Thema | Kulturation 2/2004 | Deutsche Kulturgeschichte nach 1945 / Zeitgeschichte | Ingrid Pietrzynski | »Die Menschen und die Verhältnisse bessern ...« - Literaturvermittlung in Literatursendungen des DDR-Rundfunks
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»Die Menschen und die Verhältnisse bessern ...«
Literaturvermittlung in Literatursendungen des DDR-Rundfunks in den fünfziger Jahren
Das waren die fünfziger Jahre auch: eine Zeit heftiger
Diskussionen. Dogmatismus? Ja. Wenn du die Zeitungen jener Jahre
nachliest, dir können die Haare zu Berge stehen. Man muß sich ja
vorstellen, daß die Verdikte gegen Künstler und Kunstwerke, die in der
Zeitung standen, damals ernst genommen wurden, oft auch von den
Betroffenen selbst, und für die Beschuldigten Folgen hatten.
Andererseits gab es Versammlungen, in denen die Leute sagten, womit sie
nicht einverstanden waren. Und wir Jungen waren in alles verwickelt.
Wir nahmen Anteil, es war unsere Sache. Wir waren in einer Stimmung
übersteigerter Intensität, alles, was hier und heute geschah, war
entscheidend, das Richtige mußte sich bald und vollkommen durchsetzen,
wir würden den Sozialismus, den Marx gemeint hatte, noch erleben. ...
eine Art Heilsgewißheit, wenige Jahre lang.
Christa Wolf, 1989
Schöngeistige Literatur wurde im DDR-Rundfunk der fünfziger Jahre
in verschiedenen Programmsparten und von unterschiedlichen Redaktionen
vermittelt. Gegenstand der folgenden Betrachtung sind die von den
Literaturredaktionen produzierten Literatursendungen, also Lesungen,
Buchvorstellungen, Rezensionen, literarische Porträts und Essays. Bis
auf wenige, aus der DDR stammende und vorwiegend
kulturpolitisch-ideologisch angelegte Arbeiten[1] sind
Literatursendungen und Literaturvermittlung dieses Jahrzehnts bisher
noch nicht medien- oder literaturhistorisch untersucht worden. Es
existieren auch keine Übersichten oder Dokumentationen über die
Auftritte von Schriftstellern vor dem Mikrofon oder über die erhaltenen
Tondokumente von literarischen Sendungen. Deshalb kann hier nur eine
erste Annäherung in Form einer Überblicksdarstellung vorgestellt
werden, in der auf Grund des erheblichen Umfangs der ausgestrahlten
Literatursendungen auf die Einbeziehung der Hörspiele - als
spezifischer literarischer Funkgattung - und anderer Literatur
vermittelnder Programmsparten wie Schulfunk und Kindersendungen
verzichtet werden muß. Für detailliertere Forschungen bietet sich im Deutschen
Rundfunkarchiv Berlin eine umfangreiche Überlieferung von Manuskripten
solcher Sendungen, die, vor allem ab 1954, in nahezu vollständiger
Ablage vorhanden sind. Darüber hinaus sind ausgewählte Tondokumente aus
diesem Jahrzehnt erhalten. Redaktionelle Unterlagen hingegen, wie der
Schriftwechsel mit Autoren, Hörerzuschriften oder Sende- und
Honorarabrechnungen, sind nicht überliefert.
Der Rundfunk der DDR und seine Literaturredaktionen in den fünfziger Jahren
Der Rundfunk in der Ende 1949 entstandenen DDR war in den fünfziger
Jahren als Staatsrundfunk, als politisches Instrument »zur Erziehung
und Beeinflussung der Massen«, so die explizite Funktionszuweisung
durch den 3. SED-Parteitag 1950, bereits weitestgehend festgelegt.
In der sowjetischen Besatzungszone hatten die Hörfunkprogramme
einer deutschen Generalintendanz und der Zentralverwaltung für
Volksbildung unterstanden, das Kontroll- und Zensurrecht dieses unter
»Deutscher Demokratischer Rundfunk« firmierenden Sendersystems hatte
bei der Sowjetischen Militäradministration gelegen. In den Jahren bis
zur DDR-Gründung entwickelten sich eine stärkere Einflußnahme der SED
auf Organisationsstruktur, Personalpolitik und Programmgestaltung
ebenso heraus wie föderalistische Ansätze - dies alles unter dem
Vorzeichen des Antifaschismus und vor dem Hintergrund des beginnenden
Kalten Krieges.
Nach der DDR-Verwaltungsreform und der Auflösung der Länder 1952
wurde das Staatliche Rundfunkkomitee oberstes Leitungs- und
Kontrollgremium, formal dem Ministerrat der DDR und real dem
Zentralkomitee der SED unterstellt, von wo die politische Anleitung und
Kontrolle erfolgte. Diese Zentralisierung ging einher mit der Auflösung
der Landessender, mit Personalüberprüfungen und -entlassungen, der
Einführung einer strikten Programmplanung sowie der Einrichtung von
drei zentralen Hörfunkprogrammen, die von da ab im neu errichteten
Funkhaus Nalepastraße in Oberschöneweide im Ostteil Berlins produziert
wurden. Man bildete zentrale Querschnittsredaktionen, die für alle drei
Programme arbeiteten, was eine geringere inhaltliche Profilierung und
etliche Wiederholungen nach sich zog. Der Wortanteil im Programm - seit
1945 schon immer sehr hoch - erfuhr eine weitere Ausdehnung.
Am Anfang des Jahrzehnts war eine Hauptabteilung Künstlerisches
Wort unter Leitung des aus der USA-Emigration gekommenen
Schriftstellers Maximilian Scheer im DDR-Rundfunk tätig, zu der unter
anderem die Literatur- und die Hörspielabteilung gehörten. Einige
künstlerische Mitarbeiter der Nachkriegsjahre mit Rundfunkerfahrungen
aus der Zeit von vor 1945 wie Peter Huchel, Josef Christean oder Alfred
Braun hatten den DDR-Rundfunk bereits wieder verlassen. Die
Literaturabteilung mit etwa zehn Redakteuren leitete der vom NWDR
übergewechselte spätere Schriftsteller Günther Cwojdrak. Dort
arbeiteten unter anderem auch die vom RIAS gekommene spätere
Literaturkritikerin Annemarie Auer oder die Schriftstellerinnen Berta
Waterstradt und Cläre Jung. Sie alle waren 1952 schon nicht mehr dabei,
einige auch wegen der Anfang der fünfziger Jahre in der DDR
stattgefundenen Säuberungswelle gegen die sogenannten Westemigranten,
auch wenn die meisten von ihnen weiterhin freiberuflich für den Funk
arbeiteten. Im Komitee waren zunächst Rudolf Pfützner und später
Wolfgang Rödel für die künstlerischen Wortprogramme zuständig. In der
ab Herbst 1952 tätigen zentralen Literaturabteilung, die dann für alle
drei Programme zulieferte, hatte sich ein Generationswechsel vollzogen.
Junge Leute zwischen 20 und 30 Jahren, die entweder gerade vom Studium
gekommen, angelernt oder Absolventen der rundfunkeigenen
Journalistenschule waren, erhielten eine Chance.[2] Diese junge
Generation agierte mit Engagement für die Literaturvermittlung und im
Spannungsfeld zwischen Scham am eigenen Anteil an der NS-Zeit,
Hochachtung vor den politisch bewährten Vorgesetzten im Komitee, die
zumeist Emigranten in der Sowjetunion oder KZ-Häftlinge gewesen waren,
und in dem Glauben, nun endlich auf der richtigen politischen Seite zu
stehen. Einige von ihnen, die auch eigene literarische Ambitionen
hatten, blieben nur wenige Jahre im Funk.
Nach der offiziellen und öffentlichen Kritik am Rundfunkprogramm
im Gefolge des 17. Juni 1953 wurde die stringente Programmstruktur
etwas gelockert, man reduzierte den Wortanteil, bemühte sich um mehr
Unterhaltung und leichtere Kost und führte wieder stundenweise
regionale Eigenprogramme ein. Schrittweise wurden die Einheitsprogramme
reduziert, man kam auf sendereigene Redaktionen zurück. Es entstanden
drei Literaturredaktionen bei den Sendern Berliner Rundfunk, Radio DDR
und Deutschlandsender. Mehrere Programmreformen folgten, in denen sich
auch die Tendenzen der Liberalisierungsphase in der sogenannten
Tauwetterperiode bis 1956/57 auswirkten, auch wenn die politisch
festgeschriebene propagandistische Funktionszuweisung des Massenmediums
Rundfunks nicht in Zweifel gezogen wurde und das Komitee dabei mehr und
mehr Koordinierungsaufgaben übernahm.[3]
Anfang 1956 machte das Rundfunkkomitee in den Literaturredaktionen
Tendenzen von Akademismus aus: Die Redakteure würden ihre
wissenschaftlichen und germanistisch-literarischen Kenntnisse
ungenügend mit journalistischer Besessenheit verbinden.[4] Auch die
Literaturredakteure hatten sich in erster Linie als politische
Journalisten zu verstehen. Ihre Selbstbehauptung als Fachleute für
Literatur und Literaturvermittlung wurde nur insofern anerkannt, als
sie nicht der offiziellen politischen und kulturpolitischen Linie
widersprach. Als die Liberalisierungsphase ab Herbst 1956 zu Ende ging,
verließen die Literatur-Redaktionsleiter Gerhard Stübe und Gerhard Wolf
den Rundfunk, um als freie Schriftsteller zu leben. Einige von den
Jungen aus den Literaturredaktionen, die blieben, konnten sich in den
späteren Jahrzehnten mit bekannten Sendereihen profilieren, andere
machten im Rundfunk-Apparat Karriere.
Ein wesentliches Kennzeichen der Rundfunkprogramme dieses
Jahrzehnts, der Hoch-Zeit des Kalten Krieges, war die permanente
Konkurrenz der Westmedien, die in einer starken Fixierung auf den
anderen Teil Deutschlands zum Ausdruck kommt. Dies wurde von den
politischen Programmverantwortlichen stets als »Offensive des neuen,
fortschrittlichen Deutschlands« gewertet - man nahm in Anspruch, für
ganz Deutschland zu sprechen - , und erscheint heute als weitestgehende
Abhängigkeit von den Entwicklungen und Ereignissen in der
Bundesrepublik, was Programminhalte, auch der Literatursendungen, stark
geprägt und beeinflußt hat.
