Thema | Kulturation 2/2008 | Geschichte der ostdeutschen Kulturwissenschaft | Beate Günther | „Nein Paul, es hat keinen Zweck“
Generationenbeziehungen junger Frauen in DEFA-Gegenwartsfilmen der 1960er Jahre
| Frauenfiguren,
so erscheint es im Rückblick, waren in Filmen der DEFA häufig etwas
Besonderes. Sie konnten kritischere Töne formulieren, ihre
Befindlichkeiten warfen Schlaglichter auf soziale Probleme.
Lebensansprüche, die von Frauen in DEFA-Filmen immer wieder formuliert
und auch erlitten wurden, standen stellvertretend für individuelle
gesellschaftliche Utopien, aber auch für Krisen.
In der historischen Forschung ist auf einen Widerspruch der DDR als
„weiblichster Gesellschaft Europas“ (Niethammer) und einer männlich
dominierten Führungsriege hingewiesen worden, der konstitutiv für das
Funktionieren dieses Staates gewesen sei. Verwiesen wird damit
gleichzeitig auf die reale und die – widersprüchliche - symbolische
Relevanz von Beziehungen zwischen Männern und Frauen für die DDR.
Die Gleichberechtigung der Frau galt zudem als Aushängeschild
sozialistischer Politik. Frauenfiguren und Frauenleben konnten gerade
deshalb zur Projektionsfläche werden und zum Maßstab für das Verhältnis
von Ideologie und Wirklichkeit.
Es lohnt sich also, sich den Rollen, die Frauen- und auch
Männerfiguren im symbolischen Gefüge der DDR einnahmen, anhand
konkreter Filmgestalten und Erzählmuster anzunähern.
DEFA-Filme: Diskurse über richtiges Leben
Will man für die DDR Verflechtungen von individuellen
Lebensorientierungen, gesellschaftlichen Werten und ideologischen
Vorgaben untersuchen, bieten sich DEFA-Gegenwartsfilme als Quelle
geradezu an. Sie bewegten sich im Spannungsfeld von staatlich
verordneter Erziehungsfunktion, die letztlich auf die Darstellung von
Wunschbildern der Realität hinauslief, künstlerischen Strategien der
Filmemacher und dem Anspruch, Realität abzubilden. Letzteres entsprach
dem Eigenanspruch vieler Regisseure. Es stellte aber auch eine,
allerdings nicht die einzige, Bedingung für die Resonanz beim Publikum
dar, das neben guten Geschichten auch eigenen Helden und Konflikten im
Kino begegnen wollte.
DEFA-Filme lassen sich als Medien betrachten, in denen sich
Diskurse ausdrückten, die zentral um die Frage des „richtigen Lebens“
in der Gesellschaft kreisten, hatten doch die Filme – kritisch oder
nicht - zusammen mit dem exemplarischen Leben des Einzelnen immer auch
den Zustand der Gesellschaft im Blick.
Der politische Anspruch, wirtschaftliche und gesellschaftliche
Veränderungen nicht nur widerzuspiegeln, sondern auch zu befördern, war
bereits Ende der 1940er Jahre als gesellschaftliche Aufgabenstellung
für die Künste formuliert worden. Sich mit Filmen auch auf
institutionelle Gegebenheiten der DDR-Gesellschaft zu beziehen, gehörte
jedoch in vielen Fällen mit zum kleinsten gemeinsamen Nenner zwischen
Filmemachern und politischem System.
Der öffentliche Diskurs über „richtiges Leben“, wie er sich in
DEFA-Filmen ausdrückte, war von Zensur und staatlicher Einflussnahme
bereits während des Produktionsprozesses geprägt. Da diese Einflüsse
die fertige Gestalt der Filme mitbestimmten, könne diese Instanzen als
–wenn auch repressive – Teilnehmer an diesem Diskurs gelten. Deshalb
können auch interne Dokumente, die politische Argumentationen über
Filme enthalten, wie Zensurgutachten oder Konzeptionen der Filmemacher,
mit denen Geschichten legitimiert werden sollten, wichtige Hinweise auf
mit den Filmen verbundene Diskurse geben.
