Thema | Kulturation 1/2004 | Film- und Fernsehgeschichte | Ulla Büchner | Maria Schrader – ein deutscher Star bereits in den 90er Jahren?
| Ulla Büchner
Maria Schrader – ein deutscher Star bereits in den 90er Jahren?
„Es gibt nichts, wofür sie schon berühmt genug ist, keinen
bestimmten Manierismus, keinen wiederkehrenden Look. Sie überrascht mit
jeder neuen Rolle.“/1/, war in den 90er Jahren im Magazin STERN über
die Schauspielerin Maria Schrader zu lesen.
Heute lässt sich dieses Kompliment gleichermaßen bestätigen wie
dementieren. Bestätigen in dem Sinne, dass diese Feststellung nach wie
vor genau so zutrifft, wie sie trefflich formuliert wurde. Maria
Schrader sieht weder immer gleich aus noch hat sie eine
offensichtliche, besondere Eigenart, an der man sie erkennen könnte.
Sie überrascht eben in und mit jeder Rolle.
Dementieren lässt sich dieses Statement insofern, dass es etwas
gibt, wofür sie „berühmt“ ist, etwas, was sie auszeichnet und zu einer
besonderen Schauspielerin macht: ihre Spiellust und Wandelbarkeit. Mit
jeder ihrer Frauenfiguren schlägt sie ein neues Kapitel im
Schrader-Repertoire auf, fügt eine neue Facette ihrer Darstellerkunst
hinzu und erfüllt ihre Rollen auf die ihr markante Art mit Leben.
Sie ist unverwechselbar darin, wie sie die Identitäten der Frauen,
die sie darstellt, nach außen transportiert und für den Zuschauer
erkennbar macht. Erkennbar, weil sie in ihrer Rollenauswahl darauf
achtet, Typisierungen zu entgehen und sich Charaktere sucht, die denen
aus dem wahren Leben ähneln. Sie zeigt Ängste und Leidenschaften,
Verzweiflung und Lust, mit denen ihre Figuren versuchen, sich in ihrem
Leben zu finden. „Großes Kino mit guten Stoffen; Treffendes über
Beziehungsgeschichten, die typisch sind für die neunziger Jahre;
Filmformen, die sich an kühne Vorbilder anlehnen, Frauengestalten, die
verführen und mitreißen, – so lassen sich ihre Ambitionen
umschreiben.“/2/
Dabei versucht sie, die Stimmungen ihrer Heldinnen auszuloten und
durch ihr Spiel dem Publikum ein Gefühl von Tiefe und Wahrheit zu
übermitteln. Wichtig für ihr Spiel ist ihre Mimik. Ihr Gesicht kann
alles preisgeben, sich aber ebenso im nächsten Moment verschließen:
„... deren Gesicht so ansatzlos zwischen verdrossen und fröhlich
wechseln kann ...“/3/ Man glaubt sie zu erkennen, in der nächsten Szene
widerlegt sie das Beobachtete und kehrt es um. Maria Schrader schwört
auf Geheimnisse, die sie sich und den Zuschauern zugestehen will und
muss, um die gegenseitige Neugier wach zu halten.
Sie spielt Frauen, die scheinbar verschieden sind: Die wortkarge
und unscheinbare Polin Silva, deren innere Stärke als Schönheit nach
außen strahlt; Fanny Fink, die Melancholische und sich Versteckende;
Anna, die exhibitionistische und lebenshungrige Bankräuberin; Marion,
die sich selbst Belügende und Unschlüssige; Julia, eine
leidenschaftliche Liebende zwischen zwei Männern, die an ihrer eigenen
Ausweglosigkeit zu scheitern droht; Sophie Moor, das feenhafte Medium;
Lena, deren Leben und Liebe vor jüdischem Hintergrund in Frage gestellt
wird.
Oft haben ihre Protagonistinnen eine Art Sprödigkeit bzw.
verweigernden Charme gemeinsam: „Das Leben hat sie alle zu kurz kommen
lassen. Und immer gibt es den Augenblick, in dem diese Frauen über
ihren Schatten springen und sich unverfroren nehmen, was ihnen nicht
zusteht.“/4/ Die Heldinnen können mit Wortsalven überzeugen und das
Schlachtfeld beherrschen (Julia). Maria Schrader versteht es aber auch,
nuancierte Pausen zu setzen (Fanny Fink) oder mit wenigen Worten alles
zu sagen (Silva).
Deutlich wird, dass Maria Schrader in ihrer Figurenwahl und
interpretation eine Entwicklung vorgenommen hat. Die introvertierten,
mit mangelndem Selbstbewusstsein ausgestatteten „alltäglichen“ Frauen
und die beziehungsgestressten Starken sind denen gewichen, die sich in
historischen (jüdischen), kriminellen und phantastischen Gefilden
bewegen. Dabei stehen nicht mehr grundlegend ihre Protagonistinnen im
Mittelpunkt. Sie können auch als Zuträgerinnen der Handlung fungieren.
Die Schauspielerin verfügt schon in den 90er Jahren über ein sehr
breites Rollenspektrum. Was kann und soll jetzt noch für sie kommen?
Was wird sie in zehn Jahren spielen? Natürlich könnte man hypothetisch
antworten, dass das deutsche Kino bis dahin soweit gediehen ist, dass
Schauspielerinnen ab vierzig auf der Leinwand gefragt sind und nicht
nur in Fernsehserien versauern oder auf Provinztheaterbühnen enden. Was
könnte also mit Maria Schrader passieren? Ihr ist zu wünschen, dass sie
sich mindestens zwei berufliche Träume erfüllen kann: eigene
Regiearbeiten und Theaterspielen mit der großen deutschen Komödiantin
Katharina Thalbach. Wegen der großen Augen und Gesten möchte sie
unbedingt einmal in einem Stummfilm mitwirken./5/ Möglicherweise sind
die deutschen Drehbuchschreiber dann einfallsreicher, um der Schrader
interessante Rollen auf den Leib zu schreiben.
Maria Schrader – ein deutscher Star bereits in den 90er Jahren? Die
Schrader ist eine Schauspielerin, die zunächst einmal einem bestimmten
Zeittyp entspricht, der sich durch ihre Filme entwickelt hat. Sie
verkörpert nicht den glamourösen Star und ist auch kein Kassenmagnet
wie Til Schweiger. Aber sie steht für ein gewisses schauspielerisches
Mentalitätsmuster, was sie unverwechselbar macht und ein Teil des
Publikums an ihr schätzt. Das bestimmt ihre Star-Qualität und trifft
auf ihr eigenes Ansinnen: „... sie verbindet mit dem Star-Image doch
eine Vorstellung besonders intensivierter, in der Filmrolle
erarbeiteter Natürlichkeit. Wichtiger als ein synthetisches Image ist
ihr die Lust am Spielen, mit der sie die Rollenidentität erfahren
kann.“/6/
Kurzportrait
Maria Schrader wurde 1965 in Hannover geboren. Seit über zehn
Jahren lebt sie mittlerweile in Berlin. Sie stammt aus einem
kunstliebenden Elternhaus, wo sie eine unbeschwerte Kindheit verlebte.
Anfangs wollte sie Pianistin werden, doch mit 14 Jahren besuchte sie an
der Schule ihren ersten Theaterworkshop, der schnell ihre beruflichen
Ambitionen ändern sollte. Zwei Jahre später begleitete sie ein
Praktikum am Hannover’schen Theater und stand zugleich in dem
Strindbergstück „Der Vater“ als Tochter Berta das erste Mal auf der
Bühne.
Von 1983 bis 1986 absolvierte sie am Max-Reinhardt-Seminar in Wien
eine Schauspielausbildung, die sie aber vor dem Examen abbrach: „Dort
werden die Schüler erstmal dem Erdboden gleichgemacht. Erst was danach
wächst, wird gefördert.“/7/ Dennoch spielte sie während dieser Zeit in
fünf Stücken mit, u.a. in einer Produktion von Samy Molcho, bei dem sie
später in Berlin ihre Tanzausbildung erhielt. Im Gesang wurde sie von
Mirka Yemen Dzaris an der Berliner Schaubühne unterrichtet.
In Wien lernte sie den Schauspieler, Drehbuchautoren und Regisseur
Dani Levy kennen, dem sie nach Berlin folgte. Diese Begegnung prägte
die nächsten Jahre ihres Lebens entscheidend. Bei Levy lernte sie „das
Filmemachen“ mit allem, was dazugehört: von der Idee, dem ersten
Konzeptentwurf bis zum final cut. 1988/89 drehen sie ihren ersten
gemeinsamen Kinofilm „RobbyKallePaul“, bei dem die Schrader als
Co-Autorin und Darstellerin der verwirrenden „Malu“ fungierte.