Kulturpolitische Leitlinien für die Literatursendungen
Die Literatursendungen der fünfziger Jahre, die in einem mehr und
mehr politisch ausgerichteten Sendeumfeld entstanden, waren keine
Inseln literarisch-abgehobener Kontemplation und konnten es auch nicht
sein, obwohl gerade dies den Literaturverantwortlichen, deren Auftrag
Umsetzung der offiziellen Literaturpolitik war, immer wieder
vorgeworfen wurde.
Die kulturpolitische und ästhetische Orientierung auf die deutsche
Klassik, die strikte Bewertung von Kunst auf ihre gesellschaftliche
Nützlichkeit hin, die Verteufelung der westlichen Moderne und des
amerikanischen Kultureinflusses bei gleichzeitiger Verkündung einer
deutschen nationalen Literaturkonzeption, die auf die Erhaltung der
deutschen Einheit gerichtet war, und der sozialistische Realismus - das
alles wurde in diesem Jahrzehnt die verbindliche Norm für künstlerische
Gestaltung in der DDR. Die damit einhergehende dogmatisch-politische
Instrumentalisierung auch der Literatur erschien vielen zunächst als
Neubeginn, als Suche nach sozialismuseigenen Ausdrucksformen, als so
bisher nicht gekannte öffentliche Verhandlung zwischen Regierung,
Künstlern und Bevölkerung. Es herrschte Aufbruchstimmung, zumindest
unter weiten Kreisen der Geistesschaffenden, so auch der
Rundfunkmitarbeiter oder der Schriftsteller, und der Wille, aus einer
weit verbreiteten prinzipiellen Kapitalismuskritik heraus an einer
neuen gesellschaftlichen Alternative mitzuschaffen und - nach den
Flucht-, Verfolgungs- und Vernichtungserfahrungen vieler von ihnen im
Nationalsozialismus - antifaschistischer Konsens. Auch durch die
Restaurationstendenzen in der Bundesrepublik und den sich
verschärfenden Ost-West-Konflikt wurde die stalinistische Entwicklung
in der jungen DDR in einem anderen Licht gesehen. Zudem finanziell
durch Aufträge, Stipendien und Preise vielfältig gefördert, kamen bei
den Künstlern so auch an der politisch-erzieherischen
Funktionszuweisung der Medien zunächst wenig Zweifel auf, zumal diese
der intellektuellen Autorität der Geistesschaffenden einen
gesellschaftlich bedeutsamen Rang zumaß. Der aufklärerische Impetus der
damit verbundenen Volkserzieherpose schien hier in den besten Händen.
Zahlreiche Debatten, offiziell forciert und gesteuert, aber auch
öffentlich aufgegriffen, Verdikte, Personalumbesetzungen,
widersprüchliche, unterschiedliche und gegenläufige Phasen und
Tendenzen und immer wieder neue Ansätze begleiteten die kulturelle
Entwicklung in den fünfziger Jahren.[5] Die Literatursendungen des
DDR-Rundfunks spiegelten diese Entwicklungen wider und vollzogen sie
nach. Wegen ihrer grenzüberschreitenden Wirksamkeit und der besonderen
Rolle, die dem Rundfunk insgesamt im Ost-West-Konflikt zugemessen
wurde, sollten sie die literaturpolitische Konzeption der SED in ganz
Deutschland verbreiten helfen. Bei aller Übereinstimmung der
Literaturredakteure mit den propagierten Zielen gab es dennoch keine
quasi automatisch funktionierende Umsetzung der kulturpolitischen
Direktiven. Man debattierte, widersprach, rang mit den aufscheinenden
Problemen und hatte den Eindruck, den Gang der Entwicklung mitbestimmen
zu können. Erst in diesem Jahrzehnt bildeten sich die später die
DDR-Medien kennzeichnenden Mechanismen der Zensurpraktiken, der
Unterordnung unter taktische und strategische Programmentscheidungen im
Interesse »der Klassenfrage«, vollends heraus, mit denen aufkommende
Diskussionen dann entsprechend abgewürgt werden konnten.
Im Mai 1950 konstatierte Hermann Axen, der für die Medien
verantwortliche Sekretär im SED-Zentralkomitee, daß die Pflege des
Erbes nicht genügend intensiv und konsequent betrieben werde, obgleich
gerade diese Aufgabe vom Standpunkt des Kampfes um die Einheit
Deutschlands und die Wahrung der einheitlichen deutschen Kultur von
besonderer Bedeutung ist. Es ergibt sich deshalb, daß der Funk kühner
als bisher fortschrittliche Dichter und Schriftsteller heranziehen muß,
daß aber andererseits die Schriftsteller endlich selbst auch die großen
Möglichkeiten erkennen und ausnutzen müssen, die ihnen der Funk
bietet.[6]
Hauptabteilungsleiter Maximilian Scheer führte die kritisierten
Erscheinungen darauf zurück, daß es noch zu viele künstlerische
Mitarbeiter gäbe, »die sagten, Kunst habe mit Tagespolitik, ja mit
Politik nichts zu tun.«[7]
Im Herbst 1950 kündigte Hermann Zilles, stellvertretender Intendant von Berliner Rundfunk und Deutschlandsender, öffentlich an:
“Der Pflege unseres deutschen Kulturerbes im Kampf gegen die in
Westdeutschland grassierenden amerikanischen Zersetzungserscheinungen,
der Fortentwicklung unserer Kultur und der schöpferischen Anteilnahme
der Werktätigen dient ein großer Teil unseres Sendeprogramms.“[8]
Das im März 1951 verkündete Formalismus-Verdikt traf im Rundfunk
zwar vor allem das Musikprogramm, ging aber auch an den
Literatursendungen nicht vorbei. Der Rundfunk hätte als Maßstab für
Qualität auf dem Gebiet von Kunst und Kultur zu dienen, gab
Staatssekretär Wilhelm Girnus im April 1951 auf einer eigens für die
Rundfunkmitarbeiter einberufenen Tagung zu diesem Thema die Richtung
vor. Denn der Rundfunk sei das Mittel, das in die entlegenste Hütte
dringe, deshalb solle er das ganze deutsche Volk gegen die
amerikanische Kulturbarbarei mobilisieren:
“Wenn wir zeigen, daß wir unsere Volkskultur verteidigen, unsere
Volkslieder, unsere nationale Musiktradition und unsere literarische
nationale Tradition, werden wir 99 Prozent des Volkes auch in
Westdeutschland auf unserer Seite haben.“[9]
Literatur-Abteilungsleiter Cwojdrak schien die geforderte
Literaturvermittlung neuer Inhalte mittels des Formenkanons vergangener
Jahrhunderte problematisch und er wehrte sich gegen die enge, platte
Interpretation des Kulturerbes:
“Wir müssen aber auch darauf achten, daß es nicht zu künstlerischen
Entwicklungen kommt, in denen etwa ein neuer Inhalt ungenügend
ausgedrückt wird, in denen ein neuer Inhalt eine veraltete Form findet.
Wir müssen uns auch dagegen verwahren, daß die kritische Aneignung
unseres kulturellen Erbes im Sinne einer simplen Übernahme verstanden
wird.“[10]
In dieser Zeit geriet das DDR-Rundfunkprogramm mehrfach in die
offizielle und öffentliche Kritik: Einerseits im Zusammenhang mit der
Formalismuskampagne seiner musikalischen und literarischen Angebote
wegen, andererseits bei den Hörern wegen des zunehmenden Wortgeprassels
in Parteidiktion. Viele politische Kommentare und (oft stundenlang
gesendete) Mitschnitte der offiziellen politischen Reden beherrschten
die Programme, eine Tendenz, die sich nach der Einführung der drei
Einheitsprogramme 1952 noch verstärkte, was den Hörern als
fortschrittliche und moderne Radioprogramme angepriesen wurde. Für den
Literaturbereich sollte die Hörer nun ein «sorgsam abgewogenes,
fachlich durchgefeiltes und lehrreiches Literaturprogramm aller drei
Sender» erwarten.[11]
Nur wenig später schon, im Gefolge der nach dem 17. Juni 1953
einsetzenden öffentlichen Kritik an der DDR-Kulturpolitik, waren sich
auch die Literaturverantwortlichen im DDR-Rundfunk darüber klar
geworden, daß man »mit dem politischen und künstlerischen Niveau
unserer Literatursendereihen noch keinesfalls zufrieden sein kann.« Die
Literaturabteilung wollte nun ihre Arbeitsweise ändern, planmäßiger
vorgehen und die »wissenschaftliche Literaturkritik« verbessern. Gemäß
den gängigen Vorgaben waren klassisches Erbe, Erziehung zum
Patriotismus (Freiheitskämpfe unseres Volkes, Geschichte der deutschen
Arbeiterbewegung), Unteilbarkeit der deutschen Kultur, Sendungen aus
Werken der fortgeschrittensten Literatur der Welt, der
Sowjet-Literatur, Aufbau des Sozialismus in den Ländern der
Volksdemokratie, fortschrittliche Literatur des kapitalistischen
Auslandes [12] weiterhin die inhaltlichen Sendeschwerpunkte. Der »Neue
Kurs« in der DDR veränderte die 1951 formulierten kulturpolitischen
Orientierungen nicht, nahm ihnen aber ihre extrem dogmatischen Züge und
bewirkte auch im Rundfunk zahlreiche Programmänderungen.[13]
Daß den Literaturprogrammen, trotz der offiziellen Verlautbarungen
über die politische Bedeutung der Literaturvermittlung im Radio,
gegenüber den direkt politischen Botschaften mehr oder weniger nur
Beiwerksfunktion zugemessen worden war und dies weiterhin beibehalten
wurde, bestätigen die überlieferten Unterlagen der Rundfunkleitung.