In der DEFA-Filmgeschichte gab es immer wieder Zeiten, in denen
bestimmte Themen oder Figurentypen ähnlich formuliert wurden. Das
trifft auch für die Mitte der 1960er Jahre zu, als – später abgebrochen
vom 11. Plenum des ZK der SED - selbst von parteipolitischer Seite der
lang ersehnte Aufschwung des Gegenwartsfilmschaffens konstatiert worden
war. Die Filme „Lots Weib“, „Das Kaninchen bin ich“, „Berlin um die
Ecke“ und „Jahrgang 45“ gehören in diesen Zusammenhang. Dramaturgische
Muster, visuelle Konventionen, Figurenkonstellationen und
Typenbesetzungen, wie sie sich in diesen Filmen zeigen, bilden die
Grundlage der hier vorgestellten Befunde. Diese Filme bilden natürlich
nicht die repräsentative Gesamtheit der in ihrer Zeit gedrehten
Produktionen. Ausgewählt wurden sie – aus vielen anderen - wegen ihrer
Ähnlichkeiten in Motivwahl und Formulierung. Auch etwas anderes ist
ihnen gemeinsam: Bis auf „Lots Weib“ waren sie von den Filmverboten
nach dem 11. Plenum betroffen.
Die gesellschaftliche Relevanz von Jugend- und Frauenpolitik in der ersten Hälfte der 1960er Jahre
Die Jahre zwischen Mauerbau und dem 11. Plenum des ZK der SED im
Dezember 1965 erscheinen in der DDR als widersprüchliche Epoche, die
durch ideologische Zwänge, aber auch durch eine begrenzte politische
Liberalisierung geprägt war. Gerade von der jungen Generation wurde
diese Zeit oft als eine Phase politischen und persönlichen Aufbruchs
wahrgenommen. Zu Beginn der 1960er Jahre waren die Gleichstellung von Frauen
und die Generationenproblematik wichtige politische Themen, in denen
sich Tendenzen gesellschaftlicher Modernisierung niederschlugen, die
aber auch von Staatsseite aufgenommen und in politisches Handeln
umgesetzt wurden – mit Auswirkungen auf individuelle Lebensentwürfe. Neben der propagierten Gleichstellung der Frau, bestand ein
wichtiges Ziel der Frauenpolitik in der Eingliederung von Frauen ins
Arbeitsleben. Nachdem in den 1950er Jahren bereits viele Hausfrauen zu
Arbeiterinnen geworden waren, ging es im vom Zentralkomitee der SED
1961 veröffentlichten „Frauenkommuniqué“ um Hindernisse bei der
beruflichen Qualifizierung von Frauen. Die Kritik des Frauenkommuniqués
eröffnete in den frühen sechziger Jahren in den Medien eine
Hausarbeitsdebatte, die auch das Verhalten von Männern bei der
Bewältigung der Alltagsarbeit zur Disposition stellte. Außerdem wurden
in der Folge des Frauenkommuniqués Bedingungen geschaffen, die es
Frauen erleichterten, sich für anspruchsvolle Berufe zu qualifizieren.
Im Zuge dieser Politik veränderte sich das Selbstverständnis vieler
Frauen. Berufstätigkeit und materielle Selbständigkeit gehörten dazu.
1965 wurde ein zuvor breit diskutiertes Familiengesetzbuch
verabschiedet, das ein neues Ehegesetz beinhaltete und die
Gleichberechtigung von Mann und Frau als Grundlage der ehelichen
Gemeinschaft festschrieb. Die veränderte Situation von Frauen wirkte
sich auch auf die Familienverhältnisse aus: 1966 lag die Scheidungsrate
annähernd doppelt so hoch wie in der Bundesrepublik. Die Generationenproblematik war für die DDR durch die gesamte
Geschichte hindurch besonders aufgeladen, führte doch das Problem,
Werte und Handlungsprämissen an folgende Generationen zu übertragen, um
die politische Macht zu sichern, immer wieder zu Krisen. Das gilt auch
für die 1960er Jahre. Im Zuge der Amerikanisierung der Jugendkulturen
zeigte sich ein beträchtliches soziales Konfliktpotential, das unter
dem Schlagwort vom „Generationenkonflikt“ politisch benannt wurde.