Weil das eigentliche Filmprojekt noch nicht fertig ist, die
bereitgestellten Gelder aber verbraucht werden müssen (!), dreht das
Gespann Schrader/Levy 1991/92 in New York den Spielfilm „I was on
Mars“, in dem Maria Schrader gleichzeitig die Hauptrolle übernimmt. Für
ihre Darstellung der Silva erhält sie den Max-Ophüls-Preis als beste
Nachwuchsdarstellerin. Neben ihren Kinoaktivitäten agiert sie seit 1984
wiederholt in Fernsehproduktionen.
Für ihre Mitwirkung in dem Film „Burning life“ erhält sie den
Hessischen und den Bayrischen Filmpreis 1995, darüber hinaus wird ihr
im selben Jahr für „Keiner liebt mich“ der Bundesfilmpreis in Berlin
überreicht. Der erste, groß produzierte Kinofilm (im Verleih der
amerikanischen Disney-Tochterfirma Buena Vista) des Autorenduos
Schrader/Levy wird auf der Berlinale 1996 mit einer lobenden Erwähnung
bedacht.
Am 30. Juli 1998 hatte mit „Meschugge“ der mittlerweile vierte
Spielfilm des Autorenduos Schrader/Levy Premiere. Für den Herbst wurde
die Premiere der Buchverfilmung von Erica Fischer „Aimèe und Jaguar“
unter der Regie von Max Färberböck angekündigt. Maria Schrader hat die
Hauptrolle der Jüdin Felice Schragenheim („Jaguar“) übernommen, die im
Widerstand gegen Hitler arbeitet. In einem leidenschaftlichen
Liebesverhältnis verführt sie eine deutsche Soldatenfrau, bis sie
deportiert wird. Die Story basiert auf einer wahren Geschichte. Mit
dieser Verfilmung gelang der Schauspielerin Maria Schrader der
endgültige Durchbruch im deutschen Kino .
VITA
Agentur:
„Players“ in Köln, Agentin: Mechthild Holter
Theater:
1983
„Der Vater“, Staatstheater Hannover, Regie: Dieter Hufschmidt;
1984
„Die Zofen“, Max-Reinhardt-Seminar Wien, Eigenregie;
„Der Schleier der Pierrette“, Biennale Venedig, Regie: Samy Molcho;
1985
„Das Liebeskonzil“, Theater Narrenkastl in Wien, Regie: Justus Neumann / Josef Hartmann;
1986
„Lulu“, Beinhardt Ensemble Wien, Regie: Meret Barz;
„Frühlingserwachen“, Beinhardt Ensemble Wien, Regie: Meret Barz;
1989
„Adam“, Schauspielhaus Bonn, Regie: David Mouchtar-Samorai;
Hörfunk:
1994
„Flötentöne“, Hörspiel von Dieter Hufschmidt mit Gedichten von Samuel Beckett, Radio Bremen;
Filmographie:
1985
„Anatomie einer Revolution“, Fernsehfilm ORF, Regie: Jürgen Kaizick;
1987
„Goldjunge“, Fernsehfilm ZDF, Regie: Sven Severin;
1989
„RobbyKallePaul“, Kinofilm BRD/ Schweiz, Prod.:Luna-Film/ Fool
Film/ Atlas/ Fama, Regie: Dani Levy, M. Schrader als Co-Autorin und
Rolle der Malu; 1990
„Abgeschleppt“, Fernsehkurzfilm SFB, Regie: Dani Levy;
1991
„Peter Strohm - Wanderer im Watt“, Fernsehserie ARD, Regie: Kai Wessel;
1992
„I was on Mars“, Kinofilm BRD/ Schweiz/ USA, Prod.:Luna-Film
Berlin, Regie: Dani Levy, M. Schrader als Co- Autorin und Rolle der
Silva;
„Je m’appelle Victor“, Kinofilm Frankreich/ Belgien/BRD, Regie: Guy Jaques;
„Halbe Welt“, Kinofilm BRD/ Österreich, Regie: Florian Flicke;
1993
„Burning life“, Kinofilm BRD, Prod.: Antaeus Film/Studio Babelsberg/ Parabel Film/ Script/ ORB/ SWF, Regie: Peter Welz;
„Magic Müller“, Fernsehfilm BRD, Prod.: Südwestfunk, Regie: Thomas Bohn;
„Ohne mich“, Episode aus dem Film „Neues Deutschland“, Fernsehfilm
BRD, Prod.: Westdeutscher Rundfunk/ Gebhard Henke, Regie: Dani Levy;
1994
„Keiner liebt mich“, Kinofilm BRD, Prod.: Cobra Film/ ZDF, Regie: Doris Dörrie;
„Einer meiner ältesten Freunde“, Fernsehfilm BRD/Bayrischer
Rundfunk, Prod.: Claussen+Wöbke Filmproduktion, Regie: Rainer Kaufmann
1995
„Stille Nacht“, Kinofilm BRD/ Schweiz, Prod.: X-Filme creative
Pool/Fama Film/Fool Film, Regie: Dani Levy, M. Schrader als Co-Autorin,
Co-Produzentin und Rolle der Julia; „Flirt“, Kinofilm USA/ BRD/ Japan, Prod.: True Fiction Pictures/ Pandora/ Nippon Film, Regie: Hal Hartley;
„Risiko Null“, Fernsehfilm BRD, Prod.: HDTV Film/Sat.1, Regie: Roland Suso Richter;
„Unmögliche Hochzeit“, Fernsehspiel BRD, Prod.: ZDF/Olga Film, Regie: Horst Sczerba;
1996
„Kindermord“, Fernsehfilm von Bernd Böhlich, Prod.: RTL;
1997
„Der Unfisch“, Kinofilm Österreich, Prod.: terra Film/Norbert Blecha, Regie: Robert Dornhelm;
„Aimèe und Jaguar“, Kinofilm BRD, Prod.: Senator Film/Günter Rohrbach/ Hanno Huth, Regie: Max Färberböck;
1997/ 1998
„Meschugge“, Kinofilm BRD, Prod.: X-Filme creative Pool, Regie:
Dani Levy, M. Schrader als Co-Autorin/-Produzentin und Rolle der Lena; 1998
Bin ich schön“, BRD, Regie: Doris Dörrie
2001
„Emil und die Detektive“, BRD, Regie: Franziska Buels
2002
„Väter“, BRD, Regie: Dani Levy
2003
„Rosenstraße“, BRD, Regie: Margarethe von Trotta
Ehrungen:
1992 Max Ophüls-Preis als beste Nachwuchsschauspielerin für „I was on Mars“;
1994 Hessischer Filmpreis für „Burning life“;
1995 Bayrischer Filmpreis für „Burning life“;
Bayrischer Filmpreis und Bundesfilmpreis für „Keiner liebt mich“;
Die Zusammenarbeit mit dem Regisseur Dani Levy
Die Begegnung mit Dani Levy 1986 veränderte das Leben der
Schauspielerin Maria Schrader. „Als ich ihm zum ersten Mal begegnet
bin, wusste ich sofort, so einen Menschen triffst du nicht alle Tage.
Und was gibt es Schöneres, als mit dem Menschen, den man liebt, auch
noch zusammenarbeiten zu können?“/8/, beschreibt sie dieses Erlebnis.
Durch ihn entdeckt sie die Kinowelt als neues, kreatives Arbeitsfeld
für sich.
Das heißt, dass sie sich dort nicht nur als Schauspielerin
einbringt. Bei der Produktion ihres ersten, gemeinsamen Kinofilms
„RobbyKallePaul“ legt sie vom ersten bis zum letzten Handgriff selber
mit Hand an. Zusammen mit Levy, der Schauspielerin Anja Franke und
deren Vater Holger Franke, dem Gründer des Theaters „Rote Grütze“,
schreibt sie am Drehbuch mit, arbeitet als Standfotografin am Set,
entwirft gemeinsam mit ihrem Vater das Filmplakat und spielt die kleine
Frauenrolle der Malu. Von Levy lernt sie die Herstellung eines Films,
angefangen mit der Suche nach Geldgebern und einem Verleih bis hin zur
Arbeit im Schnittraum. „Maria hat schon lange - bevor überhaupt
irgendein Schauspieler in Deutschland das getan hat - an den Projekten
mit mir gemeinsam gearbeitet. Ich denke mir, sie war die erste, die das
gemacht hat. Das ist bei ihr natürlich aus der Situation entsprungen,
dass sie sozusagen von mir vereinnahmt wurde in den Prozess der
gesamten Filmherstellung. Das waren für sie natürlich auch Lernprozesse
... Das kann ein sehr anstrengender Prozess sein, aber es ist natürlich
ein Riesenplus, dass derjenige, der vor der Kamera eine Idee
verkörpert, diese auch mitgestaltet. Und das hat Maria sehr schnell
erfasst, das ist ihre Kraft und ihre Stärke ...“/9/ , erinnert sich
Dani Levy an die Anfänge der gemeinsamen Zusammenarbeit.
