellschaftlichen und
individuellen Wandel sah, führte letztendlich zu einer „ökonomistischen
Verkürzung des Gleichstellungsgedankens“.[20]
Auch in Ermangelung einer politischen Öffentlichkeit wurde die
Stellung des Mannes und die weitgehende Beibehaltung der tradierten
Geschlechterhierarchie, die auch die einseitige Arbeitsteilung bei den
reproduktiven Aufgaben betraf, im Zusammenhang mit der „Lösung der
Frauenfrage“ kaum kritisch reflektiert.[21] So flossen in die
„theoretischen Grundlagen des politischen Programms der
Arbeiterbewegung [...] industriegesellschaftlich gültige Wertungsmuster
und traditionelle kulturelle Muster von „Männlichkeit“ und
„Weiblichkeit“ mit ein“, die in den Gesetzen und frauenpolitischen
Maßnahmen der SED fortgeschrieben wurden.[22] Nach Dölling kam es zur
einer für Industriegesellschaften typischen Trennung und Bewertung von
„produktiver“ Erwerbsarbeit und „unproduktiver“ Hausarbeit, die
gesellschaftlich weniger bedeutsam sei und in erster Linie von der Frau
quasi nebenbei verrichtet werde. Diese traditionellen Muster
beeinflussten auch die aus dem politischen Programm abgeleiteten
staatlich propagierten Frauenleitbilder der DDR.“[23]
Die familien- und frauenpolitischen Zielstellungen der SED
spiegelten sich in den entsprechenden Leitbildern wider. Die jeweiligen
Frauenleitbilder seien eindeutig Instrumente zur Umsetzung einer
bestimmten Frauenpolitik gewesen, schreibt Enders.[24] Die wechselnden
Frauenleitbilder in der Geschichte der DDR stellten die traditionellen
Geschlechterverhältnisse und oben erwähnten Muster nicht in Frage. Die
DDR-Frauenleitbilder waren Reaktionen auf Veränderungen der
ökonomischen, politischen und sozialen Bedingungen im Rahmen der
politisch-ideologischen Konzeption. Zur politisch-ideologischen
Dimension des Frauenleitbilds gehörte auch, dass gerade die
Emanzipation der Frau die Überlegenheit des sozialistischen Systems
nach innen und außen, besonders in Hinblick auf die BRD und den
westlichen Kapitalismus, beweisen sollte.[25] Mit Hilfe der
Frauenleitbilder sollten auch die Männer das Bild der „neuen“ Frau
akzeptieren und verinnerlichen, vor allem aber den Frauen die
staatlichen Erwartungen an sie näher gebracht werden. Dabei sollten die
DDR-Frauen den durch massenmediale Propaganda vermittelten, ideologisch
intendierten Frauenleitbildern bestenfalls nicht nur nacheifern,
sondern diese als ihr eigenes Bedürfnis empfinden. Bei der Umsetzung
der sozialistischen Leitbilder stieß die SED aber auch an Grenzen, da
für die DDR-Frauen individuelle und politisch¬gesellschaftliche
Interessen, wie von der Partei gewollt, nicht immer zusammenfielen.
2.2. DIE FRAU IN DER ÄRA HONECKER
2.2.1. Die Frau im Beruf und in der Familie
Anfang der siebziger Jahre erklärte Honecker die Gleichberechtigung
der Geschlechter für erreicht und seitdem gehörte in der DDR die
Behauptung, die Gleichstellung von Mann und Frau sei erzielt, zur
Standardaussage der politischen Propaganda. Belegt wurde dies durch die
fortschrittliche Gesetzgebung und durch den Verweis auf den hohen
weiblichen Anteil der Werktätigen. Honecker ging davon aus, dass sich
durch die Berufstätigkeit der Frau bei Männern und Frauen völlig neue
Denk- und Verhaltensweisen ausprägen.[26] Trotz grundsätzlicher
Akzeptanz der Frauenerwerbstätigkeit blieb die allgemeine Anschauung
über Rolle und Funktion der Frau in der Gesellschaft in der DDR aber
konservativ und paternalistisch.[27]
Gleichzeitig widersprachen die überwiegend traditionelle
Arbeitsteilung im Haushalt, die schlechteren Aufstiegschancen für
Frauen und die andauernde Lohnungleichheit [28] der These, dass der
Anstieg der Frauenerwerbstätigkeit und der Wandel der Frauenrolle in
der Gesellschaft parallellaufende Entwicklungen darstellten. Es bestand
eine Diskrepanz zwischen der Lebensrealität der Frauen und der
offiziellen Propaganda von der erreichten Gleichberechtigung. Die
ständige Überlastung vieler Frauen durch die ununterbrochene
Erwerbstätigkeit und gesellschaftliche sowie häusliche Pflichten wurde
zu Beginn der siebziger Jahre dann auch für die SED-Führung
offensichtlich. Die Mehrbelastung der Frauen führte zu problematischen
Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft, wie dem Sinken der
Geburtenrate, Ansteigen von Scheidungen und vermehrter
Teilzeitarbeit.[29] Um diesem Trend entgegen zu wirken, wurde die
Vereinbarkeit von Mutterschaft und Berufstätigkeit in den Mittelpunkt
des Frauenleitbilds der SED gestellt und blieb bis zum Ende der DDR
bestimmend. Das Leitbild der werktätigen Frau und Mutter war eng
verknüpft mit den zentralen Anliegen der SED-Frauenpolitik seit den
siebziger Jahren. Die Partei wollte die bevölkerungspolitischen und
sozialen Probleme durch die Steigerung der Geburtenrate und die
besondere Unterstützung von Familien lösen. Dies führte zu
umfangreichen sozialpolitischen Maßnahmen und einem systematischen
Ausbau der Frauen- und Familienförderung zwischen 1972 und 1986, bei
der die Frauen auf ihre Rolle als berufstätige Mütter reduziert
wurden.[30] Mit dem sozialpolitischen Programm von 1972 wurden
zahlreiche neuen Regelungen erlassen, die mit hohem materiellen Aufwand
umgesetzt wurden: steigendes Angebot der Kinderbetreuung, erweiterter
Mutterschutz, Geburtenbeihilfe, zinsloser Familiengründungskredit, der
„abgekindert“ werden konnte, Förderung von Studentinnen und
Auszubildenden mit Kindern. Die Auswirkungen dieser Maßnahmen blieben
jedoch hinter den Erwartungen zurück, so dass 1976 weitere Maßnahmen
zur Unterstützung von berufstätigen Müttern beschlossen wurden:
Arbeitszeitverkürzung und zusätzliche Urlaubstage für vollbeschäftigte
Mütter mit zwei Kindern, Verlängerung des Schwangerschafts- und
Wochenurlaubs von 20 auf 26 Wochen, bezahltes Babyjahr vom zweitem Kind
an. 1981 und 1986 folgten: das bezahlte Babyjahr schon ab dem ersten
Kind, die Erhöhung des Kindergeldes und die bezahlte Freistellung zur
Pflege erkrankter Kinder. Zusätzlich wurde ab 1984 die
Drei-Kinder-Familie als gesellschaftliche Norm propagiert.[31]
Die bevölkerungspolitischen Maßnahmen blieben nicht ohne Erfolg.
Die Geburtenrate stieg und 1980 wurde mit 245000 Lebendgeburten wieder
der Stand von 1968 erreicht. [32] Zielgruppe dieser pronatalistischen
Sozialpolitik, der sogenannten „Muttipolitik“, waren junge Frauen.
Ältere Frauen, die keine Kinder unter sechzehn Jahren hatten, wurden
bei den sozialpolitischen Leistungen weitgehend übergangen. Das ließ
ein ungünstiges Klima zwischen den Generationen entstehen. Die jüngere
Generation wurde durch die sozialpolitischen Maßnahmen der letzten
beiden Jahrzehnte eindeutig bevorzugt, während die älteren Frauen, die
die DDR mit aufgebaut hatten, nun sogar oft durch Mehrarbeit in den
Betrieben den Ausfall der „Muttis“ kompensieren mussten.[33] Die ältere
Generation der DDR-Frauen fühlte sich durch das propagierte Vorbild der
„Supermuttis“ provoziert. Frauen in der DDR hatten durch erhebliche
Ausbildung und Qualifizierung berufliche Chancen erhalten. Die
Berufstätigkeit wurde von den DDR-Frauen neben der finanziellen
Motivation zunehmend als eigenes Bedürfnis und als ein eigenständiger
Lebenswert empfunden, der Selbstbestätigung und Selbstverwirklichung
bedeutete.[34] Durch die sozialpolitischen Maßnahmen der siebziger und
achtziger Jahren wurde den Frauen aber wieder ein traditionellerer
Platz in der Gesellschaft zugewiesen. Auch daran zeigte sich, dass die
laut Parteiführung erreichte Gleichberechtigung keine gesellschaftliche
Realität war, weil die SED den Frauen unter anderem vorschreiben
wollte, wie sie zu leben hatten. Aus Rechten für die Frau wurden
Verpflichtungen: 1971 galt es, „jene Probleme zu lösen, von denen
abhängt, ob eine Frau von ihren gleichen Rechten auch in vollem Umfang
Gebrauch machen kann“.[35] 1976 hieß es: „Wir wollen Schritt für
Schritt die Arbeits- und Lebensbedingungen der Frauen so verbessern,
dass sie ihren Verpflichtungen im Beruf und als Mütter immer mehr
gerecht werden können“.[36] So wählten Frauen in den letzten beiden
Jahrzehnten der DDR auch immer häufiger sogenannte frauentypische
Berufe, die sich von den Anforderungen her mit den anderen
Alltagspflichten vereinbaren ließen, und richteten sich damit in den
ihnen vorgegebenen Grenzen ein. Gleichzeitig wurde die durch die
Sonderregelungen mögliche Ausfallquote und Fluktuationsrate
berufstätiger Frauen bzw. Mütter für Arbeitgeber zum Argument für die
Bevorzugung männlicher Arbeitskräfte in bestimmten Berufsfeldern. Der
Arbeitsmarkt spaltete sich zunehmend wieder geschlechtsspezifisch auf.
Die klassische berufliche Karrierebiographie blieb auch in der DDR
„eine männliche Biographie, zugeschnitten auf einen Alltag ohne Haus-
und Familienarbeit“.[37] Frauen waren in der DDR in den
Leitungspositionen, insbesondere in den Spitzenpositionen in
Wirtschaft, Wissenschaft und Politik, stets unterrepräsentiert. Die
Ausgestaltung der Frauen- und Familienpolitik blieb so von weiblicher
Seite fast unbeeinflusst. Denn trotz weitgehender beruflicher
Gleichstellung gab es gerade in der Politik eine auffällige politische
Machtlosigkeit der Frau. Zu den komplexen Gründen dafür gehörte auch
„die charakteristische Doppel- und Dreifachbelastung der Frauen durch
Beruf, Hausarbeit und Kindererziehung, wie auch die Tatsache, dass die
asymmetrische Gleichberechtigung die Männerrolle weitgehend
unangetastet ließ“.[38] Auch bei der gesellschaftlich-politischen
Arbeit und ihren Organisationen, wie zum Beispiel dem Freien Deutschen
Gewerkschaftsbund, waren Frauen auf höheren Leitungsebenen kaum zu
finden. Gleichzeitig blieb ihr politischer Einfluss selbst durch eine
reine Frauenorganisation, wie dem Demokratischen Frauenbund
Deutschlands (DFD), gering, da diese der Steuerung durch die SED
unterlag und somit an das frauenpolitische Konzept der Partei gebunden
war.[39] Honecker selbst forderte immer wieder, dass Frauen auch in
Spitzenpositionen gelangen sollten: „Wir wollen, dass klarblickende,
umsichtige und tatkräftige Frauen [...] noch mehr als bisher
verantwortliche Positionen in Partei und Staat übernehmen, und zwar von
der Basis bis zur Spitze.“[40] Aber bei der Durchsetzung dieser
Forderung mangelte es an Kraft oder auch an Willen.
2.2.2. Die Frau in der Familie
Bis Ende der sechziger Jahre hatten in den offiziellen Leitbildern
Familie, Kinder und Haushalt im Leben der Frauen nur eine
untergeordnete Rolle gespielt. In der Ära Honecker sollte das Vorbild
einer „Superfrau“ auf die Frauen ermutigend wirken. Diese brachte
einfach alles „unter einen Hut“: schön aussehen, einen Betrieb leiten,
abends mit dem Mann ins Konzert gehen, ein leckeres Essen auf den Tisch
bringen und natürlich wohlerzogene Kinder haben, die fleißig in der
Schule lernen.[41] Dieses Frauenleitbild der qualifizierten
berufstätigen Frau und Mutter bedeutete gerade für jüngere Frauen einen
erhöhten Druck, alles schaffen zu müssen: Berufskarriere, Haushalt,
Kindererziehung und eine glückliche Ehe. Somit war das Leitbild
geeignet, bei denjenigen Frauen ein schlechtes Gewissen zu provozieren,
die das Gefühl hatten, diesem Anspruch nicht gerecht werden zu können.
Unzufriedenheiten oder berufliche Misserfolge schrieben sich die Frauen
meist selbst zu, hielten sie den Staat doch für ihnen gegenüber
großzügig.[42] Widersprüche zwischen der staatlichen Frauenpolitik und
dem Lebensalltag sowie daraus folgende Schwierigkeiten wurden
öffentlich kaum reflektiert. Die Probleme wurden individualisiert,
indem unter anderem in den Medien die Vereinbarung von beruflichen,
politischen und familiären Aufgaben für die Frau als realisierbar
dargestellt wurde. Dennoch hatte die Wirkung der Frauenleitbilder ihre
Grenzen, insbesondere im privaten Bereich. Zum Teil entwickelten die
DDR-Frauen im täglichen Umgang mit den gesellschaftlichen Normen
subtile Widerstandsstrategien, die öffentlich als Anpassung getarnt
waren. Es kam also nicht zu einer Entindividualisierung und Homogenität
individueller Lebensgestaltung in der DDR.[43]
Es ist aber auf Grund mangelnder wissenschaftlicher Untersuchungen
schwierig, den Einfluss des Frauenleitbilds der Ära Honecker auf den
privaten Bereich zu erfassen. Von offizieller Seite gab es für das
konkrete Verhalten der DDR-Frauen im Privatleben keine Bestimmungen, es
ist aber davon auszugehen, dass das offiziell propagierte
Frauenleitbild auch auf das Alltagsbewusstsein und das private
Verhalten von Frauen Auswirkungen hatte.[44] Einerseits hatten die
sozialpolitischen Maßnahmen in der Ära Honecker tatsächlich zu einigen
Verbesserungen der materiellen und zeitlichen Lebensbedingungen von
berufstätigen Müttern geführt. Der Kinderwunsch war für Frauen
erfüllbar, ohne auf finanzielle Unabhängigkeit verzichten zu müssen,
und die Vereinbarung von Beruf und Kindern war für die große Mehrheit
der Frauen auch das erwünschte Lebenskonzept. Andererseits machte die
einseitige Ausrichtung der Familienfördermaßnahmen auf die weibliche
Bevölkerung und das damit zusammenhängende Frauenleitbild der Ära
Honecker - anders als das Leitbild des FDGB - die Frauen für die
Pflichten im Haushalt und Familie verantwortlich. Die tradierten
Geschlechterrollen wurden so über das biologische bedingte Maß hinaus
verfestigt und eine Mehrbelastung der Frauen produziert. Männer
beteiligten sich kaum an der Haushaltsführung und Kindererziehung.[45]
Im Gegensatz zu Männern maßen Frauen dem Familienleben aber auch einen
höheren Stellenwert bei. Sie hatten eher als Männer den Wunsch, „für
andere da zu sein“, und damit war vielmehr die Bereitschaft verbunden,
die eigenen Interessen denen anderer Menschen unterzuordnen oder diese
sogar aufzugeben.[46] Auch ihre Freizeit gestalteten Frauen weniger
eigenständig und bedürfnisgerecht als Männer, das heißt Frauen
orientierten ihre Freizeitaktivitäten stärker an der Familie und sahen
auch öfter Haushaltstätigkeiten als Freizeitinhalte an. DDR-Frauen
hatten im Vergleich zu Männern stets weniger Freizeit, denn allein im
häuslichen Bereich hatten sie ein dreifaches Pensum zu absolvieren:
„Haushaltsführung, Kindererziehung und ¬betreuung und
Beziehungsgestaltung. Letzteres bedeutete, dass sie faktisch auch für
das Familienklima und den Bestand der Partnerbeziehung zuständig
gemacht wurden.“[47] So gab es in der DDR-Gesellschaft bei der Messung
der Leistung von Mann und Frau auch zweierlei Maßstäbe. Die Frau wurde
an Beruf und Familie gemessen, eine Vernachlässigung der Kinder und des
Haushalts war gesellschaftlich kaum akzeptiert. Sie galt als
„Rabenmutter“ und als überemanzipiert, wenn sie sich stärker dem Beruf
als den familiären Pflichten widmete. Wenn es Probleme mit den Kindern
gab, galt als Erste die Mutter als zuständig. Männer dagegen wurden am
Beruf gemessen. Mithilfe im Haushalt wurde zwar von Frauen begrüßt,
aber der Mann genoss deshalb nicht zwangsläufig Prestige in der
Gesellschaft. Erst seine berufliche Leistung brachte ihm
gesellschaftliches Ansehen, selbst wenn er die Familie wegen seines
Berufsengagements vernachlässigte.[48] Die Angst, in einer Ehe nicht
nur wenig Hilfe von dem Mann erwarten zu können, sondern auch durch die
Sorge für diesen zusätzlich belastet zu werden, war ein Grund für
Frauen, sich Kinderwünsche außerhalb einer Ehe zu erfüllen. Außerdem
glaubten manche Frauen, die eigene Selbstständigkeit würde in einer Ehe
beeinträchtigt werden.
Bei alleinerziehenden Müttern handelte es sich aber in den meisten
Fällen nicht um eine Lebenshaltung, sondern um eine zwangsläufige Folge
einer gescheiterten Partnerschaft. Alleinerziehend zu sein, war für
DDR-Frauen trotz beruflicher Eigenständigkeit meist mit großen
materiellen Beschränkungen und sozialen Problemen verbunden.
Alleinerziehende Mütter waren in der Regel finanziell wesentlich
schlechter gestellt als vollständige Familien und litten unter der
Alleinverantwortung für Kinder und Haushalt sowie unter Zeitmangel. So
waren Leitungsfunktionen, Qualifizierungen und Schichtarbeit für
alleinerziehende Mütter größtenteils nicht möglich. Das
schwerwiegendste Problem war aber, dass ihnen die familienzentrierte
Lebensweise in der DDR das Gefühl gab, einer Randgruppe anzugehören.
Alleinerziehende fühlten sich oft von gesellschaftlichen
Kommunikations- und Freizeitformen ausgeschlossen, hatten wenig Freunde
und mussten ihre Freizeit allein verbringen. Darum versuchten viele von
ihnen, wieder eine vollständige Familie zu gründen.[49] Ehen wurden in
der DDR zum größten Teil sehr früh geschlossen. Ledige Frauen
heirateten meistens zwischen dem 20. und 23. Lebensjahr. Diese frühen
Eheschließungen hatten auch soziale Gründe, junge Ehepaare wurden bei
der Wohnungsvergabe bevorzugt behandelt und bestimmte Fördermaßnahmen
für Familie und Ehe wurden nur jungen Eheleuten mit relativ niedriger
Altersgrenze gewährt. In diesen früh und oft unüberlegt geschlossenen
Ehen lag aber auch ein Grund für die hohe Scheidungsrate.[50]
In der DDR waren es die Frauen, die in den allermeisten Fällen die
Scheidung einreichten. Sie stellten im Allgemeinen höhere Ansprüche an
ihre Partner und an ein harmonisches und glückliches Familienleben. Im
Konfliktfall waren Frauen dann auch weniger kompromissbereit und
strebten eher aus der Ehe als Männer, wobei ihre ökonomische
Unabhängigkeit hilfreich war. DDR-Frauen hatten die von offizieller
Seite propagierten Werte wie Gleichberechtigung und Arbeitsteilung im
Haushalt stärker verinnerlicht als Männer und forderten diese auch
rigoroser ein. Viele Männer fühlten sich dadurch verunsichert und
überfordert, da sie sich noch an traditionellen Rollenbildern
orientierten.[51] Obwohl die ökonomische Unabhängigkeit und das
Gleichberechtigungsstreben der DDR-Frauen zum Wandel der Familienformen
beitrug, blieb in der DDR überwiegend die patriarchalisch dominierte
Familie bestehen, „in der die Männer kraft Tradition und dank ihrer
stärkeren ökonomischen Position letztendlich das Sagen behielten“.[52]
3.
KULTURPOLITIK UND FILM IN DER DDR
3.1. DIE SIEBZIGER: ENTTÄUSCHTE HOFFNUNGEN
Schon Lenin nannte den Film „die wichtigste aller Künste“ [53], und
auch der DDR-Führung war bewusst, was für Möglichkeiten das Medium Film
durch seine suggestive Kraft und durch das schnelle und umfassende
Erreichen der Menschen bot. Damit sich die SED den Film zu Nutze machen
konnte und damit seine politische und ideologische Anpassung
gewährleistet war, unterlagen Filmproduktionen von der Vergabe des
Drehbuchs bis zur Endabnahme der Parteikontrolle. Die
Produktionsbedingungen der Filme waren so je nach Belieben der
zuständigen Instanzen durch Zensur und Eingriffe beeinflusst. Gerade
ideologische Zwänge erschwerten die Arbeitsbedingungen der
Filmschaffenden und behinderten eine konsequente Auseinandersetzung mit
der Realität. Dennoch kamen auch immer wieder gesellschaftskritische
Filme in die Kinos, denn die Filmkünstler entdeckten stets
ausgefeiltere Methoden, um die Partei zu umgehen. Versteckte Signale
und Botschaften, die vom Publikum aber oft nicht von den Funktionären,
die schon zu weit von der Basis entfernt waren, verstanden wurden,
gaben den Filmen kritische Momente. Wenn die Wirkung beim Publikum
ersichtlich wurde, reagierte die Partei mit Verboten, Strafen und
Diffamierungen.[54] Den massivsten Eingriff in das Filmwesen stellte
das berüchtigte 11. Plenum des Zentralkomitees (ZK) der SED im Jahre
1965 dar, bei dem gegen „dem Sozialismus fremde, schädliche
Tendenzen“[55] in allen künstlerischen Bereichen der DDR vorgegangen
wurde. Dabei kam es zu einem kulturpolitischen „Kahlschlag“ in dessen
Folge zwölf DEFA-Filme verboten wurden.[56]
Die dadurch ausgelöste Verunsicherung unter den Kulturschaffenden
schwand erst langsam zu Beginn der siebziger Jahre, als Honecker den
Versuch einer Annäherung an die Künstler unternahm. Der VIII.
SED-Parteitag im Jahre 1971 markierte eine Verbesserung des
Verhältnisses zwischen den Kulturschaffenden und der SED. Während des
Parteitags wurden verbale Angriffe auf Künstler vermieden und Honecker
sprach von dem „ganzen Reichtum ihrer Handschriften und
Ausdrucksweisen“ und sicherte den Künstlern „Verständnis für ihre
Fragen und Schaffensprobleme zu“ sowie für „die Suche nach neuen
Formen“.[57] Diese Worte schienen einen Wandel anzudeuten und machten
den Künstlern Hoffnung auf eine Liberalisierung der Kulturpolitik und
bessere Arbeitsbedingungen. Insbesondere Honeckers berühmt gewordene
Sätze auf der 4. Tagung des ZK der SED am 16. und 17. Dezember 1971
wurden als Signal der Umorientierung empfunden, obwohl sie sich sehr
unterschiedlich interpretieren ließen: „Wenn man von der festen
Position des Sozialismus ausgeht, kann es meines Erachtens auf dem
Gebiet der Kunst und Literatur keine Tabus geben. Das betrifft sowohl
die Fragen der inhaltlichen Gestaltung als auch des Stils - kurz
gesagt: die Fragen dessen, was man künstlerische Meisterschaft
nennt.“[58]
Diese Ausführungen klangen bahnbrechend, aber die Formulierung „von
der festen Position des Sozialismus“ beinhaltete weiterhin eine
Rechtfertigung für restriktives Eingreifen. Somit war der neue Kurs in
keiner Weise eindeutig, sondern eher halbherzig und widersprüchlich.
Die Spannungen zwischen der Partei und den Kulturschaffenden sollten
zwar durch die Herstellung eines vertrauensvolleren Klimas gemildert
werden, gleichzeitig war die SED nicht gewillt, prinzipielle
Standpunkte sowie ihren Machtanspruch gegenüber der Kunst aufzugeben.
Missfielen der Partei die Werke von Künstlern oder zeigten diese
irgendein Fehlverhalten, sollte das weiterhin geahndet werden. Dass
Honeckers kulturpolitische Verlautbarungen letztlich nur eine begrenzte
Abkehr von den eigentlichen Zielen der DDR-Kulturpolitik darstellten,
wurde auch in Kurt Hagers [59] Aussage deutlich, dass der große
Spielraum schöpferischen Suchens jede Konzession an bürgerliche
Ideologien und imperialistische Kunstauffassungen ausschließe.[60] Auch
im DDR-Filmwesen wurden die kulturpolitischen Signale Anfang der
siebziger Jahre positiv interpretiert und sorgten für einen Aufschwung.
Durch filmpolitische Lockerungen wie eine weniger restriktive
Zulassungspolitik, versuchte die Partei das Filmwesen zu beleben. Die
Filmschaffenden wurden von der SED im Sinne der Aussagen Honeckers zur
Anwendung neuer Stilmittel ermuntert, es sollten nun publikumswirksame
Filme geschaffen werden, um den massiven Kinobesucherrückgang
aufzuhalten.
Beim II. Kongress des Verbands der Film- und Fernsehschaffenden
(VFF) am 7. und 8. April 1972 zeigte sich das veränderte Klima. In
einer offeneren Atmosphäre konnte von den Filmemachern auch Kritik
geübt werden an dem mangelnden Wahrheitsgehalt und der ungenügenden
Darstellung der Realität und des Alltags in vielen Filmen. In diesen
Schwächen des DEFA-Films sahen viele den Verlust der Kinobesucher
begründet. Gleichzeitig gab es immer noch Tabuthemen, so wurde zum
Beispiel eine kritische Auseinandersetzung mit der Filmpolitik des 11.