Andererseits war es gerade die Jugend als Verkörperung der Zukunft, die
politisch gefördert und gesellschaftlich integriert werden sollte. 1963
wurde ein „Jugendkommuniqué“ durch das Politbüro der SED verkündet.
Einer der fortschrittlichsten Ansätze dieses programmatischen Textes
bestand in der Anerkennung und Verteidigung einer Generationenspezifik.
Zudem nahm das Kommuniqué Partei für die Jugend und macht hauptsächlich
erwachsenes Fehlverhalten für die Schwierigkeiten des
Generationenkonflikts verantwortlich. Die Tragweite der zeitgenössischen Jugendpolitik hatte etwas mit
der gesellschaftlichen Vorreiterrolle zu tun, die „Jugend“ in dieser
Zeit für die Selbstrepräsentation der DDR als „junger Staat“, aber auch
den allgemeinen Wertewandel in den 1960er Jahren besaß. Viele
populärkulturelle Öffnungsprozesse jener Jahre haben mit der
veränderten Jugendpolitik zu tun. Die Problematik des
Generationenwechsels spielte aber auch für die politischen Eliten eine
wichtige Rolle. Am Anfang der 1960er Jahre gab es unter ihnen eine
Verjüngungs- und Akademisierungswelle. Mehrere Minister waren jünger
als 40 Jahre, unter ihnen Kulturminister Hans Bentzien. Damit standen
sich zwei Typen von Funktionären mit unterschiedlicher Mentalität und
politischer Sozialisation gegenüber – die jungen Technokraten, von
Walter Ulbricht protegiert, und sogenannte Altfunktionäre mit ihrer
„Kampfmentalität“, ausgerichtet auf Klassenkampf und die Machtfrage. Dieser Konflikt schlug sich auch politisch nieder. So drängten
im Jahre 1965 immer mehr Mitglieder der Parteiführung auf einen Abbruch
des Experiments neue Jugendpolitik. Wie zuvor auch, wurde jugendliches
Verhalten wieder kriminalisiert. Das 11. Plenum bildete einen traurigen
Höhepunkt dieser Kampagne. Viele Funktionäre, die nach dem 11. Plenum
ihren Hut nehmen mussten, gehörten der jüngeren Generation an. Am 3.
Mai 1966 wurde mit dem Beschluss des Politbüros „Probleme der
Jugendarbeit nach der 11. Tagung des Zentralkomitees der SED“ ein
zentraler Argumentationsstrang des Jugendkommuniqués offiziell wieder
zurückgenommen. Hier hieß es: „Es gibt keine zur älteren Generation
unterschiedlichen Klassenziele.“ [2]
Scheidung und Trennung in Gegenwartsfilmen der 1960er Jahre
Im Zuge des 11. Plenums wurde fast eine ganze Jahresproduktion von
DEFA-Filmen, hauptsächlich Gegenwartsfilme, verboten. Argumente, die in
den Verbotsbegründungen und politischen Gutachten über die
Gegenwartsfilme im Umfeld des 11. Plenums immer wieder vorgebracht
wurden, bezogen sich auf die Darstellung der Beziehungen zwischen den
Filmfiguren. Kritisierte Filme würden eine Vertrauenskrise zwischen den
Generationen darstellen und den Generationskonflikt angeblich als
universelle Gesetzmäßigkeit bewerten. Als ein wichtiges filmisches „Handlungsziel“ wurde von der
Zensur dagegen die Entstehung von persönlichen Bindungen zwischen den
Konfliktparteien ausgemacht, ein Ziel, das die kritisierten und
verbotenen Filme alle nicht erreichen würden. Damit wird deutlich, dass
den in den Filmen gezeigten individuellen Beziehungen zwischen Figuren
eine starke politische Dimension zugeschrieben wurde. Es ging aber auch
um den Charakter der Beziehung: Gefordert wurde Bindung statt so
genannter unverbindlicher Objektivität.