Levy war es auch, der sie in jeder Hinsicht unterstützt hat, wenn
andere Beteiligte der Schauspielerin Maria Schrader gegenüber Bedenken
äußerten. So trauten ihr die wenigsten die Verkörperung der Polin Silva
in „I was on Mars“ zu. Levy hielt an seiner Hauptdarstellerin fest, die
mit ihm zusammen die gesamte Produktion vorbereitet hatte.
Um ihre Figur authentisch interpretieren zu können, fuhr sie einige
Tage allein nach Polen und suchte auch die Kleidung ihrer Protagonistin
selber aus. In diesem Aufzug, mit Rüschenbluse und blonder, altbackener
Frisur und der bereits verinnerlichten Figur flog sie zu den
Dreharbeiten nach New York. Sie war so perfekt, dass nicht einmal Dani
Levy von ihr Notiz nahm. Er holte sie auf dem Flughafen ab, rannte aber
erst dreimal an ihr vorbei, ehe er sie erkannte./10/
Für die Schrader sollte es die erste, richtige Kinorolle werden,
die nicht nur den Zuschauern nachhaltig im Gedächtnis blieb: „‘I was on
Mars’ war die erste Rolle, wo ich etwas davon kapiert habe, wie man vor
der Kamera spielt.“/11/
Zu dieser Zeit arbeitete das Duo Schrader/Levy parallel an zwei
weiteren Stories, um sie als ihre nächsten Projekte filmreif zu machen:
„Stille Nacht“ und „Meschugge“. Die Zusammenarbeit mit Levy erklärt
Maria Schrader wie folgt: „Mit der gemeinsamen Schreibarbeit läuft das
so: Wir schreiben die Geschichten in einzelnen Szenen auf Karteikarten.
Wir fahren irgendwohin, wo wir ungestört sind. Dann teilen wir die
Karten auf und jeder zieht sich zurück und arbeitet die jeweilige Szene
aus und am Abend bauen wir zusammen, was wir mitgebracht haben. Diese
Freelance-Arbeit verlangt mir mehr Disziplin ab als das Schauspielen
nach festem Drehplan.“/12/ An anderer Stelle fügt sie hinzu: „Sie [die
Zusammenarbeit, d. A.] ist fast schweigsam, eine Art stilles
Einverständnis. Wir arbeiten ziemlich partnerschaftlich. Keiner
versucht, die Macht an sich zu reißen oder das letzte Wort zu
haben.“/13/
Im Laufe der Zusammenarbeit des Autorengespanns Schrader/Levy haben
sie eine feste Gemeinschaft von Filmleuten um sich versammelt, mit
denen sie kontinuierlich ihre Projekte realisieren. So war der
Kameramann Carl F. Koschnik an sämtlichen Levy-Filmen beteiligt. Gerade
bei der Herstellung von „Stille Nacht“ hat man auf das ‘Familiengefühl’
und das Vertrauen untereinander geachtet. Schließlich handelte es sich
um einen Film, den es mit dieser sexuell offenen Atmosphäre im
deutschen Kino noch nicht gegeben hatte. Sie schätzen als
Arbeitsgrundlage Freundschaftskultur, Kreativität und manufakturelle
Produktionsanstrengung./14/
Im Vorfeld von „Stille Nacht“ gründete Dani Levy gemeinsam mit
seinen Regiekollegen Wolfgang Becker und Tom Tykwer sowie dem
Kinobetreiber und Produzenten Stefan Arndt die Produktionsfirma
„X-Filme creative Pool“ in Berlin. Damit wollen sie die bürokratischen
Sackgassen der Filmfinanzierung umgehen, um ihre Drehbücher und Filme
schneller zu finanzieren und erfolgreicher zu vermarkten. Über allem
steht die Professionalität in ihrem Geschäft. Über die Vorteile dieser
Arbeitsweise bemerkt die Schrader in einem anderen Zusammenhang:
„Privatheit vermischt sich in dem Film, der dann aber keine Privatheit
mehr ist. Das ist eine Arbeitsform, die ich sehr genieße, wenn ich
sehe, wie sie funktionieren kann.“/15/
Das Duo Schrader/Levy war schon immer am amerikanischen Filmmarkt
interessiert. Selbst wenn es nur um die passenden Drehorte ging. Seit
Jahren zieht es vor allem Dani Levy regelmäßig nach New York, um dort
nach Möglichkeiten zu suchen, eigene Filme ins Rollen zu bringen. So
bietet die Stadt ein ideales Pflaster zur schnellen Abwicklung der
Drehtage, da es, anders als beispielsweise in Berlin, keine
Schwierigkeiten bereitet, Drehgenehmigungen zu erhalten. Die Amerikaner
sind auf diesem Sektor in vielerlei Hinsicht sehr hilfsbereit und
engagiert. So kommt es nicht von ungefähr, daß mit „Meschugge“ bereits
der zweite Film in den Straßen New Yorks gedreht wurde, inklusive
amerikanischer Schauspieler und amerikanischer Crew. Zu „Meschugge“ liegt das Originaldrehbuch in englischer Sprache
vor, in der sowohl dieser als auch „I was on Mars“ original
aufgezeichnet wurden. Bedenkt man die Bemühungen um Internationalität,
dann verwundert es auch nicht, dass „I was on Mars“ im Ausland, der
Streifen wurde in 25 Länder verkauft, große Publikumserfolge in den
Programmkinos und auf Festivals feierte. In Deutschland dagegen war es
sogar schwierig, einen Verleih für diese hervorragende Produktion zu
finden, nachdem der Vorfinanzier Luna-Film kurzerhand abgesprungen war.
Doch so anspruchsvoll, entwicklungsfördernd und befriedigend solch
ein Arbeitsverhältnis ist, über die enorme doppelte Belastung macht
sich Maria Schrader keine Illusionen: „Wenn man aus dem Nichts heraus,
vielleicht beim Spaziergang, eine Idee entwickelt, sich entscheidet,
daraus machen wir jetzt einen Film und dann quasi das Zugpferd für jede
einzelne Station ist, da findet man sich in einer Wüste von unendlichen
Möglichkeiten wieder. Und du musst dir immer selbst in den Hintern
treten. Mit dieser Selbstdisziplin habe ich oft zu kämpfen. Das möchte
ich nicht jeden Tag machen.“/16/
Zum einen hat Maria Schrader als Co-Autorin und Co-Produzentin der
Filme von Levy die gesamte Kontrolle über ihr eigenes Projekt, kann
sich praktisch ihren Film nach ihren Vorstellungen mitgestalten. Seit
dem Erfolgsfilm „Keiner liebt mich“ von Doris Dörrie hat die Schrader
einen Bekanntheitsgrad erreicht, der ihr im Filmgeschäft viele Türen
öffnet, sie ist in der Lage, einen Film ‘zu tragen’, was sie sich für
eigene Projekte zunutze machen kann. Andererseits macht es einen
Schauspieler nicht freier beim Spiel, wenn er soviel Verantwortung
trägt. Bei „Stille Nacht“ hat sich Maria Schrader nach jedem Take via
Bildschirm in ihrem Spiel überprüft. Sie wertete mit Levy das Material
aus, für beider Vorstellungen musste ein gemeinsamer Konsens gefunden
werden. Danach sprach sie mit Levy die nächste Szene ab. Solch ein
Rollenwechsel vor und hinter der Kamera geht auch an Maria Schrader
nicht spurlos vorüber – in ihrer Gefühlswelt ist sie gespalten, sobald
sie mehr als ihr physisches Spiel in einen Film einbringt. Lust und
Angst sind in ihrer Arbeit zwei Extreme, die diese Anstrengung genauer
beschreiben.