Literatur, Literaturredaktionen und ihre Programme gerieten nur selten
in die Aufmerksamkeit des Komitees, des in erster Linie politisch
agierenden Leitungsgremiums, wobei die von dort erfolgenden politischen
Vorgaben selbstredend auch für die künstlerischen Programme zu gelten
hatten. Beschäftigte sich das Komitee mit der Literatur im Radio, waren
die Ursachen entweder offizielle Kritik, gesellschafts- und
literaturpolitische Kampagnen oder kulturpolitische Kurskorrekturen. So
legte zum Beispiel im Mai 1955 ein detailliertes Komitee-Szenarium die
Berichterstattung von den Schillerfeiern in Weimar und Jena fest.
Weiterhin sollte der Rundfunk, dessen Programm in dieser Zeit wieder
verstärkt der offiziellen SED-Kritik unterlag, noch mehr als bisher zum
Forum der demokratischen und humanistischen Kulturschaffenden ganz
Deutschlands werden. „Bei gleichzeitiger kämpferischer
Auseinandersetzung mit den kulturfeindlichen und kosmopolitischen
Erscheinungen in Westdeutschland müssen alle Ansätze patriotischer
Kulturarbeit in Westdeutschland unterstützt werden. Dem gesamtdeutschen
Kulturgespräch und -austausch kommt eine größere Bedeutung als bisher
zu. Dabei gilt es, auch hier den allgemeinen Begriff der deutschen
Einheit klar als wahrhaft demokratisch und friedliebend zu präzisieren
und alle Kulturschaffenden, die sich gegen die Innenministerien der
Länder für den Austausch einsetzen, als Patrioten zu unterstützen“
[14],
so eine Vorlage aus dem Jahre 1955. Der gesamtdeutsche
Wirkungsanspruch des DDR-Rundfunks blieb auch Mitte der fünfziger Jahre
Sendeauftrag, als mit der vertraglichen West- und Ostbindung beider
deutscher Staaten Tatsachen für ihr weiteres Auseinanderleben
geschaffen worden waren und die Bundesrepublik sich noch stärker als
bisher gegenüber der DDR-Kultur abschottete. In der DDR nahm man Kurs
auf die Herausbildung »einer sozialistischen Nationalliteratur als
Vorbild für ganz Deutschland«. Die Literatursendungen sollten operativ
in die Auseinandersetzungen eingreifen und die ideologische Klarheit
als Grundvoraussetzung aller künstlerischen Meisterschaft deutlich
machen, d.h. die entschiedenere Anwendung der Methode des
sozialistischen Realismus unterstützen und so die Zukunft unserer
Nationalliteratur sichtbar machen.[15]
Die in dieser Zeit aufkommenden Liberalisierungserscheinungen und
die im Gefolge des XX. Parteitages der KPdSU 1956 einsetzende
Diskussionswelle, besonders unter Intellektuellen, brachte eine Reihe
von Reformüberlegungen hervor, die auch den Rundfunk erreichten. Ende
1955 hatte Gerhard Wolf mit einer Polemik gegen die Schwemme der
Agitationslyrik eine Debatte entfacht und damit auch die vordergründig
ideologische Bewertung von Literatur kritisiert.[16] Das
Rundfunkkomitee warnte so auch Anfang 1956, nach dem IV.
DDR-Schriftstellerkongreß, in einer Vorlage vor der vorschnellen
Verurteilung von literarischen Werken, „die zwar den neuen Stoff
aufgreifen, ihn aber schematisch behandeln. ... Wir müssen begreifen,
daß, wie Becher es sagte, das unvollkommene Neue unendlich viel
wertvoller ist als das vollkommene Alte.“[17]
Auch wenn es in dieser Zeit zu keiner generellen Abkehr von den
literaturpolitischen Leitlinien gekommen war und der Ost-West-Konflikt
weiterhin seine direkten Auswirkungen auch auf die Literaturprogramme
hatte, fanden bis 1957 doch andere Autoren, differenziertere und vor
allem unterschiedliche Sichtweisen Eingang in die Literaturangebote des
DDR-Rundfunks.
Einige falsche Ansichten über den Realismus haben bei uns Platz
gegriffen. ...Stets wurde die Elle der notwendigen politischen
Propaganda angelegt, die nur mißt, ob aus angekreideten Mißständen auch
sofort die Schlußfolgerung gezogen, ob kurzum der positive Ausgang
gezeigt worden sei. Das positive Schwänzchen, das in den vergangenen
Jahren so gern überall angehangen wurde, ist fehl am Platz. Die
vorgekaute Schlußfolgerung lähmt leicht das Mitdenken. Aber besonders
jetzt haben wir die Gedanken jedes einzelnen nötig, wenn wir noch mehr
Menschen zur Mitbestimmung in unserem Staate heranziehen wollen[18],
konnte man in dieser Zeit in der Rundfunk-Programmzeitschrift lesen.
Das Ende dieser Tauwetterzeit wurde im Herbst 1956 eingeleitet -
ausgelöst durch die polnischen Ereignisse, die Suez-Krise und den
ungarischen Aufstand, in der DDR durch die Verhaftung solcher Reformer
wie Wolfgang Harich. Im Rundfunk begann man, die Programme und
Redaktionen auf »opportunistische, aufweichlerische und liberale
Tendenzen« hin zu durchforsten. Schwere Kritik ging auf die
Musikprogramme nieder, das Exempel wurde jedoch an einer
Literatursendung statuiert, dem Vortrag »Zur Lage der
Gegenwartsliteratur«, gehalten von einem Literaturwissenschaftler, der
dem Rundfunk seit langem durch viele Beiträge, Kommentare und Vorträge
verbunden gewesen war: Hans Mayer sprach darin von der Dürftigkeit der
bisherigen DDR-Literatur, forderte die Traditionen der Moderne der
zwanziger Jahre für sie fruchtbar zu machen und bestritt die allerorten
propagierte Bedeutung der Sowjetliteratur für die DDR-Literatur. Das
waren Thesen, die in dieser Zeit vielfach diskutiert wurden, die aber
gleichzeitig die verbindlichen ästhetischen Axiome der
DDR-Literaturpolitik umfassend in Zweifel zogen. Der Vortrag wurde
nicht gesendet.[19] Kultur-Komiteemitglied Wolfgang Rödel, ein
Absolvent der Rundfunkschule und der am schnellsten aufgestiegene junge
künstlerische Mitarbeiter, machte in einem Kommentar die offizielle
Rundfunk-Begründung für die Absetzung des Vortrages öffentlich und
rückte damit die Stellung des Mediums als kulturpolitisches Sprachrohr
des Staates zurecht.[20] Man warf Hans Mayer vor, über der Behandlung
ästhetischer Fragen die Klassengrundlagen der Literatur vernachlässigt
und Propaganda für die Dekadenz gemacht zu haben, auch diese Vorwürfe
damals noch als Angebot zur Diskussion formuliert, wenn auch mit recht
imperativem Aufforderungscharakter.
Von nun an führte das Staatliche Rundfunkkomitee, wie es in einem
Bericht vom Mai 1957 heißt, im eigenen Haus »die aufkommenden
Diskussionen auf breitester Ebene. ... Die Überprüfung des gesamten
kulturellen Angebotes« führte unter anderem zur Absetzung von
Kabarettsendungen und zur Aufnahme von Vortragsreihen, die
»sozialistische Philosophie, sozialistische Kultur, Ästhetik und den
Atheismus« klar machen sollten.[21] »Die hierzu benötigten Arbeiten
mußten fast ausschließlich von Rundfunkmitarbeitern geschrieben werden,
da eine Reihe von freien Mitarbeitern sich zurückhielt«, klagte
Komiteevorsitzender Ley in einem Bericht von 1958 über das seiner
Meinung nach nicht im Rundfunk, sondern überall in der DDR vorhandene
aufweichlerische Klima.[22]
“Mein Vortrag [über den inzwischen exkommunizierten Georg Lukács]
wurde von zwei Zeitschriften angefordert, die es vorgezogen haben,
beide keine Zeile davon zu bringen und auch keinen Wert darauf legten,
daß darüber geschrieben wird. Wir werden jetzt von neuem dagegen
losziehen. ... Ich hoffe, daß es bald sichtbar wird, daß der Rundfunk
nicht zu den bösen Stiefeltern gehört, sondern den guten Kindern
unserer Republik einen möglichst ausgedehnten Tummelplatz bietet.“[23]
Das im Juli 1957 stattfindende 32. Plenum des SED-Zentralkomitees
und die SED-Kulturkonferenz im Herbst desselben Jahres stellten klar,
daß »spätbürgerlich imperialistische und sozialistische ästhetische
Konzeptionen« unvereinbar seien. Hans Mayers Rundfunkvortrag hätte
signalisiert, so die offizielle Selbstkritik des Rundfunks, »daß beide
Konzeptionen sich nicht nur zu vermischen drohten, sondern die letzte
zugunsten der ersten mehr und mehr aufgegeben wurde.«[24] Im
Vordergrund stand nun wieder die Auseinandersetzung mit
antihumanistischen und antimarxistischen Kräften Westdeutschlands, die
versuchen, die Spaltung Deutschlands auf dem Gebiet der Kultur weiter
zu vertiefen und mit Hilfe der Amerikanisierung der deutschen Kultur
die DDR von dieser Seite her aufzuweichen.[25]
Die neue Orientierung beinhaltete den Rückgriff auf die zu Anfang
des Jahrzehnts verkündeten Prämissen. Besonderen Wert wollte man wieder
auf mehr »Kommentierung und Deutung« von Literatur, »ein breites
Herausstellen der Werke unseres sozialistischen Kulturschaffens« und
gezielte Auftragserteilung legen. Die durch Hans Mayers Vortrag zu Tage
getretene »Unterschätzung des Inhaltes in der Literatur und eine
Überschätzung der äußeren Form in den Produktionen bürgerlicher
Schriftsteller« auch durch die Literaturredaktionen des Rundfunks
hatten monatelange Aussprachen und Diskussionen zur Folge, und obwohl
1957 ca. 60 Prozent der redaktionellen Mitarbeiter SED-Mitglieder
waren, konnte die SED-offizielle kultur- und literaturpolitische
Kurskorrektur sich nicht von heute auf morgen durchsetzen, wie die
entsprechenden Berichte erkennen lassen. Dennoch konnten die
Schwankungen in den Sendungen schnell korrigiert werden. Die der Partei
ergebenen Kader haben sich durchgesetzt, müssen aber ständig eventuell
auftretende Schwankungen verfolgen, um allen revisionistischen
Tendenzen und anderen Resten bürgerlicher Ideologie mit entsprechender
Entschiedenheit im inneren und nach außen entgegentreten zu können.[26]
Der Rundfunk trat nun als Auftraggeber für Autoren- und
Komponistenkollektive hervor, die in Industrie- und
Landwirtschaftsbetrieben neue Stoffe für Rundfunksendungen aufspüren
sollten. Auch die »Aussprachen mit Arbeitern, ihre Meinung, ihre
Vorschläge in Bezug auf die Behandlung bestimmter Probleme im
Zusammenhang mit unserer sozialistischen Entwicklung« standen nun
verstärkt auf dem Programm der Literatursendungen.[27] Der V.