ZK-Plenums von 1965 nicht zugelassen.[61] Die relative Liberalisierung
der Kulturpolitik zu Beginn der Siebziger ermöglichte es den
Filmschaffenden, die gesellschaftliche Realität der DDR in
Gegenwartsfilmen ungeschönter darzustellen und so auch behutsam Tabus
anzusprechen. Der Hauptgegenstand dieser Filme war die Behauptung der
individuellen Persönlichkeit gegenüber den gesellschaftlichen
Anforderungen und das Recht des einzelnen auf seinen eigenen
Glücksanspruch und Selbstverwirklichung. Der Konflikt zwischen
Individuum und Gesellschaft wurde in den allermeisten Gegenwartsfilmen
anhand von Frauen bzw. der weiblichen Emanzipation zum Ausdruck
gebracht. Die Heldinnen suchten nach individueller Selbstverwirklichung
eher in der Liebe als in ihrer gesellschaftlichen Rolle und
kritisierten oft auch die Diskrepanz zwischen Ideal und Wirklichkeit
bei der Gleichberechtigung von Mann und Frau.[62] Das Angebot an
DEFA-Filmen wurde durch die neuen Gegenwartsfilme differenziert
erweitert und stieß auch wieder auf Interesse bei der Bevölkerung, denn
die Filme verfremdeten oder vermieden die bisher vorgegebenen
dramaturgischen Muster der Theorie des „sozialistischen Realismus“. So
entging es dem Publikum nicht, wenn die erwartete, weil so oft
gesehene, lehrbuchgemäß konsequent „dialektische“ Konfliktlösung in
einem Film nicht eintrat und so auch „die Gültigkeit „dialektischer“
Abläufe bestimmter gesellschaftlicher Prozesse in Frage“ gestellt
wurde.[63]
Der Versuch einer liberaleren Kulturpolitik scheiterte Mitte der
siebziger Jahre, da die Partei unter anderem befürchtete, dass die
infolge des Grundlagenvertrags mit der BRD intensivierten Westkontakte
von Künstlern das ideologische Feindbild aufweichen könnten. Der
drohenden Schwächung begegnete die Partei mit Repressalien. Dabei wurde
in Kauf genommen, dass die Differenzierung und somit die Bereicherung
des Kulturwesens der DDR, die auch international Anerkennung gefunden
hatte, verloren gehen würde. [64] In Honeckers kulturpolitischen
Aussagen fanden sich wieder Warnungen und Vorschriften: „Künstlerische
Verantwortung im Sozialismus ist nur als künstlerische Verantwortung
für den Sozialismus zu verstehen. [...] Jeder Künstler hat Platz in
unserer Gesellschaft, dessen Werk [...] dem Sozialismus verpflichtet
ist.“ [65] Die zwangsweise Ausbürgerung des Liedermachers Wolf
Biermann, eines überzeugten Sozialisten aber entschiedenen Kritikers
des SED-Regimes, nach dessen Kölner Konzert im November 1976, ließ die
härtere Gangart in der Kulturpolitik offensichtlich werden und zog
schwere innen-und kulturpolitische Konflikte nach sich. Innerhalb
kurzer Zeit protestierten über 150 Künstler gegen die Ausweisung
Biermanns, indem sie sich einem offenen Brief von zwölf Schriftstellern
anschlossen. Die SED war aber nicht bereit, die Ausbürgerung rückgängig
zu machen. Infolge der Biermann-Affäre kam es zum Bruch zwischen
zahlreichen Künstlern und der SED sowie einer stark ausgeweiteten
Kontrolle für den ganzen Kulturbereich der DDR. Viele namhafte
Künstler, die Solidarität für Biermann gezeigt hatten, wurden intensiv
überwacht, drangsaliert und schließlich zur Ausreise aus der DDR
getrieben.[66] Bei der DEFA wurden die Künstler beobachtet und
behindert, die entweder selbst den Protestbrief gegen die Ausbürgerung
Biermanns unterschrieben oder persönlichen Kontakt zu einem
Unterzeichner hatten. Filmproduktionen mit solchen Beteiligten hatten
es besonders schwer, ihnen wurde zum Beispiel die Öffentlichkeit
genommen, indem sie kaum beworben, nur vereinzelt aufgeführt oder auch
verboten wurden.[67]
3.2. DIE ACHTZIGER: ERSTARRUNG UND RESIGNATION
Dass die Kulturpolitik in der DDR vor allem der Förderung des
politisch Erwünschten und der Unterdrückung des vermeintlich politisch
Schädlichen diente, zeigte sich in den achtziger Jahren immer
deutlicher. Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS), dem nach der
Biermann-Ausbürgerung Versäumnisse vorgeworfen wurden, baute seine
Überwachung der Kulturschaffenden immer stärker aus. Die Hauptabteilung
XX des MfS ließ Künstler als feindlich-negative Kräfte unter anderem
auch von Kollegen bespitzeln und erstellte individuelle Psychogramme,
die dann von den Leitungsebenen des Kulturbereichs als Grundlage für
Zugeständnisse an die jeweiligen Künstler aber auch für Erpressungen
benutzt wurden.[68] Die Künstler sollten mit subtileren aber immer noch
effektiven Mitteln kontrolliert werden. Mit Hilfe der systematischen
Durchdringung des Kulturbereichs sollte dieser intern reglementiert
werden, ohne dass die Öffentlichkeit davon erfuhr. Die Staatsicherheit
wurde dadurch immer mächtiger, während die Kulturpolitik der SED in den
achtziger Jahren erstarrte, von ihr gingen keinerlei Impulse mehr aus.
Dass die Partei unter Honecker offiziell nicht von ihrem scheinbar
liberalen Kurs abwich, sollte Stabilität suggerieren: „In den achtziger
Jahren werden sich die Ansprüche an Qualität und Wirksamkeit unserer
sozialistischen Kultur weiter erhöhen. [...] Dazu bedarf es nicht nur
wirklichkeitsnaher, sondern auch wirklichkeitswahrer künstlerischer
Gestaltung in der ganzen Fülle ihrer Ausdrucksmittel.“[69] Doch
insgeheim wurde von liberaleren Haltungen abgerückt. Für die
Kulturschaffenden war die Lage enorm unübersichtlich, da die
kulturpolitische Linie immer unklarer wurde. Das führte zu
Verunsicherung, aber auch zu Resignation und steigender
Unzufriedenheit.“[70]
Eine erneute Verschlechterung des filmpolitischen Klimas setzte im
November 1981 ein, als der Leserbrief eines gewissen Hubert Vater in
der Zeitung „Neues Deutschland“ , dem Zentralorgan der SED, erschien.
Unter dem Titel „Was ich mir von unseren Filmemachern wünsche –
Erwartungen eines Lesers an DEFA und Fernsehen“ wurde heftige Kritik an
den Leistungen der Film-und Fernsehschaffenden geübt. Es wurde
bemängelt, dass sich Gegenwartsfilme, wie „Bürgschaft für ein Jahr“ und
„Solo Sunny“, mit belanglosen „Problemchen“ beschäftigen würden, und
gefordert wurden Werke, die das Titanische der Leistungen des stabilen
und blühenden Arbeiter-und-Bauern-Staates bewusst machen würden. Die
Film-und Fernsehschaffenden sahen darin eine Maßregelung der
SED-Führung, die als Stimme aus dem Volk getarnt war.[71] Die Offenheit
und Realitätsnähe einiger Gegenwartsfilme war der Partei anscheinend zu
weit gegangen.
Nicht nur in diesen durch den „Vater-Brief“ kritisierten
Gegenwartsfilmen waren Frauen die Protagonistinnen. „Die Frau und
niemand anders dominierte im DEFA-Film der 70er und 80er Jahre. [...]
Die Frau bekam in den Filmen eine Privatsphäre zugebilligt, einen
erlaubten intimen Raum – außerhalb des kollektiven Lebens [...]. Diese
intime und erotische Landschaft wurde als Koch-Nische für versteckte
soziale Probleme genutzt. Dank der Frau wurden in den Filmen soziale
Realien „eingeschleust“ und das „Weibliche“ als das gemildert „sozial
Subversive“ entschuldigt.“[72] Die Frau als Protagonistin konnte also
in den Gegenwartsfilmen nicht nur Kritik an ihren eigenen
Lebensumständen transportieren, sondern eignete sich zusätzlich zur
Darstellung von allgemeinen Unzufriedenheiten, sozialen Konflikten und
Kritik am System. Daran zeigt sich aber auch, dass die sozialistischen
Machthaber die Frau als rückständig emotional bestimmtes Wesen, das
nicht so wie der Mann vom Bewusstsein gesteuert ist, nicht ernst nahmen
und darum bei „fehlerhaften“ Filmheldinnen nachsichtiger waren.[73]
Dennoch begann die filmische Beschäftigung mit dem Thema der
Gleichstellung der Frau ab Mitte der achtziger Jahre für die
Parteiführung zunehmend zum Reizpunkt zu werden, da das Problem der
Emanzipation von Seiten der Partei als gelöst galt. So bewirkte die
sich zu dieser Zeit durch kulturpolitische Unklarheiten, Filmverbote
und Arbeitsverbote verschärfende Situation unter den Filmschaffenden
insbesondere auf dem Gebiet des Gegenwartsfilms einen Stillstand. Die
Ursache für den Niedergang des DDR-Filmwesens seit Mitte der Achtziger,
der sich auch an einem wieder abnehmenden Zuschauerinteresse zeigte,
sahen viele Filmemacher dann vor allem in den wiederkehrenden
„unrealistischen Themen, plakativen Helden und unoriginellen
Formen“.[74]
Die Filmschaffenden forderten eine Veränderung der Missstände und
wollten dies auf dem V. Kongress des VFF im Jahre 1988 deutlich
artikulieren. Doch eine beunruhigte SED-Führung entsandte
systemkonforme Kontrolleure in die zur Vorbereitung des Kongresses
gegründeten Arbeitsgruppen, die kritische Meinungsäußerungen
unterbinden sollten. Obwohl dies nicht in allen Fällen gelang, kam es
infolge des Kongresses zu keinen filmpolitischen Veränderungen.[75] Der
VFF erwies sich als wirkungslose Interessenvertretung der Film- und
Fernsehschaffenden. Die SED hielt unverändert an ihrem restriktiven
kulturpolitischen Kurs fest, auch als es Ende der achtziger Jahre in
der Sowjetunion zu einer zunehmenden Öffnung und Demokratisierung kam,
die sich auch auf den Kulturbereich auswirkte. Auch die DDR-Künstler
forderten kulturpolitische Reformen und die gleichen Bedingungen wie in
der Sowjetunion, ohne dabei die Abschaffung des sozialistischen Systems
zu wollen. Aus Uneinsichtigkeit, Sturheit und aus Angst vor einem
Machtverlust distanzierte sich die SED von den demokratischen
Entwicklungen im sozialistischen Bruderland, das sonst immer Vorbild
gewesen war. Das Verbot von sowjetischen Zeitschriften, Büchern und
Filmen gehörte mit zu den letzten kulturpolitischen Maßnahmen der
Parteiführung der DDR.[76]
4.
DAS FRAUENBILD IN AUSGEWÄHLTEN DDR-GEGENWARTSFILMEN
4.1. „DER DRITTE“ VON EGON GÜNTHER (1972)
Premiere: 16.03.1972, Regie: Egon Günther, Szenarium: Günther
Rücker, Literaturvorlage: „Unter den Bäumen regnet es zweimal“ von
Eberhard Panitz, Kamera: Erich Gusko, Darsteller/innen: Jutta Hoffmann
(Margit), Barbara Dittus (Lucie), Rolf Ludwig (Hrdlitschka), Armin
Müller-Stahl (Blinder) u.a., 111 Min.
Inhalt und Regisseur
Die emanzipierte Mathematikerin Margit Fließer ist 35 Jahre alt,
alleinstehend und hat zwei Kinder. Margit wünscht sich einen Partner,
Liebe und Zärtlichkeit. Nach zwei gescheiterten Beziehungen ist sie auf
der Suche nach dem „Dritten“, der der Richtige sein soll. Dabei ist sie
bereit, die Konventionen hinter sich zu lassen und selbst aktiv zu
werden. In Rückblenden wird erzählt wie Margit nach dem Tod der Mutter
schon früh auf sich gestellt ist. Sie wächst in einem Diakonissenheim
auf, was auf Dauer aber nicht ihren Vorstellungen entspricht. Daraufhin
nimmt sie eine Arbeit in einem Chemiewerk an. Mit ihrem Physiklehrer
aus der Berufsschule erlebt sie die erste große Liebe, wird aber von
ihm enttäuscht und verlassen, als sie das gemeinsame Kind erwartet.
Margits zweiter Mann ist ein blinder Musiker, von dem sie das zweite
Kind bekommt. Auch er verlässt sie und geht nach West-Berlin. Nun hat
sich Margit den Kollegen Hrdlitschka als „Dritten“ ausgesucht, und ihre
Freundin Lucie, die selbst gerade eine Enttäuschung erlebt, hilft ihr,
den Auserwählten von seinem Glück zu überzeugen. Egon Günther, geboren
1927, ist Spielfilmregisseur und Schriftsteller. Schon sein Regiedebüt
„Lots Weib“ (1965) erregte Aufsehen. Die Verfilmung des Romans
„Abschied“ von Johannes R. Becher löste drei Jahre später kontroverse
Diskussionen aus. Nach „Der Dritte“ behandelte Günther in seinem Film
„Die Schlüssel“ (1974) wieder ein Gegenwartsthema. Der Film stieß auf
scharfe Kritik. Seit 1979 arbeitete Günther vorwiegend in der BRD als
Autor und Regisseur von Fernsehfilmen.[77]
Frauenspezifische Hauptthematik – Gleichberechtigung im privaten Bereich
Der Spielfilm „Der Dritte“ von Egon Günther zeichnet ein
differenziertes Frauenporträt und war Anfang der Siebziger der erste
Gegenwartsfilm, der ungewohnt offen und kritisch die Schwierigkeiten
einer alleinstehenden Frau im DDR-Alltag thematisiert. Das Hauptthema
des Films ist die Suche einer alleinstehenden Frau nach einem neuen
Partner und der Versuch, einen neuen Lebensanfang zu wagen. Der Film
beschäftigt sich mit dem Thema der Emanzipation der Frau in einem
privaten Bereich, der in der DDR stärker als der berufliche und
gesellschaftliche Bereich noch von überkommenen Moral- und
Rollenvorstellungen geprägt war: Der Bereich der Liebe und der
Partnerwahl. Die Darstellung einer Frau, die sich entschließt, selbst
einen Mann auszuwählen, anzusprechen und zu prüfen, kam zum Zeitpunkt
der Aufführung des Films fast einer Sensation gleich. Es war zumindest
für viele Zuschauer ungewohnt, dass eine Frau ein Verhalten zeigt,
welches nur bei einen Mann normal gewesen wäre.[78] Egon Günther machte
sich mit „Der Dritte“ von Konventionen und Tabus frei, indem er zum
Beispiel gewagte Einblicke in die Intimsphäre seiner Figuren gab und
ihnen eine erotische Dimension ließ. Weil der Film inhaltlich mit der
Tradition älterer DEFA-Produktionen brach, wird er oft auch als Beginn
einer neuen Epoche der DEFA-Spielfilms betrachtet, in der immer
häufiger früher tabuisierte Themen aufgegriffen wurden.[79]
Filmische Umsetzung des Themas – Eine Frau zwischen beruflicher Souveränität und Passivität in der Intimsphäre
„Der Dritte“ macht durch die Hauptfigur der Margit Fließer vor
allem auf die Diskrepanz zwischen dem offiziell propagierten Frauenbild
von der in allen Bereichen des Lebens gleichberechtigten Frau und der
Wirklichkeit im privaten Bereich aufmerksam. Margit ist beruflich
erfolgreich, sie hat sich qualifiziert und arbeitet nun als
Mathematikerin in der Rechenzentrale eines Chemiewerks. Sie ist mit
ihrer Arbeit eng verbunden und so wird sie gleich in den ersten Szenen
[80] des Films mit ihrer Freundin Lucie am gemeinsamen Arbeitsplatz
gezeigt. Zu sehen ist ein weitläufiges Rechenzentrum, die Angestellten
tragen weiße Kittel und wirken professionell und geschäftig. Im Off-Ton
werden Arbeitsvorgänge erklärt. Margit arbeitet unter anderem an einem
Rechner, und ihr Gesicht sowie ihre Körperhaltung lassen auf
Ernsthaftigkeit, aber auch auf Freude und Zufriedenheit mit ihrer
Tätigkeit und ihrem Arbeitsumfeld schließen. Diese und andere Szenen
zeigen, dass die berufliche Einbindung von Frauen in die
Erwerbstätigkeit und auch in technische Berufe in „Der Dritte“ als ein
erzielter Fortschritt dargestellt wird. Margit und auch Lucie werden
bei der Arbeit gebraucht, sind anerkannt und fühlen sich wohl im
Kollektiv. Im Gegensatz dazu wird Margits private Einsamkeit deutlich,
wenn sie abends in ihre Neubauwohnung kommt. Bei Margit ist niemand
zuhause, sie ist allein, das Kinderzimmer mit dem Hochbett ist leer.
Die Kinder sind im Ferienlager. Ein Umschnitt auf eine abendliche
Außenaufnahme von einem öde wirkenden Neubaugebiet mit ein paar
erleuchteten Wohnungen unterstreicht dabei die Einsamkeit, die bei
Margit zu spüren ist. Margit isst vor dem Fernseher zu Abend. Der
sowjetische Fernsehfilm, den sie sieht, ist der erste Verweis auf ein
schwieriges Verhältnis zwischen Männern und Frauen. Dieser Verweis
gewinnt an Bedeutung, weil die gezeigten Filmausschnitte das ganze Bild
füllen und somit nicht mehr als Fernsehfilm im Film zu erkennen sind.
In einer Szene des Fernsehfilms hilft ein Offizier einem Mädchen, das
eigentlich alleine springen will, über einen Graben und nutzt dies
dann, um sie zu küssen. Die von dem Offizier gezeigte Mischung aus
Hilfestellung und aufgedrängter Nähe deutet an, wie Männer von Frauen
empfunden werden können, als hilfreich aber gleichzeitig auch als
aufdringlich und bevormundend.[81] Margit will aber nicht ohne Mann
sein und auch die Anerkennung in der Arbeit verschafft ihr nicht so
viel Erfüllung, dass die private Einsamkeit überdeckt wird. Dies zeigt
sich an der folgenden Aussage Margits: „Der Betrieb in zehn Jahren!
Aber wie ich in zehn Jahren aussehen werde, dass weiß ich ziemlich
genau. Na hör mal, die Kinder werden fort sein, und ich werde allein
sein, sehr allein. Kann der Mensch alleine leben, Lucie? Ich kann’s
nicht, du, ohne Mann...“ An dieser Stelle wird auch auf die Diskrepanz
zwischen privaten und gesellschaftlichen Interessen hingewiesen, indem
konstatiert wird, dass sich Defizite im privaten Bereich nicht durch
berufliches bzw. gesellschaftliches Engagement kompensieren lassen. Das
individuelle Glück wird von Margit als noch wichtiger empfunden als die
Verpflichtung für die Entwicklung des Betriebs und für die
sozialistische Gesellschaft. Damit drückt der Film aus, dass
individuelle Ansprüche an ein glückliches Leben nicht oder nur
unzureichend von der Gesellschaft befriedigt werden können und
widerspricht einer Lebenserfüllung und Konfliktlösung durch eine
engagierte Betätigung für die Gesellschaft.[82]
Margit ist entschlossen, sich auf dem Weg zu ihrem Glück über
traditionelles Rollenverhalten hinwegzusetzen. Als ein Hinweis, dass
sich Margit alter Traditionen entledigen und neue Wege gehen will, kann
unter anderem die Szene verstanden werden, in der sie trotz Lucies
Einwänden ein gerade genähtes Maxikleid kurz entschlossen zu einem
Minikleid kürzt. Ungeachtet der gesellschaftlichen Norm, dass eine
offensive Herangehensweise der Frau bei der Partnerwahl nicht als
weiblich gilt, will Margit sich selbständig einen Partner suchen und
ihn dann prüfen. Das Verhalten der Margit ist laut der
DDR-Filmwissenschaftlerin Erika Richter „einerseits unangemessen ihrer
Situation (gemessen an traditionellen Denkgewohnheiten,
Verhaltensweisen, verbreiteten Haltungen), andererseits angemessen
ihrer Situation (gemessen an dem allgemeinen Entwicklungsstand und an
fortgeschrittenen moralischen Bedürfnissen in der sozialistischen
Gesellschaft)“.[83] Dieser Kontrast in der Bewertung des Verhaltens von
Margit verdeutlicht eine Aussage des Films, dass nämlich die
gesellschaftlichen Normen und Rollenvorstellungen für den privaten
Bereich der Frau hinter dem allgemeinen Fortschritt und der veränderten
Stellung der Frau in der DDR, die der Film gerade im beruflichen
Bereich propagiert, hinterherhinken. Margit wird gezeigt als eine
„Frau, die intellektuell gewachsen ist und das Gesetz mal beim Wort
nimmt: „Mir ist erlaubt, was dem Mann erlaubt ist, und ich probiere es
mal. Und plötzlich entdeckt sie Widersprüche“.[84] Dabei wird der
Widerspruch zwischen Margits anspruchsvoller,
technisch-wissenschaftlicher Arbeit, dem allgemein erreichten
Fortschritt, und ihren ihr durch die gesellschaftliche Moral
auferlegten Hemmnissen und Grenzen im Privaten besonders deutlich
herausgearbeitet. Margit versucht zwar die Kluft zwischen Sitte und
Moral im privaten Bereich und der beruflichen Selbständigkeit, dem
sonstigen Selbstbewusstsein, zu schließen, sie scheitert aber bei der
praktischen Umsetzung immer wieder und verfällt entmutigt in die
Passivität alter Rollenmuster. So zum Beispiel in der Szene, in der
Margit mit der Absicht ihn anzusprechen, denselben Zug wie Hrdlitschka
nimmt, sich dann aber letztendlich verschämt eine Ausrede ausdenkt, um
ihre Anwesenheit gegenüber Hrdlitschka zu begründen. Ihren Ärger über
das eigene gehemmte Verhalten gesteht sie Hrdlitschka gegen Ende des
Films, wenn sie sagt: „Verstehst du, dass ich das nicht will, dass ich
das nicht kann, dass ich mich verlogen fühle, wenn ich rein zufällig in
den gleichen Zug einsteige und eine kranke Freundin erfinde, nur damit
du nicht merkst, ich fahre dir nach.“ Durch Margits Versuch, den
gesellschaftlichen Fortschritt auch im privaten Bereich zu realisieren,
wird positiv herausgestellt, dass es in anderen Bereichen schon
dementsprechende Entwicklungen gab. Im Gegensatz zu offiziellen
Verlautbarungen wird aber die Gleichstellung von Mann und Frau Anfang
der Siebziger in der DDR durch den Film als eine vor allem im privaten
Bereich nicht gelöste Frage dargestellt. Margit kann zwar am Computer
prognostische Prozesse steuern, aber bei der Planung ihrer eigenen
Zukunft stößt sie an Grenzen, da es für eine Frau nicht üblich ist,
einem Mann selbstverständlich zu erklären, dass sie mit ihm zusammen
sein möchte. Diese Diskrepanz wird gegen Ende des Films in einem
Ausbruch Margits deutlich. Sie offenbart sich dem ausgewählten Dritten
in ihrer Unzufriedenheit mit den vorherrschenden großmütterlichen
Rollenvorgaben: „Ich arbeite schon zwei Jahre prognostisch, mein
Arbeitsgerät ist der Computer, der Rechner, manchmal nennen wir ihn
Emil. Ich bin Mathematikerin. Ich arbeite, denke und fühle in
Übereinstimmung mit dem technisch-wissenschaftlichen-politischen Niveau
unter sozialistischen Bedingungen der wissenschaftlich-technischen
Revolution. Aber wenn mir ein Mann gefällt, wenn ich den brauche zum
Leben, wenn ich ihn haben will, mache ich mich aller Wahrscheinlichkeit
nach immer noch lächerlich, wenn ich ihm das sage. Nein, will ich ans
Ziel, muss ich meine Liebe verheimlichen, mein Verlangen ganz tief
verstecken [...] nur er, er darf sich das erlauben. Ganz wie zu
Großmutters Zeiten muss ich brav dasitzen und auf ein gnädiges
Schicksal harren.“ Als weiterer Hinweis, dass noch keine
Gleichberechtigung im Privaten erreicht war, kann ein Dialog zwischen
Margit und einer Kollegin gesehen werden. Dieser macht auf die
einseitige Zuständigkeit von Frauen für den häuslichen Bereich und den
damit einhergehenden Zeitmangel aufmerksam. Margit: „Überprüf’ doch
mal, wenn ich’s so sagen darf, deine private Technologie, vielleicht
sind da noch Zeitreserven, andere müssen ja auch mit ihrer Zeit
auskommen.“ Kollegin: „Ja, ja, andere haben auch ne’ Frau zuhause.“
Auch um klar herauszustellen, dass traditionelle Rollenmuster und die
damit einhergehenden Schwierigkeiten für Frauen im realen Sozialismus
der DDR noch vorhanden waren, wird die Figur Margits als in die
sozialistische Gesellschaft fest integriert und als ein Teil dieser
dargestellt. Margit nimmt als Sozialistin die Moral bzw. Normen wahr,
die die sozialistische Gesellschaft in sich trägt. Sie fühlt sich durch
die gesellschaftlichen Normen gehemmt, weil ihr diese als Maßstab für
ihr Verhalten dienen. Ihre Verbundenheit mit der Idee des Sozialismus
zeigt sich zum Beispiel auch an ihrer Vergangenheit als begeistertes
Mitglied der Freien Deutschen Jugend, die im Gegensatz zur Einstellung
ihres ersten Mannes, eines rückwärtsgewandten Opportunisten,
herausgearbeitet wird. Dass Margit eine Verantwortung gegenüber der DDR
und ihrer Gesellschaft spürt, wird auch im Verhältnis zu ihrem zweiten
Mann herausgestellt. Dieser setzt sich in den Westen ab, als er
verdächtigt wird, Gelder aus der Gewerkschaftskasse veruntreut zu
haben, und will, dass sie ihm folgt. Das tut Margit aber nicht, denn
sie glaubt an den Sozialismus und lebt mit ihm. Die Figur Margits
erfüllt das Frauenleitbild der qualifizierten, berufstätigen Frau und
Mutter und ist daher prädestiniert, die Emanzipation in allen
Lebensbereichen einzufordern. Das heißt, dass „Der Dritte“ zum einem
mit Margits Mutterschaft und qualifizierter Berufstätigkeit genau dem
Frauenleitbild der Ära Honecker entspricht und dieses propagiert, zum
anderen gerade auf dieser Grundlage Margits unerfüllte Ansprüche im
privaten Bereich stark betonen kann, weil die anderen Bereiche in
Übereinstimmung mit den politischen Vorgaben dargestellt werden. Diese
Darstellung Margits im Sinne des Frauenleitbilds der Zeit macht aber
auch klar, dass die in „Der Dritte“ enthaltene Kritik nicht von einem
antisozialistischen Standpunkt ausgeht. Margit orientiert sich nicht an
westlichen Wertvorstellungen.[85] Sie sagt: „Die Hamburger oder New
Yorker Werte stimmen nicht. [...] Nee, nee, da müssen wir eigene Werte
finden.“ Margit will ihre individuellen Glücksansprüche in der
sozialistischen Gesellschaft der DDR umsetzen. „Der Dritte“ endet trotz
der Heirat Margits mit Hrdlitschka offen und lässt den Zuschauer im
Unklaren darüber, ob diese dritte Liebe nun das ersehnte Glück für
Margit bringt. Das offene Ende entspricht der im Film gestellten,
unbeantworteten Frage nach der Lösung des „noch immer wirkenden
Widerspruchs zwischen der Souveränität der Frau im Beruf und im
gesellschaftlichen Leben und ihrer Passivität in der Intimsphäre“.[86]
Reaktionen auf den Film
„Der Dritte“ war schon im Produktionsprozess starker Kritik von
unterschiedlichsten Seiten ausgesetzt, die Frauenfigur der Margit
erschien nicht nur Filmfunktionären nicht geheuer. Vertreterinnen des
DFD zum Beispiel befanden, dass der Film in seinen Aussagen
entwürdigend für die Frauen der DDR sei und wollten die Aufführung des
Films verhindern. Sie kritisierten, dass die Heldin als mannstolle Frau
gezeigt würde und hielten die Wirkung des Films auf alleinstehende
Frauen und Mütter sowie deren Kinder für bedenklich. Anstoß fanden
dabei auch die mit Tabus brechenden Szenen lesbischer Annäherung und
eines Abtreibungsversuches Margits.[87] Diese Kritik lässt darauf
schließen, dass das Thema Emanzipation der Frau im Privaten in der DDR
Anfang der Siebziger noch nicht abgeschlossen war. Die Figur Margits
entsprach mit ihrem aktiven und eigenverantwortlichen Verhalten in
Liebesangelegenheiten offensichtlich nicht den Vorstellungen des DFD.