Anmerkungen
1 Christine Kruttschmidt: Man kann doch nicht alles machen. In: STERN,Nr.25,1995,S.161.
2 Claudia Lenssen: Blaue Augen, blauer Fleck - Kino im Wandel von der Diva zum Girlie. Berlin 1997, S.165.
3 Teja Fiedler: Shalom, Manhattan. In: STERN. 44/97 vom 23.10.97, S. 285.
4 Christiane Peitz: Proben nützt nichts. In: Die Wirtschaftswoche, vom 15.06.95.
5Vgl.: Christiane Peitz: Proben nützt nichts. In: Die Wirtschaftswoche..Düsseldorf vom 15.06.95
6 Claudia Lenssen: Maria Schrader: Der Star, der sich seine Rollen selbst schreibt. In: epd Film vom 01.03.1998.
7 Blum: Gesichter des neuen deutschen Film. Berlin 1997, S. 87.
8 Ulrich Lössl. In: Berlin-Ticket. Heft 36/37 1995, S. 10
9 Blum: Gesichter des neuen deutschen Films, S. 87/88.
10 Vgl.: Gespräch mit Dani Levy und Maria Schrader. In: epd Film, 6/93, S. 27.
11 Ulrich Lössl. In: Berlin-Ticket, Heft 36/ 37 1995, S. 10.
12 Claudia Lenssen: Blaue Augen, blauer Fleck - Kino im Wandel von der Diva zum Girlie. Berlin 1997, S. 164.
13 Blum: Gesichter des neuen deutschen Films, S. 92.
14 Vgl.: Claudia Lenssen: Blaue Augen, blauer Fleck, S. 165.
15 Ebenda, S. 172.
16 Ulrich Lössl. In: Berlin-Ticket, S. 10.
Ulla Büchner
Interview mit Maria Schrader über ihre Filmrollen in den 90er Jahren
Das folgende Interview wurde mit der Schauspielerin bereits am
05. April 1998 geführt. Da es einige Akzente zum deutschen Film der
90er Jahre setzt, hat sich die Redaktion zur – wenn auch späten -
Veröffentlichung entschlossen.
Wie beurteilst Du die derzeitige Situation im deutschen Kino?
Ehrlich gesagt es fällt mir schwer. So unglaublich viel erhoffe ich
mir nicht. Ich glaube nicht, dass es mit der Komödie so völlig vorbei
ist. Das ist immer noch das große Kinopferd, auf das sie im Moment
setzen. Es hat sich in den letzten Jahren bewährt, damit wurde Geld
eingespielt und das Selbstbewusstsein der Deutschen in Bezug auf ihre
Kinoproduktion gestärkt.
Wenn es um viel Geld geht, ist man grundsätzlich nicht so
risikobereit, sich sofort etwas anderes zu trauen. Ich glaube, das
passiert nur sehr langsam. Und ich glaube auch, dass einige
Produktionen, an denen ich mitgespielt habe, schon Produkt dessen sind.
Ich bin überzeugt, dass „Aimèe und Jaguar“ in dieser Größenordnung
nicht vor dem „Bewegten Mann“ hätte finanziert werden können. Die
Komödien haben einen Weg freigemacht. Man wagt sich wieder an andere
Bereiche, die es auch ermöglichen sollten, dass irgendwann einmal in
Deutschland nicht nur historische, sondern auch zeitgenössische
Geschichten mit internationalem Format produziert werden, die über das
Publikumspotential der Komödien hinausgehen.
Unsere Komödien haben ja z.T. nur einen regionalen Humor, wie z.B.
bei Detlef Buck, der in Norddeutschland viel besser funktioniert als in
Süddeutschland, aber über die Staatsgrenze hinaus gar nicht mehr. Ich
wünsche mir, dass die Leute sich mal trauen, andere Genres anzupacken,
um Geschichten oder gute Krimis zu erzählen. Es gibt ganz viele Stoffe,
denen kein Kinoformat zugetraut wird, die eben im Fernsehen verwurstet
werden. Was ja nicht schlecht ist, ich will das nicht werten. Aber z.B.
Amerika und Frankreich: aus Stoffen wie das „Todesspiel“, in Äquivalenz
zum Vietnamkrieg, wären in Amerika seit 10 Jahren längst die
verschiedensten Kinoproduktionen gemacht worden. Bei uns hat sich jetzt
endlich mal jemand rangetraut, allerdings im Fernsehen.
Wie schätzt Du die Finanzierungsmöglichkeiten für deutsche Produktionen ein?
Ich glaube, es wird im Moment viel schwieriger, Filme zu
finanzieren. Für viele Leute wird es leichter, weil es mehr „star
driven“ – Star-Bezüge – gibt. Sobald man sagen kann, man hat Til
Schweiger in seinem cast, hat man’s leicht, den Film zu finanzieren,
egal, was das für ein Buch ist. Ich glaube schon, dass die Filmförderer
in diesen Fällen viel weniger auf die Inhalte der Stoffe schauen, ob
das Buch gut ist oder ähnliches, als mehr auf das Gerüst des Projekts.
Um überhaupt Geld zu bekommen, braucht man zuerst einen Verleih,
also praktisch die Garantie, dass der Film ins Kino kommt. Für solche
Pakete mit bekannten Namen als Schauspieler und Regisseuren und einem
gutem Verleih wird es leichter, weitere Geldgeber zu gewinnen als für
Leute, die pur inhaltlich denken, ein tolles Drehbuch haben und über
keine bekannten Schauspieler oder keinen versierten Regisseure
verfügen. Die haben es sicher schwerer. Davon abgesehen werden auch bei
uns die Spitzengagen an die männlichen Schauspieler gezahlt.
Wie steht’s mit den deutschen Stars – gibt es sie wieder?
Ich glaube schon, dass wir auf dem Wege dazu sind und dass wir sie
brauchen. Ich glaube, dass das Publikum ins Kino geht, weil es
bestimmte Leute sehen will. Ich bin auch so ein Kinogänger, weil ich
bestimmte Schauspieler sehen will und weil mich das interessiert, auch
in Deutschland. Es gibt etliche Schauspieler, die ich gerne anschaue
und die mich ins Kino ziehen. Und ich wäre auch gern eine von denen.
Gibt es eine Dir ähnliche Schauspielerin im deutschen Kino
bezüglich des Potentials und Images? Katja Riemann z. B. ist doch das
Gegenteil von Dir als eine, die sehr festgelegt scheint.
Ich glaube, diese Wandlungsfähigkeit trauen auch viele Leute der
Riemann zu. Es hat mich selber sehr erstaunt, aber sie spielt fürs
Fernsehen in einem Drama gerade eine Jüdin, mit braunen Kontaktlinsen
usw.
An deutschen Schauspielerinnen interessieren mich Meret Becker,
Martina Gedeck, Corinna Harfouch, die ich mir vor allem aus
schauspieltechnischer Sicht anschaue.
Glaubst Du, dass Du ein bestimmtes Image verkörperst?
Ich denke, wenn man etwas von mir weiß, dann weiß man vielleicht,
dass ich vom Theater komme, dass ich angefangen habe, die Filme selber
zu schreiben mit Dani, dass wir mit low budget-Produktionen angefangen
haben ...
Welches Gefühl löst Du Deiner Meinung nach bei den Leuten aus, die denken , Du bist ‘ne Schrille oder was glaubst Du?
Nein, das glaub ich nicht. So schubladisieren kann ich’s nicht. Ich
kann aber sagen, dass, wann immer Leute auf mich zukommen, es irrsinnig
positiv ist. Ich habe noch keine Reaktion erlebt, in der ich einen
Bekanntheits- oder Übersättigungsgrad erreicht hätte, dass ich bei den
Leuten Allergien hervorrufe o.ä. Es ist schon oft so, dass Leute auf
mich zukommen, es sind meistens Frauen, die sagen: „Wenn Sie da sind,
das gucken wir uns gerne an.“ Ich habe das Gefühl, wenn ich ein Image
habe, dann so eines, dass ich seltener auftrete, aber wenn, dann ein
bisschen eigenwilliger. Manchmal habe ich das Gefühl, die Leute sind
froh, dass sie das auch mitgekriegt haben, dass sie doch auch in den
Film gegangen sind, weil es doch etwas Spezielles war. Oder weil ich
mit den Rollen, gerade in „Keiner liebt mich“, bestimmt ein spezielles
Frauenpublikum angesprochen habe bzw. dass ich eine Frauenfigur
gespielt habe, die sonst nicht so häufig zu sehen ist, wo sich die
Einsamkeit so auf der Leinwand ausbreiten kann. Es ist ja selten so,
dass es für diese Dinge soviel Platz gibt in einem Film. Ich glaube,
damit haben sich gerade viele Frauen identifiziert und das haben sie
gemocht.
Es wird einfach in den meisten Filmen ganz viel weggelassen, die
man zusehen kriegt, weil die Tendenz komödiantisch, lustig und spritzig
ist. Ich finde, dass das andere auch wichtig ist, weil in „Keiner liebt
mich“ auch viel vom Tod erzählt wird u. ä.