SED-Parteitag 1958, die Bitterfelder Konferenz und die
Programmerklärung des Ministeriums für Kultur über den »Aufbau einer
Volkskultur in der DDR« 1959 riefen mit ihrer Forderung, die
Arbeiterklasse solle Akteur der sozialistischen Kulturrevolution
werden, eine massenkulturelle Bewegung ins Leben, deren Zielstellung,
die passive Konsumentenhaltung breiter Bevölkerungskreise gegenüber der
Literatur zu überwinden, zwar niemals wirklich erreicht wurde, die aber
eine der Grundlagen für die großen öffentlichen Literaturdebatten der
sechziger Jahren waren und auch Auswirkungen auf die Literaturprogramme
hatten.
“Täglich hören wir von Tausenden großartigen Aufbautaten in unserer
Industrie und in der Landwirtschaft - wie sollten diejenigen, die sie
vollbringen nicht ihr Wort in Sachen Kultur einlegen? Das ist es, was
unsere kulturpolitischen und literarischen Sendungen in erster Linie
verfolgen. ... Es gibt genügend Beispiele dafür, wie in Diskussionen
mit Arbeitern Schriftsteller und Künstler wertvolle Erfahrungen
gewonnen haben.“[28]
Auch wenn nach den jähen Wendungen, Kurskorrekturen, Verdikten und
Gängelungen der zurückliegenden Jahre bei vielen Künstlern und
Literaturredakteuren schon eine gewisse Ernüchterung eingetreten war,
arbeiteten hier im Auftrag des Rundfunks nicht nur Kuba oder Max
Zimmering mit, sondern vor allem Vertreter der nachgewachsenen
Schriftsteller-Generation wie Heiner und Inge Müller, Reiner Kunze oder
Brigitte Reimann. Bereits 1960 konstatierte das Komitee »Erfolge seit
der Kulturkonferenz 1957« auf diesem Gebiet, die allerdings von der
SED-Parteiführung nicht so gesehen wurden, wie das Komitee einem
SED-Thesenpapier zur Vorbereitung der im April 1960 stattfindenden
nächsten Kulturkonferenz entnehmen mußte:
In dem Dokument kommt zum Ausdruck, daß der Rundfunk als Mittel der
kulturellen Massenbeeinflussung unterschätzt wird. Ebensowenig ist dort
formuliert, daß Rundfunk und Fernsehen in erster Linie politische
Aufgaben haben und weil die politische Thematik im Vordergrund steht,
die kulturellen Maßnahmen dazu benutzt werden, um die politisch
wichtigen Probleme zu vertiefen und an die Bevölkerung
heranzutragen.[29] So lautete am Ende des Jahrzehnts die
bündig-bürokratisch formulierte Selbstdarstellung des Rundfunks für
seine »kulturellen Maßnahmen« - seine künstlerischen Programme.
Das volkspädagogische Medienkonzept
Die in den propagierten Sozialismusvorstellungen von einem
Arbeiter- und Bauern-Staat enthaltenen egalitären Tendenzen bedingten
ein volkspädagogisches Medienkonzept »Alles für alle« mit stark
didaktischen Zügen. Literatursendungen hatten keine Fachsendungen zu
sein, Zielgruppenkonzepte waren zu Anfang der fünfziger Jahre - auch
auf Grund der technischen Verbreitungsmöglichkeiten - noch außerhalb
der Vorstellungen der Programmverantwortlichen.
Auch Schriftsteller und Künstler betrachteten die Medien als
Aufklärungs- und Erziehungsorgane für das ganze Volk und den
DDR-Rundfunk als Kommunikationsmittel, dessen künstlerische Programme
Kunst »im Sinne von Unterhaltung oder in erzieherischer Absicht«
(Bertolt Brecht) verwenden sollten, wobei »Unterhaltung« von den
Rundfunk-Programmverantwortlichen vor allem in der ersten Hälfte der
fünfziger Jahre in ihren Bildungs- und Erziehungskonzepten schon
seltener thematisiert wurde. Erziehung und Bildung auf der Grundlage
sich wandelnder gesellschaftlicher und Lebensbedingungen sollten den
»neuen Menschen« hervorbringen, wofür sich die Künstler gern
engagierten und sich damit zunächst in weitgehender Übereinstimmung mit
der SED-Kultur- und Medienpolitik befanden.
Didaktische Beeinflussung der Lesarten von Literatur,
vordergründig-politische Deutungen, für alle verständliche
Interpretationen und »Volkstümlichkeit« - das war der volkspädagogische
Auftrag für Literaturvermittlung im Radio, was der
»sozialaktivistischen Aufgabe der Literatur in der DDR« (Uwe Johnson)
generell entsprach und eine entsprechende Niveaunivellierung nach sich
zog. Jeder sollte alles verstehen, da war kein Platz für elitäre
Attitüden oder ästhetische Spitzfindigkeiten von einzelnen für
einzelne.
Die Literaturredakteure hatten sich auf den »werktätigen Hörer«
einzustellen, und sie taten dies nicht nur gezwungenermaßen, sondern
mit Idealismus und in dem Bewußtsein, zur propagierten Überwindung der
Entfremdung zwischen Kunst und Volk beizutragen. Man übertrug Lesungen
und Literaturdiskussionen aus Betrieben. Wir lesen im Betrieb hieß
bereits 1950 eine Sendereihe:
»Einmal erfahren unsere Schriftsteller von den Menschen, die den
Hauptteil ihrer Leser bilden, was sie über das Vorgetragene denken.
Daraus werden sich für den Autor wertvolle Anregungen ergeben. Zum
anderen ist ein Arbeitskontakt dieser Art auch für unsere Werktätigen
sehr wertvoll. Dadurch, daß ihnen die Literatur unserer Zeit auf diese
Weise vermittelt wird, lernen sie zugleich unsere Schriftsteller und
ihre Arbeitsmethoden kennen. Diese Leseabende im Betrieb werden dazu
beitragen, unsere Schriftsteller und ihre werktätigen Leser noch enger
zu einer schöpferischen Gemeinschaft zusammenschließen.« [30]
Man pflegte regelmäßig Kontakte zu Arbeitskollektiven, besuchte
sich gegenseitig, feierte zusammen und forderte auf Hörerversammlungen
Meinungen zum Programm heraus, unterstützte ab Ende der fünfziger Jahre
die Zirkel schreibender Arbeiter und holte Arbeiter zu Diskussionen ins
Studio. In seinem Tagebuch notierte Johannes R. Becher nach einer
solchen Diskussion im April 1951:
»Rundfunkgespräch mit Lukács und Fischer. ... eine breite
Diskussion - hoffentlich auch zu einer tiefen sich vertiefend - und
eben durch die Breite sich vertiefend - über Realismus. Wohl das erste
Mal in unserem Volke, daß über solche Probleme sich nicht nur Künstler
erhitzt haben. Spießig: solch eine Diskussion wegen diesem oder jenem
Mangel lächerlich machen zu wollen. Jeder echte Künstler kann es nur
aufs allerdankbarste begrüßen, wenn Diskussionen über Kunst nicht nur
in Fachkreisen, sondern im ganzen Volke stattfinden. So entsteht
zugleich auch neue Kunst. So und nicht in der Retorte der Cafés und des
Ateliers.« [31]
Auch im Rundfunk sollte und wollte man ein großes Sende- und
Hörerkollektiv werden. Schon lange vor dem Bitterfelder Weg wurden
1949/50 Schriftsteller- und Komponistenkollektive gegründet, die die
Programme der Betriebs- und Dorfabende gestalteten. Das waren in der Tradition der Bunten Abende
stehende öffentliche Unterhaltungsveranstaltungen in Betrieben und
Dörfern, in deren Texten (Liedern und Spielszenen) die Zuschauer zum
Mittun am neuen Leben aufgefordert, aber auch in unterhaltsamer Form
und satirisch Mängel im jeweiligen Betrieb oder Dorf dargestellt
wurden. Mitarbeiter der Betriebe und Einwohner der Dörfer wirkten am
Programm mit, die Künstler betreuten Chöre und Laienspielgruppen - ganz
im Sinne der Kulturbringerfunktion. Die unterhaltsame Form, aber auch
die »ungezügelte Kritik« bei solchen Veranstaltungen gerieten bald in
die offizielle Schußlinie. Die Sendungen hätten, »da nahezu unkontrolliert, vielfach ein Niveau, das sich von dem
der sogenannten bürgerlichen Unterhaltung kaum unterscheidet und von
Banalitäten und schlüpfrigen Redewendungen nur so strotzt. Hier gilt
es, meine ich, daß wir schnellstens Ordnung schaffen. Der demokratische
Rundfunk kann es nicht zulassen, daß in seinen künstlerischen
Sendungen, gleich ob Musik oder Wort, reaktionäre Gedankengänge
vertreten werden und die Einheit seines Programms damit gespalten
wird,«
verordnete Hermann Axen 1950[32]. Ein Schlaglicht gleichzeitig
darauf, wie die »schöpferische Zusammenarbeit zwischen Künstlern und
Werktätigen« auszusehen hatte und welche Probleme sich auch künftig
dabei ergeben würden. Die Klage eines Beteiligten, des Schriftstellers
Jan Koplowitz, daß anspruchsvolle, heitere und ernste Programme von der
Bühne weggelacht worden wären, »weil die Aufnahmefähigkeit der Kollegen
in diesen Betrieben für anspruchsvollere Kost durch die Kulturbarbarei
der Nazis herabgemindert war«,[33] half nichts. Diese Form einer
möglicherweise wirklich neuartigen Einbeziehung der Arbeitswelt und der
Arbeitenden in das künstlerische Rundfunkprogramm fand ein schnelles
Ende, obwohl auch damalige Hörerumfragen darauf aufmerksam gemacht
hatten, daß »der werktätige Hörer, der Hörer aus der Fabrik, lachen
will. ... Sie lehnen die Form ab, die wir rein agitatorische Form
nennen«[34].