Dieses Verhalten einer „mannstollen“ Frau wurde sogar in seiner Wirkung
auf andere Frauen als bedenklich eingestuft, was zeigt, dass Frauen
scheinbar nicht so leben und reagieren sollten. Damit bestätigte die
Kritik des DFD die gesellschaftlichen Normen, die Margit in „Der
Dritte“ hemmen. Allerdings kam dem Film vermutlich der Zeitpunkt seiner
Entstehung zugute, denn die Phase der relativen kulturpolitischen
Liberalisierung hatte gerade begonnen und somit waren Honeckers Worte,
dass es in der Kunst keine Tabus geben sollte, noch sehr präsent. Kurt
Hager persönlich wies die Kritik an „Der Dritte“ schließlich zurück und
befürwortete eine Aufführung.[88] Es erschien anschließend auch eine
sehr positive Filmkritik im „Neuen Deutschland“. Diese räumte ein, dass
die offensive Partnerwahl durch die Frau noch nicht überall in der
Gesellschaft selbstverständlich sei, weil sich jahrhundertealte
moralische und sittliche Auffassungen und Regeln nicht alleine durch
Gesetzeskraft verändern ließen.[89]
4.2 „LEBEN MIT UWE“ VON LOTHAR WARNEKE (1974)
Premiere: 08.03.1974, Regie: Lothar Warneke, Szenarium: Siegfried
Pitschmann, Lothar Warneke, Kamera: Claus Neumann, Darsteller/innen:
Cox Habbema (Alla Polzin), Eberhard Esche (Uwe Polzin), Karin Gregorek
(Ruth Polzin), Dieter Mann (Dr. Hunger) u.a., 103 Min.
Inhalt und Regisseur
Ein Tag im Leben des Ehepaars Uwe und Alla Polzin und ihrer zwei
Töchter. Uwe ist Biologe und Alla Dolmetscherin. Beide sind Mitte
Dreißig und berufstätig. Uwe steht kurz vor der Verteidigung seiner
Dissertation. Er denkt an diesem Tag über sein bisheriges Leben und
seine Ehe nach. Morgens streitet seine Frau Alla mit ihm darüber, ob
sie zu seiner Dissertationsverteidigung kommen soll. Sie entscheidet
sich dagegen. Alla trägt sich schon länger mit Scheidungsgedanken, weil
sie unzufrieden ist, dass ihr Mann den größten Teil seines Lebens der
Wissenschaft widmet und kaum Zeit und Energie für sie und die Kinder
findet. Alla hat wegen der Familie oft zurückgesteckt und fühlt sich
ausgenutzt. Ein gegensätzliches Lebensmodell vertritt Uwes Schwester,
Ruth, eine unverheiratete Ärztin. Sie hat sich gegen eine Familie
entschieden, weil sie glaubt, dies sei nicht mit ihrer Arbeit
vereinbar. Uwe und Alla haben immer beides gewollt und versucht, Beruf
und Familie zu vereinen. Auch Alla hat an diesem Tag nachgedacht und
erscheint anders als geplant im Hörsaal zu Uwes
Dissertationsverteidigung. Lothar Warneke, geboren 1936, studierte
Theologie, bevor er 1960 sein Regiestudium aufnahm. Er war von
1968-1990 Regisseur im DEFA-Spielfilmstudio und machte vorwiegend
Gegenwartsfilme. 1980 dreht Warneke „Unser kurzes Leben“ nach dem
DDR-Erfolgsroman „Franziska Linkerhand“ von Brigitte Reimann. Die
Verfilmung, in der eine junge Architektin gegen Resignation und
Gleichgültigkeit kämpft, wurde jahrelang blockiert. In „Die
Beunruhigung“ (1981) und „Einer trage des anderen Last...“ (1987), der
erst nach zehn Jahren realisiert werden konnte, setzte sich Warneke mit
den in DDR-Filmen unliebsamen Themen Tod und Sterben auseinander.[90]
Frauenspezifische Hauptthematik – Mehrfachbelastung durch Beruf und Familie
„Leben mit Uwe“ ist einer der wenigen DEFA-Filme in der Ära
Honecker, die sich mit den gänzlich unspektakulären alltäglichen
Schwierigkeiten einer Ehe auseinandersetzen und dabei auch die Frage
der Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau behandeln. Der Film
beschäftigt sich mit den Eheproblemen des Paares Uwe und Alla. Die
Spannungen zwischen Beiden sind über die Jahre entstanden und basieren
hauptsächlich darauf, dass Beide berufstätig sind und Uwe mehr Zeit für
seine Arbeit verwendet als für Alla, seine kleinen Töchter und die
häuslichen Pflichten. Die frauenspezifische Hauptthematik in „Leben mit
Uwe“ ist Allas Mehrfachbelastung durch Beruf, Kindererziehung und
Haushalt und ihre daraus erwachsende Unzufriedenheit. Als Nebenfigur
des Films ist in diesem Zusammenhang auch Ruth, Uwes Schwester, von
Interesse. Sie verzichtet bewusst auf einen Ehemann und Kinder, da sie
glaubt, dass sich keines von beiden mit ihrem Beruf als Ärztin
vereinbaren lässt. Der Film setzt sich mit den Lebensmodellen dieser
zwei Frauen auseinander und zeigt, dass beide Modelle mit
Einschränkungen verbunden sind. Dadurch stellt „Leben mit Uwe“ auch die
Frage, inwieweit sich Beruf und Familie für Frauen ohne Verzicht
vereinbaren lassen. Im Gegensatz zu Alla und Ruth steht Uwe, der sich
nicht einschränkt. Er widmet sich voll und ganz seiner Arbeit und nimmt
den Unmut seiner Frau zwar wahr, setzt sich aber kaum damit
auseinander. „Leben mit Uwe“ zeigt, dass Frauen die Gleichberechtigung
einfordern müssen, aber auch auf Grund ihrer Emanzipation Ansprüche an
ihren Partner stellen können. Die Konflikte und Probleme, die zu der
Frage führen, wie das gleichberechtigte Eheleben mit all seinen
Pflichten und Aufgaben aussehen soll, werden ausführlich aufgezeigt.
Die Mitarbeit von Männern im Familienalltag wird dabei als deutlichster
Hinweis auf einen Lösungsansatz herausgearbeitet.
Filmische Umsetzung des Themas – Zurückstecken einer Frau für die Kinder und den Beruf ihres Ehemannes
Das gespannte Verhältnis zwischen Alla und ihrem Mann Uwe wird
schon in einer der ersten Sequenzen des Films sichtbar, in der die
Familie Polzin am Morgen gezeigt wird. Es werden die alltäglichen
morgendlichen Verrichtungen erledigt. Alla macht die Betten, zieht die
Kinder an, während Uwe Kohlen holt. Die Familie erscheint als
harmonisch mit einer eingespielten Routine, zu der beide Ehepartner
ihren Teil beitragen. Doch beim gemeinsamen Frühstück lässt sich die
Disharmonie zwischen Alla und Uwe erkennen. Auf ihre Frage, ob sie zu
seiner Dissertationsverteidigung kommen soll, reagiert er ausweichend
und obwohl sie mehrmals nachhakt, gibt er keine konkrete Antwort und
reagiert auf ihre immer gekränkter und provozierender werdende Haltung
kühl und belustigt. Alla: „Na, was soll ich denn nun machen, soll ich
kommen oder soll ich nicht kommen?“ Uwe: „Das ist doch egal.“ Alla:
„Wieso ist das egal? Wie kann denn das egal sein.“ Uwe: „Kannst Du das
nicht bitte selber mal entscheiden, ich muss jetzt gehen.“ (Alla wendet
sich ab). Uwe: [...] „Bitte mach doch keine Szene. An so einem Tag
könntest du auch mal auf mich Rücksicht nehmen.“ Alla: „Was glaubst du
eigentlich, was ich die ganzen Jahre gemacht habe.“ An diesem Dialog
zeigt sich, dass die Probleme von Alla mit Uwe tiefer liegen.[91] Es
geht ihr um mehr als nur um eine Antwort auf die Frage, ob er sie bei
seiner Verteidigung dabei haben will. Sie ist mit der Gesamtsituation
unzufrieden, denn sie hat jahrelang auf ihn und seine Arbeit Rücksicht
genommen und ist dabei selbst zu kurz gekommen. Darum trifft es sie,
dass ihr Mann nicht auf sie eingeht und an einer Auseinandersetzung mit
ihr kaum Interesse zeigt. Dass Alla schon länger unter diesen
Eheproblemen leidet, wird deutlich in dem sich an den Streit
anschließenden Telefonat mit ihrer Arbeitsstelle. Sie bittet darum, die
Verhandlungen, die sie dolmetschen muss und für Uwe eigentlich
verschieben wollte, doch für heute anzusetzen. Sie sagt, sie ginge
nicht zur Verteidigung. Alla: „Ja, diesmal ist es ernst, ich geh’ weg.“
Die Figur Allas wird als selbstbewusst, patent und emotional
dargestellt. Sie liebt ihren Mann, die gemeinsamen Töchter und auch
ihre Arbeit als Dolmetscherin. Sie hat studiert und daneben die beiden
Kinder bekommen. Sie ist den Kindern eine gute, liebevolle Mutter,
ihrem Mann eine treusorgende Ehefrau und an einer weiteren beruflichen
Qualifikation interessiert. Mit diesen Eigenschaften entspricht Alla
voll und ganz dem Frauenleitbild der Ära Honecker. Sie ist der Prototyp
der qualifizierten berufstätigen Mutter, die Beruf und Familie
miteinander vereint. Im Laufe von „Leben mit Uwe“ zeigt sich, dass Alla
zusätzlich noch für den Großteil des Haushalts und der Kindererziehung
zuständig ist. Diese Mehrfachbelastung empfindet sie aber als ungerecht
und fordert Uwe auf mitzuhelfen. Alla: „Die Männer meiner Kolleginnen
helfen alle im Haushalt, manchmal sind es nur Kleinigkeiten, das ist
doch eine Frage des guten Willens. Sie kümmern sich auch alle um die
Erziehung der Kinder.“ Uwe: „Erst diese Arbeit noch, du weißt, wie
schwierig das ist.“ Alla: „Nach dieser Arbeit kommt wieder eine Arbeit
[...] – nichts wird sich ändern, nichts.“ Der Film kritisiert damit,
dass Frauen mit den Pflichten im Haushalt und der Kindererziehung oft
alleine gelassen werden und Männer, selbst wenn sie sich einbringen,
dies in einem geringeren Maße als Frauen tun. Indem die
Mehrfachbelastung Allas und ihre damit einhergehende Unzufriedenheit
gezeigt wird, weist der Film kritisch darauf hin, dass ein Leben nach
dem offiziellen Leitbild der berufstätigen Frau und Mutter für Frauen
eine große Belastung darstellt, wenn Männer sie nicht bei der
Erledigung der anfallenden familiären und häuslichen Pflichten
unterstützen. Gleichzeitig kann in der selbstbewussten Forderung Allas
nach Uwes Mitarbeit ein Hinweis gesehen werden, dass DDR-Frauen auch
wegen ihrer ökonomischen Unabhängigkeit zu einer neuen Selbstsicherheit
gelangt sind. Die Einbindung von Frauen in die Erwerbstätigkeit wird
als positive Errungenschaft dargestellt, die es Frauen ermöglicht,
Ansprüche an ihre Partner zu stellen. Alla fordert zwar von Uwe
Mithilfe und scheint emanzipiert, aber sie akzeptiert es auch immer
wieder, dass er wegen seiner Arbeit im Haushalt und bei der
Kindererziehung nicht mithilft. In einer der beiden Situationen, in der
Uwe Einsicht zeigt und sein Verhalten kritisch beurteilt, beruhigt sie
ihn allzu schnell und zeigt sich damit als inkonsequent, was ihre
Forderungen angeht. Alla: „Einer zahlt immer drauf.“ Uwe: „Es schmeckt
mir nicht, dass du draufzahlst.“ [...] Alla: „Ich hol’ mir schon, was
mir fehlt, ich näh’ mir schon die Haut, die mir passt.“ Alla glaubt
sich stark genug, ihre Bedürfnisse durchzusetzen und sieht nicht, dass
Uwe ihr in der Praxis gar keine andere Wahl lässt als zurückzustecken.
Alla wird als gutgläubig und nachgiebig dargestellt, was als ein
kritischer Hinweis auf den mangelnden Durchsetzungswillen von Frauen im
Zusammenhang mit der Gleichberechtigung gesehen werden kann.
Gleichzeitig wird Allas Arbeit als „Spaziergang“ gezeigt. Sie bummelt
mit polnischen Geschäftsleuten, für die sie dolmetscht, durch eine
Fußgängerzone und geht mit ihnen in ein Café. Mit der Darstellung von
Allas Arbeit als leichte Tätigkeit, Uwes wissenschaftliche Arbeit wird
im Gegensatz dazu in einer Traumszene mit Gewichtheben verglichen,
scheint der Film ihr Zurückstecken, ihr „Draufzahlen“, zu
rechtfertigen.[92] Uwe reduziert ihre Arbeit aufs „Handküsse sammeln“
und zeigt damit, dass er ihren Beruf nicht ernst nimmt. Dazu passt,
dass er die meiste Zeit die Mehrbelastung Allas als selbstverständlich
hinnimmt und sich nicht mit ihren auch daraus entstehenden Problemen
auseinandersetzen will. Er ist viel zu sehr mit seiner Arbeit
beschäftigt, als dass er Alla und ihre Sorgen ernsthaft wahrnimmt. Dies
tut er noch nicht einmal, als Alla ihm von ihrer Möglichkeit erzählt,
drei Monate nach Polen zu gehen und ihre berufliche Qualifikation damit
noch zu erhöhen. Während sie sich sorgt, wie die Kinder und er ohne sie
zurechtkommen sollen, will Uwe, der wie stets an seiner Arbeit sitzt,
nicht gestört werden und versucht, das Gespräch schnell zu beenden.
Seine Reaktion reduziert sich auf „Prima, nichts wie hin“, „Mach’ mal,
mach’ mal“ und „Na, was gibt’s denn da noch groß zu reden?“. Uwe sieht
in einer möglichen Abwesenheit Allas kein Problem, die Kinder könnten
doch solange zu ihren Eltern. An dieser Szene wird deutlich, wie sehr
Alla ihre Erwerbstätigkeit auf Uwe und die Kinder abstimmt. Für sie ist
die Vereinbarkeit von Beruf und Familie nur möglich, wenn sie auch
bereit ist, berufliche Abstriche zu machen. Damit kritisiert der Film,
dass es gerade für Frauen in der DDR im Gegensatz zu den offiziellen
Verlautbarungen enorm schwierig war, Beruf und Familie zu vereinbaren.
Frauen waren durch die Verantwortung für Kinder und Haushalt mehr
belastet und so meist zu beruflichem Verzicht gezwungen. Allas
Zurücknahme steht im Gegensatz zu Uwes Selbstverständnis, hauptsächlich
für seine Arbeit zu leben und auch in einer Ausnahmesituation nicht
vorrangig seiner Familie verpflichtet zu sein. Der Film stellt somit
kritisch heraus, dass Uwes Denken in traditionellen
Geschlechtervorstellungen verankert ist. Sein Bereich ist der Beruf und
so muss Alla auch die Bereiche Kinder und Haushalt übernehmen. Er ist
nicht bereit, für seine Familie Einschränkungen in Kauf zu nehmen, er
will in seinem wissenschaftlichen Forschungsstreben nicht gestört
werden.[93] Sein überheblicher Egoismus und seine Gleichgültigkeit
gegenüber Alla und ihrer Dreifachbelastung durch Beruf, Kinder und
Haushalt zeigen sich auch in einer Szene, in der Alla ihn nachts
aufweckt und sagt, was sie bedrückt. Alla: „Merkst du überhaupt, dass
ich noch da bin – ich bin doch dein Haustier, nicht? Verrammelst dich
in deiner Arbeit und fertig. Mein bißchen Übersetzungskram, meine
Sorgen oder so was – lächerlich, einfach lästig...“ Uwe reagiert auf
ihre Vorwürfe nur ausweichend und ist nicht zu einem ernsthaften
Gespräch mit Alla bereit. Eine kritische Anspielung darauf, dass Uwes
egoistisches und aus traditionellen Rollenmustern herrührendes
Verhalten, das zu Allas Mehrbelastung führt, auf viele DDR-Männer
zutrifft, kann in folgender Aussage Allas gesehen werden: „Du hast die
verdammte Sicherheit aller Männer an dir, überzeugt, dass es immer so
bleiben wird, dass die Frauen immer wieder zurückstecken.“
Im Gegensatz zu dem Lebensmodell von Alla steht das von Ruth, der
Schwester Uwes. Ruth ist Ärztin und wird als intelligent, resolut und
teilweise zynisch dargestellt. Sie kann in wissenschaftlichen
Gesprächen mit Männern ohne Probleme mithalten. Ruth hält die Ehe für
einen „Krampf“, sie glaubt, dass die Liebe sowie eine Familie und
Kinder zuviel Energie für sich beanspruchen und sie das deshalb nicht
mit ihrer anspruchsvollen beruflichen Tätigkeit vereinbaren kann. Ruth:
„Wenn du erst einmal damit anfängst – das verschlingt dich. [...] Wenn
du sie liebst, hast du nichts anderes im Kopf, wenn du sie hasst,
kannst du auch nicht vernünftig denken. Das bisschen Leben geht ständig
drauf, Übereinstimmung herzustellen.“ Anhand von Ruths Einstellung
stellt der Film die Frage, ob Frauen nur beruflich voll eingebunden
sein können, wenn sie auf eine Familie verzichten. Gerade im Kontrast
zu Uwe, der eine Familie hat und sein berufliches Engagement trotzdem
lebt, weil er es auf Kosten seiner Frau tut, zeigt sich, dass es meist
Frauen sind, die Männern für ihre Arbeit „den Rücken frei halten“. Ruth
kann anders als Uwe nicht auf jemanden zurückgreifen, der sich um
Kinder und Haushalt kümmern würde. „Leben mit Uwe“ deutet kritisch
darauf hin, dass eine vollständige Gleichberechtigung zwischen Mann und
Frau noch nicht eingetreten ist, da meist die Frauen einseitig für
Kinder und Haushalt verantwortlich gemacht werden und somit ihre
berufliche Karriere nicht so ungestört verfolgen können wie Männer.
Dass Ruths Verzicht nicht die Lösung des Problems Vereinbarkeit von
Beruf und Familie sein sollte, macht der Film unter anderem dadurch
deutlich, dass Ruth selbst unter ihrer Entscheidung leidet. Ruth: „Wer
sagt mir denn, wie viel Strahlung ich überhaupt schon geschluckt habe?
[...] Wer garantiert mir denn, dass ich überhaupt noch so was wie’n
Kind zustande bringe?“ Ruths Lebensentwurf steht gerade im Hinblick auf
ihren Verzicht auf eine Mutterschaft im Gegensatz zu den offiziellen
Vorgaben der SED für Frauen in der Ära Honecker. Es kann als Kritik an
den Gesetzen, die Frauen stärker für Kinder verantwortlich machen, und
auch an dem Fortbestehen von traditionellen Rollenvorstellungen bei
DDR-Männern verstanden werden, dass Ruth gerne Kinder hätte, sie aber
nicht die passenden Gegebenheiten dafür vorfindet, dies zu tun, wenn
sie beruflich nicht kürzer treten will. Ruths Lebensentwurf, der nicht
dem offiziellen Frauenleitbild entspricht, stößt auf weniger
gesellschaftliche Akzeptanz als der Allas, was sich auch daran zeigt,
dass sie sich anders als Alla gegen Vorurteile behaupten muss. Alla ist
nicht an einer oberflächlichen Lösung ihres Konflikts mit Uwe
interessiert. In einem Traum Uwes rennt sie vor ihm davon, als er ihr
einen Schlüssel für eine neue, bequemere Wohnung präsentiert. Sie weiß,
dass dies ihre Probleme nicht lösen würde. Es ist aber auch keine
dauerhafte Lösung in Sicht: Uwe sagt Alla, nach seiner Dissertation
werde es nicht besser, da ein neuer Forschungsauftrag unterschrieben
sei und er darauf brenne anzufangen. Das lässt vermuten, dass Alla auch
weiterhin den Alltag mit all seinen Pflichten allein bewältigen muss.
Sie ist aber bereit, die Ehe mit Uwe weiterzuführen. Dies zeigt sich,
als Alla anders als geplant am Ende des Films im Hörsaal zur
Dissertationsverteidigung erscheint. In dieser Szene wird Uwe noch
einmal klar, wie stark Alla durch sein für ihn selbstverständliches
Arbeitsengagement belastet wird. In dem Moment, als sein Professor
seinen lückenlosen beruflichen Werdegang vorträgt, den er ohne Allas
Zurückstecken wahrscheinlich nicht gehabt hätte, ist zu hören, was Uwe
denkt: „Alla, ich sehe dich an und ich fühle mich schuldig.“ Dieser
letzte Satz des Films kann als positiver Ausblick verstanden werden:
Uwe ist zumindest bereit, sich mit den Problemen Allas aufrichtig
auseinanderzusetzen.
Reaktionen auf den Film
„Leben mit Uwe“ traf größtenteils auf eine positive Aufnahme bei
den Kritikern. Einige Filmrezensionen stellten klar heraus, dass Alla
die allermeisten Pflichten des Haushalts übernimmt und sie in dieser
Ehe diejenige ist, die „draufzahlt“. Dabei wurde Uwe in seiner Haltung
kritisiert.[95] Diese Kritik an Uwe entspricht den gesellschaftlich
anzustrebenden bzw. laut Honecker schon erreichten offiziellen
Verlautbarungen zur Gleichberechtigung von Mann und Frau. Die
Filmrezension der „Weltbühne“ ging sogar davon aus, Alla und Uwe würden
sich schon in einem Zustand der Gleichberechtigung, Hilfe und
Arbeitsteilung im Familienleben befinden. Nur manchmal gebe der Film
einer „falschen Tendenz zur Gleichberechtigungsproblematik nach z.B.
beim Motiv „Einer zahlt immer drauf“ und bei Uwes Schuldkomplex am
Schluss“.[96] Diese Beurteilung, dass Uwe sich nichts vorzuwerfen habe
und dass in der Beziehung von Alla und Uwe keiner „draufzahle“, wird
eindeutig durch den Film widerlegt. Auch in der Zeitschrift „Film und
Fernsehen“ hieß es, bei Uwe und Allas Problematik ginge es nicht um die
praktischen Belange des Familienlebens wie Kinderbetreuung und
Haushaltspflichten.[97] Diese Einschätzungen zu „Leben mit Uwe“ lassen
darauf schließen, dass es ungern gesehen wurde, wenn ein Film die
Mehrbelastung von Frauen in der Familie und somit eine
Gleichberechtigungsproblematik thematisierte, die der offiziellen
Propaganda nach nicht mehr bestand. Ruths Lebensmaxime wurde als
mögliche Alternative zu einem Leben mit Ehemann und Kindern in den
meisten Rezensionen nicht anerkannt.[98] Es lässt sich vermuten, dass
die Ablehnung diesem Lebensentwurf gegenüber damit zusammenhängt, dass
Ruth nicht ihrer weiblichen Bestimmung als Mutter nachkommt. Gerade die
Mutterschaft war im offiziellen Frauenleitbild der Ära Honecker eine
zentrale Vorgabe. Dass Ruth in diesem Punkt dem Frauenleitbild nicht
entspricht und somit ihren gesellschaftlichen Beitrag als Mutter nicht
leistet, macht ihr Lebensmodell kritikwürdig.
4.3. „BIS DASS DER TOD EUCH SCHEIDET“ VON HEINER CAROW (1979)
Premiere: 17.05.1979, Regie: Heiner Carow, Szenarium: Günther
Rücker, Kamera: Jürgen Brauer, Darsteller/innen: Katrin Saß (Sonja),
Martin Seiffert (Jens), Angelica Domröse (Jens’ Schwester), Renate
Krößner (Tilli) u.a., 96 Min.