Ist es für Dich wichtig, in Filmen mitzuspielen, die mehr mit der Realität zu tun haben?
Ja. Ich habe mich von dem Gedanken verabschiedet, dass man alles
kann. Das man sich selbst auch so formen kann und das es eigentlich
alles nur eine Frage der Entscheidung ist, was man will und was nicht.
Ich glaube, dass ich für bestimmte Dinge sehr gut bin und für
andere nicht. Ich glaube, dass ich das aber nur zum Teil beeinflussen
kann. Ich kann nur bei etwas mitmachen, was mir gefällt. Ich kann nur
bei einem Film mitmachen, wo ich Respekt habe für die Leute, die ihn
machen oder wo ich selber etwas erwarte. Ich mag meinen persönlichen
Geschmack, den kann ich aber selber fast nicht beeinflussen. Das sind
instinktive Reaktionen, die ich auf Sachen habe, warum mir dies gefällt
und warum mir das nicht gefällt. Und so sind es eben Filme, die
bestimmt nicht so ein großes Publikum haben wie Til Schweiger-Filme. Es kann tatsächlich sein, dass es immer so sein wird, dass ich
eher bei Sachen mitmache, die ein bisschen komplizierter und
schwieriger zugänglich für ein Publikum sind.
Stimmt es Dich traurig, dass Du deswegen nur einen beschränkten Zuschauerkreis erreichst?
Ja, absolut. Na klar, weil ich ja den gleichen Glauben in die
Sachen habe, die ich mache, wie Til Schweiger. Ich glaube, dass er mit
großer Leidenschaft und großem Glauben in seine Projekte einsteigt. Er
macht Filme, die er selber sehen möchte. Und ich glaube auch, dass ich
Filme mache, die ich selber sehen möchte. Bloß ich stehe mehr alleine
da als er. Das macht mich schon traurig, natürlich.
Es gibt etwas, was mich so quält wie kaum etwas anderes in dem
Geschäft, nämlich genau die Phase, in die wir jetzt eintreten mit
„Meschugge“. Man arbeitet jahrelang an etwas, was ein Phantasieprodukt
ist. Plötzlich wird es ein Film, den man so gut macht, wie man’s kann,
bis er fertig ist. In dem Moment gibt man den Film ab und dann kommt
der zweite, riesig wichtige Teil einer solchen Arbeit, nämlich die
Vermarktung. Die haben wir, Dani und ich, nicht mehr in der Hand. Das
heißt nicht, dass wir es besser machen würden. Aber der Film kommt eben
plötzlich auf den Markt, wo er sein Publikum findet oder nicht. Und ich
wünsche mir immer, dass ich mit dem zweiten Teil nichts zu tun haben
muss, dass ich über die Zeit vielleicht sogar weg kann, weil mich das
so quält. Die Vorstellung, nach dieser ganzen Arbeit und Liebe, die
darin steckt, dass „Meschugge“ wieder unter 100 000 Zuschauer hat, ist
echt qualvoll. Das macht mir total viel aus.
Ich wünsche mir, dass es ein durchschlagender Erfolg wird. Auch
deswegen, weil ich weiß, dass man so’ ne Bestätigung braucht, um so
weiterarbeiten zu können und dass es einen wahnsinnig beeinflusst. Wenn
man einen Flop nach dem anderen macht, dann ist der einzige Motor
weiterzumachen: „Ja, und trotzdem mache ich das jetzt aber gegen euch
alle.“ Das ist aber die total falsche Motivation.
Schaust Du Dir Deine Filme später noch mal im Kino an?
Nein, das wäre mir, glaube ich, irre peinlich. Das habe ich noch nie gemacht.
Um die Rolle der Anna in „Burning life“ anzusprechen: Hast Du
Dir bei der Aneignung der Figur Gedanken über die Wiedervereinigung
gemacht, wie sich die Ostdeutschen fühlen etc., oder war es nur ein
Spiel für Dich? Spielen Randerscheinungen aus Deinem privaten und
politischen Erleben für eine Figureninterpretation eine Rolle?
Eigentlich ja. Natürlich habe ich mir darüber Gedanken gemacht,
aber gleichzeitig auch erkannt, dass besonders die Anna anders ist. Sie
entzieht sich ja total dieser Problematik, eigentlich jeglicher
Problematik. Sie läuft von zu Hause weg, sie verlässt jede Art von
Wurzeln: ihren Mann und ihr Kind, ihren bürgerlichen Beruf und jede Art
von einer politischen Identität. Sie wird eine Art Paradiesvogel. Sie
will jemand Neues sein, die will auf keinen Fall ‘ne DDR-Frau sein.
Natürlich ist „Burning life“ kein sozial-naturalistischer Film, genauso
wenig wie „I was on Mars“. Aber beide Filme behandeln den Fall der
Mauer und die Erfüllung der Träume. Was die beiden Frauen machen, um
endlich etwas zu erleben.
Beide Male hat es aber auch etwas total märchenhaftes. Ich glaube
auch, dass ich diese beiden Figuren nur spielen konnte, weil die Filme
andererseits auf eine bestimmte Art so abgehoben sind, so
unrealistisch. Ich bin eben nicht die DDR-Frau. Ich bin eigentlich die
falsche Besetzung für jemanden wie die Anna. Ich bin weder aus der DDR,
noch bin ich Sängerin, noch habe ich diese Art von sozialem Background.
Ich bin viel akademischer aufgewachsen, viel intellektueller. Wenn du
offen und neugierig genug bist, dann schleicht sich aber all das in
dein Bewusstsein ein, ganz gleich, von welcher Seite du das erlebst. Es
ist egal, ob ich aus dem Westen oder Osten komme, wenn ich U-Bahn
fahre, dann erlebe ich beides. Egal, wo ich herkomme, wenn ich in
Berlin bin, kann ich beides sehen. Wenn ich „Burning life“ drehe und in
Orten wie Schwarze Pumpe übernachte, kriege ich ein Gefühl für etwas,
auch wenn es nur für eine kurze Zeit ist. Ich bin ganz sicher, dass all
das auch in mein Spielen fließt.
Selbst wenn es so ist, dass man sich eigentlich nur noch auf die
Situation konzentriert. Aber z.B. bei „I was on Mars“ bin ich selber
für 10 Tage nach Polen gefahren und hatte ein ganz ähnliches Erlebnis
in einer Fremde, ohne eine Sprache zu sprechen, ohne einen Anschluss zu
haben. Genau wie die Silva, die ich in New York gespielt habe. Ich
finde, dass das austauschbar ist. Es interessiert mich dann nicht, ob
die Einsamkeit oder die Neugier einer solchen Figur aus dem Osten oder
aus dem Westen kommt. Deswegen gehe ich ja nicht ins Kino, um
dokumentarische Sachen zu sehen, sondern um alle Figuren und Gefühle
mitzuerleben. In dem Moment wird es austauschbar. Ich finde nicht, dass
es diese Deckungsgleichheit haben muss, dass man aus der DDR sein muss,
um jemanden aus der DDR spielen zu dürfen.
Durch „Burning life“ bin ich in Gegenden gekommen, wo ich allein nie hingekommen wäre. Das war ungeheuer interessant.
Entdeckst Du Unterschiede zwischen dem Ost- und Westberliner Leben?
Ja, na klar. Ich spüre sehr schnell, wenn jemand aus dem Osten
kommt. Genauso ist es umgekehrt. Aber woran benennt man das, kann man
das? Natürlich ist es die Sprache. Was ich z.B. total an den Ostlern
liebe, ist so ein echter, trockener Humor. Bei ganz jungen Frauen, so
Anfang zwanzig, habe ich das Gefühl, die sind viel robuster und härter
im Nehmen, nicht so wahnsinnig fixiert auf ihre eigenen Wehwehchen,
nicht so Ichbezogen. Was mir gut gefällt, sind viele Frauen in meinem
Alter oder ein bisschen älter, die ich kennen gelernt habe, die in den
letzten 10 oder 15 Jahren ein völlig anderes Leben geführt haben, weil
die längst Kinder gekriegt, einen ganz anderen Alltag miterlebt und
sich so auch eine andere Robustheit angeeignet haben. Auch für die
Wende, wo sie sich auf eine ganz andere Art behaupten mussten.
Spielt Reisen auch außerhalb des Berufes eine Rolle für Dich?
Ja, ich bin schon immer gerne und viel gereist. Es ist wichtig für
mich, es macht mir totalen Spaß und es gehört dazu. Allerdings: so
richtig gereist bin ich nur selten, d.h. dass man sich auch etwas
zumutet, dass man sich auf die Fremdheit von einem Land oder von Leuten
auch wirklich einlässt. Und das habe ich auch nur in Amerika gemacht.