Hier scheinen schon die sich dann weiter zuspitzenden Widersprüche
auf: Der erzieherische Anspruch orientierte auf Überzeugung durch
Vorbildwirkung von zukünftigen, gewünschten Lebensverhältnissen und
Verhaltensweisen, auch bei der künstlerischen Beschreibung von
Wirklichkeit. Auch wenn immer wieder der »echte Meinungsstreit« mit den
Hörern propagiert wurde und diese je nach gängiger Kurskorrektur mehr
oder weniger umfangreich im Programm zu Wort kamen, wurde inhaltlicher
Widerspruch doch meist als »Reste bürgerlicher oder nazistischer
Ideologie« interpretiert, denen es durch didaktische Belehrung zu
begegnen galt. Tatsächlich waren die Literaturredaktionen, die ohnehin
nicht gerade von Hörerpost überflutet wurden, vielfach mit tradierten
Hörerwartungen und -gewohnheiten konfrontiert, in denen sich ein oft
exzessiver Bedarf nach »Erhebung und Belehrung« offenbarte.[35]
Was ihnen als Literaturinterpretation geboten wurde, war -
besonders in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre - eine vordergründig
politische und ideologische Bewertung, die zudem oft moralisierend und
nicht selten in einer dem Kleinbürgergeschmack verhafteten Diktion
daherkam. Die Ansage für eine Lesung von Anton Tschechows Erzählung Ariadna am 19. April 1954 lautete folgendermaßen:
»Liebe Hörer! Jetzt da der Frühling seine Flügel über das Land
gebreitet hat, ist auch Gott Amors Köcher mit Glückspfeilen prall
gefüllt. Da sausen seine zärtlichen Geschosse durch die Luft und
verwunden so manches Herz. Wie nun aber die Getroffenen mit ihrer Wunde
fertig werden, darin unterscheiden sie sich, daran erkennt man ihre
Herkunft und ihre Erziehung. Viele Frauen aus den Kreisen der
herrschenden Müßiggänger einer überlebten Gesellschaftsordnung sehen in
der Liebe eine Befriedigung ihrer weiblichen Ruhmsucht, sie wollen ihre
Minderwertigkeitskomplexe durch das berauschende Gefühl allgemeiner
Anbetung zum Schweigen bringen. Eine solche Frau ist Ariadna. Und wenn
diese Menschen einmal die Sinnlosigkeit ihres Parasitenlebens zu ahnen
beginnen, dann versinken sie in Resignation und Eigenbrödelei, werden
stumpfsinnige, ergebene Narren, ohne freilich an ihre gesellschaftliche
Stellung tasten zu lassen. Anton Tschechow begegnete vor etwa sechzig
Jahren auf einem Dampfer im Schwarzen Meer einem Vertreter dieser
verfaulenden Klasse, die heute in der Heimat des Dichters ausgestorben
ist. Es ist der Gutsbesitzer Iwan Iljitsch Schamochin, der an Ariadna
und seiner eigenen Lebensunfähigkeit scheiterte. Hören Sie nun
Ausschnitte aus seiner Beichte, und sie werden erneut, wenn auch
indirekt bestätigt finden, daß das persönliche Glück nur der erringt,
der kämpfend im Glück aller aufgeht.« [36]
Nahezu jeder Sendung hatte eine schriftlich formulierte politische
Wirkungsabsicht zugrunde zu liegen, die auf dem Freigabeschein
enthalten war. In der auf dem Freigabeschein befindlichen Spalte
»Inhalt/Argumentation« war der Sendungsinhalt in Kurzfassung zu
beschreiben und die Wirkungsabsicht zu thematisieren. Dabei bediente
man sich oft, auch aus taktischen Gründen, um die Sendungsfreigabe
durch die Leitung zu erhalten, nicht nur politischer, sondern auch
direkt tagespolitischer Formulierungen, die mitunter auch in die Ansage
übernommen wurden. Für eine 1954, als die Wiederbewaffnung in der
Bundesrepublik in der Diskussion stand, gesendete Funkbearbeitung der
Novelle Schach von Wuthenow von Theodor Fontane findet sich folgende
»Argu« auf dem Freigabeschein:
»Die Erzählung Fontanes greift über das private Schicksal hinaus.
Der Dichter zeigt an diesem Beispiel zugleich, wie der preußische
Militarismus jedes gute Streben, jede menschliche Regung abtötet, um
seine Macht zu erhalten. Das ist derselbe Militarismus, der heute seine
Fratze wieder erhebt, um die westdeutschen Menschen zu vergiften und
sie kriegsreif zu machen.«
Die Ansage für diese Sendung lautete dann aber schlicht:
»Liebe Hörer! In unserer Sendung hören sie heute eine Funkbearbeitung der Novelle ... von Theodor Fontane.« [37]
Diese Texte auf den Freigabescheinen sind ein oft überdeutlich
formulierter Nachweis politischer und didaktischer Wirkungsabsichten
und der ihnen zugrunde liegenden Wunschvorstellungen, nicht jedoch für
deren Realisierung. Zum Ende des Jahrzehnts hin nahm das penible
Ausfüllen dieser Spalte auf den Freigabescheinen ab, man begnügte sich
mit Stichworten oder vergaß das Ausfüllen ganz. Eine systematische
Analyse dieser Materialien und der Vergleich zwischen Argu-Texten und
Ansagen könnte die angestrebten Lesartendeutungen exakter aufschließen
und detaillierter nachweisen, als das hier möglich ist.
Als 1955 Kleiner Mann, was nun? von Hans Fallada im
DDR-Rundfunk gelesen wurde und etliche Hörer zu dieser Reihe Briefe
schrieben, bescheinigte ihnen die Literaturabteilung - ganz wie bei
einer richtig gelösten Hausaufgabe:
Viele Hörer erkannten richtig, daß die Geschichte des kleinen
Mannes, mit der Hans Fallada 1932 einen Welterfolg errang, im Hinblick
auf die heutige Situation in Westdeutschland nichts an Aktualität
eingebüßt hat, wenngleich auch der Autor die tiefsten Ursachen der
Existenzangst des kleinen Mannes noch nicht zu ergründen vermochte.
Trotzdem hat das Buch vielen Menschen damals und heute den Blick für
die sozialen Mißstände in der kapitalistischen Gesellschaft geschärft.
Darin liegt seine große Bedeutung und das rechtfertigt seine Aufnahme
in die Sendereihe[38].
Auf solche Weise trug auch das didaktisch-volkspädagogische
Medienkonzept des Rundfunks in einem adäquaten gesellschaftlichen
Umfeld dazu bei, daß sich Lesegewohnheiten herausbildeten, bei denen
der Blick für die in der Literatur dargestellten
gesellschaftspolitischen Verhältnisse »geschärft« und möglicherweise
entsprechende analytische Fähigkeiten befördert wurden. Ästhetische
Kriterien, die Besonderheiten der künstlerischen Beschreibung von
Verhältnissen und Verhalten spielten dagegen weniger eine Rolle.
»Künstlerische Meisterschaft« wurde oft eher a priori behauptet als
erläutert. Entsprechendes Unverständnis hierfür oder auch
besserwisserische Kritik der Hörer war mitunter die Folge, wie sich aus
Veröffentlichungen in der Programmzeitschrift entnehmen läßt. So
enttäuschte 1955 die Lesung der Gedichte von Günter Kunert einen Hörer,
weil er meinte, in poetischer Form hauptsächlich nur das vernommen zu
haben, was ihn im Alltag in Presse und Rundfunk sowieso umgebe.[39]
Andere Hörer bemängelten »sprachliche Entgleisungen« bei Heiner Müller:
»Seine proletarische Gesinnung zeigt man nicht, indem man in die
Gassensprache verfällt!«[40]
In der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre, in der man im Rundfunk
zum zweiten Mal den Weg in die Betriebe startete,[41] bemühte man sich
deshalb gleichzeitig, den Hörern in einer Reihe von Sendungen
Grundbegriffe der Literatur zu vermitteln oder in Vorträgen die
Literaturgeschichte zu erläutern, Bildung pur also, zumeist in
Schulfunkdiktion, was nur wenig Resonanz zeitigte.[42] Diese Reihen mit
Sendeplätzen im Spätabendprogramm hielten sich nicht lange im Programm.
Wie es trotz oder gerade wegen der didaktischen
Bildungsanstrengungen dennoch um die Lesewünsche breiter
Bevölkerungschichten bestellt war, verdeutlicht der Hörerbrief eines
Dorfbibliothekars, der in einer Sendung am 22. März 1955 verlesen
wurde: Kriminal- und Indianerromane standen an erster Stelle, gefolgt
von Liebesromanen.
Ja, mit der Liebe wird’s schon schwieriger. Wenn wir da nicht ein
paar Klassiker hätten, die sich schon mal mit dem Thema beschäftigt
haben, wär's schlimm. ... Dann werden Bergromane verlangt, und die
Leser fragen nach Rosegger, Immermann, Heer, Ganghofer, Anzengruber. Da
wird’s ganz schwer für den kleinen Büchereileiter mit kleinem Bestand
von nur 800 Bänden, da hakt's aus, und man kann nur versuchen, auf ein
anderes Gebiet überzuleiten. Neulich wurde ich gefragt, wie der
Dorfbewohner die Literatur der Nachkriegs-Schriftsteller aufnimmt.