Inhalt und Regisseur
Sonja, Verkäuferin, und Jens, Bauarbeiter, beide Anfang Zwanzig
heiraten und glauben, die große Liebe gefunden zu haben. Sonja gibt
nach der Geburt des ersten Kindes ihren Beruf auf. Als sie sich nach
dem Babyjahr isoliert und unterfordert fühlt und wieder arbeiten will,
ist Jens strikt dagegen. Er möchte, dass sie zuhause bleibt und dem
Sohn das liebevolle Heim bietet, das er nie gehabt hat. Das entspricht
seiner Vorstellung von einem harmonischen Familienleben. Sonja bildet
sich trotzdem heimlich weiter und macht ihre Facharbeiterprüfung. Als
Jens davon erfährt, ist er außer sich und schlägt sie. Die Beziehung
gerät immer mehr aus den Fugen. Jens trinkt und demütigt Sonja, die ihm
immer wieder verzeiht, wenn er reumütig ist. Auch die Freunde und
Kollegen der Beiden können nicht helfen. Jens verliert jegliche
Beherrschung, als er hört, dass Sonja ein gemeinsames Kind abgetrieben
hat. Ihre einstige Liebe hat sich in Hass verwandelt. Sonja hält Jens
nicht davon ab, aus einer Flasche zu trinken, in der sich Säure
befindet. Jens verliert infolgedessen seine Stimme und Sonja will sich
selbst anzeigen. Obwohl sich erneut Liebe zwischen den beiden zeigt,
bleibt offen, wie sie mit diesem Unglück fertigwerden.
Heiner Carow (1929-1997) war seit 1957 Regisseur und auch
Drehbuchautor bei der DEFA. Die Kinder- und Jugendfilme „Sheriff Teddy“
(1957) und „Sie nannten ihn Amigo“ (1959) verschafften ihm erste
Anerkennung. Sein 1968 entstandener Film „Die Russen kommen“ wurde bis
1987 unter Verschluß gehalten, weil er nicht dem
marxistisch-leninistischen Geschichtsbild entsprach. Zu Carows größtem
Erfolg wurde der Gegenwartsfilm „Die Legende von Paul und Paula“
(1973). Nach der umkämpften Realisierung von „Bis dass der Tod euch
scheidet“ drehte Carow bis Mitte der Achtziger keinen Film mehr. 1989
erregte sein Film „Coming Out“ großes Aufsehen, der das in der DDR
bislang tabuisierte Thema der Homosexualität freizügig aufgriff.[99]
Frauenspezifische Hauptthematik – Selbstverwirklichung gegen den Willen des Mannes
„Bis dass der Tod euch scheidet“ von Heiner Carow ist der
DEFA-Gegenwartsfilm, der die Thematik von Eheproblemen in der
sozialistischen Gesellschaft am drastischsten aufgegriffen hat. Anhand
einer Ehegeschichte setzt sich der Film auch auf provokante und
polemische Art mit bürgerlichen Geschlechtervorstellungen in der
DDR-Gesellschaft auseinander. Das Szenarium von Günther Rücker basierte
dabei auf einem authentischen Fall von einer missbrauchten Ehefrau, die
ihrem Mann bewusst Säure zu trinken gab.[100] So endet auch die
Problematik der Ehepartner Sonja und Jens in „Bis dass der Tod euch
scheidet“ schließlich damit, dass Jens aus einer Seltersflasche Säure
trinkt und Sonja es nicht verhindert. Bis zu diesem tragischen Schluss
zeigt der Film die allmähliche und bald immer schneller
voranschreitende Zerrüttung der jungen Ehe auf. Die Hauptursache für
den sich verschärfenden Konflikt zwischen den Beiden ist Sonjas Wunsch,
nach dem ersten Kind wieder in ihren Beruf als Verkäuferin
zurückzukehren, und Jens’ ablehnende Haltung gegenüber diesem Bedürfnis
seiner Frau. Somit behandelt der Film im Hinblick auf frauenspezifische
Belange hauptsächlich das Thema Emanzipation und Selbstverwirklichung
einer Frau in der Ehe gegen den Willen und die Vorstellungen des
Ehemannes. Der Film zeigt, wie schwierig sich weibliche Emanzipation in
der DDR gestalten konnte, wenn der Ehemann traditionelle Ansichten von
Ehe und Familienleben hatte und sich deswegen gegen die berufliche und
gesellschaftliche Betätigung der Frau stellte. Gleichzeitig wird
herausgestellt, dass weder ein intaktes soziales Umfeld noch die
Beachtung gut gemeinter Ratschläge bei der eigenen Selbstverwirklichung
ausreichend helfen können oder ein glückliches und erfülltes Leben
garantieren.
Filmische Umsetzung des Themas – Junge Frau in den Grenzen einertraditionellen Ehe
„Bis dass der Tod euch scheidet“ beginnt mit der Eheschließung der
Hauptfiguren Sonja und Jens und der anschließenden Hochzeitsfeier. In
der ersten Szene sind in warmes Licht getauchte Baumwipfel zu sehen,
und eine Standesbeamtin spricht im Off-Ton mit einer lieblich rührenden
Stimme über die Ehe und die Gleichberechtigung in der sozialistischen
Gesellschaft und was die Hochzeit für das Brautpaar bedeuten sollte.
Dieser Text und somit das sozialistische Ideal einer guten Ehe steht im
starkem Gegensatz zu dem, wie Sonja im Laufe des Films ihre Ehe erlebt.
In den darauf folgenden Szenen, in denen das Brautpaar aus dem
Standesamt kommt und in denen die feucht-fröhliche Hochzeitsfeier zu
sehen ist, wird für den Zuschauer die überschwängliche und
leidenschaftliche Liebe des jungen Ehepaars deutlich. Sie schwören
sich, dass sie sich immer lieben und nie trennen werden. Gleichzeitig
wird schon die aufkeimende Eifersucht und das Kontrollbedürfnis von
Jens gegenüber Sonja angedeutet. Jens lässt Sonja während der Feier
nicht aus den Augen, registriert skeptisch, dass Sonjas Chef, ein
Kaufhallenleiter, vertraut mit ihr redet und ihr einen Ratgeberbuch für
die sozialistische Ehe und Familie schenkt. Die Hochzeitssequenz [101]
steht mit der zur Schau gestellten Liebe und Idylle für das Ideal, was
zu erhalten wäre, für einen Zustand der unbesorgten Glückseligkeit, von
dem Sonja und Jens beide leichtgläubig annehmen, er würde einfach so
anhalten. Dadurch, dass die Liebe der beiden so überhöht und
anscheinend großartig beginnt, gibt der Film Sonjas Absturz in die
Enttäuschung und Verzweiflung sowie den eklatanten Diskrepanzen
zwischen Sonjas und Jens’ Vorstellungen vom Leben mehr Gewicht.
Außerdem wird so kritisch darauf hingewiesen, dass die beiden
eigentlich gar nichts voneinander wußten und diese Ehe vollkommen naiv,
unreif und somit zu früh eingegangen wurde. Diese Kritik sowie der
Filmtitel selbst können als Hinweis auf die hohe Scheidungsrate in der
DDR verstanden werden. Die Figur der Sonja weist im Film in einem
Gespräch mit ihrer Freundin Tilli darauf hin, dass meist die Frauen in
der DDR die Scheidung einreichen, sie will ihren Ehemann Jens und seine
Probleme aber lieber begreifen. Somit wird ein anderer Weg von Sonja
gewählt und die hohe Scheidungsquote nicht als ein logisches oder gar
stolzes Ergebnis von weiblicher Emanzipation dargestellt, wie oft in
der DDR üblich.[102] Die Figur der Sonja hat eine kindliche Naivität
und Fröhlichkeit, sie will ihrem Ehemann gefallen und hat dabei
erhebliche Probleme, ihre eigenen Bedürfnisse zu kommunizieren, obwohl
sie diese eindeutig kennt. In ihrem unbedingten Wunsch, nach dem
Babyjahr wieder arbeiten zu gehen, wird der Teil des sozialistischen
Frauenleitbilds propagiert, dass eine berufliche und somit auch
gesellschaftliche Einbindung der Frau zu ihrem natürlichen
Selbstverständnis gehört.[103) Sonja: „Ich möchte auch wieder
arbeiten.“ [...] Jens: „Apfelsinenkisten schleppen, Kaufhalle wischen,
um sechs aufstehen. Danach sehnt sich doch niemand.“ Sonja: „Doch. Ich.
[...] Mir fehlt aber was. Was soll ich denn machen?“ Für Sonja gibt es
keine Trennung vom privaten und gesellschaftlichen Leben. Sie fühlt
sich mit ihren Kollegen von der Kaufhalle eng verbunden und sieht sich
auch gegenüber dem Kollektiv verpflichtet. Zusätzlich hält sie sich,
ohne das je auch nur in Frage zu stellen oder eine Arbeitsteilung zu
verlangen, für die Pflichten im Haushalt und bei der Kindererziehung
zuständig, das heißt bei ihr wirken auch noch althergebrachte
Geschlechtervorstellungen nach, die der Film aber nicht kritisch
beleuchtet.[104] Die Figur der Sonja in „Bis dass der Tod uns scheidet“
erfüllt das Frauenleitbild der Ära Honecker. Bei ihr fallen
mustergültig private und gesellschaftliche Interessen zusammen. Sonja
ist Mutter und will ganztätig berufstätig sein, dabei ist sie bereit,
diese Mehrfachbelastung ganz selbstverständlich auf sich zu nehmen.
Sonjas im Sinne der SED fortschrittliche und emanzipierte Vorstellung
vom Leben wird noch deutlicher herausgestellt im Vergleich zu Jens, der
von einem traditionellen Familienmodell träumt, das er auch wegen
seiner eigenen unglücklichen Kindheit anstrebt. Jens: „Ein Mann braucht
eine Frau und ein Kind, für die er sorgt, er braucht Verantwortung.“
Jens hat eine patriarchalische Geschlechtervorstellung. Er räumt sich
Rechte ein, die er Sonja nicht zugesteht, und geht davon aus, dass die
männliche Erwerbstätigkeit bedeutender ist als die weibliche. Sonja:
„Lässt du mich denn arbeiten, ja? Du ja, du darfst alles! Du darfst
kommen, gehen, Geld verdienen, Bier trinken. Warum du, warum ich
nicht?“ Jens: „Weil meine Arbeit Arbeit ist.“ Sonja: „Ach, und meine?“
Jens: „Ausgezogen an der Kasse sitzen, Schenkel zeigen, Kittel bis zum
Nabel.“ Die Figur des Jens’ steht für die Art von Männern, die aus
Unsicherheit oder Angst mit der weiblichen Emanzipation nicht umgehen
können und sie darum ablehnen. Jens: „Die will weg.“ Brigadier: „Ach,
warum soll die weg wollen?“ Jens: „Ich bin ihr zu wenig. Die will weg.
Ich hätt’s wissen müssen. Ich bin auch nur der letzte Dreck, der letzte
Dreck bin ich.“ Die Unsicherheit und der Minderwertigkeitskomplex von
Jens verstärken sich im Laufe des Films, insbesondere als er seine
Meisterprüfung nicht besteht. Er muss erkennen, dass Sonja belastbarer
ist, sie hat ihre Facharbeiterprüfung neben dem Haushalt und dem Kind
mit Leichtigkeit bestanden. Damit wird die Stärke und Belastbarkeit von
DDR-Frauen positiv hervorgehoben und gleichzeitig festgestellt, dass
eine Mehrfachbelastung für Frauen kein größeres Problem sei. Sonja
steckt in einem Konflikt, den sie auch wegen mangelnder Reflektion
nicht beheben kann. Sie liebt Jens, will bei ihm sein, ihn umhegen und
ihm gefallen. Trotzdem genügt ihr die Hausarbeit und Kindererziehung
nicht, darum leidet sie darunter, dass er von ihr Selbstaufgabe für den
privaten Bereich verlangt. Sie weiß, dass sie so nicht leben will,
schafft es aber trotzdem nicht, ihr Bedürfnis nach Arbeit und ihre
Selbstverwirklichung gegen den Willen ihres Ehemannes
durchzusetzen.[105] Sie ist mit dieser Problematik überfordert und
allein gelassen, denn weder ihr Ehe-Ratgeberbuch noch das Kollektiv
können ihr helfen, sich zu behaupten und ihre naive Inkonsequenz
gegenüber Jens zu überwinden. Daran zeigt sich, dass die relevanten
Gesetze für die Gleichstellung von Mann und Frau zwar in Kraft sein
konnten, dies aber noch lange nicht garantierte, dass die individuelle
Emanzipation von Frauen möglich war. Frauen hatten in der DDR ihre
Gleichberechtigung auch gegen den Willen von rückwärtsgewandten Männern
mit bürgerlichen Geschlechtervorstellungen zu erkämpfen. Das wird in
„Bis dass der Tod euch scheidet“ als besonders schwierig dargestellt,
wenn der eigene Ehemann wegen seiner traditionellen Ansichten keinerlei
Verständnis für die eigenständige Persönlichkeit der Frau und ihr
Bedürfnis nach beruflicher und gesellschaftlicher Zugehörigkeit und
Anerkennung hat. Mit der Darstellung von traditionellen und
patriarchalischen Geschlechtervorstellungen bei Jens widerspricht der
Film der offiziell propagierten Gleichstellung von Mann und Frau
zutiefst und lässt dies durch die Gewalt, die Jens Sonja antut, noch
extremer deutlich werden. Dabei kann die Kritik des Films an noch
vorhandenen patriarchalischen Zügen von Männern auch als Verweis auf
den weitverbreiteten Fortbestand des Patriarchats in DDR-Familien und
somit auf die mangelnde häusliche Gleichberechtigung verstanden
werden.[106] Da Jens in seiner Unsicherheit alles, was Sonja tut und
sagt, als gegen ihn gerichtet interpretiert, eskaliert der Streit über
Sonjas Wunsch nach Berufstätigkeit mehrmals. Jens schlägt seine
Ehefrau, als er von ihrer heimlich erreichten Qualifikation zur
Facharbeiterin erfährt. Er fühlt sich hintergangen und fängt an zu
trinken.[107] Sonja beginnt dennoch wieder zu arbeiten, verheimlicht
dies aber anfänglich, da sie nicht die Stärke hat, ihr Bedürfnis gegen
Jens’ aggressive Haltung zu verteidigen. Die Unfähigkeit der beiden
Ehepartner, verbal miteinander zu kommunizieren, wird immer
offensichtlicher. Beide fühlen sich unverstanden, finden aber keine
gemeinsame Sprache. Sonja klammert sich in ihrer Hilflosigkeit an ihr
Ratgeberbuch für Ehe und Familie, in dem sie ständig liest oder es auch
stellenweise zitiert. Dies hat zum Beispiel polemische Züge, als Sonja
mit blauem Auge zuhause sitzt und ihre Mutter von Scheidung spricht,
während Sonja liest und eine Stelle über die Wichtigkeit von
Schlafliedern für Kinder zitiert. Der Film macht damit deutlich, dass
Frauen für ihre eigenen Rechte eintreten müssen und sich nicht hinter
Ratgeberbüchern verstecken sollen. „Bis dass der Tod Euch scheidet“
kritisiert undifferenzierte Ratschläge, die individuellen Problemen
nicht gerecht werden. In diesem Zusammenhang steht auch die Polemik
gegen die „goldenen Lebensregeln“ und Allgemeinplätze, die Sonja und
Jens im Laufe des Films zu hören bekommen. Obwohl die positive
Darstellung eines intakten sozialen Umfelds der beiden Hauptfiguren
dazu beigetragen hat, dass die Produktion dieses provokanten
Gegenwartsfilms überhaupt freigegeben wurde [108], bleibt es
offensichtlich, dass die allermeisten Außenstehenden die Eheprobleme
von Sonja und Jens unterschätzen und auch bagatellisieren. Selbst gegen
Ende des Films sagt Jens’ Brigadier noch, dass die Beiden doch keine
Hilfe bräuchten, denn sie hätten eine schöne Wohnung, genug Geld und
das Kind sei gesund. Äußere Faktoren sollen die innere Krise
überdecken, dies kann parallel zur Propaganda von der erreichten
Gleichberechtigung und zu den in der Realität noch vorhandenen
Widersprüchen gesehen werden. Das offizielle Frauenleitbild der Ära
Honecker postulierte zwar die Emanzipation, aber wollte die Tatsache
nicht wahrhaben, dass Frauen dies teilweise wegen überkommener
Geschlechtervorstellungen in der Gesellschaft nicht möglich war. Gerade
die Neubauwohnung, in die Sonja und Jens nach der Hälfte des Films
einziehen, soll in den Augen der Außenstehenden zwischen den
Ehepartnern alles neu und besser machen. Als Kritik an der
„dialektischen“ Problemlösung früherer Filme kann in diesem
Zusammenhang eine Aussage des Brigadiers verstanden werden. Dieser sagt
in völliger Verkennung der wahren Situation bei der Einweihung der
Neubauwohnung, dass jetzt die guten Jahre beginnen würden, es sei wie
im Fernsehspiel von vorgestern: „Jetzt wird er (Jens) sich zum Meister
qualifizieren. Und kommt der Beruf in Ordnung, kommt das Leben in
Ordnung und die Ehe, und alles flutscht wieder.“[109] Soziale
Sicherheit, gute Ratschläge sowie das Festhalten an Lehrbüchern und
ihren Vorschriften verhelfen nicht alleine zu einem selbstbestimmten
und glücklichen Leben. Dies wird noch einmal sehr deutlich
herausgearbeitet, als Sonja am offenen Ende des Films nach der
Katastrophe enttäuscht erkennen muss, dass in ihrem Leben einiges
falsch gelaufen ist. Dabei lässt der Film völlig unklar, ob und wie es
für Sonja und Jens weitergehen wird. Bei der Hochzeitsfeier ihrer
Freundin Tilli, die auch ein Ratgeberbuch geschenkt bekommt, offenbart
Sonja den anwesenden Gästen laut ihre Verzweiflung und Schuld. Sonja:
„Wie’s gekommen ist, will ich wissen. Er hat’s gut gewollt, ich hab’s
gut gewollt. Alle haben’s gut gewollt. Alles hab’ ich nach Vorschrift
gemacht, immer in diesem Buch nachgelesen. Und doch ist alles daneben
gegangen. Und doch habe ich ihm das Gift zu saufen gegeben.“ Die Gäste
horchen nach diesem Bekenntnis zwar einen Moment auf, niemand will sich
dann aber die gute Stimmung kaputt machen lassen. Keiner will die
Probleme wahrhaben, sie werden individualisiert. Durch die Darstellung
einer weiteren Hochzeit eines jungen Paares am Schluß des Films wird
aber kritisch angedeutet, dass die Probleme von Sonja und Jens kein
Einzelfall sind und sich wiederholen können.
Reaktionen auf den Film
Dass traditionelle Ansichten von Geschlechterrollen in der DDR
nicht nur bei Männern noch Bestand hatten, lässt sich an einigen
Filmkritiken zu „Bis dass der Tod euch scheidet“ erkennen. Gerade die
Zuständigkeit der Frau für die Kinder wurde in mehreren Kritiken als
selbstverständlich vorausgesetzt. Dabei wurde beanstandet, Sonja habe
im Film keine nachvollziehbare, liebevolle Beziehung zu ihrem Kind, von
Jens wurde in diesem Zusammenhang nie gesprochen. Es gab den Vorhalt,
dass Sonja im Beruf nicht den Anschluss verliere und sie daher noch
eine Weile zuhause bleiben könne. Dass der Mann seinen Beruf aufgeben
oder in Teilzeit arbeiten könnte, wird dabei nicht in Erwägung
gezogen.[110] An anderer Stelle hieß es, die Figur des Jens verkörpere
zwar die Tradition bürgerlicher Geschlechterrollen, aber viele Frauen
würden auch über das ihren Kindern zuträgliche Maß hinaus arbeiten und
das nicht aus Not, sondern aus dem Bedürfnis heraus, sich bestätigt zu
fühlen.[111] Daran zeigte sich, dass die Rolle des Mannes nicht in
Frage gestellt wurde und dass die ökonomische Notwendigkeit der
weiblichen Erwerbsarbeit zwar gesellschaftlich anerkannt war, aber alle
darüber hinausgehenden Motivationen eher skeptisch betrachtet wurden.
Genau das ist auch die Einstellung von Jens, als er Sonja, die ihren
Wunsch nach Erwerbstätigkeit formuliert, die ökonomische
Abgesichertheit der Familie vorhält und sagt: „Haben wir nicht genug?
[...] Sind dir deine Kollegen wichtiger als ich und der Junge? Oder was
steckt sonst dahinter?“
4.4. „BÜRGSCHAFT FÜR EIN JAHR“ VON HERRMANN ZSCHOCHE (1981)
Premiere: 17.9.1981, Regie: Herrmann Zschoche, Szenarium: Gabriele
Kotte, Literaturvorlage: Gleichnamiger Roman von Tine Schulze-Gerlach,
Kamera: Günther Jaeuthe, Darsteller/innen: Katrin Saß (Nina), Monika
Lennartz (Irmgard Behrend), Jaecki Schwarz (Peter Müller), Jan Spitzer
(Werner Horn) u.a., 93 Min.
Inhalt und Regisseur
Nina Kern ist 28 Jahre alt und von ihrem Mann, der sie wiederholt
geschlagen hat, seit drei Jahren geschieden. Ihre drei Kinder leben im
Heim und nun soll ihr wegen jahrelanger Vernachlässigung auch das
Sorgerecht für diese aberkannt werden. Nina erhält eine letzte Chance
sich zu bewähren und bekommt zwei Bürgen zur Seite gestellt, die ihr
helfen sollen, ihren Lebenswandel zu ändern. Mit Hilfe der zwei Bürgen,
einem Bauingenieur und einer Musiklehrerin, kann Nina ihre jüngste
Tochter Mireille aus dem Heim nach Hause holen. Nina versucht, ihrer
Tochter eine gute Mutter zu sein und ihrer stupiden Arbeit bei einer
Putzbrigade der U-Bahn gewissenhaft nachzugehen. Sie findet einen
neuen, soliden Freund, der ihr hilft, die Wohnung in Ordnung zu
bringen. Nina erlebt aber auch Rückschläge. Sie verliebt sich in einen
anderen Mann, der kein dauerhaftes Interesse an ihr hat. Infolgedessen
verlässt ihr Freund sie. Nach der Entlassung der beiden älteren aus dem
Heim wird sie nicht allein mit den Kindern fertig. Obwohl ihre
Bewährung positiv endet, entschließt sie sich schweren Herzens, auf
ihre Tochter Jaqueline zu verzichten, mit der sie nicht zurechtkommt.
Herrmann Zschoche, geboren 1934, war seit 1960 Regisseur im DEFA-Studio
für Spielfilme. Sein 1965 entstandener Gegenwartsfilm „Karla“ wurde
nach dem 11. Plenum des ZK der SED verboten. Enormen Zuspruch beim
Publikum fanden seine beiden Jugendfilme „Sieben Sommersprossen“ (1978)
und „Und nächstes Jahr am Balaton“ (1980). Auch die lang umkämpfte
Romanverfilmung von Günther de Bruyns „Buridans Esel“ mit dem Titel
„Glück im Hinterhaus“ (1980) wurde zum Erfolg. Mit der Kritik am
modernen Wohnungsbau der DDR in „Insel der Schwäne“ (1983) traf
Zschoche auf schärfste Ablehnung seitens der Partei, die dem Film
starke Aufführungsbeschränkungen auferlegte.[112]
Frauenspezifische Hauptthematik – Gesellschaftliche Anforderungen und eigener Lebensstil
„Bürgschaft für ein Jahr“ thematisiert hauptsächlich das
Aufeinanderprallen von staatlicher Fürsorge sowie gesellschaftlichen
Lebensnormen und unangepasstem, „asozialen“ Lebenswandel einer
sogenannten „Randfigur“ der Gesellschaft. Es geht um die Normierung des
Lebens einer Außenseiterin durch das Eingreifen der Gesellschaft. Die
Hauptfigur des Films, Nina, wird mit den gesellschaftlichen
Anforderungen konfrontiert. Sie kämpft wegen ihrer Kinder um die
Anerkennung als Mutter, obwohl ihr die damit zusammenhängende Anpassung
an das gesellschaftlich geforderte korrekte moralische Verhalten schwer
fällt. Dieser Versuch der Anpassung steht in Spannung zu ihrem
bisherigen Lebensstil und ihrem Wunsch nach individuellem Glück.
„Bürgschaft für ein Jahr“ setzt sich auch damit auseinander, dass die
staatliche Kontrolle und die damit verbundenen gesellschaftlichen
Anforderungen zum Teil auch eine unsachliche Einmischung in Bereiche
von Ninas Privatleben darstellen.[113] Die berechtigte Kritik der
Gesellschaft an Ninas mangelnder Verantwortung für die Kinder mischt
sich mit sachfremder Beanstandung eines von der Mehrheit abweichenden
Lebensstils, da die im Film relevanten gesellschaftlichen Normen
teilweise auf konservativen Tendenzen beruhen. „Bürgschaft für ein
Jahr“ deutet immer wieder an, dass Ninas Verhalten an Maßstäben
gemessen wird, die sie vielleicht nie wirklich erfüllen kann, weil sie
auf einer anderen Lebenseinstellung als der von Nina beruhen. Das
heißt, dass der Versuch der Gesellschaft, Ninas Privatleben zu
normieren, ihrem individuellen Charakter nicht gerecht wird. Der Film
stellt die Frage, inwieweit ein individueller Lebensstil und ein
Glücksanspruch, die von der Norm und vom offiziellen Frauenleitbild
abweichen und sich der Anpassung entziehen, in der DDR-Gesellschaft
lebbar und toleriert sind.