Ich liebe ich es natürlich sehr, mit der Arbeit zu reisen, in der
Fremde zu sein, z.B. in New York . Dort sein, um zu arbeiten, ist irre.
Du erschließt dir die Orte völlig anders, du musst ja eine gewisse
Infrastruktur kennen etc. „I was on Mars“ ist ja für „Meschugge“ gemacht worden. Wir sind
nach New York gegangen, um allen zu zeigen, dass man in New York einen
Film drehen kann.
Kanntet Ihr die Filmstrukturen in New York?
Nein, überhaupt nicht. Wir sind mit einer Adresse von einer
Filmproduktion nach New York gefahren und haben uns durchgefragt,
durchgeschlagen und durchgeguckt, bis wir an Leute geraten sind, die
uns an die Hand genommen haben. Wichtig ist dabei, dass man über andere
neue Leute kennen lernt und sich so ein Arbeitsfeld aufbaut.
„Meschugge“ basiert auf unseren Kontakten von „I was on Mars“. Aber
auch das Drehbuch von „Meschugge“. Unsere erste Reise nach New York
haben wir nicht in Bezug auf die Produktion gemacht, sondern wegen des
Drehbuchs und der Geschichte, die wir erzählen wollten. Wir haben uns
anders bewegt als die meisten Touristen. Ich war nur in Brooklyn, wir
haben mit versteckter Kamera gearbeitet und haben uns in den Gegenden
der orthodoxen Juden rumgetrieben.
Inwieweit habt Ihr das Judenmilieu studieren können?
Vor allem über Dani. Ich habe mich auch als Jüdin ausgegeben, eine
Zeit lang. Anders wäre das auch gar nicht gegangen, anders wäre ich da
nie mit eingeladen worden. Am Anfang war auch das Milieu unserer
Figuren im Buch zu „Meschugge“ sehr viel religiöser. In diese Kreise
von Juden kommst Du nicht als Nichtjude. Deswegen habe ich eben gelogen
und richtig improvisert. Dann wurde ich auch über meine
Familiengeschichte ausgefragt. Natürlich sind sie besonders
wissbegierig, wenn sie erfahren, dass du aus Deutschland kommst, weil
das immer noch einen anderen Aspekt hat. Dann haben wir uns
eingekleidet, wir haben uns quasi auch richtig verkleidet, wir haben
den ganzen Schabbes gemeinsam verbracht. Aber dieser ethnische Aspekt hat uns im Verlaufe der Arbeit am
Film immer weniger interessiert. Es ging dann nicht mehr um die
ethnische Unterschiedlichkeit, sondern um die Schicksalsgeschichte der
beiden Hauptfiguren.
Wie tritt Maria Schrader als Produzentin von „Meschugge“ in Erscheinung?
Bei „Stille Nacht“ und „Meschugge“ ist es so, dass die beiden
Projekte schon viel länger existieren als die Produktionsfirma X-Filme.
Dadurch ist viel Geld in die Projekte investiert worden, bevor X-Filme
investiert hat. Ich habe die Drehbücher mitgeschrieben und es gab auch
Finanzierungspartner für dieses Projekt, den WDR beispielsweise. Diese
Partner gab es durch unsere Kontakte, noch bevor X-Filme investiert
hat. Dadurch hab ich gewisse Rechte an dem Stoff, durch mein eigenes
Investment und durch meine Arbeit. Das sind meine Produktionsanteile.
Die waren an die Projekte schon geheftet, bevor X-Filme einstieg.
Dadurch bin ich stille Co-Produzentin, d.h. ich teile Rechte mit der
Firma. Dani Levy ist in X-Filme eingebunden, hat aber auch noch
gesonderte Rechte. Fool-Film ist die Firma von Dani Levy und mir, die
gab es auch lange vor X-Filme. Die gibt es auch noch. Ob das bei
„Meschugge“ wieder das gleiche Verfahren sein wird, eine Co-Produktion
zwischen Fool-Film und X-Filme oder zwischen uns als Personen und
X-Filme, das weiß ich noch nicht. Das ist eine rechtliche
Angelegenheit, die noch nicht geklärt ist.
Wird es nach der privaten Trennung von Dani Levy weitere Projekte des Duo’s Schrader/Levy geben?
Ich hoffe nicht, dass dadurch ein endgültiger Schlussstrich gezogen
ist. Dazu ist mir die Beziehung zu Dani, vor allem auch die
Arbeitsbeziehung, zu wertvoll. Im Moment ist es so, dass es keine
Projekte auf Halde gibt, die schon in einem gewissen Stadium sind und
jetzt einfach weitergearbeitet werden müssen. Es gibt ein Projekt, was
aber mehr oder weniger aus der Feder von Dani stammt, was er sicher
nach „Meschugge“ angehen wird. Ob ich daran teilnehme, das wird sich
zeigen. Grundsätzlich hoffe ich, dass wir weiterarbeiten. Ich kann mir
allerdings vorstellen, dass nächste Projekt nicht sofort wieder so ein
Zweierding wird, wo jeder von dem anderen abhängig ist, sondern dass
man auch mal mit anderen Erfahrungen sammelt.
Die Projekte, die wir bisher gemeinsam gemacht haben, diese Ideen
dazu, stammen natürlich aus gemeinsamen Erlebnissen. Wenn man ein Leben
miteinander teilt, zusammen in den Urlaub fährt, Menschen trifft oder
Gespräche führt, dann passiert einiges, was man zusammen erlebt. Daraus
erwachsen Ideen. Es ist eine organische Sache, wie man auf Ideen kommt.
Wenn man sein Leben nicht mehr teilt, dann kann es sein, das etwas
fehlt, dass es sehr viel schwieriger ist, zueinander zu kommen oder
überhaupt gemeinsame Ideen zu entwickeln, weil es nur noch wenig
Gemeinsames gibt. Aber das kann ich momentan schwer einschätzen, weil
wir unser letztes Jahr über „Meschugge“ wahnsinnig eng miteinander
verbracht haben.Wir hatten uns entschlossen, „Meschugge“ doch zu
machen, trotz der Trennung, und wir haben das sehr gut miteinander
gemacht. Es hat sich mir wieder bestätigt, dass wir einfach ein gutes
Team sind. Ich bin vielleicht auch in dieser Beziehung treuer als in
anderen Beziehungen. Das ist wirklich etwas, wo er für mich
unaustauschbar ist. Ich kann mir nicht vorstellen, auf diese Art und
Weise mit irgend jemand anderem zu schreiben, mich auszutauschen oder
inhaltlich so über ein zustimmen.
Ist es Levys Anspruch, nur eigene Projekte zu verwirklichen?
Nein. Aber es hat sich so entwickelt. Auf der einen Seite ist er
sehr wählerisch. Seine Arbeit zeichnet sich natürlich durch eine große
Eigenwilligkeit aus und seine Filme sind durch die Geschichten geprägt,
die er erzählt. Ich denke, dass sich viele Produzenten schwer
vorstellen können, dass er auch mal einen ganz anderen Stoff
inszenieren könnte. Vielleicht sind ihnen die Levy-Filme zu speziell,
als dass ihm viele andere Sujets oder Stoffe angeboten werden. Ich
denke, dass diese Leute zu wenig Phantasie haben. Man sollte ihm viel
mehr anbieten, und zwar auch Stoffe aus der ersten Liga. Die großen
Firmen wie Constantin oder Senator sollten sich mal trauen, an Dani
ranzutreten. Er ist nicht verschlossen, um anderer Leute Bücher zu
verfilmen, sie müssen nur gut sein.
Wie würdest Du Levy’ s Handschrift beschreiben?
In meinen Augen ist vielleicht das Typischste an ihm, seine Art zu
schreiben. Er hat eine gewisse Fähigkeit, die total selten ist, nämlich
Tragik und Komik miteinander zu verbinden. Er ist ein irre guter
Dialogschreiber, wo in den guten Szenen mit einem gewissen Witz etwas
Trauriges beschrieben wird. Diesen spielerischen Ansatz bewundere ich
an ihm sehr. Wenn Dani gut drauf ist, dann hat er so eine
überschwängliche Phantasie, die so spielerisch und so ungehemmt ist.
Ich bin dagegen jemand, der sich viel schneller selbst zensiert. Aus
mir sprudelt es nicht so raus wie aus Dani. Ich glaube auch, wenn er
glücklich, gesund und ohne Sorgen ist, dann wird er immer diese Not
bzw. dieses Bedürfnis haben, etwas zu kreieren und zu schreiben. Ihm
werden immer Sachen einfallen, irgendwelche Geschichten. Das ist eine
Sache, in der ich ihm total vertraue, weil er wie eine Quelle ist, die
nie versiegt.