Demgegenüber wird in den untersuchten Filmen – „Jahrgang 45“,
„Das Kaninchen bin ich“, „Lots Weib“ und in einer Nebenhandlung in
„Berlin um die Ecke“ – die Scheidung bzw. die Trennung von Beziehungen
thematisiert. Dies entsprach der gesellschaftlichen Realität und deckte
sich mit der Aufmerksamkeit, die den vielen Ehescheidungen als
gesellschaftlichem Problem auch in anderen Medien zuteil wurde. Nur in
„Jahrgang 45“ geht der Trennungswunsch von Al, der männlichen
Hauptfigur, aus. In drei Filmen dagegen trennen sich die Frauen von
ihren Beziehungspartnern, und sie verlassen Männer, die älter sind als
sie selbst. Im Zensurgutachten zum Verbot von „Berlin um die Ecke“ wurde die
Ehe von Karin als Teil des Generationenkonflikts bewertet, den der
Zensor als gewissermaßen übergeordnetes Prinzip des Filmes ausmachte.
Vollzieht man diese Argumentation mit, kann man, da sowohl der
Altersunterschied als auch Konstellationen der Trennung mit den anderen
Filmen korrespondieren, schlussfolgern, dass Generationenbeziehungen
von jungen Frauen zu Männern in „Berlin um die Ecke“, „Das Kaninchen
bin ich“ und – weniger eindeutig - „Lots Weib“, als Liebesbeziehungen
dargestellt werden. Die Filme zeigen die Emanzipation von Frauen
gleichzeitig als einen Prozess, diese Art von Generationenbeziehungen
zu überwinden.
Konzeptionen, die von Dramaturgen oder den künstlerischen
Arbeitsgruppen im Vorfeld der Filme verfasst wurden, gebrauchten häufig
das Bild des „Neuen“ und des „Alten“ und ähneln damit in ihren
Argumenten dem Jugendkommuniqué von 1963, das die gesellschaftliche
Entwicklungsdynamik direkt mit „Jugend“ in Verbindung brachte. In der
Begründung der künstlerischen Arbeitsgruppe für „Das Kaninchen bin ich“
wurde die Liebesbeziehung in diesen Zusammenhang eingeordnet. Die
weibliche Hauptfigur Maria Morzeck, ebenfalls Titelfigur des zuvor
verbotenen Romanes von Manfred Bieler, entsprach dem gängigen
sozialistischen Leitbild nicht. Gerade sie sollte jedoch mit ihrem
Schicksal die gesellschaftliche Entwicklungsperspektive verkörpern und
so als positive Heldin etabliert werden. Die Entwicklung ihres
Geliebten, des Richters Paul Deister, dagegen sollte von der
Überwindung „des Alten zugunsten des Neuen“ zeugen.
Neben der Altersdifferenz ist den Männern, die von Frauen verlassen
werden, aber außerdem gemeinsam, dass sie in der gesellschaftlichen
Hierarchie herausgehobene Positionen einnehmen. Zwei Männer
repräsentieren zudem Aspekte der politischen Macht. Herr Lot ist ein
Kapitänsleutnant der Seestreitkräfte, der mit Bombenversuchen zu tun
hat und im Film öfter in Uniform zu sehen ist. Günter Simon, der den
Richard Lot spielte, war dem DDR-Publikum außerdem als Hauptdarsteller
der ungefähr 10 Jahre alten Thälmann-Filme und damit als
DDR-traditionsbegründende Lichtgestalt gut bekannt. Paul Deister, der
Geliebte Marias in „Das Kaninchen bin ich“, ist ein hoher Richter. Er
hatte Urteile in politischen Prozessen ausgesprochen und war in der
Vergangenheit an der Ausarbeitung des Rechtssystems der DDR beteiligt.