Filmische Umsetzung des Themas – Unangepasste Heldin mitindividuellem Glücksanspruch
In der den Film eröffnenden Szene, in der Nina vor dem
Jugendhilfeausschuss sitzt, wird die Ausgangssituation des
„Sozialfalls“ Nina Kern dargelegt. Dabei zeigt sich bereits die
Diskrepanz zwischen Ninas Leben und den Vorstellungen der Fürsorge von
geordneten familiären Verhältnissen sehr deutlich. Der Ausschuss
verhandelt über die Entziehung des Sorgerechts für Ninas Kinder, die
vier Monate zuvor nach wiederholten Hinweisen der Nachbarn in ein Heim
eingewiesen wurden. Bevor Nina selbst zu Wort kommen kann, wird ihr
Fall von einigen anwesenden Entscheidungsträgern als aussichtslos und
ihr Lebenswandel als asozial bezeichnet, diese Vorverurteilung schlägt
sich auch in einem herablassenden Ton Nina gegenüber nieder. Sie muss
sich eine Liste von Vorwürfen anhören, die durch Jugendhilfe und
Nachbarn zusammengetragen wurde. Es wird unter anderem berichtet von
fehlenden Gardinen vor den Fenstern, dreckigem Geschirr, Ninas
nächtlichem Umherziehen mit Männern und dem unpersönlich eingerichteten
Kinderzimmer. Auch nach diesen äußerlichen Kriterien und Symbolen für
ein geordnetes Leben wird Nina beurteilt und der Film stellt damit
heraus, wie begrenzt dieser Ansatz zu Ninas Bewertung ist. Dass sie aus
Liebe zu ihren Kindern nach deren Heimeinweisung ihr Leben verändert
hat, dass sie einen neuen, soliden Freund hat und regelmäßig einer
Arbeit nachgeht, wird kaum beachtet. Der Heimleiter fährt Nina, die
unsicher und eingeschüchtert ist, über den Mund und wirft ihr vor, sie
würde nur reumütig spielen, die Kinder bräuchten aber eine Chance,
normal aufzuwachsen. Der Jugendhilfeausschuss als Vertretung der
Gesellschaft und des Rechts wird hier als überheblich und alles andere
als sozial dargestellt und als selbstgerecht entlarvt. Mit dem
vorgeschobenen Argument, zum Wohl der Kinder zu handeln, wird Nina
trotz ihrer Bemühungen, ein geregeltes Leben zu führen, die Kompetenz
als Mutter abgesprochen. Damit demaskiert schon diese Eröffnungssequenz
„die sogenannte soziale Gemeinschaft unter dem Deckmantel von
Verantwortung“.[114] Das heißt, Nina wird nicht nur weil sie ihre
Kinder vernachlässigt, sondern auch für ihre unangepaßte Persönlichkeit
und ihre unkonventionelle Lebensführung abgestraft. Sie gilt mit ihrem
Verhalten, gemessen an den Maßstäben der Mehrheitsgesellschaft, als
nicht „normal“. Die Figur Ninas erfüllt nicht das Frauenleitbild der
Ära Honecker, obwohl sie Kinder hat und arbeitet. Nina ist aber weder
beruflich qualifiziert noch ist sie den Kindern eine „gute“ Mutter. Sie
hat nur den Abschluss der achten Klasse, verdient ihr Geld als
ungelernte U-Bahnwäscherin und neigt zur Arbeitsbummelei. Ninas
Haushalt ist chaotisch. Die Kinder kamen laut Jugendfürsorge oft
unausgeschlafen und ohne Frühstück zur Schule und die ältere Tochter
Jacqueline erreichte das Klassenziel nicht. Nina ist keine erfolgreiche
alleinstehende Frau, die die Erziehung ihrer Kinder und die Arbeit
problemlos bewältigt und sich nebenbei noch beruflich qualifiziert.
Schon ihr mangelndes Interesse an einer Berufskarriere weist Nina als
Außenseiterin aus. Sie sucht Erfüllung und Freude nicht im Kollektiv
bei ihrer stumpfsinnigen Arbeit, sondern in der Liebe und im
Freundeskreis. Mit diesem feiert sie feucht-fröhlich, treibt sich in
Kneipen rum, trinkt und raucht. Nina ist eine Anti-Heldin. Dass dieses
dem Frauenleitbild dieser Zeit wiedersprechende Leben Ninas bei ihrer
Umwelt nicht auf Verständnis und Toleranz trifft, wird in „Bürgschaft
für ein Jahr“ immer wieder kritisch herausgearbeitet. Wenn Nina mit
ihrer Tochter auf Rollschuhen zum Kindergarten fährt, wird sie von
Passanten herablassend belächelt. Wenn sie bei ihren Nachbarn nach
Kohlen fragt, wird sie überall mal versteckt, mal offen abgewiesen.
„Wir müssen unser Geld auch zusammen halten“ wird sie von einer
Nachbarin zurechtgewiesen. Auch Ninas biederer Freund Werner will sie
belehren. Wenn Nina sich abends in einer Gaststätte Bouletten bestellt,
sagt er: „Nina, ich finde es unvernünftig sich hier vollzustopfen und
zu Hause wird alles schlecht“. Nina (verächtlich): „Eier und
Streifenwürstchen! Ich will Bouletten. Jetzt!“ Nina lehnt Werners
pragmatische Haltung und die „Normalität“, die er ihr bietet, ab. Er
wiederum kann ihren Wunsch, spontan ihren Bedürfnissen nachzugehen,
nicht nachempfinden. An dieser Kneipenszene wird auch deutlich, wie
Nina ihr Leben lebt, instinktiv und ohne über mögliche Konsequenzen
nachzudenken. Die Missbilligung, auf die Ninas Verhalten trifft, wird
in „Bürgschaft für ein Jahr“ kritisch beurteilt. Es wird gezeigt, dass
Nina auch dann keinerlei Ansprüche zu stellen hat, wenn sie im Recht
ist. In einer Filmszene will sie sich bei der Kindergärtnerin
beschweren, weil ihre Tochter Mireille wegen ihres Schunkelns im Schlaf
in den Waschraum abgeschoben wird. Die arrogante und geradezu bösartige
Haltung der Kindergärtnerin macht Nina aber unmissverständlich klar,
dass sie sich als „Rabenmutter“, bei der doch offensichtlich zuhause
nichts klappt, nicht auch noch über den ordentlichen Kindergarten
beschweren kann. Nina lässt sich von der Überheblichkeit der
Kindergärtnerin entmutigen, lenkt ein und kommt gar nicht erst auf ihr
eigentliches Anliegen zu sprechen.[115] Nina schafft es nicht, sich
gegen die Kindergärtnerin zu behaupten, obwohl sie im Recht ist. Das
lässt vermuten, dass sie durch wiederholt erlebte Demütigungen
unbewusst selbst an eine eigene Minderwertigkeit glaubt, die ihr die
Gesellschaft mit dem Wort asozial auferlegt hat. Damit kritisiert der
Film, dass Nina wegen ihrer sozialen Stellung und ihres unangepassten
Lebensstils von der Gesellschaft nicht als gleichwertig betrachtet
wird. „Bürgschaft für ein Jahr“ arbeitet heraus, dass eine
Vorverurteilung Ninas ungerecht ist. Nina ist zwar zum Teil unreif,
labil, irrational und sprunghaft, aber auch liebevoll, großzügig,
verständnisvoll und vor allem lebenslustig. Sie hat eine menschliche
Wärme und Lebensfreude, in der sie sich stark von ihrer Umwelt
unterscheidet. Mit dieser Lebenslust wird sie im Gegensatz zu ihrem
engstirnigen Umfeld als positivere Figur dargestellt. Dies zeigt sich
auch im Gegensatz von Nina zu ihrem Bürgen Peter Müller, einem
Bauingenieur. Dieser erkennt ihren verzweifelten Versuch, aus Liebe zu
ihren Kindern ihr Leben zu ordnen und sich notwendigen Pflichten nicht
zu entziehen, nicht an. Müller: „Für mich ist diese Dame ein
unzuverlässiges Flittchen. [...] Leute wie die Kern kann man nicht
ändern, die wollen’s auch gar nicht.“ Dass diese Haltung selbstgerecht
ist, wird deutlich an seinem in Wohlstandsdenken und
Selbstzufriedenheit erstarrten Leben. Der Film plädiert so für mehr
Verständnis für diejenigen, die anders sind als die anderen. Dass die
„normale“ ordentliche Fassade oft auch nur über wirklich unsoziales
Verhalten hinwegtäuscht, zeigt sich an Ninas verheiratetem Nachbarn.
Dieser versucht, Nina sexuell zu belästigen und sie zu erpressen. Damit
zieht der Film die Anständigkeit der „Normalen“ in Zweifel und betont,
dass vermeintlichen Außenseitern mit weniger Vorurteilen begegnet
werden sollte. Gleichzeitig wird durch die mangelnde gesellschaftliche
Billigung Ninas deutlich, wie schwer es ihr als Frau gemacht wird, die
nicht dem offiziellen Frauenleitbild entspricht. Die Geringschätzung
ihrer Person zeigt, wie stark die offiziellen Vorgaben das
Weiblichkeitsbild in der DDR geprägt haben. Nina wird an diesen
offiziellen Maßstäben gemessen und ein Leben außerhalb dieses von der
Gesellschaft mehrheitlich anerkannten Leitbilds wird als mühsam und
erniedrigend dargestellt. Nina sucht ihr individuelles Glück und ihre
Erfüllung aber nicht in Anerkennung durch die Gesellschaft, sie wehrt
sich gegen gesellschaftlich auferlegtes Gleichmaß. Ihre Ablehnung von
Erstarrung und Saturiertheit wird deutlich in dem Satz: „Jeden Abend
zwei Bier vorm Fernseher, auf so’n leisen Tod scheiß’ ich.“ Dabei ist
sie sich ihrer eigenen schwierigen Situation wohl bewusst: „Manchmal
bewundere ich euch, immer alles so gleichmäßig und im Takt [...] und
manchmal da kotzt ihr mich an.“ Hier weist der Film darauf hin, wie
bequem Anpassung an die Mehrheit und offizielle Vorgaben sein kann und
dass dies aber oft auch mit einer Aufgabe von Eigenheiten verbunden
ist. Nina kann und will das nicht tun. Sie will sich ihre
Individualität erhalten, ist aber wegen ihrer Kinder um eine gewisse
Anpassung bemüht. Das wird deutlich in der Szene, in der sie ihrer
Tochter Mireille ein Brot für den Kindergarten schmiert. Der
Kindergarten schreibt vor, dass Nina dafür Schwarzbrot verwenden soll,
aber Mireille besteht auf Weißbrot. Hin- und hergerissen zwischen
Verständnis für Mireilles individuellen Wunsch und der Vorschrift macht
Nina schließlich ein Brot, das zur Hälfte aus Schwarzbrot und zur
Hälfte aus Weißbrot besteht. Die Kamera verweilt länger auf diesem
andersartigen Brot. Mit diesem Bild zeigt der Film, wie Nina versucht,
den Normen und ihrem eigenen Willen gerecht zu werden und dass selbst
eine vollständige Anpassung für sie immer ein Kompromiss bliebe. Dies
drückt auch das Standbild am Ende des Films aus, welches Ninas
resigniertes und traurig¬ratloses Gesicht zeigt. Die Anpassung ist zwar
zum Teil gelungen, aber die Lebensfreude ist gedämpft und der Anspruch
auf Glück unerfüllt. Es bleibt offen, ob dieser je zu erfüllen ist,
wenn er sich nicht im Rahmen der gesellschaftlichen Normen bewegt.
Ninas Anspruch auf eine individuelle Glückserfüllung wird im Film als
nachvollziehbar und legitim dargestellt. Gerade da sie versucht in
einen eigenen Lebensrhythmus zu finden und nicht aufgibt, trotz der
Fehler, die sie macht und Rückschläge, die sie erleidet. Trotzdem wird
Ninas Lebensglück hauptsächlich auf die Kinder reduziert, was sich an
Ninas kurzer Affäre mit Rainer zeigt. Diese hat Konsequenzen, die als
Kritik an Ninas „egoistischen“ Glücksanspruch verstanden werden können.
Nina ist von dem Neuen euphorisiert, will mit ihm tanzen gehen und
lässt die schlafende Tochter Mireille allein zuhause. Nina und Rainer
werden dann aber von Ninas Ex-Mann aus dem Tanzlokal vertrieben, und
Werner rettet derweil in einer dramatischen Szene Mireille davor, aus
dem Fenster zu stürzen. Danach kündigt Werner Nina die Freundschaft.
Mit diesem Handlungsverlauf erkennt der Film Nina nur einen kleinen
Spielraum individuellen Auslebens zu. Durch die beinahe katastrophalen
Folgen ihres Verhaltens wird deutlich gemacht, wie schädlich ein
übermäßiger Wunsch nach eigenem, auch gelebtem Glück sein kann.[116]
Mit dieser Sequenz wird auch Ninas mangelnde Verantwortung für die
Kinder herausgearbeitet und kritisch betrachtet. Dass sich der Vater
der Kinder in keiner Form um diese kümmert und sich gegenüber den
Kindern und Nina so verantwortungslos verhält, dass er noch nicht
einmal Alimente zahlt, ist im Film aber eher nebensächlich. Nur Ninas
Bürgin fordert das Geld des Ex-Mannes ein, dass Nina aus falsch
verstandener Loyalität und mangelnder Emanzipation nie verlangt hat.
Somit hält der Film an der traditionellen Rollenverteilung fest. Nina
hat die ganze Verantwortung für die Kinder und muss sich sogar von
ihrem eifersüchtigen Ex-Mann, der sie geschlagen hat und den sie
trotzdem noch finanziell unterstützt, erpressen lassen, als sie ihn
abends mit Rainer im Tanzlokal trifft. Ex-Mann: „Mireille ist zuhause,
was? [...] Du bist mir eine schöne Mutter. Ich gehe auf die Fürsorge.“
Dazu passt auch, dass die kinderlose Bürgin Irmgard Behrendt komplett
überfordert ist, als sie einen Tag lang auf Mireille aufpasst. Damit
wird angedeutet, dass nur Mütter mit Kindern umgehen können, womit die
Rolle der Frau in „Bürgschaft für ein Jahr“ auf ihre mütterlichen
Pflichten reduziert wird. Die Figur Ninas wird zusätzlich im Umgang mit
Männern als wenig emanzipiert dargestellt. Sie lässt sich aus
Gutmütigkeit von ihrem Ex-Mann ausnutzen. Sie trennt sich nicht von
Werner, obwohl der sie langweilt und sie sich in einen anderen
verliebt. Nina braucht Männer als Stütze. Sie wird im Film immer als
stärker gezeigt, wenn ein Mann an ihrer Seite ist. Auch die Nachbarin
und die Fürsorge glauben, Nina bräuchte nur den richtigen Mann an ihrer
Seite. Nachbarin: „Es ist wirklich manches anders geworden, seit sie
(Werner und Nina) befreundet sind.“ Damit wird darauf hingewiesen, dass
der richtige Mann die Lösung vieler Probleme im Leben von Frauen sein
kann.[117] Diese Darstellung Ninas in Bezug auf Männer zeigt, dass
trotz der durch die SED postulierten weiblichen Emanzipation in der
Gesellschaft nach wie vor traditionelle Geschlechterrollen
vorherrschten. Am Ende des Films wird Ninas Resignation wegen ihrer
ungelösten Probleme auch im Zusammenhang mit dem Fehlen eines Mannes
gesehen. Nina: „Fast wie eine richtige Familie – nur ohne Mann.“
Reaktionen auf den Film
Die allermeisten Kritiker reagierten positiv auf „Bürgschaft für
ein Jahr“. Das „Neue Deutschland“ nannte den Film interessant,
streitbar und wahrhaftig. Gleichzeitig wurde Ninas Lebensstil nicht als
freier Wille, so zu leben, anerkannt, sondern als Schwäche gesehen, die
sie aus dem Gleichmaß ihres Lebens gebracht hätte. Dass Nina gerade
Gleichmaß ablehnt, bleibt unerwähnt.[118] Im Gegensatz dazu wurde Ninas
Lebenseinstellung in der Rezension der Wochenzeitschrift „Sonntag“
erfasst. „Nina Kern [...] sucht etwas anderes, rebelliert gegen
kleinbürgerlichen Mief, ein allzu geordnetes und behütetes Sein. Sie
stößt sich an Haltungen und Auffassungen, die ihr Gleichmaß
verordnen.“[119] Kritisiert wurde aber, dass Nina und ihre sich von der
„Normalität“ absetzende Art überhöht werde. Das Hauptthema des Films
wurde meist nicht in der Problematik der Erfüllung von Ninas
individuellen Glücksanspruch gesehen, sondern in der Verantwortung des
Einzelnen für sich und für die Gesellschaft. In vielen
Veröffentlichungen wurde davon ausgegangen, dass die sozialistische
Gesellschaft die Voraussetzungen für ein sinnerfülltes Leben geschaffen
habe, es läge nun in letzter Konsequenz an jedem Einzelnen, diese für
sich zu nutzen.[120] Dabei wurde nicht darauf eingegangen, inwiefern
diese geschaffenen Vorgaben individuelle Lebensstile einengen oder gar
nicht tolerieren.
4.5. „DAS FAHRRAD“ VON EVELYN SCHMIDT (1982)
Premiere: 22.07.1982, Regie: Evelyn Schmidt, Szenarium: Ernst
Wenig, Kamera: Roland Dressel, Darsteller: Heidemarie Schneider
(Susanne), Roman Kaminski (Thomas), Anke Friedrich (Jenny), Heidrun
Bartholomäus (Marry), 90 Min.
Inhalt und Regisseurin
Susanne ist ungelernte Arbeiterin, geschieden und allein mit ihrem
Kind. Sie hat eine unbefriedigende Arbeit in einer Fabrik und ihre
einzige Abwechslung sind Abende im Tanzlokal. Als sie den erfolgreichen
Ingenieur Thomas kennen lernt, ist sie erst skeptisch, lässt sich aber
von seiner Zuneigung überzeugen. Susanne findet den Mut ihre Arbeit
aufzugeben, gerät deswegen aber in finanzielle Schwierigkeiten. Ihre
Unzufriedenheit nimmt zu und aus der Not heraus meldet sie ihr Fahrrad
als gestohlen. Sie kassiert die Versicherungssumme, aber der Betrug
wird entdeckt, und sie soll sich vor einem Gericht verantworten.
Thomas, der sehr bemüht ist und ihr auch eine neue Arbeitsstelle
verschafft hat, reagiert abweisend, als sie ihm von dem Betrug und dem
bevorstehenden Verfahren berichtet. Er fürchtet um seine Stellung im
Betrieb. Susanne ist von seinem Unverständnis enttäuscht. Thomas hilft
ihr zwar, dass das Betrugsverfahren für sie glimpflich ausgeht, aber
ihre Beziehung ist dauerhaft beschädigt. Entschlossen ihr Leben zu
ändern, trennt sie sich von ihm. Evelyn Schmidt (geb. 1949) gehörte mit
Iris Gusner und Ingrid Reschke, die schon 1971 bei einem Autounfall
starb, zu den einzigen weiblichen Spielfilmregisseuren in der
DEFA-Geschichte. Sie war Meisterschülerin von Konrad Wolf und galt nach
ihrem Debüt „Seitensprung“ (1980) als eine der großen Hoffnungen der
DEFA. „Das Fahrrad“ stieß aber 1982 auf fast einmütige Ablehnung der
Kritiker und Filmfunktionäre. Schmidt wurde danach beargwöhnt und Ende
der achtziger Jahre beinahe des DEFA-Studios verwiesen.[121]
Frauenspezifische Hauptthematik – Ungleiche soziale Stellungen in der Gesellschaft
Der Film „Das Fahrrad“ von Evelyn Schmidt erzählt von ungleichen
sozialen Stellungen in der DDR-Gesellschaft und damit zusammenhängenden
unterschiedlichen Lebenssphären anhand der Beziehung zwischen einer
ungelernten Arbeiterin und alleinerziehenden Mutter und einem
aufstrebenden Ingenieur. Susannes Leben ist ein täglicher Kampf. Sie
geht einer stumpfsinnigen Fabrikarbeit nach und lebt mit ihrer kleinen
Tochter in einer heruntergekommenen Altbauwohnung. Im Gegensatz dazu
steht Thomas. Er ist erfolgreich, wohnt in einer schicken Neubauwohnung
und hat keine Geldsorgen. Diese Konstellation ist die Grundlage für das
Hauptthema von „Das Fahrrad“, es geht um unterschiedliche soziale
Positionen und damit einhergehenden Einstellungen und Möglichkeiten.
Susanne vermag die im Gesetz festgeschriebene Gleichberechtigung und
Chancengleichheit der Frau für ihr Leben nicht einzufordern und ihre
Alltagserfahrungen stehen im starken Widerspruch zu den offiziellen
Bestimmungen.[122] Der Film macht auf eine noch bestehende soziale
Kluft in der Gesellschaft der DDR aufmerksam und zeigt, was es für
Frauen bedeutet, der sozialen Unterschicht anzugehören. Susanne trifft
bei Thomas nämlich nicht nur auf einen anderen finanziellen
Hintergrund, sondern auch auf eine patriarchalische Haltung ihr
gegenüber. Sie wird von ihm als sozial nicht gleichgestellter Partner
auch in der Beziehung nicht gleichberechtigt behandelt. „Das Fahrrad“
zeigt, dass ein sozialer Aufstieg, den Männer Frauen bieten können,
meist auch mit der Forderung nach Dankbarkeit und folgsamer Anpassung
verbunden ist. Der Film beschäftigt sich mit der Frage, ob es
erstrebenswert ist, das eigene emanzipierte Sein aufzugeben, um ein
bequemeres, aber angepasstes und an Leistung orientiertes Leben zu
führen.
Filmische Umsetzung des Themas – Sozial benachteiligte Frau als nichtgleichberechtigte Partnerin
Die Belastungen, denen Susanne als alleinerziehende, berufstätige
Mutter ausgesetzt ist, werden in „Das Fahrrad“ deutlich
herausgearbeitet. Sie ist täglich Widrigkeiten des Lebens ausgesetzt,
weil sie am unteren Ende des sozialen Gefüges steht. Sie hat keinerlei
Ausbildung und arbeitet an einer Stanze in einer Fabrik. Die Arbeit ist
monoton und körperlich anstrengend. Die Fabrikhalle laut und dreckig.
Susanne hat als einziges Transportmittel für sich und ihre Tochter
Jenny ein Fahrrad. Mit diesem bringt sie Jenny jeden Morgen zum
Kindergarten. Schon in den ersten Szenen des Films wird Susanne in zwei
für sie erniedrigenden Situationen gezeigt. An einem verregneten
Morgen, als Susanne im dichten Verkehr mit ihrem Fahrrad an einer Ampel
wartet, wird sie von einem anfahrenden LKW mit Wasser überschüttet.
Ihre lautstarke Beschwerde darüber hört niemand, was darauf hinweist,
dass sie in ihrer sozialen Position keine Stimme hat. Im Kindergarten
angekommen wird sie von der Kindergärtnerin herablassend behandelt und
darauf angesprochen, sie sei mit Zahlungen im Rückstand. Nachdem
Susanne tagsüber dann ihrer Arbeit an der Stanze nachgegangen ist,
erledigt sie abends erschöpft in der dunklen Hinterhofwohnung noch die
Hausarbeit. Die einzige Abwechslung stellt der nächtliche Besuch in
ihrer Stammdiskothek dar, wo sie ihre Freunde trifft. Susanne ist keine
Vorzeigeheldin. Sie entspricht nicht dem sozialistischen Ideal einer
qualifizierten, berufstätigen Frau und Mutter in der Ära Honecker. Sie
war und ist nicht in der Lage sich beruflich zu qualifizieren und lebt
nahe an der Armutsgrenze. Sie ist eine Außenseiterin am unteren Rand
der Gesellschaft, die ihren Alltag nicht erfolgreich meistert, sondern
unter den Belastungen in ihrem Leben leidet. Diese Belastungen und die
Kraft, die Susannes Leben kostet, werden im Kontrast zur Figur des
Thomas noch deutlicher herausgearbeitet. Bei ihrer ersten Begegnung mit
ihm werden die ungleichen sozialen Hintergründe der Beiden schon rein
räumlich sichtbar. Thomas feiert mit Kollegen, üppigem Büffet und
stilvoller Tanzmusik in einem hell erleuchteten Saal seine Beförderung
zum Leiter für Technik und Produktion. Alle Anwesenden sind elegant
angezogen, und die Atmosphäre ist eher steif und förmlich. Susanne geht
derweil in demselben Gebäude in die Kellerdisko. Dort herrscht eine
lockere Atmosphäre, es ist dunkel, die Musik ist modern-rockig, und die
jungen Leute sind lässig gekleidet. Dieser Kontrast von oberer und
unterer Etage des Gebäudes und von Hell und Dunkel steht
stellvertretend für die gegensätzlichen Welten von Thomas und Susanne
und als Sinnbild für die soziale Kluft in der Gesellschaft.[123] Thomas
stand bisher immer auf der „Sonnenseite“ des Lebens. Er hat studiert
und ist im Betrieb erfolgreich aufgestiegen. Er hat keinerlei
finanzielle Probleme, fährt einen Trabant und wohnt in einem Neubau. Er
gehört einer sozial gehobenen und geachteten Schicht an. Thomas, der
nur das Leben in geregelten Bahnen kennt, geht davon aus, dass jeder
alles erreichen kann. Er glaubt, es läge an jedem Einzelnen, seine
Chancen wahrzunehmen. Dass Susanne als ungelernte Arbeiterin und
alleinerziehende Mutter benachteiligt ist, sieht er nicht. Obwohl der
Film keine eindeutigen Hinweise darauf gibt, warum Susanne keine
Ausbildung hat, lässt sich vermuten, dass sie ihres Kindes wegen und
ihrem Ex-Mann zuliebe ihre berufliche Karriere hinten angestellt hat.
Damit würde der Film kritisieren, dass es gerade für Frauen ein
Ungleichgewicht in der Chancenverteilung gibt. Da Frauen in den
allermeisten Fällen für die Kinder und den Haushalt verantwortlich
waren und durch die Gesetzeslage in der Ära Honecker auch für die
Kinder verantwortlich gemacht wurden, konnte es durch die
Mehrfachbelastung dazu kommen, dass sie in der beruflichen
Qualifizierung hinter den Männern zurückblieben. Eine Trennung von
ihrem Partner bedeutete für solche Frauen dann einen sozialen Abstieg,
weil sie auf Grund ihrer fehlenden Qualifikationen und wegen ihrer
zusätzlichen Pflichten für die Kinder bestimmte Arbeit nicht annehmen
konnten.
Susanne befindet sich in dieser schwierigen Situation und ihr ist
außerdem das Wohl Jennys wichtiger als eine Berufskarriere. Dies zeigt
sich in der Szene, in welcher sie eine Arbeit ablehnt, da sie wegen
Jenny nicht bereit ist, Nachtschichten zu arbeiten. Die propagierte
Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau wird dadurch in „Das Fahrrad“
als nicht erreicht dargestellt. Frauen standen anders als Männern
gerade die beruflichen Möglichkeiten nicht so offen, wenn sie
zusätzlich noch für die Kindererziehung und den Haushalt verantwortlich
waren.[124] Zusätzlich macht der Film deutlich, dass es eine Frage des
Selbstbewusstseins ist, ob Frauen ihre Rechte, die ihnen zustehen, auch
einklagen. Das aus einem Leben am unteren sozialen Rand resultierende
mangelnde Selbstbewusstsein von Susanne wird als ein Grund gezeigt,
dass sie es nicht schafft, sich erfolgreich gegen Widerstände
durchzusetzen. In der Szene, in der Susanne ihren Ex-Mann am Telefon um
Geld für die kranke Jenny bittet, wird deutlich, wie wenig sie in der
Lage ist, sich gegen seine unwirsche und abschätzige Art zu
verteidigen. Das heißt, dass Susanne auf Grund ihrer gesellschaftlichen
Position und den damit zusammenhängenden negativen Erfahrungen,
unsicher aber auch misstrauisch gegenüber anderen ist. Dies erschwert
es ihr, einen Partner zu finden, bei dem sie sich gleichberechtigt
fühlt. Wie sehr Susannes sozialer Hintergrund sie beeinflusst, versteht
Thomas nicht. Auch aus diesem Grund verhält er sich ihr gegenüber
überheblich und nimmt sie und ihr Leben nicht ernst. Er überrumpelt
Susanne mit der Idee, zu ihm in die Neubauwohnung zu ziehen, denn er
glaubt zu wissen, was besser für sie ist und dass sie an ihrem
bisherigen Leben doch nicht hängen könnte. Thomas sieht nicht, dass
Susannes Leben trotz aller Schwierigkeiten zumindest selbstbestimmt und
unabhängig ist. Seine patriarchalische Einstellung gegenüber Susanne
zeigt sich anfänglich noch im Positiven. Er kümmert sich um sie und
Jenny und besorgt Susanne eine neue Arbeit in seinem Betrieb. Er mag
Susanne, sieht sich aber auch in der Rolle des starken männlichen
Retters und Alleskönners. Susanne: „Jetzt auf’n Knopf drücken und alles
bleibt wie’s ist – kannst du nicht besorgen so’n Knopf?“ Thomas: „Klar,
klar kann ich so’n Knopf besorgen.“ Als Susanne ihm ihren
Versicherungsbetrug beichtet, wird deutlich, wie wenig Verständnis
Thomas für ihre soziale Lage hat und dass ihm seine Karriere wichtiger
ist als die Beziehung zu ihr. Thomas: „Wenn das im Betrieb rauskommt.