Im Gegensatz zu vielen anderen, die ich kenne, zu denen ich mich
auch zählen würde. Zumindest im kreativen Sinne müssen wir wahnsinnig
arbeiten, bis die Ideen kommen. Das muss Dani nicht und das ist das
Auffälligste an ihm. Ansonsten gefällt mir seine Neugier, die sich auch
in seinen Filmen zeigt. Er sagt nicht: ‘Ich baue die Sachen so und so
aufeinander auf, oder mein Thema ist das und das und deswegen bezieht
sich jeder Film darauf ...’, sondern ich finde es gerade spannend, wie
unterschiedlich diese Filme sind. Er hat zweimal mit „RobbyKallePaul“
und „Stille Nacht“ extremste Kammerspiele gemacht und sich mit
„Meschugge“ an eine ganz klassische Erzählweise gewagt. Vorher ging es
immer um ganz atmosphärische Sachen und plötzlich geht es um eine
Plotgeschichte, die zu erzählen ist und um einen Krimi.
„Die Woche“(13.01.1995) schreibt über Dich in Bezug auf Levy:
„Wenn sie über ihn erzählt, glaubt man. er alleine könne das deutsche
Kino retten – wenn man ihn nur ließe.“/1/ Teilst Du dieses Urteil?
Ich finde das irgendwie charmant, wie sie es beschrieben haben. Es
zeigt, dass ich einfach große Stücke auf ihn halte, wenn ich von ihm
erzähle, und das ist wahr! Nach allem, was ich mit ihm erlebt habe, und
ich kenne ihn , glaube ich, besser als jeden anderen, halte ich einfach
irre viel von ihm und habe eine ganz hohe Meinung von ihm als
Filmemacher. Und zwar deswegen, weil ich ganz viel von ihm erlebt habe
und weil ich glaube, dass er wahnsinnig unterschätzt wird. Ich werfe
das den Leuten auch vor. Ich bin richtig sauer, wenn ich manchmal
mitkriege, wie irgendwelche Luschen, die von der Filmhochschule München
kommen, wie die sich auf so eine einfache und in meinen Augen auch
billige Weise Eingang verschaffen und sofort irgendwelche großen
Fernsehaufträge inszenieren und das schlecht tun, wie solche Leute
solche großen Aufträge kriegen und wie jemand wie Dani einfach von so
einem großen Teil des Geschäfts und der Branche links liegengelassen
wird. Das trifft übrigens auf alles zu, was wir zusammen gemacht haben:
Wir mussten uns tatsächlich immer irgendwie durchsetzen. Wie selten
habe ich das Gefühl hatte, dass man mit Erwartung auf einen Film von
Dani schaut. Das passiert gar nicht, dass es Förderer gibt, die sagen:
‘Hey, das ist ein echtes Talent, dem biete ich jetzt mal etwas an, auch
wenn es ein Film ist, der ganz anders ist, als das, was der bis jetzt
gemacht hat.’ Ich glaube, das hat auch mit Berührungsängsten zu tun,
dass die Leute so gar nicht wissen, wer das eigentlich ist. Die sehen
ihn als Autorenfilmer, der nur Sachen verfilmt, die er auch selber
geschrieben hat. Ich finde das so richtig dämlich.
Man kann über „Stille Nacht“ und „Meschugge“ sagen, was man will,
man kann die Filme schlecht finden, man kann sich vom Inhalt peinlich
berührt fühlen, aber man muss zugeben, dass diese Filme für deutsche
Verhältnisse überdurchschnittlich gut gemacht sind. Da sieht man
einfach, dass jemand Filme machen kann. Das wird aber von der Branche
ignoriert. In meinen Augen müsste Dani Levy als Regisseur richtige
Angebote kriegen, die kriegt er aber nicht. Deswegen macht er natürlich
auch nur seine eigenen Sachen. Im Moment hat er dazu keine Alternative.
Meinst Du damit, dass es wenig gute junge Filmemacher in Deutschland gibt?
Da hat sich natürlich so eine kleine Crew bei X-Filme versammelt,
die ich nicht nur gut kenne, sondern die ich auch inhaltlich und
„filmemacherisch“ als mein Heimatland bezeichnen würde, das sind Leute
wie Tom Tykwer, Wolfgang Becker, Dani Levy und deren Milieu. Darüber
hinaus habe ich gerade absolut jemanden für mich entdeckt, das ist Max
Färberböck, den ich für einen wirklich guten Regisseur halte. Doris
Dörrie finde ich ebenfalls sehr gut. „Aimèe und Jaguar“ ist der erste
Kinofilm von Färberböck Er hat vorher im Fernsehen die
Bella-Block-Reihe gemacht und einige einzelne Fernsehspiele, kommt aber
vom Theater. Wen gibt es noch, den ich wirklich spannend finde? Ich
dachte mal, ich würde Matthias Glasner sehr spannend finden, aber ich
bin mir nicht mehr sicher. Sönke Wortmann interessiert mich überhaupt
nicht, für mich ist er ein ziemlich langweiliger Regisseur. Bei Detlef
Buck habe ich nach „Männerpension“ mein Interesse verloren. Das ist so
abgepackt: Man nehme davon und jenes, das gut vermischt ergibt dann
doch mit Sicherheit den und den Geschmack. Natürlich alles in seiner
speziellen Art, ich finde Buck nach wie vor einen irre charmanten und
auf der Leinwand auch total liebenswerten Typen. Er hat eine eigene Art
von Sprache kreiert. Für mich ist sein bester Film „Wir können auch
anders“, weil er wirklich ein Komikerpaar erschaffen hat, das sehr
eigenwillig ist. Wen ich noch interessant finde, ist Helmut Dietl, gerade aus der
Riege der Großen, Alteingesessenen wie Dieter Wedel und Josef
Vilsmaier.
Was sind Deine schauspielerischen Mittel?
Ich glaube, dass ich eine speziell ausgeprägte Fähigkeit habe, die
gut ist fürs Spielen. Natürlich glaube ich an gewisse Fähigkeiten an
mir. Eine davon ist, dass ich ein Gefühl von Echtheit habe. Ich kann
mich sehr auf mein Gefühl und auf meinen Instinkt verlassen. Wenn es
mir gut geht und alles so klappt, wie ich es mir vorstelle, habe ich
eine ganze Menge Phantasie. Ich habe die Fähigkeit, mich so zu
konzentrieren, dass ich wirklich etwas erlebe beim Spielen, die
Konzentration reicht soweit, dass ich Sachen vergesse und dass wirklich
etwas passiert. Dass ich mir selbst und dadurch auch dem Publikum ein
Erlebnis verschaffen kann. Gleichzeitig merke ich dann auch, ob und wie
das rüberkommt. Gerade bei der Schauspielerei ist es am
schrecklichsten, wenn man spürt, jemand „macht“ und „stellt her“, egal
mit welchen Mitteln. Egal ob man Profi oder Laie ist, man bekommt das
sehr schnell mit, ob man den Leuten etwas glaubt oder nicht, ob sie
einen fesseln oder nicht. Ich glaube, ich kann das selbst gut fühlen,
was positiv ist und was nicht.
Ansonsten kann ich mich schwer selber beurteilen. In den Sachen,
die ich bisher gemacht habe, zeichne ich mich vielleicht eher dadurch
aus, dass sie sehr unterschiedlich voneinander sind. Oder dass die
Leute mich nicht sofort wiedererkennen, eben n i c h t sofort
wiedererkennen. Das finde ich Klasse, das gefällt mir natürlich. Ich
fasse das als Kompliment auf. Ich achte natürlich darauf, selbst Neues
auszuprobieren oder anders auszusehen.
Welche Rolle spielen Kostümierung, Mode, Schmuck etc.?
Das ist wichtig. Das man sich verändert, kann auf verschiedene
Weise passieren. Z.B. gab es bei „I was on Mars“ die Geschichte mit der
Wurst: Ich habe viele Sachen aus Polen mitgebracht, zum Teil
Accessoires und Lebensmittel. Es gibt eine Szene, wo Silva die ganze
Zeit eine Wurst isst. Das war tatsächlich so eine polnische, fettige
Salami, auf der ich so oft rumgekaut habe, unweigerlich, weil das zu
der Szene gehörte, dass mich der Geschmack dieser Wurst zu dieser Figur
der Silva gemacht hat. Ich hab mich so elend gefühlt, wie man sich
einfach fühlt, wenn man nichts anderes zu fressen hat als so ‘ne Wurst.