Betretenes Schweigen meinerseits und dann: Ach ja, Da hatten wir bei
uns den Schriftsteller Dr. Dix aus Gera. Er sprach über sein Buch Duran – ein Pferd unterwegs
und über Tierliteratur anderer Schriftsteller. Der Abend war durch
einen Rekordbesuch und die ständige Nachfrage nach seinem Buch und
Tierliteratur allgemein ein außerordentlicher Erfolg. Der
Nachkriegs-Schriftsteller ist also gerettet!!! Oder etwa nicht?[43]
Größere Erfolge hatte man in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre
dann auch mit Sendereihen, die mit direkterer Hörereinbeziehung
arbeiteten und dem Unterhaltungsbedürfnis der Hörer stärker
entgegenkamen, wie mit literarischen Preisrätseln oder solch einer im
Gefolge der Bitterfelder Konferenz entstandenen Reihe wie Wer schreibt den Schluß? [44]
Es geht darum, die ungeheuer große Summe von Lebensklugheit und
Lebenserfahrung für alle nutzbar zu machen, die sich wünschen werden,
in einer heiklen Situation den uneigennützigen Rat eines guten Freundes
einholen zu können. Wie wir in der Deutschen Demokratischen Republik
den Sozialismus aufbauen wollen, so ist das nicht nur eine Frage der
Wirtschaftspläne und der ökonomischen Weiterentwicklung, es ist ebenso
eine Frage der Weiterentwicklung des Denkens und Fühlens von Millionen
Bürgern, und es ist sicher auch eine Frage, inwieweit es uns gelingt,
näher zueinander zu rücken, das echte, große Kollektiv zu bilden, in
dem jeder sich verantwortlich fühlt für die Nöte und Sorgen des
anderen. ... Die Beteiligten dieser Geschichten sich nicht selbst zu
überlassen, sondern sie auszustatten mit den Erfahrungen von vielen
Tausenden, das ist der eigentliche Sinn der Frage an unsere Hörer: Wer
schreibt den Schluß?[45]
Ende der fünfziger Jahre, mit dem Ausbau der technischen
Verbreitungsmöglichkeiten und nach der Einführung dritter Programme in
der Bundesrepublik, legte auch der DDR-Rundfunk sein erstes
Zielgruppenprogramm auf: Radio DDR II, das sich an »die
fortgeschrittensten Bürger unserer Republik mit Kultur- und
Bildungsangeboten wenden« sollte.[46] So die Vorgabe, die gleichzeitig
die unausgesprochene Erkenntnis enthielt, daß der hochgespannte
Anspruch »Alles für alle« nicht aufgehen konnte. Der DDR-Hörfunk hatte
gegen die umfassende Konkurrenz der bundesdeutschen Medien keinen Boden
gewinnen können und sich zudem der zunehmenden Konkurrenz des
Fernsehens zu stellen - 1960 war in der DDR eine 17prozentige
Fernsehversorgung erreicht. Das Massenpublikum wollte man nun in erster
Linie mit Informations- und Unterhaltungsangeboten am DDR-Radio halten.
Radio DDR II hingegen, zunächst ab 1959 als stundenweises Programm aus
Leipzig und ab 1964 als 15-Stundenprogramm aus Berlin gesendet, wurde
zum Kultur- und Bildungsangebot mit anspruchsvolleren Angeboten
ausgebaut.
Auch wenn das einmal propagierte und von vielen Redakteuren
verinnerlichte volkspädagogische Medienkonzept nicht von heute auf
morgen aufgegeben wurde, begannen die Literaturredaktionen aller Sender
doch mehr und mehr gezielter für Literaturinteressierte zu arbeiten,
diejenigen, die sie wahrscheinlich auch im zurückliegenden Jahrzehnt
vor allem schon erreicht hatten.
Die Literaturauswahl - Autoren- und Themenwahl
Die Auswahl der in den Literatursendungen vorgestellten,
gelesenen und besprochenen Literatur sollte »ein buntes Kaleidoskop,
vielseitig und sorgfältig ausgewählt«, bieten, so eine Selbstaussage
aus dem Jahre 1951.[47] Dabei folgte man weitgehend der
Veröffentlichungspolitik der DDR-Verlage und bevorzugte Bücher, die uns
in unserem gesellschaftlichen Entwicklungsprozeß besonders viel zu
sagen haben. Dazu gehören einmal Bücher unserer fortschrittlichen
deutschen Schriftsteller, vor allem aber auch die neuen Werke der
Sowjetliteratur und die der Volksdemokratien; selbstverständlich zählt
auch die Produktion der fortschrittlichen Literatur der
kapitalistischen Länder dazu. ... Auch wichtige historische Ereignisse
der Literaturgeschichte finden Berücksichtigung, soweit sie heute noch
von Interesse sind.[48]
Entschieden wurde die Literaturauswahl im Redaktionskollektiv, die
Sendegenehmigung erteilte der jeweilige Abteilungsleiter.
Exkommunizierte oder politisch mißliebige Autoren fielen der »Schere
der Kopf«, schon oft bei den Redakteuren, zum Opfer, deren jeweilige
Vorlieben für bestimmte Literaturgattungen, Autoren und
Literaturepochen sich letztlich auch erkennen lassen. Politische
Kurskorrekturen bewirkten mitunter das öffentliche Eingeständnis, die
Literatur »oft recht willkürlich ausgewählt« zu haben, wie dies nach
der öffentlichen Kritik am Rundfunk 1953 geschah.[49] Man versprach,
sich nun um »richtige Proportionierung und Themenwahl« zu bemühen.
Die Literaturauswahl, die im folgenden beispielhaft an der Auswahl
der gelesenen, besprochenen und vorgestellten Autoren behandelt werden
soll, bietet ein breiteres und vielfältigeres Spektrum, als auf Grund
der beschriebenen Prämissen zu vermuten wäre.
Die geforderte Vermittlung des Erbes nahm am Anfang der fünfziger
Jahre einen Anteil von zirka 30 Prozent ein, am Ende des Jahrzehnts
betrug sie etwa 20 Prozent. Neben den Klassikern Goethe und Schiller
oder Herder konzentrierte man sich dabei vor allem auf die großen
Realisten des 19. Jahrhunderts wie Honoré de Balzac, Theodor Fontane,
Gottfried Keller, Stendhal, Leo Tolstoi, Anton Tschechow, aber auch auf
Heinrich Heine. Damit sollten »die großen humanistischen Traditionen
aller Völker in ihren großen literarischen Zeugnissen sichtbar« gemacht
und »die kritische Auseinandersetzung mit ihren Werken als Beitrag zur
marxistischen Kunstbetrachtung«geleistet werden.[50]
Nach Umfang dominierten das ganze Jahrzehnt hindurch die
Gegenwartsliteratur, Autoren des 20. Jahrhunderts und DDR-Literatur.
Immer wieder vorgestellte deutsche Autoren des 20. Jahrhunderts waren
Hans Fallada, Lion Feuchtwanger, Hermann Hesse, Thomas und Heinrich
Mann, Kurt Tucholsky. Am Anfang des Jahrzehnts standen bei der
vermittelten deutschen Gegenwartsliteratur noch die bekannten und meist
aus der Emigration in die DDR zurückgekehrten sozialistischen
Schriftsteller wie Johannes R. Becher, Bertolt Brecht, Willi Bredel,
Eduard Claudius, Louis Fürnberg, Karl Grünberg, Stephan Hermlin, Stefan
Heym, Hans Marchwitza, Karl Mundstock, Jan Petersen, Ludwig Renn, Anna
Seghers, Bodo Uhse, Erich Weinert und Friedrich Wolf im Vordergrund.
Wenn sie auch bis zum Ende der fünfziger Jahre mit ihren, zum Teil auch
neu geschriebenen Werken immer wieder im Programm waren, kamen in
zunehmendem Maße viele neue, junge (und vielfach unbekannt gebliebene)
DDR-Autoren hinzu. Von den bekannteren waren dies zum Beispiel:[51]
1950
Annemarie Bostroem, Kuba, Georg Maurer
1954
Günter Kunert, Reiner Kunze, Wolfgang Joho, Erwin Strittmatter
1957
Jurij Brezan, Hans Cibulka, Franz Fühmann, Erich Loest, Heiner Müller, Paul Wiens
1959
Bruno Apitz, Manfred Bieler, Adolf Endler, Karl-Heinz Jakobs, Rolf Schneider
Die rigide Schwerpunktsetzung auf Erbevermittlung, DDR-Literatur
und sowjetische Autoren am Anfang der fünfziger Jahre bewirkte, daß in
dieser Zeit Jahre nur selten einem westdeutschen Schriftsteller eine
Sendung gewidmet wurde. Im Zusammenhang mit dem dann stark forcierten
gesamtdeutschen Wirkungsanspruch des DDR-Rundfunks und der
Liberalisierungsphase Mitte des Jahrzehnts konnten die Hörer jedoch
zunehmend mit westdeutscher, österreichischer und schweizerischer
Gegenwartsliteratur Bekanntschaft schließen. Beispiele hierfür sind
unter anderem:
1954
Paul Distelbarth, Leonhard Frank, Hans Henny Jahnn, Hans Hellmut
Kirst, Wolfgang Koeppen, Eberhard Meckel, Karlludwig Opitz, Reinhold
Schneider, Günther Weisenborn, Leo Weismantel;
1957
Günter Anders, Alfred Andersch, Ingeborg Bachmann, Ulrich Becher,
Heinrich Böll, Günter Eich, Max Frisch, Helmut Heißenbüttel, Kurt Held,
Wolfgang Weyrauch;
1959
Stefan Andres, Walter Jens, Ernst Jünger, Gerd Semmer, Hans Erich Nossack. Luise Rinser.
Begleitet von solchen explizit formulierten Sendeaufträgen und
Wirkungsabsichten wie »Würdigung fortschrittlicher Schriftsteller in
Westdeutschland und operative Unterstützung der gesamtdeutschen
Literaturarbeit. ... Unterstützung des Ringens um die Unteilbarkeit der
deutschen Literatur«, [52] zeigte sich hier ab Mitte der fünfziger
Jahre eine umfangreiche Öffnung, auch für Autoren, deren Bücher nicht
in der DDR verlegt worden waren, während in westdeutschen
Rundfunk-Literatursendungen DDR-Literatur eine nahezu nicht vorhandene
Größe war. Natürlich war auch die Auswahl dieser Autoren politisch
geprägt, wobei auch die notwendigen Honorarzahlungen in Westgeld
Einfluß auf den Sendumfang solcher Literatur hatten, denn die
Redaktionen verfügten nur begrenzt über Devisen. Das betrifft auch die
Tantiemenzahlungen für Werke, bei denen die Rechte bei westdeutschen
Verlagen lagen.