[...] Da häng’ ich voll mit drin.“
Susanne: „Du denkst bloß an den Betrieb, bloß an deine weiße Akte,
dass die keinen Fleck kriegt.“ Sie fühlt sich unverstanden und als sie
in Rage gerät und ihm Vorwürfe macht, schlägt er sie.[125] Diese Szene
zeigt, wie angepasst Thomas und wie groß seine Angst vor einem
Prestigeverlust bei der Arbeit ist. Er will nicht, dass Susanne und ihr
Verhalten seiner gesellschaftlichen oder beruflichen Anerkennung
schaden. Er akzeptiert sie nur solange, wie sie sich nach seinen
Vorstellungen wohl verhält. Susanne, die den sozialen Gegensatz
zwischen Thomas und ihr von Anfang an gespürt hat, ist zwar beeindruckt
von der veränderten Lebensqualität, die Thomas ihr bieten kann, will
sich aber nicht unterordnen. Thomas: „Also, wenn du immer so stur bist,
auf die Art kommen wir nie zusammen.“ Susanne: „Auf welche denn? Auf
deine? Weil du immer Recht hast aus Prinzip, bloß weil du ein Mann
bist, bloß weil du studiert hast und mehr Geld verdienst?“ An dieser
Aussage Susannes verdeutlicht sich, dass sie sich von Thomas nicht
gleichberechtigt behandelt fühlt. Als eine Frau in ihrer
gesellschaftlichen Stellung hat sie offensichtlich nicht das Recht, auf
ihrer eigenen Meinung zu beharren. Gleichzeitig werden traditionelle
Geschlechterrollen deutlich, die sich für Susanne in der Beziehung zu
Thomas zeigen. Männlichkeit, Bildung und Geld machen ihn zum
vermeintlich stärkeren Partner in der Beziehung. Dass Thomas von
Susanne folgsames, demütiges und dankbares Verhalten erwartet, wird in
einer der letzten Szenen des Films deutlich, in der sie nach einem
Streit letztendlich beschließt, sich von ihm zu trennen. Susanne:
„Vielleicht sind deine Maßstäbe nicht immer die Richtigen?“ Thomas: „In
dem Fall sind’s aber die Richtigen.“ Susanne: „Du hast ja immer Recht
und die anderen haben Schuld, das ist ja genauso wie bei uns.“ Thomas:
„Was hat denn das damit zu tun, du hast bisher selber bis zum Hals im
Schlamassel gesteckt und wenn ich dir nicht ewig nachgelaufen wäre,
würdest du heute noch drinstecken. Ich kann ja verlangen, dass du jetzt
etwas zu mir hältst.“ Susanne: „Eine Hand wäscht die andere, was? Bloß
weil du mir mal geholfen hast, muss ich dir jetzt...“ Thomas: „Was hast
du denn getan bisher, was denn?“ Susanne: „Ich habe Jenny erzogen.“
Thomas: „Ja, die irgendwann mal klaut.“ Susanne: „Jetzt reicht’s.“
Thomas abschätzige und respektlose Haltung Susanne gegenüber zeigt,
dass er sich für überlegen hält und glaubt, dass sie ohne ihn nichts
wäre. Er hat sie aus ihrer sozial niederen Stellung herausgeholt und
ihr geholfen und verlangt dafür Anpassung. Er will sie behüten aber
auch bevormunden. Ihr eigenständiges Dasein, das sie ohne ihn aufgebaut
hat, spielt für ihn dabei keine Rolle. Seine traditionellen
patriarchalischen Denkmuster verstärken sich durch den sozialen
Unterscheid zwischen ihm und Susanne. Sie kann noch weniger als Andere
eine Gleichberechtigung einfordern. Damit verweist der Film kritisch
auf die mangelnde Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau im privaten
Bereich und auf die Fortdauer patriarchalischer Einstellungen, gerade
wenn die Frau sich in einer gesellschaftlich niedrigeren Position
befindet. Auch die Darstellung des letzten Streits zwischen Susanne und
Thomas lässt eine spezielle weibliche Herangehensweise der Regisseurin
Schmidt vermuten, die so die Bedeutung der Kindererziehung betonen
möchte.[126] Susanne stößt bei Thomas, der Leistung über die
Berufskarriere definiert, aber auch bei ihrem Ex-Mann auf keine
Anerkennung ihrer erzieherischen Leistung. Thomas hält es auf Grund der
Staatsleistungen sogar für ein Geschäft, Kinder zu haben. Die
Belastung, die die Kindererziehung mit sich bringt, sieht er nicht.
Damit wird beanstandet, dass diese spezifische Leistung, die meist die
Frauen in der DDR erbringen, oft nicht genug geschätzt und anerkennt
wird, obwohl Frauen deswegen teilweise beruflich hinter den Männern
zurückbleiben. Susanne erfährt aber, anders als Thomas annimmt, weder
durch die Gesellschaft noch durch den Staat eine Unterstützung bei der
Lösung ihrer Probleme. „Die offiziell proklamierte Fürsorge des Staates
für Mutter und Kind findet hier keinen Niederschlag [...].“[127] Damit
kritisiert „Das Fahrrad“, dass in der DDR eine soziale Ungleichheit
herrscht, alleinerziehende Mütter werden zum Teil mit ihren Belastungen
allein gelassen, gerade wenn sie einer sozialen Schicht angehören, für
die sich die Gesellschaft nicht interessiert. Susanne will sich und
ihre Meinung für einen sozialen Aufstieg nicht verleugnen, sie will
sich Thomas nicht einfach in Dankbarkeit fügen. Sie ist nicht bereit,
ihre individuelle Haltung für ein bequemeres Leben in geordneter
Wohlanständigkeit aufzugeben, das Anpassung und Unterordnung erfordert.
Sie sucht nach einer Beziehung, in der sie verstanden, respektiert und
gleichberechtigt behandelt wird. Das zeigt ihre emanzipierte Haltung
gegenüber Männern und entspricht dem offiziellen Frauenleitbild, was
von der Kritik trotzdem nicht honoriert wurde.[128] Susanne möchte
lieber in ihr altes beschwerliches Leben zurück, dafür aber
selbstständig sein. Insoweit endet „Das Fahrrad“ zwar offen, aber mit
einem positiven Ausblick. Susanne will ihr Leben selbst und
eigenständig verändern. Susannes Fahrrad, das Symbol für ihre
Selbstbestimmtheit, wird am Ende des Films auch zum Sinnbild für die
zukünftige Eigenständigkeit von Jenny. Sie lernt Fahrrad fahren. Damit
gibt Susanne ihre unabhängige und emanzipierte Lebenshaltung an ihre
Tochter weiter. Der Film schließt mit Bildern, die Susanne fröhlich und
stolz zeigen, wie sie Jenny beim Fahrrad fahren zuschaut. Damit
vermittelt der Film, dass Susanne ihren Weg zur Emanzipation mit neuem
Lebensmut weitergeht.
Reaktionen auf den Film
„Das Fahrrad“ wurde nach einem langen Weg bis zur Zulassung abseits
der prestigeträchtigen Premierenkinos in einem Berliner Kino
uraufgeführt. In einer Zeit, in der die offizielle Kulturpolitik in dem
berüchtigten „Vater-Brief“ zum Ausdruck gekommen war, stieß die
ungeschönte Darstellung der Realität weder bei der Partei noch bei den
Kritikern auf Wohlgefallen. Das „Neue Deutschland“ titelte seine
Rezension mit „Mißlungen“.[129] Der Film wurde nicht für das Ausland
zugelassen mit der Begründung, das Ansehen der DDR würde unter so einem
schlechten Film leiden. Schmidt musste Einladungen zu ausländischen
Festivals absagen. Trotzdem wurde der Film elfmal ins Ausland verkauft,
und die SED störte sich auch nicht daran, dass er deswegen 1985 nach
einer Ausstrahlung im ZDF auch in der DDR bekannt wurde.[130] Die
Kritiker bemängelten an „Das Fahrrad“, dass die Darstellung Susannes
und ihre Haltung zur Arbeit den Alltag als unzumutbare Bürde erschienen
ließen.[131] Außerdem wurde nicht verstanden, dass Susanne sich von
Thomas trennt, obwohl sie es dank seiner Zuwendung doch endlich besser
haben könnte. „Einen in heller Liebe für sie entbrannten Jung-Ingenieur
enerviert sie durch ständige Fluchtbewegungen, doch da er konstant an
der Rolle bleibt, darf er ihr schließlich aus dem Schlamassel helfen.
Sie verlässt ihn trotzdem, denn einer, der gelernt und seine Chancen
genutzt hat, ist für dieses verbogene, unreife Geschöpf ein
Karrierist.“[132] Diese Kritik zeigt, dass die Anpassung einer Frau an
einen Mann zugunsten des sozialen Aufstiegs nicht nur als akzeptabel
galt, sondern eine Ablehnung seitens der Frau sogar als anmaßend und zu
anspruchsvoll verstanden wurde. Mit der Billigung von Thomas’
überheblichem Verhalten ließen die Kritiker erkennen, dass die
Gleichberechtigung in der DDR-Gesellschaft immer noch Grenzen hatte. In
keiner der Kritiken wurde darauf eingegangen, dass Susanne weder in der
Gesellschaft noch von Thomas als gleichberechtigt behandelt wird.
4.6. „KASKADE RÜCKWÄRTS“ VON IRIS GUSNER (1984)
Premiere: 09.02.1984, Regie: Iris Gusner, Szenarium: Iris Gusner,
Roland Kästner, Kamera: Roland Dressel, Darsteller/innen: Marion
Wiegmann (Maja Wegner), Johanna Schall (Carola Brehme), Siegfried
Höchst (Gerd K.), Jaecki Schwarz (Toni) u.a., 94. Min.
Inhalt und Regisseurin
Maja ist Ende Dreißig und Witwe. Sie hat eine jugendliche Tochter
und arbeitet als Dispatcherin im Kraftverkehr. Auf das Drängen ihrer
Tochter hin beschließt Maja, ihre Isolation aufzugeben und in ihrem
Leben noch einmal einen neuen Anfang zu wagen. Maja verkauft ihr Haus
auf dem Land und zieht mit der Tochter in die Großstadt Berlin. Maja
findet einen neuen Arbeitsplatz bei der Reichsbahn und wird
Zugschaffnerin. Mit ihrem Kollegen Gerd, der sie einarbeitet, versteht
sie sich gut. Auch in ihrem großen Mietshaus schließt sie schnell
Freundschaften. Aus der Nachbarin Carola wird eine enge Freundin, die
ihr hilft, eine Heiratsannonce aufzugeben. Doch keiner der Bewerber
entspricht Majas Vorstellungen. Stattdessen verliebt sie sich in ihren
Nachbarn Toni, der Schlagerkomponist ist. Nach einiger Zeit muss sie
aber feststellen, dass Tonis Interesse an ihr nur oberflächlich ist und
er sich nicht binden will. Maja trennt sich von ihm. Ihr Kollege Gerd,
der sie schon länger heimlich verehrt, erweist sich am Ende als
möglicher Lebenspartner.
Iris Gusner, geboren 1941, hatte ihren größten Erfolg als
Regisseurin im Jahre 1980 mit „Alle meine Mädchen“, einem
Gruppenporträt junger Arbeiterinnen, das auch den Filmfunktionären
gefiel. Keiner von Gusners nachfolgenden Filmen traf je wieder auf
solch eine Zustimmung von offizieller Seite. „Wäre die Erde nicht
rund...“ (1981) und „Kaskade rückwärts“ (1984) wurden von der Kritik
abgelehnt. An „Ich liebe dich – April! April!“ (1988) zeigten sich
Berührungsängste vor dem Thema Emanzipation, die bezeichnend sind für
„Frauenfilme“ der späten achtziger Jahre.[133]
Frauenspezifische Hauptthematik – Selbstverständliche Emanzipation und daraus folgende Möglichkeiten
An dem Film „Kaskade rückwarts“ ist eine Entwicklung festzumachen,
die sich seit Anfang der siebziger Jahre vollzogen hat. Die
Emanzipation der Frau ist fortgeschritten, und die Frauen sind zu einem
neuen Selbstverständnis ihrer Ansprüche und Möglichkeiten gelangt.
„Kaskade rückwärts“ handelt von einer Frau, die sich entschließt, ihr
Leben zu ändern und versucht, einen Partner zu finden. Dabei hat sie
aber nicht nur ihre eigenen Unsicherheiten zu überwinden, um in der
Lage zu sein, ihre Möglichkeiten voll auszuschöpfen. Mit ihrem aktiver
und immer selbstbewusster werdenden Verhalten trifft sie noch auf
gesellschaftliche Widerstände. Das frauenspezifische Thema des Films
ist aber trotzdem die größtenteils schon selbstverständliche
Emanzipation der Frau mit den daraus erwachsenden Chancen, das Leben
nach den eigenen Vorstellungen zu gestalten. Der Film macht anhand
seiner verschiedenen Figuren deutlich, was diese Selbstbestimmtheit der
Frauen bedeuten kann. So können sie sich ganz bewusst für ein nicht mit
den offiziellen Vorgaben von der emanzipierten, unabhängigen Frau
übereinstimmenden Leben entscheiden. Damit will „Kaskade rückwärts“
andeuten, dass Frauen die Emanzipation für sich nutzen sollen und jeder
selbstbestimmte Lebensentwurf eine Möglichkeit sein kann, glücklich zu
werden. Diese Aussage impliziert auch eine Kritik am offiziellen
Frauenleitbild, das durch Staatsinteresse geprägt war und nicht das
individuelle, private Glück der Frauen in den Vordergrund stellte. Der
Film präsentiert selbstbewusste, starke, zum Teil auch forsche Frauen
und zeigt, wie die Emanzipation von vielen Frauen in der DDR angenommen
und verinnerlicht wurde. Anhand der starken Hauptfigur und der
Nebenfiguren will „Kaskade rückwärts“ deutlich machen, dass
emanzipierte Frauen sich ein neues Selbstverständnis erarbeitet haben,
das ihren Wunsch nach Liebe und Gefallenwollen ganz natürlich mit
einschließt, ohne anti-emanzipatorisch zu wirken. Wie wenig viele
Männer den neuen Ansprüchen der Frauen gerecht werden können, wird
dabei kritisch angemerkt.
Filmische Umsetzung des Themas – Frau mit selbstbewusstem Anspruch und dessen aktiver Umsetzung
Maja Wegner, die Hauptfigur von „Kaskade rückwärts“, wird schon am
Anfang des Films als eine starke, durchsetzungsfähige aber auch
sensible Frau dargestellt. Sie arbeitet als Dispatcherin im
Kraftverkehr und ist in der Lage, mit den männlichen Kollegen umzugehen
und sich von ihnen nicht einschüchtern zu lassen. Privat trauert sie um
ihren verstorbenen Ehemann und arbeitet verbissen bis zur Selbstaufgabe
an der Renovierung ihres Einfamilienhauses im Grünen, ein Projekt, das
sie gemeinsam mit ihren Mann begonnen hatte. Dass sie sich dadurch
völlig isoliert und kaum Freude mehr hat, wird ihr erst richtig
bewusst, als ihre Tochter Mine ihr vorhält, sie würde ihr Leben
vergeuden und sich mit der Hausrenovierung unnötig kaputt machen. Nach
dem Streit mit Mine folgt Maja ihr zu einem Reitplatz, wo sie einen
Reiter beobachtet, der artistisch rückwärts vom Pferd abspringt.
Reitlehrer: „Kaskade rückwärts. Die ganze Kunst besteht im Mut zur
Überwindung.“ Durch die folgende Großaufnahme von Majas Gesicht will
der Film herausstellen, dass sie in ihrem Leben etwas wagen muss, um
wieder glücklich zu werden. Der dann folgende Umzug nach Berlin und die
Suche nach einer neuen Arbeitsstelle werden fast gar nicht filmisch
dargestellt. Damit will der Film deutlich machen, welche Chancen Frauen
haben, sich räumlich und beruflich zu verändern, wenn der Entschluss
zum Wandel gefasst ist. Laut der Aussage des Films brauchen Frauen zwar
Mut und müssen sich überwinden, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen,
ihnen stehen aber durch die Emanzipation Möglichkeiten offen, das in
die Tat umzusetzen. Auch Majas Freundin Carola spricht das an, wenn sie
sagt: „Auswählen muss man können, aber dazu muss man natürlich wissen,
was man will.“ Das heißt, Frauen haben eine Wahl in ihrem Leben, sie
müssen nur noch herausfinden, was sie wollen, um die richtige Wahl zu
treffen. Damit arbeitet „Kaskade rückwärts“ heraus, dass die
Emanzipation der Frauen zum größten Teil erreicht ist, sie sind
selbstbestimmt und unabhängig geworden. Der Film sieht auch bei der
Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau Fortschritte, was sich in
Majas aktivem Verhalten bei der Partnerwahl zeigt. Maja spricht in
einem Tanzlokal ganz souverän einen Mann an und fordert ihm zum Tanz
auf. Dieser nimmt das Angebot an und zeigt sich angesichts der aktiven
Rolle Majas auch kaum verwundert. Dass einer Frau aber trotzdem noch
nicht erlaubt ist, was Männer tun, zeigt sich daran, dass Maja kurze
Zeit später von ihrem Tanzpartner und seinen Freunden schwer gedemütigt
wird.[134] Insoweit stimmt der Film nicht mit der offiziellen
Propaganda von der vollends erreichten Gleichberechtigung überein und
zeigt noch vorhandene Grenzen der Emanzipation auf. Trotzdem propagiert
„Kaskade rückwärts“ eine fortgeschrittene Entwicklung im Bereich der
Emanzipation und deren gesellschaftlicher Akzeptanz. Dies wird auch im
Vergleich der Filme „Der Dritte“ mit „Kaskade rückwärts“ deutlich.
„Maja kennt nicht mehr die Skrupel ihrer Vorgängerin.“[135] Im
Unterschied zu Margit Fließer aus „Der Dritte“, die in ihrem Versuch,
bei der Partnerwahl aktiv zu werden, noch auf hinderliche
gesellschaftliche Normen stößt, ist Maja nicht nur offensichtlich
selbstbewusster, sondern ihr Verhalten wird auch von der Gesellschaft
als selbstverständlicher empfunden. Das lässt vermuten, dass im Jahre
1984 die Gleichberechtigung auch im privaten Bereich um einiges größer
war als über zehn Jahre zuvor. Maja aber auch die Nebenfiguren des
Films werden teilweise als forsch und sogar überheblich und zynisch
dargestellt. Gerade im Umgang mit Männern sind sie selbstbewusst und
anspruchsvoll. Dass Frauen sich nicht mit Männern zufrieden geben, die
nicht ihren Ansprüchen an Moral und Verantwortung genügen, zeigt sich
unter anderem an Majas Nachbarin Margot. Sie ist alleinstehend mit zwei
Kindern und sucht nach einem Partner. In einem Tanzlokal weist sie aber
einen Mann bestimmt zurück, der augenscheinlich verheiratet ist, dies
aber unter der Woche nicht als Hindernis sieht, sich mit anderen Frauen
zu treffen.[136] Auch Maja bricht mit Toni, da dieser keine ernste
Verbindung mit ihr eingehen will und sich als verantwortungslos
erweist. Maja: „Ich hätte gern noch ein Kind gehabt.“ Toni: „Ein Kind
kann dir doch jeder machen, muss doch nicht ich sein. (Maja geht) Was
hast du denn? Kein Kind, keine Liebe, sei doch nicht so katholisch.“
„Kaskade rückwärts“ will darauf hinweisen, dass Frauen, die sich mit
ihrer Emanzipation auseinandergesetzt haben, nicht mehr bereit sind,
Männern fehlende Charakterstärke zu verzeihen. Ökonomisch unabhängig
wie sie sind, stellen sie an Männer nun höhere Ansprüche. Dass die
Generation von Maja aber für ihre Emanzipation noch kämpfen musste,
zeigt sich im Vergleich mit der jüngeren Generation, die durch Majas
Tochter und deren Freundinnen repräsentiert wird. Diese erweist sich
nicht mehr als emanzipatorisch kämpferisch, sondern als sorglos und
nahezu desinteressiert an den Erfolgen der Emanzipation. Dies wird
deutlich, als Maja mit ihrer Tochter und deren Freundin über
Schwangerschaften reden will, während diese sich kurz vor dem Ausgehen
viel mehr für ihren Nagellack und ihr Make-up interessieren. Maja: „Na,
hört mal, es gibt ja noch Mittel dagegen, ihr habt’s ja weiß Gott
leichter als wir. Würdet ihr’s behalten wollen?“ Mine: „Ja“. Freundin:
„Ich find’s gut irgendwie.“ Maja: „Jetzt?“ Freundin: „Bin sowieso
gleich fertig mit der Oberschule und dann habe ich Zeit.“ Maja: „Na,
willste nicht erst mal was lernen oder arbeiten?“ Freundin: „Ach, ihr
dürft das nicht so eng sehen.“ An dieser Szene zeigt sich, dass für die
jüngere weibliche Generation die Emanzipation nicht mehr im Vordergrund
steht. Von dem aktuellen Stand der Emanzipation ausgehend, ist es für
die jungen Frauen auch wieder eine Option, das Leben an einer
traditionelleren Frauenrolle auszurichten. Da die Möglichkeit besteht,
berufstätig zu sein und sich zu qualifizieren, ist das grundsätzlich
nicht mehr so erstrebenswert. Es lässt sich aber auch vermuten, dass
diese Darstellung der jungen Frauen ein kritischer Hinweis darauf ist,
dass diese sich mit der ihnen durch das offizielle Frauenleitbild und
durch die Gesetzgebung zugeschriebenen Rolle als Hauptverantwortliche
für die Kinder abgefunden haben und aus Pragmatismus den Beruf, in dem
meist sowieso keine Spitzenposition zu erreichen sein wird, als weniger
wichtig ansehen. Das aber auch die etwas älteren Frauen, die miterlebt
haben, dass die Emanzipation nicht immer selbstverständlich war, sich
nicht unbedingt gegen eine traditionelle Frauenrolle entscheiden, zeigt
sich an Majas Freundin, Carola. Sie entspricht nicht dem offiziellen
Frauenleitbild der Ära Honecker. Carola ist einfach nur Ehefrau. Sie
hat zwar einen Sohn, aber sie arbeitet nicht und genießt ihr mondänes
Leben, das ihr Mann, ein Professor, ihr bietet.[137] Aber auch Maja,
die qualifiziert berufstätig ist und eine Tochter hat, richtet ihr
Leben hauptsächlich auf die Suche nach einem Mann aus, weil sie darin
ihr persönliches Glück finden will. Mit dieser Darstellung von
individualisierten Lebensentwürfen deutet der Film kritisch an, dass
die Beschäftigung mit der Emanzipation im Bemühen, das offizielle
Frauenleitbild zu erfüllen, die Frauen zum Teil davon abgehalten hat,
ihr privates Glück zu suchen. Gusner selbst geht davon aus, dass die
Frau im wachsenden Maße ihrer Selbstständigkeit und Gleichberechtigung
ihren Glücksanspruch opfere. Sie lasse den Mann „sausen“ und stehe dann
da als starker Charakter, aber allein. Jetzt in „einer neuen Stufe der
Emanzipierung“ sei es Frauen möglich, wieder zuzugeben, eine Frau zu
sein, die geliebt werden und glücklich sein möchte.[138] Maja soll
diese emanzipierte, sich aber auch zu ihrer Suche nach einem Mann
bekennende Frau darstellen. Damit kritisiert der Film, dass Frauen bis
dahin zuwenig auf ihr individuelles Glück im Privatleben geachtet haben
und impliziert gleichzeitig, dass das die Frauen im Staatsinteresse
funktionalisierende, offizielle Frauenleitbild nicht auf das
persönliche Glück der Frauen abzielte. Es kann als die spezielle
weibliche Herangehensweise der Regisseurin gesehen werden, dass der
Film sich an keiner Stelle über die Frauen erhebt und ihnen
vorschreibt, wie sie zu sein oder zu leben haben. Die Lebensmodelle,
die im Film vorkommen, werden nicht beurteilt, sondern mit ihren Vor-
und Nachteilen neutral dargestellt. Damit weist der Film kritisch
darauf hin, dass jeder Lebensentwurf, solange er selbst gewählt ist,
toleriert werden sollte, auch wenn er keine Anpassung an das offizielle
Frauenleitbild einschließt.