Die Konzeptionen zu „Lots Weib“ und „Das Kaninchen bin ich“
betonten besonders das Abwägen der Charaktere gegeneinander,
gewissermaßen in einem moralischen Ausleseprozess der Individuen. Der
Film „Lots Weib“, der doch die ganze Zeit Fragen von ehelichem
Zusammenleben und Scheidung diskursiv verhandelte, sollte, so ein
Vertreter der künstlerischen Arbeitsgruppe in der Presse, vom Publikum
nicht als Ehefilm aufgenommen werden. Stattdessen wurde in den
Konzeptionen ein Zusammenhang zwischen dem Charakter des Einzelnen und
der Entwicklung der Gesellschaft hergestellt.
Für „Das Kaninchen bin ich“ formulierte die künstlerische
Arbeitsgruppe in ihrer Konzeption das Ziel zu zeigen, dass Qualität und
politisch-moralische Reife der Charaktere die Entfaltung der
sozialistischen Demokratie fördern oder – im Gegenteil – hemmen
könnten. Dieser Ansatz war politisch durchaus brisant, da der Film
nicht nur eine private Liebesgeschichte erzählen wollte, sondern mit
der kritisch gewerteten Figur des Richters Paul Deister direkten Bezug
auf den Rechtspflegeerlass von 1964 nahm, den der Regisseur Kurt
Maetzig als einen wichtigen Schritt zur Demokratisierung des Landes
ansah.
In der Beziehung zwischen Maria Morzeck und Paul Deister werden die
Charaktere politisch am stärksten gegeneinander gesetzt. Paul Deister
hat Marias Bruder in einem politischen Prozess zu einer Gefängnisstrafe
verurteilt, Maria ist deshalb ein Studium verwehrt. Gerade an dieser
Beziehung fällt im Vergleich zu den anderen Filmen jedoch der tiefe
Gefühlsanspruch Marias auf und auch, wie intensiv und
körperlich-erotisch diese Liebe zwischen den Generationen gezeichnet
ist. Die Utopie des Filmes ist zunächst: Der Gefühlsanspruch soll die
politischen Konflikte aushalten und lösen helfen. Die Partner
versichern sich immer wieder ihre Liebe, auch als im Laufe des Filmes
längst klar ist, wie tief die Gräben sind, die beide voneinander
trennen. Die Liebe Marias ist in diesem Film als Bereitschaft
gezeichnet, sich ganz auf die Person des Richters und damit symbolisch
auch auf die politische Dimension des Landes DDR einzulassen, sogar,
wenn an einem Gewalt verübt wird. Diese ist in dem Film konkret: Für
einen Liebesfilm wird vergleichsweise häufig geschossen oder mit dieser
Metapher gespielt. Maria erwartet von ihrem Geliebten Schläge und wird
am Ende des Films von ihrem Bruder ihrer Liebe wegen brutal verprügelt.
Die Trennung erfolgt schließlich, weil Paul Deister Marias Anspruch
nicht entspricht, weder als Geliebter noch als politische Figur.
Letztlich bildet aber diese vom Gefühlsanspruch her nicht aufgegebene
„Liebe zum Staat-Mann“ den Treibstoff für Marias Emanzipation und
letztlich ihre gesellschaftliche Integration. Maria – so formulierte es
die Konzeption - „überwindet“ am Ende ihre Liebe zu dem politischen
Karrieristen und damit charakterlich zweifelhaften Vertreter der
Staatsmacht Paul Deister. Sie entscheidet sich aber auch gegen ihre
Herkunft, gegen ihren Bruder. In der Prügelszene wird der Preis klar,
den Maria für diese Entscheidung zahlt.
Auch „Lots Weib“ nimmt prinzipiellen Bezug auf das Rechtssystem der
DDR und fordert anhand des alten Scheidungsgesetzes dessen Anpassung an
moderne Verhältnisse und die Bedürfnisse der Menschen ein. In diesem
Film geht es nicht um die „Überwindung“ einer Liebe, steht doch der
Entschluss Katrin Lots, sich von ihrem Mann scheiden zu lassen, bereits
am Anfang fest. Die Beziehung zur Macht in ihrer auch politischen
Dimension wird in „Lots Weib“ erst in der Trennung deutlich. Richard,
der als hoher Offizier berufliche Konflikte befürchtet, will dem
Scheidungswunsch seiner Frau nicht zustimmen – Voraussetzung für ein
Scheidungsverfahren. Um ihren Mann zu zwingen, in die Scheidung
einzuwilligen, stiehlt die erfolgreiche Lehrerin Katrin Lot einen Rock.