Für die Lesung eines Ausschnittes aus Heinrich Bölls Und sagte kein einziges Wort im November 1955 lautete der Argu-Text:
Heinrich Böll geht den Ursachen der seelischen und physischen
Existenzangst in der kapitalistischen Gesellschaft nach. Seine
Darstellung läßt die gesellschaftliche Wahrheit der gegenwärtigen
Zustände in Westdeutschland deutlich werden.
Und in der Ansage bekamen die Hörer zu hören:
“Es ist das Buch über eine Ehe. Eine Ehe, wie es sie zu hunderten,
zu tausenden in unserer westdeutschen Heimat gibt. .. Sie [die von
Heinrich Böll dargestellten 48 Stunden dieser Ehe] zeigen, wie zwei
Menschen von tief religiöser Denkart, die getrennt voneinander leben,
in diesen zwei Tagen Einkehr halten mit ihren Gedanken, sich selbst
erkennen und am Ende schließlich wieder zusammenfinden. ... Hören Sie
nun einen Ausschnitt, ... der einen Einblick in das schwierige und
heikle Thema der Unauflösbarkeit der Ehe geben will. Denn beide fühlen
sich diesem religiösen Dogma gegenüber verantwortlich.“[53]
Die sowjetische Literatur ist in den Literatursendungen des ganzen
Jahrzehnts mit einem breiten Strom von Autoren vertreten, von denen
viele unbekannt geblieben sind. Dabei nahm der hohe Anteil zu Beginn
dann in der Mitte der fünfziger Jahre deutlich ab. Zu den bekannteren,
immer wieder vorgestellten sowjetischen Schriftstellern zählen unter
anderem Ilja Ehrenburg, Konstantin Fedin, Maxim Gorki, Michail
Scholochow. 1957, noch vor der SED-Kulturkonferenz, wurden auch Werke
von Boris Pasternak (Winterliebe) und Isaak Babel präsentiert.
Während man in dieser Zeit in einem DDR-Verlag um die Veröffentlichung
von Babels Erzählungen rang, las man im DDR-Rundfunk am 8. Mai 1957
einen Ausschnitt aus seiner 1926 beim Malik-Verlag erschienenen Reiterarmee, die man den Hörern folgendermaßen ansagte:[54]
“Zum Tag der Befreiung, verehrte Hörer, lesen wir aus dem Buch des
sowjetischen Schriftstellers Isaak Babel ... . Es sind Episoden aus
jener Zeit, da die Rote Armee, erfüllt von Lenins Geist und
Siegeswillen, im Ringen gegen die Weißgardisten und die mit ihnen
verbündeten imperialistischen Söldner, ihre große Feuertaufe empfing.
Babel aber schildert nicht die Kämpfe selbst, sondern das, was
gleichsam an ihrem Rande erlebt und erhärtet wird: Die soldatische und
menschliche Bewährung des einzelnen. Schon in diesen Jahren ist
sichtbar, wie die Idee dieses Kampfes, die Befreiung der jungen
Sowjetunion von äußerer und innerer Gefahr, Kommandeure und Soldaten
gegen alle Entbehrungen und Rückläufigkeiten, ja selbst gegen Schwächen
des Augenblicks unüberwindlich macht.“[55]
Die Aufnahme dieses Autors in das Programm muß als Ausdruck der
Öffnungsbestrebungen dieser Zeit gewertet werden, wenngleich die Ansage
dem althergebrachten Duktus folgte und die Hörer in keiner Weise über
das Schicksal Babels informierte - ein Hinweis gleichzeitig auf die
komplizierten und komplexen Hintergründe der Literaturauswahl, bei
denen das Bestreben, mit neuen, anderen Autoren bekannt zu machen, von
der politischen Funktion des DDR-Staatsfunks und einer entsprechend
vordergründig ideologischen Deutung von Literatur überlagert wurde.
In der Zeit von 1950 bis 1957 ging der Anteil der Sowjetliteratur
am Literaturprogramm noch hinter den westdeutscher, österreichischer
und schweizerischer Autoren zurück:
Gegenwartsliteratur in den Literaturprogrammen des DDR-Rundfunks jeweils in Prozent nach Jahren[56]
DDR-Literatur
1950 = 48%
1954 = 55%
1957 = 51%
1959 = 49%
Sowjet-Literatur
1950 = 28%
1954 = 11%
1957 = 10%
1959 = 12%
BRD-Literatur; Österreich, Schweiz
1954 = 13%
1957 = 25%
1959 = 10%
Noch deutlicher wird diese Tendenz in einer für den Zeitraum vom
Mai bis Oktober 1957 vom DDR-Rundfunk anfertigten Übersicht über die
Herkunft von Gegenwartsautoren, »aus deren Werken gelesen oder über
deren Werke diskutiert wurde«, bei der »sozialistische« und
»kapitalistische« Länder insgesamt zusammengefaßt und auch der Anteil
der einzelnen Sender daran ausgewiesen wurde, woraus die besondere
Rolle des auf die Bundesrepublik gerichteten Deutschlandsenders
erkennbar ist, der aber selbstverständlich auch in der DDR gehört wurde
und dem auch die Aufgabe gestellt war, »fortschrittliche Werke der
Weltliteratur vorzustellen, die in Westdeutschland nicht erscheinen
dürfen«.[57]
Radio DDR
DDR-Literatur: 64%
Sozialist. Ausland: 12%
Kapitalist. Ausland: 24%
Berliner Rundfunk
DDR-Literatur: 54%
Sozialist. Ausland: 13%
Kapitalist. Ausland: 33%
Deutschlandsender
DDR-Literatur: 33%
Sozialist. Ausland: 13%
Kapitalist. Ausland: 54%
Gesamt [58]
DDR-Literatur: 49%
Sozialist. Ausland: 13%
Kapitalist. Ausland: 38%
Die Auswahl ausländischer Gegenwartsliteratur sollte »mit den
besten Werken fortschrittlicher Autoren aller Länder« bekannt machen
und »Völkerfreundschaft und internationale Solidarität« fördern.[59]
Dabei spielte osteuropäische, insbesondere polnische, und zum Ende des
Jahrzehnts hin verstärkt auch arabische und afrikanische Literatur eine
Rolle, auch eine Art von literarischem Weltgewinn, der dennoch an
vielen literarischen Entwicklungen in der Welt vorbeiging und die
Literatur der Moderne wenig berücksichtigte.
Schon ein grober Vergleich zwischen der 1954 und 1959 vorgenommenen
Autoren-Auswahl zeigt auffallende Ähnlichkeiten zwischen diesen beiden
Jahren vor und nach der sogenannten Tauwetterperiode. Dennoch ist 1959,
nachdem man kulturpolitisch in vielerlei Hinsicht zum Bewährten
zurückgekehrt war, nicht mehr gänzlich mit den rigiden
literaturpolitischen Schwerpunktsetzungen zu Anfang der fünfziger Jahre
vergleichbar.
Ein Manko dieser Überblicksdarstellung muß es bleiben, daß die
einzelnen Literaturwerke der aufgeführten Schriftsteller, die für die
Sendungen ausgewählt oder rezensiert wurden, nicht alle genannt werden
können, denn selbstverständlich hatte ihr Inhalt Einfluß darauf, ob
einem Autor eine Sendung gewidmet wurde. Für 1957 vollständig oder
ausschnittweise gelesene Werke von westlichen Autoren betraf das
beispielsweise:
Günter Anders: Schreckbilder
Ingeborg Bachmann: Wer weiß; An die Sonne; Mein Vogel
Ulrich Becher: Der schwarze Hut
Hans Bender: Der Freitisch
Heinrich Böll: Irisches Tagebuch; Haus ohne Hüter Günter Eich: Tauben
Ernest Hemingway: Wem die Stunde schlägt
Walter Höllerer: Früh und bei den Birken
Wolfgang Koeppen: Das Treibhaus; Der Tod in Rom
Wolfgang Weyrauch: Vom Untergang Hitlers i. d. U-Bahnschächten Berlins[60]
Als der Rundfunk dann nach der SED-Kulturkonferenz Bericht über
seine Aktivitäten zur Eindämmung der »liberalen und aufweichlerischen
Tendenzen« erstattete, erklärte man die in den Literatursendungen
»auftauchenden Westtitel« damit, daß sie »in der Mehrzahl kritische
Auseinandersetzungen mit der imperialistischen Unkultur« seien oder daß
sie »Vertreter des progressiven Schrifttums« behandelten.[61]
Einer detaillierteren Untersuchung muß es vorbehalten bleiben, die
vorgenommene Auswahl einzelner Literaturtitel zu analysieren, um
Auswahlkonzepte und damit verbundene Wirkungsabsichten näher
charakterisieren und nachweisen zu können. Dies betrifft auch die
Auswahl der Ausschnitte, besonders bei Lesungen aus literarischen
Werken, die nicht in der DDR verlegt worden waren, denn natürlich war
es hier sehr leicht möglich, politisch mißliebige Stellen auszulassen.
Hiermit käme man auch der Behandlung bzw. Nicht-Behandlung der damals
gängigen Tabu-Themen näher.[62]
Einen Hinweis auf die vorgenommene Themenwahl der
Literatursendungen bieten die Titel solcher Sendungen, in denen
literarische Werke verschiedener Autoren, besonders Lyrik, unter einem
bestimmten Thema zusammengefaßt und oft auch entsprechend moderiert
wurden.[63] Sie standen in der Tradition der bereits im Weimarer
Rundfunk entwickelten und im NS-Rundfunk weitergeführten Mottosendungen
und akustischen literarischen Anthologien. Die thematische Spannbreite
reichte von der offensichtlich schon aus diesen Zeiten stammenden
Vorliebe für »Jahreszeitenliteratur« über allgemein menschliche
Schwächen (Vom blauen Dunst - Das Rauchen in der Literatur,
1954) bis hin zu direkt politischer Inanspruchnahme von Dichtungen
vergangener Jahrhunderte. Besonders in der ersten Hälfte der fünfziger
Jahre waren Deutsche Landschaften, auch westdeutsche, immer
wieder ein Thema, hinter dem sich nicht nur Deutsch- und Heimattümelei,
Anknüpfen an tradierte Hörbedürfnisse verbargen, sondern auch
Wirkungsabsichten, »die zur Einheit Deutschlands mahnen«, wie eine
Lyriksendung von 1954 betitelt war. Dennoch kam in solchen Sendungen
wenig sentimentale oder triviale Regionalliteratur zum Einsatz, denn
die zentralen Programme des DDR-Rundfunks hatten für lokalpatriotische
Bezüge wenig Platz und sollten überregionale Aufgaben erfüllen.