Reaktionen auf den Film
„Kaskade rückwärts“ wurde von der Kritik fast einhellig abgelehnt,
obwohl die Emanzipation der Frau als weit fortgeschritten dargestellt
wurde. Mitte der Achtziger war aber das Thema Emanzipation für viele
Filmfunktionäre allmählich zum Reizthema geworden, da laut der
offiziellen Propaganda die Gleichberechtigung von Mann und Frau schon
Anfang der Siebziger erlangt war. Das „Neue Deutschland“ wies Gusners
Theorien über die mangelnde Erfüllung des privaten Glücksanspruchs der
Frauen in der DDR zurück.[139] In der Wochenzeitschrift „Sonntag“
wurden Gusners Aussagen über die neue Stufe der Emanzipation als
„verblasen“ bezeichnet, „Kaskade rückwärts“ sei höchstens ein Hinweis
auf „das Ende einer jahrzehntelang mit Eifer und Inbrunst betriebenen
Themenkonstruktion“.[140] Diese Kritik deutet darauf hin, dass das
Thema Emanzipation der Frau schon lange nicht mehr als problematisch
angesehen werden sollte. Die mangelnde Übereinstimmung einiger
Frauenfiguren mit dem offiziellen Frauenleitbild missfiel den Kritikern
genauso wie die ungeschönte Darstellung des DDR-Alltags. In der
Filmkritik der „Wochenpost“ hieß es, der Film biete vielerlei Episoden,
doch viele seien zu banal und bieder und würden „niemals einen gültigen
Blick auf den Alltag dieses Landes ergeben“.[141] Die Filmkritikerin
Holland-Moritz sprach von der „modisch-zynischen Berufsgattin“ und der
„alternden Ballhausstammkundin“ sowie von „den ausschließlich mit
Sauf-, Rauf- und Sexualproblemen beschäftigten Edelkomparsen“.[142]
Dass sich „Kaskade rückwärts“ hauptsächlich mit dem Privatleben seiner
Figuren beschäftigt und diese kaum auf die Gesellschaft bezogen gezeigt
werden, stieß offensichtlich auf Missfallen. Mit ihrer
Individualisierung entziehen sich die Frauenfiguren des Films nämlich
einer Funktionalisierung für kollektive bzw. politische Interessen.
Gleichzeitig nehmen die dargestellten Frauen die Emanzipation und
Selbstbestimmung der Frau beim Wort und entscheiden selbst, ohne sich
nach offiziellen Vorgaben zu richten, über ihr persönliches Glück.
5.
FAZIT: FRAUEN IM DDR-FILM – FORTGESCHRITTENE EMANZIPATION ABER KEINE GLEICHBERECHTIGUNG
Die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau war ein erklärtes
politisches Ziel der DDR-Führung, die sich in diesem Punkt auch auf die
marxistisch-leninistische Emanzipationstheorie berief. Die
Frauenpolitik der SED und damit zusammenhängend die sich wandelnden
offiziellen Frauenleitbilder blieben aber immer geprägt von
politischen, ökonomischen und sozialen Interessen der Partei. Die
beginnende Eingliederung der DDR-Frauen in die Erwerbstätigkeit Anfang
der fünfziger Jahre war auf Grund des Arbeitskräftemangels eine
ökonomische Notwendigkeit. Dem Anfang der siebziger Jahre entstandenen
Frauenleitbild der qualifizierten, berufstätigen Mutter lagen soziale
und bevölkerungspolitische Überlegungen zu Grunde. Die sinkende
Geburtenrate, das Ansteigen der Ehescheidungen und der Trend zur
Teilzeitarbeit bei Frauen sollten aufgehalten werden. Das
Frauenleitbild der Ära Honecker propagierte deshalb die Vereinbarkeit
von Mutterschaft und qualifizierter Berufstätigkeit. Durch dieses
offizielle Leitbild und die in diesem Zusammenhang ergriffenen
sozialpolitischen Frauen- bzw. Familienfördermaßnahmen wurden Frauen
einseitig für die Pflichten in Haushalt und Familie verantwortlich
gemacht und damit die traditionelle Arbeitsteilung zwischen Mann und
Frau verfestigt. Für die Frauen in der DDR bedeutete dies eine
Mehrfachbelastung. Von der Vereinbarkeit von Vaterschaft und
Berufstätigkeit war von offizieller Seite nie die Rede. Trotzdem wurde
die Gleichstellung der Geschlechter seit Anfang der Siebziger von der
DDR-Führung als erreicht propagiert.
Schwierigkeiten bei der weiblichen Emanzipation, eine mangelnde
Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau sowie andere heikle Themen
wurden in den offiziellen journalistischen Medien nicht reflektiert.
Daher gewann der Film in der DDR eine Stellung, in der er
gesellschaftliche Missstände und Probleme aufgreifen und den Mangel an
kritischem öffentlichen Gespräch kompensieren konnte. Nach dem
Machtwechsel von Walter Ulbricht zu Erich Honecker war es zu
kulturpolitischen Lockerungen gekommen, die auch ungeschöntere Filme
zuließen, da das Filmwesen in der DDR sensibel und schnell auf die
äußeren Umstände reagierte. Gerade im Gegenwartsfilm dieser Zeit waren
immer wieder Frauen die Protagonistinnen. In diesen Filmen wurde auf
frauenspezifische Probleme und Differenzen zwischen dem offiziellen
Frauenleitbild und der Alltagsrealität aufmerksam gemacht. Die
Filmproduktion in der DDR war jedoch staatlich kontrolliert und durch
ideologische Vorgaben bestimmt, so dass Kritik an den bestehenden
Verhältnissen nur verdeckt erfolgen konnte. Da die DDR-Führung aber
einsehen musste, dass Filmpropaganda nur wirken konnte, wenn die
Menschen ins Kino gingen, gestand sie den Filmemachern immer wieder
auch Freiräume zu. Die Filmemacher entwickelten mit der Zeit immer
bessere Methoden, um mit ihren Filmen kritische Botschaften zu
transportieren, denn das Medium Film bot vielerlei subtile
Möglichkeiten für Anspielungen und versteckte Kritik. So lässt sich
feststellen, dass der DDR-Film als Teil der staatlichen Kultur trotz
aller Kontrolle in der Lage war, Kritik an den gesellschaftlichen
Verhältnissen zu üben. Dies wird auch an den in dieser Arbeit
analysierten sechs Spielfilmen deutlich, die in ihren Aussagen und
Andeutungen zu frauenspezifischen Themen oft im Gegensatz zu den
offiziellen Verlautbarungen stehen. Alle hier untersuchten Filme
kritisieren den zur Zeit ihrer Entstehung aktuellen Stand der
Geschlechterbeziehungen in der DDR zumindest ansatzweise. Dabei werden
Probleme bei der Emanzipation der Frau und bei der Gleichstellung
zwischen den Geschlechtern im privaten Bereich stärker thematisiert als
Schwierigkeiten im beruflichen Bereich. Die Einbindung der Frau in die
Werktätigkeit erscheint als selbstverständlicher als die Emanzipation
im Privaten. Es ist anzumerken, dass die wenig detaillierten
offiziellen Vorgaben für das Verhalten von DDR-Frauen im privaten
Bereich die Gegenüberstellung konkreter privater Lebensaspekte der
Filmfiguren mit dazugehörigen politischen Verlautbarungen erschwert
hat.
In allen sechs Filmen haben die Frauen zumindest ein Kind. Mit der
Mutterschaft der Frauen propagieren die Filme eine wichtige Komponente
des Frauenleitbilds der Ära Honecker. Kinderlosigkeit wird nur in
„Leben mit Uwe“ thematisiert, aber auch gleich als unmenschlicher
Verzicht verworfen. Wie schwer die Anpassung an das Frauenleitbild der
qualifizierten, berufstätigen Mutter sein kann, wird in „Bürgschaft für
ein Jahr“ und „Das Fahrrad“ deutlich gemacht. Aber nur „Leben mit Uwe“
setzt sich ganz konkret mit der Mehrfachbelastung, die den allermeisten
DDR-Frauen durch Berufstätigkeit, Mutterschaft, Haushalt sowie
Kindererziehung auferlegt war, auseinander. Da sonst in keinem der
anderen analysierten Filme die Vereinbarkeit von Beruf und Mutterschaft
bzw. Familie als besonders schwierig dargestellt wird, lässt sich
vermuten, dass diese Mehrbelastung der Frauen in der Gesellschaft wenig
wahrgenommen oder nicht als Problem erachtet wurde. Dies könnte damit
zusammenhängen, dass die DDR-Medien die Vereinbarung von beruflichen
und familiären Aufgaben für die Frau und das offiziell propagierte
Frauenleitbild als realisierbar darstellten. Als Hinweis auf die
wachsende Unabhängigkeit und Selbstbestimmtheit der Frau in der DDR und
ihre schon erzielten Emanzipationserfolge kann die mehrheitlich
positive Darstellung der Frauenfiguren gesehen werden. Die Frauen sind
Sympathieträger und werden meist als den Männern moralisch und
intellektuell überlegen gezeigt. Das deutet an, dass die DDR-Frauen die
Emanzipation immer stärker verinnerlichten. Mit dem daraus erwachsenen
neuen Selbstbewusstsein waren auch neue Ansprüche an die Männer und das
Leben im Allgemeinen verbunden. Diese Darstellung der Frauen in den
Filmen zeugt nicht nur von einer grundsätzlichen Übereinstimmung der
Filmemacher mit der Gleichberechtigungsidee, sondern macht auch
deutlich, dass den Filmemachern in der DDR bewusst war, dass bezüglich
der „Frauenfrage“ schon große Fortschritte gemacht worden waren. Als
immer wiederkehrender Kontrast zu fortschrittlichen und mit der
sozialistischen Gleichberechtigungsidee übereinstimmenden Vorstellungen
von Geschlechterbeziehungen werden in den Filmen traditionelle bzw.
bürgerliche Auffassungen von Geschlechterrollen dargestellt. Daran
lässt sich erkennen, dass gerade solche traditionellen
Geschlechtervorstellungen, die in der DDR-Gesellschaft noch vorhanden
waren, eines der größten Hindernisse für die Emanzipation der Frau in
der DDR darstellten.
Die sozialpolitischen Maßnahmen der Ära Honecker und das offizielle
Frauenleitbild dieser Zeit trugen sogar noch zur Verfestigung von
traditionellen Geschlechterrollen in der DDR bei. So werden die
Männerfiguren in fünf der sechs untersuchten Filme als noch in
herkömmlichen Auffassungen von Geschlechterbeziehungen verankert
gezeigt. Diese Darstellung steht im Kontrast zu der offiziellen
Propaganda, dass sich durch die Einbindung der Frau in die
Berufstätigkeit bei Männern und Frauen völlig neue Denk- und
Verhaltensmuster ausprägen. Alle hier analysierten Filme stellen die
Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau als nicht vollständig
erreicht dar und arbeiten zum Teil massive Mängel bei der
Gleichstellung der Geschlechter heraus. Diese Aussage der Filme steht
im starken Gegensatz zu der seit Anfang der siebziger Jahre
propagierten offiziellen Verlautbarung, dass die Gleichberechtigung von
Mann und Frau erzielt sei. Die Kritik an der offiziellen Propaganda von
der Gleichstellung der Geschlechter wird in den untersuchten Filmen
durch die Darstellung von Problemen in den unterschiedlichsten Aspekten
des Lebens von DDR-Frauen herausgearbeitet. Dadurch wird die Diskrepanz
zwischen den offiziellen Verlautbarungen und den noch in der
Alltagsrealität vorhandenen Schwierigkeiten von Frauen deutlich.
Gleichzeitig werden allerdings bestimmte Erfolge bei der
Durchsetzung der Gleichberechtigungsidee als positiv herausgestellt. In
„Der Dritte“ (1972) wird deutlich gemacht, dass die Einbindung der
Frauen in die Erwerbstätigkeit schon sehr weit fortgeschritten ist.
Frauen sind selbstverständlich qualifiziert und auch in
technisch-wissenschaftlichen Berufsfeldern tätig. Was aber im Kontrast
zu der Souveränität der Frau und ihrer aktiven Rolle im Beruf steht,
sind die gesellschaftlichen Normen, die ihr bei der Partnerwahl eine
Passivität verordnen. „Der Dritte“ zeigt die Skrupel einer Frau, auf
einen Mann zuzugehen, da nach der gesellschaftlichen Moral ein aktives
Verhalten der Frau in Liebesangelegenheiten nicht als angebracht gilt.
Indem der Fortschritt der Frau im beruflichen Bereich propagiert wird,
werden die noch vorhandenen traditionellen Rollenmuster, die die Frauen
im privaten Bereich hemmen, klar herausgestellt. Dass die Emanzipation
im privaten Bereich über die Jahre zugenommen hat, zeigt sich an
„Kaskade rückwärts“ (1984). In diesem Film sind die meisten Frauen
schon viel selbstbestimmter und forscher. Sie zeigen ein aktives
Verhalten bei der Partnersuche und nehmen ihr Leben selbst in die Hand.
Hier wird deutlich, dass Frauen die Emanzipation verinnerlicht haben
und daraus auch Ansprüche an den möglichen Partner entstehen.
Trotzdem stellt auch „Kaskade rückwärts“ die Gleichberechtigung
zwischen Mann und Frau als nicht vollständig erzielt dar. Der Film
macht auf Grenzen der Emanzipation aufmerksam, indem er zeigt, dass
Frauen noch nicht selbstverständlich erlaubt ist, was Männer tun. Mit
der Darstellung von individualisierten Lebensmodellen von Frauen
kritisiert der Film außerdem das einengende Frauenleitbild der Ära
Honecker. Auch in „Bürgschaft für ein Jahr“ (1981) werden das
Frauenleitbild und die daraus entstehenden gesellschaftlichen Normen
als zu eng begriffen dargestellt. Der Film kritisiert, wie schwierig es
für DDR-Frauen ist, einen individuellen privaten Glücksanspruch zu
verwirklichen, der nicht mit dem offiziellen Frauenleitbild
übereinstimmt. Anhand einer Außenseiterin, die von der gesellschaftlich
akzeptierten Norm abweicht, stellt der Film heraus, wie wenig Recht auf
Verteidigung eines individuellen Glücksanspruchs Frauen haben. Obwohl
der Film kritisiert, dass die Missbilligung eines vom Frauenleitbild
abweichenden Lebensmodells ungerechtfertigt ist, werden Frauen auf ihre
Mutterrolle reduziert und einseitig für die Erziehung und das Wohl
ihrer Kinder verantwortlich gemacht.
Dass solche herkömmlichen Einstellungen zu Geschlechterbeziehungen
vor allem bei Männern noch vorhanden sind und es im privaten Bereich
noch nicht zu einer Gleichberechtigung gekommen ist, macht „Bis dass
der Tod Euch scheidet“ (1979) deutlich. Der Film zeigt, wie schwierig
die Emanzipation zu erzielen ist, wenn dies gegen den Willen und die
traditionellen Auffassungen des Mannes geschieht. Im starken Gegensatz
zur offiziellen Propaganda stehen in diesem Film die laut SED bereits
überkommenen Geschlechtervorstellungen des Ehemannes, die die Frau bei
dem Versuch, ihren Gleichberechtigungsanspruch durchzusetzen,
behindern. Die für viele Frauen zum Selbstverständnis gewordene
berufliche Einbindung, hebt der Film positiv hervor, stellt aber in
diesem Zusammenhang auch die Mehrfachbelastung durch Haushalt, Kind und
Beruf für Frauen als realisierbar dar. Gerade an „Bis dass der Tod euch
scheidet“ aber auch an „Bürgschaft für ein Jahr“ wird deutlich, wie
besonders in den Filmen der männlichen Regisseure noch herkömmliche
Rollenmuster und damit zusammenhängende Aufgaben geschlechtsspezifisch
auf Mann und Frau verteilt werden, ohne das erkennbar zu kritisieren.
So lässt sich vermuten, dass auch bei den männlichen Filmemachern noch
traditionelle Auffassungen von Geschlechterbeziehungen vorhanden waren.
Davon konnten sie sich offensichtlich auch bei Filmen, die sich für die
Emanzipation der Frau einsetzten, nicht ganz freimachen.
Wie schwer es gerade für alleinerziehende Frauen in einer niedrigen
sozialen Stellung ist, ihre Rechte einzufordern und in einer Beziehung
gleichberechtigt behandelt zu werden, zeigt „Das Fahrrad“ (1984). In
diesem Film wird das patriarchalische Verhalten eines Mannes, gepaart
mit traditionellen Vorstellungen von Geschlechterrollen, kritisch
herausgearbeitet. Gleichzeitig wird die finanzielle und soziale
Benachteiligung von alleinerziehenden Müttern gezeigt und kritisiert,
dass Frauen, die bereit sind, für ihre Männer und Kinder
zurückzustecken, nach einer Trennung in eine schwierige soziale Lage
geraten können, ohne dass die Gesellschaft diesen Frauen dann
anerkennend oder helfend zur Seite steht. Dass sich für Frauen in
vielen Fällen trotz anders lautender offizieller Verlautbarungen die
Vereinbarkeit von Beruf und Mutterschaft nicht ohne Verzicht
realisieren lässt, wird an „Leben mit Uwe“ (1974) deutlich. Es wird
auch in diesem Film kritisch darauf aufmerksam gemacht, dass es Frauen
sind, die für die Kinder und die Karriere des Mannes zurückstecken.
„Leben mit Uwe“ zeigt unter anderem, dass die Arbeit im Haushalt und
bei der Kindererziehung im Wesentlichen auf den Frauen lastet und
Männer dies für selbstverständlich halten. Frauen werden wegen dieser
Mehrfachbelastung oft zu einem Verzicht im beruflichen Bereich
gezwungen. Der Film arbeitet kritisch heraus, dass Frauen, die sich nur
ihrem Beruf widmen und damit nicht dem Frauenleitbild der Ära Honecker
entsprechen, auf weniger gesellschaftliche Akzeptanz stoßen. Mit der
Darstellung, dass für Frauen nur durch Vermeiden der ihnen zugemuteten
Mehrfachbelastung ein volles berufliches Engagement möglich ist, wird
deutlich auf die mangelnde Gleichberechtigung im privaten Bereich
aufmerksam gemacht. Die Möglichkeit der Frauen wegen ihrer finanziellen
Unabhängigkeit Ansprüche an ihre Lebenspartner zu stellen, hebt der
Film aber positiv hervor.
Die hier untersuchten Filme zeigen, dass gerade im Gegenwartsfilm
der Ära Honecker eine Kritik an den gesellschaftlichen Umständen dieser
Zeit möglich war und diese Chance auch genutzt wurde. Die den
Spielfilmen immanente Kritik richtet sich aber nicht gegen die
sozialistische Frauenpolitik im Allgemeinen, vielmehr soll die
Darstellung der frauenspezifischen Probleme vor allem eine
Weiterentwicklung des begonnenen Gleichberechtigungsprozesses anregen.
Dies wird unter anderem auch sichtbar an der Herausstellung von bereits
erreichten Emanzipationserfolgen. Vor allem die Eingliederung der
DDR-Frauen in die Erwerbstätigkeit wird als erzielte Errungenschaft
anerkannt. Der größte Problembereich der Frauen liegt daher in allen
analysierten Filmen im Privaten. Dort zeigen sich die mangelnde
Gleichstellung der Geschlechter und die auch durch das offizielle
Frauenleitbild produzierte Mehrfachbelastung der Frauen am stärksten.
Honecker vertrat unter Berufung auf Lenin die Auffassung, dass nur das
als erreicht gelten kann, was auch in das Alltagsleben und die
Gewohnheiten eingegangen ist.[143] Auch gemessen an dieser Formel
Honeckers, lässt sich nach der eindeutigen Aussage der hier
beispielhaft untersuchten Filme feststellen, dass die Gleichstellung
von Mann und Frau trotz anders lautender staatlicher Propaganda in der
DDR nicht in allen Lebensbereichen Realität war.
Anmerkungen
1] Kaminsky, Anette: Alltagskultur und Konsumpolitik in: Eppelmann,
Rainer/ Faulenbach, Bernd / Mählert, Ulrich (Hrsg): Bilanz und
Perspektiven der DDR-Forschung, Paderborn 2003, S. 246-253, hier: S.
248. 2] Der vorliegende Text ist die gekürzte Fassung einer Arbeit,
die im Fach Neuere und Neuste Geschichte am Institut für
Geschichtswissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin
geschrieben wurde und zur Erlangung des akademischen Grades Magister
Artium dort 2005 eingereicht worden ist. Prüfer war PD Dr. Gerd
Dietrich.
3] Das in dieser Arbeit verwendete Wort „Filmemacher“ schließt auch die weiblichen Geschlechts ein.
4] Kersten, Heinz: Die Rolle der Frau in DDR-Spielfilmen seit
Anfang der siebziger Jahre, in: Bundeszentrale für politische Bildung
(Hrsg.): Frauenbilder in den DDR Medien, (Schriftenreihe
Medienberatung, Heft 2), Bonn 1997, S. 10-19, hier: S.12. 5] Schittly, Dagmar: Zwischen Regie und Regime. Die Filmpolitik der SED im Spiegel der DEFA-Produktionen, Berlin 2002, S.183ff.
6] Penrose, Virginia: Vierzig Jahre SED-Frauenpolitik. Ziele,
Strategien und Ergebnisse, in: Frauenforschung. Informationsdienst des
Forschungsinstituts Frau und Gesellschaft, 8/ 1990, H.4, S. 60-77,
hier: S. 69. 7] Gibas, Monika: Vater Staat und seine Töchter. Offiziell
propagierte Frauenleitbilder der DDR und ihre Sozialisationswirkungen,
in: Vorsteher, Dieter (Hrsg.): Parteiauftrag: ein neues Deutschland.
Bilder, Rituale und Symbole der früheren DDR, Berlin 1997, S. 310-319,
hier: S. 318. 8] Ebd., S.318f.
9] Trappe, Heike: Emanzipation oder Zwang? Frauen in der DDR zwischen Beruf, Familie und Sozialpolitik, Berlin 1995, S. 33.
10] Vgl. Fuchs-Heinritz, Werner u.a.(Hrsg.): Lexikon zur
Soziologie, Opladen 1995, S. 197. Endruweit, Günter/ Trommsdorff,
Gisela (Hrsg.): Wörterbuch der Soziologie, Bd1., Stuttgart 1989, S.
244. Dülmen, Richard van (Hrsg.): Lexikon Geschichte, Frankfurt a. M.
1991, S. 158ff.
11] Vgl. Weber, Max: Wirtschaft und Gesellschaft: Grundriss der verstehenden Soziologie, Tübingen 1980, S. 130ff u. 580f.
12] Rinke, Andrea: From models to misfits: Women in DEFA films of
the 1970s and 1980s, in: Allan, Seán, John Sandford (Hrsg.): DEFA. East
German Cinema 1946-1992, New York 1999, S. 183-203, hier: S. 185. 13] Dazu auch: Ebd., S. 189.
14] Einen Einstieg in die Filmanalyse bieten u.a.: Faulstich,
Werner: Einführung in die Filmanalyse, Tübingen 1980. Kuchenbuch,
Thomas: Filmanalyse. Theorien, Modelle, Kritik. Köln 1978. Monaco,
James: Film verstehen, Hamburg 1999. Schittly, DDR-Alltag im Film, S.
24.
15] Vgl. Staatliche Zentralverwaltung für Statistik (Hrsg.):
Statistisches Jahrbuch der DDR 1977, Berlin (O) 1977, S. 15 u. 37 und
Helwig, Gisela: Frauen- und Familienpolitik, in: Eppelmann, Rainer/
Möller, Horst/ Nooke, Günter/ Wilms, Dorothee (Hrsg.): Lexikon des
DDR-Sozialismus. Das Staats- und Gesellschaftssystem der Deutschen
Demokratischen Republik (Studien zur Politik, Bd. 29), Paderborn 1996,
S. 202-209, hier: S. 206.
16] Gerhard, S. 395. 17] Auf Grund des begrenzten Umfangs dieser
Untersuchung kann kein umfassender historischer Vergleich zum
Frauenbild und der Stellung der Frau in der BRD erfolgen. 18] Vgl. Engels, Friedrich: Der Ursprung der Familie, des
Privateigentums und des Staats, in: Marx-Engels-Werke, Bd. 21, Berlin
(O) 1972, S. 25-126. Bebel, August: Die Frau und der Sozialismus,
Stuttgart, 1950. Zetkin, Clara: „Nur mit der proletarischen Frau wird
der Sozialismus siegen“. Ausgewählte Reden und Schriften I, Berlin (O)
1957. 19] Gast, S. 27.
20] Gibas, S. 315.
21] Vgl. Enders, Kinder, Küche, Kombinat, S. 26f. und Hildebrandt,
Karin: Historischer Exkurs zur Frauenpolitik der SED, in: Bütow, Birgit
/ Stecker, Heidi (Hrsg.): Eigenartige Ostfrauen. Frauenemanzipation in
der DDR und den neuen Bundesländern (Theorie und Praxis der
Frauenforschung, Bd. 22), Bielefeld 1994, S. 12-31, hier: S. 12ff.
22] Dölling, Gespaltenes Bewusstsein, S. 26.
23] Ebd., S. 26f.
24] Enders, Leitbilder, Fremdbilder, Selbstbilder, S. 29.
25] Honecker, Erich: „Von Herzen Dank für steten Fleiß und jede
gute Tat“, in: ders.: Reden und Aufsätze, Bd.1, Berlin (O) 1975, S.
453-457, hier: S. 454. Honecker, Erich: Aus meinem Leben, Berlin (O)
1981, S. 325. Dölling, Gespaltenes Bewusstsein, S. 27f. Enders, Kinder,
Küche, Kombinat, S. 29. 26] Honecker, Erich: „An allen Fortschritten in unserem Leben
haben die Frauen großen Anteil“, in: ders.: Reden und Aufsätze, Bd. 2,
Berlin (O) 1977, S. 535-539, hier: S.536. Honecker, Aus meinem Leben,
S. 323. 1950 waren 44% der Frauen im erwerbsfähigen Alter berufstätig,
1960 62 % und 1970 74,8 %. Vgl. Penrose, S. 65. 27] Wolle, Stefan: Die heile Welt der Diktatur. Alltag und Herrschaft in der DDR 1971-1989
(Bundeszentrale für politische Bildung, Schriftenreihe, Bd. 349) Bonn 1999, S. 175.
28] Das Grundrecht „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ wurde immer
wieder unterlaufen. Vgl. Gerhard, S.394. Honecker dagegen sagte, das
Prinzip sei von Anfang an realisiert worden. Vgl. Honecker, Erich: „Mit
den Frauen der Welt für die Sicherung des Friedens“, in: ders.: Reden
und Aufsätze, Bd. 6, Berlin (O) 1980, S. 396-401, hier: S. 399.
29] Hildebrandt, Frauenpolitik S. 26. Die Einführung der Pille
1968 und das seit 1972 garantierte Recht auf freie Abtreibung trugen
auch zum Sinken der Geburtenrate bei. Vgl. Helwig, Jugend und Familie,
S. 87ff. Segert/ Zierke, S. 202 u. 210. 30] Diemer, Patriarchalismus, S. 76.
31] Koch/ Knöbel, S. 64ff. Hildebrandt, Karin: Übersicht über
wichtige sozialpolitische Maßnahmen, Gesetze und historische Ereignisse
von 1945 – 1989, in: Bütow, Birgit/ Stecker, Heidi (Hrsg.): Eigenartige
Ostfrauen, S.328-339. Das Babyjahr konnte seit 1986 auch vom Ehegatten
oder der Großmutter in Anspruch genommen werden, was aber eher selten
genutzt wurde. Vgl. Helwig, Gisela: Gleiche Rechte – doppelte
Pflichten. Frauen in der DDR, in: dies.: Rückblicke auf die DDR, Köln
1995, S. 197-207, hier: S. 205. 32] Die Quote der teilzeitbeschäftigten
Frauen änderte sich kaum: 1989 arbeiten 27,1% aller erwerbstätigen
Frauen verkürzt, 1970 lag der Anteil bei 28,5 %. Helwig, Gleiche
Rechte, S. 199f. 33] Vgl. Merkel, Leitbilder, S. 373f. Zu den Unterschieden der
weiblichen Generationen in der DDR auch: Keiser, Sarina: Ostdeutsche
Frauen zwischen Individualisierung und Re-Traditionalisierung. Ein
Generationenvergleich, Hamburg, 1997. 34] Der 1986 erreichte Stand an beruflichen Abschlüssen zeigte,
dass das einstige Bildungsdefizit der Frauen weitgehend überwunden war.