Damit erreicht sie die Zustimmung Richards und bekommt berufliche
Probleme wegen moralischen Fehlverhaltens. Richard wird im Verlauf des
Films als ein Mann gezeigt, der Kraft seiner Stellung in der
Gesellschaft Druck auf seine Frau ausüben kann. Auch in diesem Film
kommt es zur Androhung von Gewalt. Katrin kommt außerdem wegen des
Diebstahls vor Gericht und muss sich in einem Tribunal in ihrer Schule
verantworten. Sie wirft in diesem Kampf ihre gesamte Existenz in die
Waagschale und sie kalkuliert die daraus resultierende
gesellschaftliche Ohnmacht als den Preis ein, den sie zahlen muss.
Obwohl die politische Macht, die Männer in diesen
Trennungsgeschichten besitzen, in den Filmen direkt gezeigt und auch in
ihrer bedrohlichen Dimension deutlich wird, entsprechen die Charaktere
dem Klischee vom Repräsentanten des Staates nur bedingt. Für den
Richter Paul Deister wurde von der Zensur außerordentlich kritisch
vermerkt, dass dieser in dem Film als eine beliebige Frohnatur
erscheinen würde. Und auch Richard Lot ist sympathisch gezeichnet, was
durch die eher komische Anlage und die improvisierte Spielweise des
Films, der viel mit alltäglichem Untertext arbeitete, noch verstärkt
wurde. Im Werbematerial des Filmverleihs wurden die Standpunkte beider
Ehepartner gegeneinander abgewogen, und in der intensiven Diskussion in
der Presse, die dem Film folgte, konnte die Figur des Richard Lot auch
Zustimmung ernten. Hinzu kommt, dass die filmische Darstellung die
informellen Aspekte dieser Figuren eher betonte und auch private,
vergleichsweise profane Motive für ihre Handlungen nicht aussparte.
Gerade durch diese informelle Behandlung wurde aber die Frage des
Verhältnisses des Einzelnen zur politischen Macht (und umgekehrt) auf
eine neue Weise zur Debatte gestellt.
Die komplizierten Emanzipations- und Desillusionierungsprozesse
nach der engen „Beziehung zur Macht“, durch die auch viele
Intellektuelle in den folgenden Jahren und besonders nach dem 11.
Plenum gingen, sind in diesen Beziehungsgeschichten angesprochen. Diese
Geschichten sollten aber noch einer (sicherlich recht unterschiedlich
vorhandenen) Modernisierungshoffnung Ausdruck geben, gesetzt in die
Überwindung des „Alten“ durch das „Neue“ und, wie Kurt Maetzig auch
Jahrzehnte später noch betonte, eine mit dem Rechtspflegeerlass
verbundene Demokratisierung der Gesellschaft.
Gesellschaftliche Integration
Alle sich trennenden Frauen haben im Laufe der Filme auf irgendeine
Art mit den Härten der Existenz zu kämpfen und sind von Deklassierung
bedroht. Maria darf nicht studieren und arbeitet als Kellnerin, nach
der Trennung erfährt sie Gewalt. Katrin Lot wird mit dem Abstieg in die
„Produktion“, also dem Verlust ihres Berufes als Lehrerin und außerdem
ihrer Ehre bedroht. Karin in „Berlin um die Ecke“, die in ihrer Ehe
scheinbar einen guten Lebensstandard genoss, arbeitet in einer
Großküche. Diese Geschichten zeigen damit nicht nur die beträchtlichen
Opfer, die die Frauenfiguren für ihre Emanzipation zu bringen bereit
sind. Im Umkehrschluss verweisen sie auch auf einen weiblichen
Heroismus im Verfolgen dieser Lebensentscheidungen, die ja, wie gezeigt
wurde, auch politisch konnotiert waren. An ihrem Ende eröffnen die Filme den getrennten Frauen jedoch
eine Integrations- und Aufstiegsperspektive, die entweder zum sozialen
Aufstieg durch Bildung führen kann oder zu beruflichem Erfolg, der den
eigenen Maßstäben entspricht. Dieser Umschwung geschieht mehrdeutig,
fast wie durch Zauberhand und erscheint eher an die eigentliche
Filmhandlung angehängt. Man denkt an einen der für DEFA-Filme typischen
harmonisierenden Schlüsse, die das Ende offen halten und die
gesellschaftliche Metaperspektive einbringen. In den letzten Szenen der
Filme erfahren wir, daß zwei der Frauen vermutlich studieren werden.