So ähnlich war das bei der Kostümprobe von „Aimèe und Jaguar“, wo
ich in der Theaterkunst war und drei Frauen um mich rumwuselten, ich
das erste Mal in meinem Leben Kleider angezogen habe, die aus
historischen Stoffen für meine Körpermaße gemacht waren. Es ist
erstaunlich, wie man sich verändert, wenn man so etwas anhat, was man
plötzlich für eine Haltung erlangt, wie gut man plötzlich aussieht.
Wenn man sich so im Spiegel sieht, das ist eine ganz neue Erfahrung und
insofern spielen Kostüm, Maske usw. natürlich mit. So kann man sich von
außen nach innen verändern, weil wie man sich von außen wahrnimmt, dass
verändert das Innere und genauso umgekehrt.
Im Privaten ist es oft so, dass ich mich völlig entziehe, jeder Art
von Verkleidung. Es gibt oft richtig lange Phasen, wo ich mich weigere,
mich zu schminken, mich irgendwie bewusst oder schön anzuziehen, wo ich
einfach irgendwas anziehe. Gerade nach dem letzten Jahr ist mir dieses
‘sich Kleiden und Aussehen müssen’ wahnsinnig auf die Nerven gegangen.
Was natürlich mit Filmen zu tun hat, ganz besonders bei „Aimèe und
Jaguar“. Ganze Tage waren davon bestimmt und frühmorgens drei Stunden
in der Maske sitzen: Du darfst dir nicht in die Haare fassen, du kannst
nicht über die Augen wischen etc., das verinnerlichst du dann
irgendwann so, dass du dich anders bewegst, ein anderes Bewusstsein
dafür hast und irgendwann geht es dir so auf den Geist, dass du nichts
mehr davon wissen willst, wenn der Film abgedreht ist. Dann fällt alles
zusammen.
Es gibt dann lange Phasen, wo ich einfach nach gar nichts aussehe,
völlig unbestimmt, ungeschminkt, unbewusst, mir irgendwas anziehe und
auch um den Kopf so aussehe. Dann fühle ich mich aber nicht so
wahnsinnig wohl damit. Ich bin dann privat, ich will dann auch nur
Leute sehen, die mir ganz eng verbunden sind und bei denen es keine
Rolle mehr spielt.
Wenn ich mich aber schön mache, oder wenn ich Lust habe, gut
auszusehen, dann ist das bestimmt zum Teil modisch. Meinen Stil würde
ich vielleicht so beschreiben, dass ich probiere, nicht so ganz
einordbar zu sein. Ich mache schon alle Trends mit, aber das auch nicht
ganz. Meistens stelle ich mir die Sachen selber zusammen. Häufig bin
ich auch nicht zufrieden mit dem, was ich dann daraus mache. Oft denke
ich, es gibt Leute, die haben ein wahnsinniges Talent, sich zu kleiden
und einen eigenen Stil zu kreieren. Ich weiß gar nicht, ob ich das so
gut kann. Ich verkaufe mich oft mit Sachen, die stehen mir überhaupt
nicht. Ich glaube, bei den wenigsten Menschen ist es so, dass es für
sie wirklich das Nonplusultra ist, so wie sie sich anziehen und
präsentieren, dass sie genau so aussehen wollen. Es klappt eben nicht
ganz, das Bild im Kopf und die Realität stimmig zu machen.
Wenn ich unsicher bin oder weiß, ich muss irgendwohin, wo ich fotografiert werde, dann setze ich schon auf meine guten Pferde.
Was dominiert dann: Rock oder Hose?
Bestimmt zwei ein halb Jahre lang waren es Chinakleider, und zwar
bevor sie jeder anhatte. Vor drei Jahren auf der
Bundesfilmpreisverleihung trug ich schon diese Kleider. Da muss ich mal
von mir sagen, dass ich nämlich Trendsetter war. Inzwischen haben Katja
Riemann und alle anderen Chinakleider an. Bei mir hängen sie im
Schrank, weil ich jetzt keine Lust mehr habe, sie anzuziehen. Dann habe
ich einen selbstgeschneiderten Anzug, den ich mir nach meinen Vorgaben
habe anfertigen lassen, mit Federn überall, den man tags wie nachts
tragen kann.
Liest Du Zeitungsberichte über Dich?
Ja. Wenn richtige Artikel über mich erscheinen, dann les’ ich die
auch, zum Teil sammle ich sie, andererseits sammelt die auch die
Agentur. Ich probiere zunehmend, ein bisschen Einfluss darauf zu
nehmen, dass nur gute Fotos von mir veröffentlicht werden.Ich habe
bisher auch das Glück gehabt, dass ich als Person Maria Schrader noch
nicht persönlich angegriffen wurde. So einen widerlichen Erguss wie von
Maxim Biller über Katja Riemann musste ich mir noch nicht gefallen
lassen./2/ Auf der anderen Seite habe ich das gelesen und weiß,dass man
das gar nicht an sich ranlassen darf.
Achtest Du auf Kritik?
Ja. Aber solche Kritiken, die sich inhaltlich wirklich
interessieren, wo ich lese: ‘Wow, was hat der jetzt darin gesehen oder
wie beschreibt der das’, die kann ich an einer Hand abzählen. Welche
Filmkritik kannst du lesen, die dir wirklich was sehr Interessantes
vermittelt?!
Über „Stille Nacht“ schreibt Dirk Blothner/3/ u.a. dass die
Story zwar auf Veränderung hinausläuft, dass die Zuschauer es aber in
ihrem Erleben nicht nachvollziehen können. Es fehle an der
Berücksichtigung der Bedürfnisse des Publikums, der Film würde keine
Stabilität des Lebens vermitteln.
Das sehe ich nicht so. Aber ich gebe dem Recht, dass der Film weder
Anleitung noch Lösung bietet. Es ist auch nicht so, dass die Julia am
Ende weiß, wie es geht, was sie am Anfang noch nicht wusste. Das ist
richtig. Trotzdem glaube ich, dass eine solche Nacht, wie die, die im
Film gezeigt wird, nicht wieder zwischen den dreien passieren wird. Ich
hab mir immer gedacht, dass wir mit der Thematik an die privaten
Erfahrungen von jedem anknüpfen. Denn die ganze Ausgangslage kennen
viele Leute, ebenso bestimmte Passagen solcher Gespräche, Gefühle und
Eifersucht. Ich hab mir immer die Tatsache als solche vorgestellt, dass
sich drei Leute eine solche Schlammschlacht liefern durch diese Nacht
hindurch, sich wirklich auch alles zumuten, zum Teil alles aussprechen,
alle Fehler machen, so unwiderrufliche Dinge einander antun, dass es
dem Zuschauer eine Möglichkeit gibt, die man in seinem Leben nicht hat.
Entweder man erlebt es selbst und ist viel zu gefangen, sich selbst
dabei zu beobachten wie eine Figur auf der Leinwand, oder man erlebt es
mit Freunden und ist immer irgendwie involviert.
Aber das ist ja die Chance von Kino und von so einem Film, dass man
Leute privat miterleben kann, ohne eingreifen zu müssen. Ich hab mir
immer gedacht, dass das alleine etwas ist, was einem hilft. So etwas
ist mir z.B. passiert bei „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ Das ist
ein Film, der zum Teil so quälend anzusehen ist. Dadurch, dass sich
aber andere Leute Kämpfe liefern, die ich kenne, habe ich das Gefühl,
ich muss es für mich nicht mehr tun.
Ich will auch gar nicht behaupten, der Film „Stille Nacht“ hätte
vielleicht viel besser sein können. Vielleicht hätten wir auch noch ein
paar Jahre warten müssen, um diesen Film mit einem tatsächlichen
Ausgang zu schreiben, einer Message oder einer Anleitung, die ich gar
nicht liefern konnte. Das ist ja auch das Problem. Wann immer ich
solche „lehrreichen“ Filme sehe, die meistens aus Amerika kommen, dass
ich diese Moralschlüsse nicht mitmache. Meistens sind das genau die
Punkte, an denen ich aussteige aus Filmen.
Andererseits weiß ich von Leuten, die sich „Stille Nacht“ angesehen haben, dass die sich mit dem Thema sehr beschäftigt haben.
Anmerkungen
1 Rüdiger Schmitz-Normann: Charisma und Können haben schon
Star-Qualität: Jetzt fehlt Maria Schrader nur noch das Publikum. In:
DIE WOCHE vom 13.01.1995.
2 Maxim Biller: Die Selbstverliebten. In: TEMPO, Nr. 8/1995.
3 vgl.: Dirk Blothner : Wirksame Filmthemen. In: Der bewegte Film., S. 35-48.
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