Vgl. Friedrich-Ebert-Stiftung (Hrsg.): Frauen in der DDR. Auf dem Weg
zur Gleichberechtigung, Bonn 1987, S. 22ff. Winkler, Gunnar (Hrsg.):
Frauenreport ´90, Berlin 1990, S. 79f. 35] Honecker, Erich: „Wir haben guten Grund, stolz zu sein auf
die Frauen unserer Republik“, in: ders., Reden und Aufsätze, Bd. 2, S.
206-211, hier: S. 210. 36] Ders.: „Die Frauen der DDR stehen in der ersten Reihe der
Erbauer des Sozialismus“, in: ders.: Reden und Aufsätze, Bd. 7, Berlin
(O) 1982, S. 186-190, hier: S. 187. 37] Diemer, Die „neue Frau“, S. 185. Nickel, Hildegard Maria:
„Mitgestalterinnen des Sozialismus“ – Frauenarbeit in der DDR, in:
Helwig/ Nickel (Hrsg.): Frauen in Deutschland, S.233-256, hier: S. 241.
38] Gerhard, S. 395. Dazu auch: Winkler, S. 93f. Es hieß unter
Honecker der Anteil von Frauen in Leitungspositionen läge bei ein
Drittel. Vgl. Honecker, „Die Frauen der DDR stehen in der ersten Reihe
der Erbauer des Sozialismus“, in: ders.: Reden und Aufsätze, Bd. 7,
Berlin (O) 1982, S. 186¬190, hier: S. 188. Ders., Aus meinem Leben, S.
326. Schon zu DDR-Zeiten widersprachen detaillierte Zahlen dieser
Aussage. Vgl. Helwig, Gleiche Rechte, S. 205. Niethammer spricht von
der weiblichsten Gesellschaft Europas mit der wohl männlichsten
politischen Führung eines Industriestaats. Vgl. Niethammer, S. 102. 39] Friedrich-Ebert-Stiftung, Frauen in der DDR, S. 55f. Schubert, S. 41ff.
40] Honecker, Erich: „Die Frauen wirken engagiert für die Stärkung der DDR und die Erhaltung des
Friedens“, in: ders.: Reden und Aufsätze, Bd. 12, Berlin (O) 1988, S. 382-386, hier: S. 384.
41] Merkel, Leitbilder, S. 372.
42] Diemer, Patriarchalismus, S. 79f. Vgl. auch Anger, Susanne: Das
Beste an der DDR sind die Frauen, in: Raubold, Susanne (Hrsg.): Go
East! DDR – Der nahe Osten, Berlin 1990, S. 76-81, hier: S. 78. 43] Penrose, S. 75. Merkel, Leitbilder, S. 378. Kaminsky, S. 251.
Lepsius spricht von der Verhaltensstrukturierung in zwei Muster:
„Öffentlichkeit“ und „Privatheit“ Vgl. Lepsius, Rainer M.: Die
Institutionenordnung als Rahmenbedingung der Sozialgeschichte der DDR,
in: Kaelble u.a. (Hrsg.): Sozialgeschichte, S. 17-30, hier: S. 28f. 44] Dölling, Gespaltenes Bewusstsein, S. 49.
45] Keiser, S. 52f. u. 157f. Winkler, S. 79ff. Wolle, S. 176.
46] Diemer, Die „neue Frau“, S. 187. 47] Gysi, Jutta/ Meyer,
Dagmar: Leitbild: berufstätige Mutter – DDR-Frauen in Familie,
Partnerschaft und Ehe, in: Helwig/ Nickel (Hrsg.): Frauen in
Deutschland, S.139-165, hier: S. 140 u. 161f. 48] Bertram, Geschlechtstypik im Beruf, S. 101
49] Friedrich-Ebert-Stiftung, Frauen in der DDR, S. 34f. Bei
Alleinerziehenden handelte es sich fast ausschließlich um
Mutter-Kind/er-Familien, dies hing unter anderem auch mit der
Bevorzugung von Müttern bei der Vergabe des Sorgerechts bei
Ehescheidungen zusammen; die Arbeitskraft des Mannes sollte der
Gesellschaft voll zu Verfügung stehen. Vgl. Gysi/ Meyer, Leitbild:
berufstätige Mutter, S. 145ff. 50] Ehescheidungen hatten in der DDR seit Ende der fünfziger
Jahre laufend zugenommen und stiegen Anfang der Siebziger noch mal
beachtlich an. Vgl. Friedrich-Ebert-Stiftung, Frauen in der DDR, S.
32ff. Winkler, S.106ff. 51] Kabat vel Job, Otmar/ Pinther, Arnold: Partnerschaft und Ehe
und Familie, in: Bertram u.a. (Hrsg.): Adam und Eva heute, S.142-172,
hier: S.148. Diemer, Die „neue Frau“, S. 188. 52] Gysi/ Meyer, Leitbild: berufstätige Mutter, S. 140.
53] Thomas, Rüdiger: Kultur und Kulturpolitik in der DDR, in:
Eppelmann u. a. (Hrsg.): Bilanz und Perspektiven, S. 260-271, hier: S.
264. 54] Holzweißig, Gunter: Zensur ohne Zensor. Die
SED-Informationsdiktatur, Bonn 1997, S. 44ff. Schittly, Regie und
Regime, 314ff. 55]Honecker, Erich: Bericht des Politbüros an das 11. Plenum des
ZK der SED, Dezember 1965. Zit. nach: Trampe, Andreas: Kultur und
Medien, in: Judt (Hrsg.): DDR-Geschichte, S. 293-362, hier: S. 326. 56] Thomas, S. 264. Wischnewski, Klaus: Die zornigen jungen
Männer von Babelsberg, in: Agde, Günter (Hrsg): Kahlschlag. Das 11.
Plenum des ZK der SED 1965. Studien und Dokumente, Berlin 1991, S.
171-188, hier: S. 172ff.
57] Honecker, Erich: „Die Herausbildung der sozialistischen
Persönlichkeit – eine Hauptaufgabe der Partei bei der Gestaltung der
sozialistischen Gesellschaftsordnung“, in: ders.: Reden und Aufsätze,
Bd.1, S. 192-202, hier: S. 198f. 58] Honecker, Erich: „Die Hauptaufgabe umfasst auch die weitere
Erhöhung des kulturellen Niveaus“,in: ders.: Reden und Aufsätze, Bd.1,
S. 426-429, hier: S. 427. 59]Hager, Kurt (1912 - 1998): 1958 bis 1989 Leiter der
ideologischen Kommission beim Politbüro, 1963 bis 1989 Mitglied des
Politbüros. 60] Jäger, Manfred: Kultur und Politik in der DDR
1945-1990, Köln 1995, S. 140.
61] Schmutzer, Klaus: Ein Künstlerverband emanzipiert sich. Der
Film- und Fernsehverband zwischen Anspruch und Realität, in: Hoff,
Peter/ Wiedemann, Dieter (Hrsg.): Medien der Ex-DDR in der Wende
(Beiträge zur Film- und Fernsehwissenschaft, Bd. 40), Berlin 1991, S.
70-80, hier: S. 73ff. Jäger, Kultur und Politik, S. 154f.
62] Schepers, S. 256. Rinke, S. 184ff.
63] Blunk, Harry: Zur Rezeption von „Gegenwartsspielfilmen“ der
DEFA im Westen Deutschlands, in: Blunk/ Jungnickel (Hrsg.): Filmland
DDR, S. 107-118, hier: S. 112.
64] Jäger, Kultur und Politik, S. 163. Gersch, Wolfgang: Filme in
der DDR. Die verlorene Alternative, in: Jacobsen, Wolfgang u.a.(Hrsg.):
Geschichte des deutschen Films, Stuttgart 1993, S. 323-364, hier: S.
347.
65] Honecker, Erich: „Die Entwicklung der sozialistischen Kultur
und Kunst“, in: ders.: Reden und Aufsätze, Bd. 4, Berlin (O) 1977, S.
457-462, hier: S. 460.
66] Trampe, S. 300 u. 328. Die Ereignisse im Rahmen der
Biermann-Ausbürgerung, schildert einer der Betroffenen in: Krug,
Manfred: Abgehauen, Düsseldorf 1998. 67] Schittly, Regie und Regime, S. 208ff.
68] Jäger, Manfred: Kulturpolitik, in: Eppelmann u.a. (Hrsg.):
Lexikon des DDR-Sozialismus, S. 363-367, hier: S. 365. Vollnhals,
Clemens: Das Ministerium für Staatssicherheit. Ein Instrument
totalitärer Herrschaftsausübung, in: Kaelble u.a. (Hrsg.):
Sozialgeschichte, S. 498-518, hier: S. 500ff.
69] Honecker, Erich: „Die Kulturpolitik der Partei. Die
Entwicklung von Kunst und Literatur“, in: ders.: Reden und Aufsätze,
Bd. 8, Berlin (O) 1983, S. 97-103, hier: S. 99 u. 101.
70] Schittly, Regie und Regime, S. 221ff. u. 228f.
71] Schmutzer, S. 76.
72] Bulgakowa, Oksana: Die Rebellion im Rock, in: Eckert/ Lowien (Red.): Außerhalb von Mittendrin, S. 98-102, hier: S.98.
73] Schepers, S. 257 und Rinke, S. 190. So wie im ZK der SED hatten
auch in den Leitungsebenen des DEFA-Studios und der Hauptverwaltung
Film Männer das Sagen, die somit auch über die „Frauenfilme“ und ihre
Heldinnen entschieden. Vgl. Schieber, Elke: Widerspenstige Heldinnen.
1980 - 1992, in: Geiss, Axel (Hrsg.): Filmstadt Babelsberg. Zur
Geschichte des Studios und seiner Filme, Berlin 1994, S. 119-129, hier:
S. 120. 74] Schittly, Regie und Regime, S. 250. Dazu auch: Schieber, Anfang vom Ende, S. 267.
75] Schmutzer, S. 77f.
76] Schittly, Regie und Regime, S. 254ff. Jäger, Kultur und Politik, S. 253f.
77] Richter, Rolf: Egon Günther, in: Richter, Rolf (Hrsg.):
DEFA-Spielfilm-Regisseure und ihre Kritiker, Bd. 1, Berlin (O) 1981, S.
32-55. Waterkamp, Rainer: Biographien, in: Bundeszentrale für
politische Bildung (Hrsg.): Frauenbilder in den DDR Medien, S. 123-134,
hier: S. 126. 78] Voss, Margit: Von großer Dimension. „Der Dritte“, in: „Filmspiegel“, 6/ 1972, S. 8. Richter, Egon Günther, S. 37.
79] Kersten, Rolle der Frau, S. 9 f. Schon in der DDR wurde von
einer neuen Etappe im DEFA-Schaffen gesprochen. Vgl. Heidicke, Manfred:
„Der Dritte“, in: „Filmspiegel“, 4/ 1972, S.17. 80] Eine Szene in einem Film besteht aus einer oder mehreren
Einstellungen, die durch den Ort oder die Handlung verbunden sind. Vgl.
Monaco, Film verstehen, S. 576. 81] Dazu auch: Blunk, Harry: „Der Dritte“, in: Bundeszentrale für
politische Bildung (Hrsg.): Frauenbilder in den DDR Medien, S. 107-121,
hier: S. 120.
82] Drehbuchautor Rücker wollte dagegen polemisieren, dass es in
vielen bisherigen DEFA-Filmen so war, dass „wenn im Leben eines
Menschen die sozialen Konflikte oder die Betriebs- und Arbeitskonflikte
geklärt sind, sich auch (fast gesetzmäßig) die persönlichen Konflikte
klären“. Vgl. Betriebsakademie des VEB DEFA Studio für Spielfilme
(Hrsg.): Günther Rücker. Geschichte begreifen. Ausgewähltes. Eine
Dokumentation (Aus Theorie und Praxis des Films, Sonderdruck 1984),
Berlin (O) 1984, S. 41.
83] Richter, Erika: Alltag und Geschichte in DEFA-Gegenwartsfilmen
der siebziger Jahre (Filmwissenschaftliche Beiträge, Bd. 1/76), Berlin
(O) 1976, S. 100.
84] Betriebsakademie des VEB DEFA Studio für Spielfilme, Günther Rücker, S. 61.
85] Dazu auch: Betriebsakademie des VEB DEFA Studio für Spielfilme, Günther Rücker, S. 54.
86] Ebd., S.49.
87] Wischnewski, Klaus: Träumer und gewöhnliche Leute 1966 bis
1979, in: Schenk, Ralf (Red.): Das zweite Leben der Filmstadt
Babelsberg, S. 212-263, hier: S. 248. Schittly, Regie und Regime, S.
186f. 88] Schittly, Regie und Regime, S. 187. Honeckers Aussage, dass
es keine Tabus in der Kunst geben sollte, werden in einem Artikel über
„Der Dritte“ in der Berliner „Wochenpost“ sogar explizit zitiert und
der Film wird als Diskussionsmaterial zu diesen Überlegungen
bezeichnet. Vgl.: Rehahn, Rosemarie: Auskunft über eine junge Frau, in:
„Wochenpost“, 10.03.1972. 89] Knietzsch, Horst: Die Kunst zu lieben und zu leben, in: „Neues Deutschland“, 18.3.1972.
90] Waterkamp, Biographien, S. 132f. Schieber, Anfang vom Ende, S. 273 u. 281.
91]Dazu auch: Richter, Alltag und Geschichte in DEFA-Gegenwartsfilmen, S. 220f.
92] Zimmerling, Ingeborg: Harmonie im Alleingang?, in:
„Filmspiegel“ 7/ 1974, S. 8. Richter geht davon aus, dass Uwes
gesellschaftliche Verantwortung die Vernachlässigung Allas und der
Kinder rechtfertige. Vgl. Richter, Alltag und Geschichte in
DEFA-Gegenwartsfilmen, S. 227. Warneke selbst sieht dies nicht so. Jede
Arbeit sei wichtig und Uwe leite aus seiner beruflichen Leistung nicht
das moralische Recht ab, seine Familie zu vernachlässigen. Vgl. Weide,
Thomas: Interview mit Lothar Warneke, in: Progress Film-Verleih
(Hrsg.): Film. Für Sie. Leben mit Uwe.
93] Dazu auch: Rother, Hans-Jörg: Beruf kontra Ehe? Bemerkungen zum DEFA-Film „Leben mit Uwe“, in: „Forum“, 7/ 1974, S. 10.
94] Richter spricht von weit verbreiteten Vorurteilen gegen ein
Leben, wie es Ruth führt. Vgl. Richter, Alltag und Geschichte in
DEFA-Gegenwartsfilmen, S. 231. 95]Holland-Moritz, Renate: Die Eule im Kino, Filmkritiken, Berlin
(O) 1983, S. 121. Rother, Beruf kontra Ehe?, S. 10. Zimmerling,
Harmonie im Alleingang?, S. 8.
96] Ahrens, Peter: Ehe ist schwer, in: „Weltbühne“, 02.04.1974. 97] Tok, Hans-Dieter: Auf der Suche nach Harmonie, in: „Film und Fernsehen“, 3/1974, S. 7-11, hier: S.9.
98] Zum Beispiel: Sobe, Günther: Verheiratet - verheiratet mit wem? In: „Berliner Zeitung“, 19.03.1974.
99] Herlinghaus, Hermann: Heiner Carow, in: Richter, Rolf (Hrsg.):
DEFA-Spielfilm-Regisseure und ihre Kritiker, Bd. 2, Berlin (O) 1983,
S.52-76, hier: S. 52, 59ff. u. 64ff. Schittly, Regie und Regime, S.
160f., 249 u. 311. 100] Betriebsakademie des VEB DEFA Studio für Spielfilme, Günther Rücker, S. 74f.
101] Eine Sequenz in einem Film ist eine Folge von inhaltlich
zusammenhängenden Einstellungen. Vgl. Monaco, Film verstehen, S. 572.
102] Dazu auch: Rehahn, Rosemarie: Heiner Carow dreht „Bis dass
der Tod euch scheidet“, in „Wochenpost“, 08.12.1978, S. 14 u. 15, hier:
S. 14. Holland-Moritz, Filmkritiken, S. 192.
103] Dies wird auch in der Filmkritik im „Neuen Deutschland“
hervorgehoben: „[...] Sonja ist ein Kind der sozialistischen
Gesellschaft und nicht ohne weiteres bereit, auf einen Teil ihres
Lebens zu verzichten.“ Vgl. Knietzsch, Horst: Aufgefordert über den
anderen nachzudenken, in: „Neues Deutschland“, 29.05.1979. 104] Sonjas „veraltetes“ Geschlechterverständnis zeigt sich auch
in ihrer versuchten Konfliktvermeidung und -lösung durch sexuelles
Gefallenwollen. Vgl. Rinke, S. 188. 105] Dazu auch: Schönfeldt, Beate: Bis dass der Tod euch
scheidet, in: Betriebsakademie des VEB DEFA Studio für Spielfilme
(Hrsg.): DEFA-Filme 1978-1980. Analysen (Aus Theorie und Praxis des
Films, Heft 4/1980), Berlin (O) 1980, S. 47-58, hier: S. 52. 106] Bahr glaubt Jens’ Verhalten würde im Film über Gebühr
entschuldigt. Hier wird aber angenommen (so auch Rinke), dass Jens’
Verhalten zwar teilweise erklärt, aber prinzipiell als inakzeptabel
verurteilt wird. Vgl. Bahr, S. 130f. und Rinke, S. 187.
107] Viele Filmkritiker sahen den extremen Handlungsverlauf des
Films unzureichend motiviert und sprachen von einem nicht
verallgemeinerbaren Sonderfall, um die Kritik des Films zu mindern.
Vgl. Agde, Günther: Ein Sonderfall von Liebe oder der streitbarste
DEFA-Film „Bis dass der Tod euch scheidet“, in „Filmspiegel“, 12/ 1979,
S. 12. Ahrens, Peter: „Bis dass der Tod euch scheidet“, in: Die
„Weltbühne“, 12.06.1979.
108] Schittly, Regie und Regime, S. 188f.
109] Dazu auch: Blunk, Zur Rezeption von „Gegenwartsspielfilmen“,
S. 114. Der Mangel an Dialektik stieß im „Neuen Deutschland“ auf
Kritik: „[...] dem Dialektischen in den Beziehungen zwischen Individuum
und Gesellschaft bleibt der Film einiges schuldig.“ Vgl. Knietzsch,
Aufgefordert über den anderen nachzudenken.
110] Auch die Gesetzgebung der DDR machte die Mutter im ersten
Jahr für das Kind verantwortlich. Das bezahlte Babyjahr für den Mann
gab es erst ab 1986. Siehe Anmerkung 31. 111] Vgl. Holland-Moritz, Filmkritiken, S. 193. Schönfeldt, S.
55. Thurm, Brigitte: Plädoyer zugunsten der Männer?, in: „Film und
Fernsehen“, 5/1979, S. 9 u. 10, hier: S. 10.
112] Prochnow, Christoph: Herrmann Zschoche, in: Richter, Rolf
(Hrsg.): DEFA-Spielfilm-Regisseure, Bd.1, S. 224-241, hier: S. 230ff u.
238ff. Schittly, Regie und Regime, S. 144 u. 269ff.
113] In der DDR-Zeitschrift „Film und Fernsehen“ ist von
„Einmischer-Freude“ der Fürsorge und der Bürgen die Rede, aber auch von
einem legitimen Eingreifen „des moralischen Wert-Regulativs der
sozialistischen Gesellschaft“ in nur „scheinbar“ intime Bereiche.
Schütt, Hans-Dieter: Mut zur Freundlichkeit, in: „Film und Fernsehen“
11/ 1981, S.7. 114] Becher, Uta: „Notizen aus der Provinz“. Kleinbürgertum und
Spießigkeit in Widerspiegelungen des DDR-Alltags – Kritik oder
erwünschtes Ideal, in: Hoff, Peter/ Wiedemann, Dieter (Hrsg.): Der
DEFA-Spielfilm in den 80er Jahren – Chancen für die 90er? (Beiträge zur
Film- und Fernsehwissenschaft, Bd. 44), Berlin 1992, S. 192-209, hier:
S. 202. Das „Neue Deutschland“ kritisierte die Verteilung von
Sympathien in dieser Szene und sprach von emotionalem Unterlaufen
sachlicher Argumentation. Vgl. Goldberg, Henryk: Die Verantwortung des
einzelnen für sein Leben, in: „Neues Deutschland“, 19./ 20.09.1981. 115] Dazu auch: Becher, S. 204f. sowie Rehahn, Rosemarie: Ich schaff’s nicht!, in: „Wochenpost“, 16.10.1981.
116] Becher spricht in diesem Zusammenhang von einer
Korrekturdramaturgie im kritischen DEFA-Gegenwartsfilm. Die Darstellung
eines Ausbrechens aus dem normierten Zusammenleben musste wegen der
vorhandenen Tabus immer auch denunziert, diffamiert oder zumindest
belehrend zurechtgerückt werden. Vgl. Becher, S.208. 117] Dies wird auch in der Rezension im „Filmspiegel“ propagiert:
„Fände sie den richtigen lieben Mann, könnte sie ihre Kräfte
vervielfachen, den Konflikt schnell und endgültig entscheiden.“ Agde,
Günther: Eine Attacke. „Bürgschaft für ein Jahr“, in: „Filmspiegel“,
20/ 1981, S.22. 118]99 Vgl. Goldberg, Die Verantwortung des einzelnen für sein Leben.
119] Gehler, Fred: Bürgschaft für ein Jahr, in: „Sonntag“, 11.10.1981.
120] Mihan, Hans-Rainer: Sabine, Sunny, Nina und der Zuschauer. Gedanken zum Gegenwartsfilm der
DEFA, in: „Film und Fernsehen“, 8/ 1982, S. 9-12, hier: S. 10. Rehahn, Ich schaff’s nicht!
122] Schieber, Widerspenstige Heldinnen, S. 124. Dies., Anfang vom Ende, S. 265 u. 267ff.
122] Dazu auch: Chmura, Heidrun: Düstere Landschaft. Das Frauenbild
in der DDR am Beispiel des Films „Das Fahrrad“, in: Bundeszentrale für
politische Bildung (Hrsg.): Frauenbilder in den DDR Medien, S. 29-39,
hier: S. 35. 123] Gräf, Christel: Waren Ostfrauen wirklich anders? Zur
Darstellung von Frauen im DEFA-Gegenwartsfilm, in: Fritz, Raimund
(Red.): Höhepunkte des DEFA-Kinos 1946-1992. Bd.2, Wien 2001, S.
107-117, hier: S. 116. Rinke, S. 197. 124] Evelyn Schmidt selbst sagte in einem Interview, dass Männer
in der DDR-Gesellschaft z. B. nach Armee und Studium einfach größere
Möglichkeiten hätten. Unterschiedliche gesellschaftliche Stellungen und
verschiedene Entwicklungsmöglichkeiten sollten nicht geleugnet werden.
Vgl. Rinke, S. 200. 125] In mehreren Filmkritiken wird die Figur des Thomas positiver
als Susanne gesehen. Ihre Vorwürfe gegenüber ihm seien
ungerechtfertigt. Voss, Margit: Ein zweiter Anlauf, in: „Film und
Fernsehen“, 8/ 1982, S. 13 u. 14, hier: S. 14. Tok, Hans-Dieter:
Verlangen nach Liebe, in: „Wochenpost“, 24.09.1982. 126] „Allein zu leben, eine befriedigende Arbeit auszuüben, ein
Kind richtig erziehen, das sind schwierige Angelegenheiten, die man
nicht einfach damit abtun kann, dass sie notwendig und allgemein üblich
sind.“ Vgl. Friedrich, Detlef: Das Fahrrad als Stein des Anstoßes.
Interview mit Evelyn Schmidt, in: „Berliner Zeitung“, 08.07.1982. 127]Chmura, S. 36.
128] Siehe das Kapitel „Reaktionen auf den Film“, S. 59.
129] Knietzsch, Horst: Mißlungen, in: „Neues Deutschland“, 29.07.1982.
130] Schmidt, Evelyn: Na und? Rückblick einer DEFA-Regisseurin, in: „Film und Fernsehen“, 1+2/ 1996,
S. 68-71, hier: S. 70. Schittly, Regie und Regime, S. 260.
131 Voss, Ein zweiter Anlauf, S. 13.
132] Holland-Moritz, Renate: Die Eule im Kino. Neue Filmkritiken, Berlin 1994, S. 50. Dazu auch: Tok, Verlangen nach Liebe.
133] Goldberg, Henryk: Iris Gusner, in: Richter, Rolf (Hrsg.):
DEFA-Spielfilm-Regisseure, Bd.2, S. 77-89, hier: S.81ff u. 85ff.
Schieber, Anfang vom Ende, S. 267f. 134] Dazu auch: Schieber, Anfang vom Ende, S.268.
135] Prochnow, Christoph: Ein Gegenwartsfilm mit „Volksstückcharakter“, in: „Kino DDR“, 2/ 1984, S. 4 u. 5, hier: S. 4.
136] Dazu auch: Schieber, Elke: Bisschen was riskieren, in: „Film und Fernsehen“, 3/ 1984, S. 12 u. 13, hier: S. 13.
137] Schieber stellt in diesem Zusammenhang die kritische Frage, ob
es sich dabei um noch typisches oder bereits wieder typisches
Rollenverhalten von Frauen handele. Vgl. Schieber, Bisschen was
riskieren, S. 13.
138] Prochnow, Christoph: Im Gespräch mit Iris Gusner, in: „Kino DDR“, 2/ 1984, S. 5-7, hier: S.5.
139] Knietzsch, Horst: Besinnliche Variationen über ein ewiges Thema?, in: „Neues Deutschland“, 11.03.1984.
140] Gehler, Fred: Kaskade rückwärts, in: „Sonntag“, 25.03.1984.
141] Tok, Hans-Dieter: Kaskade richtungslos, in: „Wochenpost“, 24.02.1984.
142] Holland-Moritz, Neue Filmkritiken, S. 66.
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