Katrin Lot wird als eine trotz Verlusten erfolgreiche Trainerin
gezeigt. Diese Möglichkeiten der sozialen und auch beruflichen
Integration entsprachen, anders als noch wenige Jahre zuvor üblich, den
persönlichen Wünschen der Hauptfiguren. Zum Vergleich sei hier an einen
Film wie „Die besten Jahre“ erinnert, der den Lebensweg eines Mannes
vom Neulehrer zum Funktionär als eine Kette von Parteiaufgaben zeigte,
die seinen Sehnsüchten zuwider liefen. Die von den Filmen angebotenen
Lösungen bewahren die Frauenfiguren aber auch davor, ihre für die
Trennung gebrachten gesellschaftlichen Opfer auch wirklich ausleben zu
müssen. Das was der Staat bereitstellt, löst also persönliche Probleme
auf mehreren Ebenen: Er rettet vor dem Abstieg, ermöglicht damit ein
selbständiges Leben von Frauen und außerdem die Verwirklichung
persönlicher Träume. Da diese Integration aber im Zusammenhang mit
Scheidungs- und Trennungsgeschichten gezeigt wurde, liegt der Gedanke
nahe, dass der (neue, „junge“) Staat sich damit anbietet, auf eine
andere Art den mächtigen Mann zu ersetzen. Dieser Zusammenhang ist in
„Lots Weib“ weniger offensichtlich. Der Staat bietet sich hier nicht
direkt an, aber er verschließt auch die Türen nicht. Damit ist, so
zeigen die Filme am Ende als Utopie, der Raum, den der Staat lässt, am
Ende weiter, als es bigotte Mitmenschen zugestehen wollen. Zur
Perspektive der Filme gehört aber auch: In den Geschichten, die die
Paarbeziehungen am stärksten politisch akzentuiert hatten, sind die
Frauen bei ihrem Aufbruch am Schluss ohne Partner.
Die trotz allem positive Bewertung von Trennung und Scheidung
gilt aber nur für Frauen. In „Jahrgang 45“, in dem sich der Mann Al von
seiner Frau scheiden lassen will, wird diese Trennungsabsicht von allen
anderen Filmfiguren in Frage gestellt und am Ende aufgegeben. Trotzdem
bemängelte die Zensur, dass Al und seine Trennungsmotive im Laufe des
Films zu unkritisch gesehen worden wären. Es scheint, als wäre eine
männliche Trennung als weit weniger im Einklang mit der
gesellschaftlichen Entwicklung betrachtet worden und an sich schon ein
größerer Skandal gewesen. Geglückte Integrationsprozesse junger Männer
zeigen diese am Ende in Beziehungen zu jungen Frauen (wie in „Berlin um
die Ecke“ oder „Jahrgang 45“) oder betonen zumindest die Eignung dieser
Männer für solche Beziehungen. Betrachtet man nur – wie in den weiblichen Trennungsgeschichten
auch - die Beziehungen zu anderen Männern, zeigen die geglückten
Integrationsprozesse junger Männer in „Berlin um die Ecke“ und
„Jahrgang 45“ eher den Weg der Herstellung einer
Generationenkontinuität nach, einer Kette, die von den Alten zu den
Kindern führt. „Berlin um die Ecke“ thematisierte den Generationenkonflikt
junger Berliner in vielen Facetten. Die Annäherung zwischen der
Hauptfigur Olaf und einem Funktionär der Vorkriegsgeneration geschieht
in diesem Film gewalttätig und an dem Punkt des höchsten Konflikts,
aber sie findet statt. Der Film endet mit einer Grabrede der
Anerkennung, die Olaf für den alten Arbeiter Paul Krautmann hält und
mit der er gewissermaßen dessen Erbe antritt. Und Al in „Jahrgang 45“
beruft sich regelmäßig auf seinen alltagsweisen Freund Mogul, einen
alten Maler. Die Generationenkontinuität wird aber auch auf die
folgende Generation ausgedehnt. Olaf vererbt seine Lederjacke am
Schluss an seinen kleinen Bruder, in „Jahrgang 45“ gibt es in der
Clique einen Jungen, der schon der nächsten Generation angehört und
wesentlich jünger ist als die anderen.
Bei den Frauen in den Filmen ist es eher umgekehrt. Sie lösen die
Beziehung an das „Alte“, die eine mit Liebe und Sexualität vermischte
Beziehung persönlicher Abhängigkeit war und wenden sich dem „Neuen“ zu.
Frauen sind die Agenten der Modernisierung, sie werden in die Moderne
eingefügt durch „Emanzipation“, junge Männer dagegen die Agenten der
Traditionalisierung. Indem sie Generationenbindungen zu älteren Männern
eingehen, stellen sie die historische Kontinuität her. Frauen trennen
sich, Männer fügen zusammen.
Die Ergebnisse dieser Generationenkontinuität, die sich in den
Filmen schließlich herstellte, entsprachen allerdings nicht den
Erwartungen der Zensur, besonders deshalb, weil diese Prozesse entweder
konflikthaft und gewalttätig verliefen oder aber diese
Generationenbeziehungen nicht mehr unter dem Zeichen einer gemeinsam
geteilten Mentalität standen, die in allem Klassenkampf und die
Bedrohung der politischen Macht sah.
Dieser Text basiert auf dem Buch der Autorin:
Beate Günther
Leitbilder richtigen Lebens.
Politischer Diskurs und filmische Darstellung in
DEFA-Gegenwartsfilmen der 1960er Jahre. Filmanalyse am Beispiel von
Frauenrollen und Geschlechterbeziehungen. Berlin 2008. ISBN, 318 Seiten, Abb., 31,90 Euro
Dokumente:
Die Lage im Spielfilmschaffen und die Entwicklung der
Leitungstätigkeit. 1. 10. 1965. SAPMO-BArch, DY 30/ IV A2/ 9.06/ 122,
Fiche 2.
Stellungnahme der KAG „Roter Kreis“ im Rahmen des Antrags auf
Zulassung des Film „Das Kaninchen bin ich“. 29. 9. 1965. DR1 MfK-HV
Film 50, Bundesfilmarchiv.
Gräf, Christel: Stellungnahme zu „Lots Weib“. 15.5.1964. BArch, DR 117 vorl. BA (I) 1155.
Gräf, Christel: Anmerkungen zum Drehbuch „Lots Weib“. 14.12.1964. BArch, DR 117 vorl. BA (I) 1155.
Gräf, Christel: Argumentation für das Drehbuch. [zu „Jahrgang 45“ B.G.] 2.3. 1966. BArch, DR 117 vorl. BA (I) 1155.
Jahrow, Dr.: Stellungnahme zu dem DEFA-Spielfilm „Jahrgang 45“. 11.10. 1966. SAPMO-BArch, DY 30/ IV A2/ 9.06/ 60 Fiche 4.
Jahrow, Dr.: Stellungnahme zu dem DEFA-Spielfilm “Berlin um die Ecke”. 29. 9. 1966. BArch, DR1/ 4249/ 51.
Anmerkungen
1 Maria Morzeck in dem Film „Das Kaninchen bin ich“
2 Zitiert nach: Wierling, Dorothee: Geboren im Jahr Eins. Der
Jahrgang 1949 in der DDR. Versuch einer Kollektivbiogaphie. Berlin
2002, S. 211.
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