Relativ selten dagegen hatten solche Sendungen, wenn sie unter
einem politischen Motto zusammengefaßt wurden, die NS-Zeit zum
Hauptthema, auch wenn in vielen Sendungen mit anderem Thema die
entsprechenden Werke der großen deutschen Emigranten häufig gelesen
oder rezitiert wurden. Regelmäßig gab es literarische
Zusammenstellungen zum Jahrestag der Bücherverbrennung von 1933 und zum
Tag der Opfer des Faschismus. Ende der fünfziger Jahre widmete man sich
- angesichts antisemitischer Vorgänge in der Bundesrepublik - mehrfach
den literarischen Zeugnissen über die nationalsozialistische
Judenverfolgung.
Daneben boten auch solche Sendungen Bekanntschaft mit ausländischen
Lyrikern und Erzählern, wobei auch hier sowjetische und osteuropäische
Literatur dominierte.
Das Hauptthema solcher Sendungen war jedoch die Gegenwart, das »neue Leben in der DDR« und seine literarische Widerspiegelung. Wir bauen unser Leben (1950), Neue Saat auf neuem Land (1954) oder Die Zukunft sitzt am Tisch (1959) waren optimistisch-programmatische Titel solcher Sendungen.
Und Rufe an die deutsche Nation - Bekenntnisse und Dichtungen großer Deutscher aus mehreren Jahrhunderten
hieß 1954 eine Sendung, die exemplarisch für eine Reihe von
Zusammenstellungen steht, mit denen direkt Bezug auf die politische
Entwicklung in der Bundesrepublik genommen wurde. So war zum Beispiel
die Sendung Die Landsknecht sind ein böser Hauf! vom April
1954 als Beitrag zur Diskussion um die Wiederbewaffnung und die
Einführung der Wehrpflicht gedacht. Die Ansage lautete: Gedichte, Volkslieder und Aussprüche großer Deutscher aus unserer Geschichte mahnen unsere Brüder in Westdeutschland!
Die den Hörern nicht mitgeteilte Argu wurde noch deutlicher:
In unserer Sendung bringen wir eine Folge alter Volkslieder und
Gedichte, in denen das leidenschaftliche Begehren des Volkes gegen den
Militarismus zum Ausdruck kommt. Darüber hinaus soll die Sendung eine
eindringliche literarische Demonstration gegen die verbrecherischen
Maßnahmen der Bonner Regierungsclique sein, die westdeutsche Jugend
gegen ihren Willen zum Militärdienst zu pressen.
Redakteur Gerhard Wolf ließ für diese von stark pazifistischem
Gedankengut geprägte und zeitlich weit von der Einführung der
Wehrpflicht in der DDR 1962 entfernte Sendung Hans Sachs, Georg Weerth,
Gottfried August Bürger, Johann Gottfried Seume, Georg Büchner, Adolf
Glasbrenner, Hermann Püttmann, Ludwig Pfau, Kurt Tucholsky (Drei
Minuten Gehör), Erich Weinert, Bertolt Brecht und Max Zimmering (Eine
Mutter aus dem Westen spricht: Wenn sie dich rufen, Sohn, du gehst mir
nicht) rezitieren.[64]
Die Literaturförderung
Die Literaturredaktionen stellten sich auch der offiziell
vorgegebenen Aufgabe »selbst in das literarische Leben einzugreifen«
und nicht nur Berichterstatter zu sein.[65] Immer wieder geriet der
Rundfunk in die Kritik, auf diesem Gebiet zu wenig zu tun. Man warf den
Redakteuren mangelnde Initiative zur Förderung des künstlerischen
Nachwuchses, Isolation von der literarischen Entwicklung und »bloße
Programmarbeit« vor.[66] Auch die Kritik aus Künstlerkreisen, die
Redakteure würden das Programm zur Spielwiese ihrer eigenen
literarischen Ergüsse und zur Quelle zusätzlicher finanzieller
Einnahmen machen, fehlte nicht.
Tatsächlich aber gab es etliche Sendereihen, in denen junge Autoren
mit ihren ersten Werken vorgestellt wurden. Bei der Abwehr der
erhobenen Vorwürfe verwiesen die Literaturverantwortlichen auf das
geringe Interesse der Schriftsteller, junger wie namhafter, zur
Mitarbeit im Funk:
Sie lassen trotz mehrfacher Aufforderung leider oft die
Bereitwilligkeit zur Mitarbeit vermissen. ... Sie unterschätzen die
Wirkungsmöglichkeiten des Funks, wollen sich nur gedruckt sehen und
sind nur selten bereit, die besonderen Bedingungen der Funkarbeit
kennenzulernen.
Aufforderungen würden erst gar nicht beantwortet, gegebenen Zusagen
nicht eingehalten, so eine Klage aus dem Jahre 1952.[67] Über das ganze
Jahrzehnt hin ziehen sich ähnliche Klagen über die geringe Beachtung
der literarischen Funkarbeit. Auch in den Literaturzeitschriften wurde
die literarische Funkarbeit so gut wie nicht thematisiert (das betraf
auch die Hörspiele), höchstens hin und wieder von Rundfunkmitarbeitern.
Hin und wieder verfaßten auch Schriftsteller auf Bitten des Rundfunks
einen Text für die Rundfunk-Programmzeitschrift. Eine professionelle
Rundfunkkritik, wie sie sich in der Weimarer Republik herausgebildet
hatte, existierte nicht.[68] Auch in der DDR galt »der zum Hören
geschriebene Text« (Alfred Andersch) offensichtlich nicht. Hinzu kam,
daß die Schriftsteller - angesichts der üppigen Förderungen
(Auftragshonorare, Stipendien, Ausschreibungen) von Kulturinstitutionen
und Verlagen - es vermutlich auch viel weniger nötig hatten, beim Funk
Geld zu verdienen. Kein belletristisches Werk erschien damals unter
einer Auflage von 10 000, das Bücherhonorar war nur zu einem Drittel
vom Umsatz abhängig. So konnten die Autoren auch von Ladenhütern, die
in den fünfziger Jahren reichlich produziert wurden, recht einträglich
leben. Schon eher existenzerhaltend und mäzenatisch war der Rundfunk
mit seinen vielen Lyriksendungen in diesem Jahrzehnt dagegen für
Lyriker, denn Gedichtbände wurden nicht so massenhaft produziert:
Weil Lyrik nach unserer unverbrüchlichen Überzeugung in erster
Linie nicht gelesen, sondern gehört werden sollte, ist der Rundfunk
genau die Institution, um Uraufführungen für Lyrik einzurichten.[69]
Die Zurückhaltung der Schriftsteller dem Rundfunk gegenüber kann
aber auch mit der ideologischen und politischen Überfrachtung der
Literaturprogramme und einer entsprechenden Lektorierung ihrer Texte
zusammenhängen, welche sich durch den tagespolitischen Zuschnitt des
Rundfunkprogramms möglicherweise vom Lektorat der Verlage unterschied,
obwohl auch dies durch detailliertere Untersuchungen nachgewiesen
werden müßte.[70]
Insgesamt war der Anteil von Unveröffentlichtem in den
Literatursendungen tatsächlich relativ gering. Dennoch traten viele
Schriftsteller vor dem Mikrofon auf, nicht nur mit Lesungen ihrer
Werke, in Autorengesprächen und Interviews, sondern auch mit Reden und
Kommentaren. Dabei war man vor allem um prominente Autoren bemüht und
wertete Erfolge hierbei als Gewinn im deutsch-deutschen Ätherkrieg, wie
bei Thomas Manns Besuchen in Weimar 1949 und 1955. Als er 1954
»exklusiv für den Deutschen Demokratischen Rundfunk« aus seinem Felix Krull las, war dies Anlaß für eine Reihe von begleitenden Statements und Kommentaren:
Es war ein Ereignis für alle Deutschen und für ganz Deutschland,
als wir in diesen Tagen die Stimme von Thomas Mann in unserem
demokratischen Rundfunk hörten. ... Es konnte nicht ausbleiben, daß
gewisse Presseorgane, die die humanistische Kultur zurückzunehmen
versuchen, schon auf die Ankündigung, Thomas Mann werde im deutschen
demokratischen Rundfunk lesen, mit plumpen Angriffen und
Unterstellungen reagierten, wobei das Attribut 'rot', bezogen auf den
bürgerlichen Schriftsteller, eine diffamierende Rolle spielen sollte.
Sie können es dem Dichter nicht verzeihen, daß er ... gegen die
Anwendung der Wasserstoffbombe ist und eine Friedensfront wünscht, die
so breit wie möglich sein soll. Sie stellen ihm inquisitorische Fragen,
beispielsweise, wann er gedächte, sich endlich über die Motive seines
Verhaltens auszulassen.[71]
»Nicht jeder ist mit nahezu 80 Jahren noch so rüstig wie Thomas
Mann,« schrieb Hermann Hesse im Juli 1955 auf eine entsprechende
Anfrage Gerhard Stübes, im DDR-Rundfunk zu lesen:
Zu meinem großen Bedauern ist Ihr Wunsch unerfüllbar, ich habe den
gleichen Wunsch auch dem Sender Beromünster und westdeutschen Sendern
mit Nein beantworten müssen. ... Was mich betrifft, so bin ich zwar
geistig noch intakt, physisch jedoch nicht, und ich kann auch keine
Reisen mehr machen, wie Sie annehmen. Sie sprechen von meinem
demnächstigen Aufenthalt in Westdeutschland, von dem aber nicht die
Rede sein kann. Es tut mir aufrichtig leid, Ihre Bitte nicht erfüllen
zu können, wie ich es auch bedauert habe, Beromünster enttäuschen zu
müssen. Aber gerade das Sprechen gehört zu den Funktionen, die bei mir
stark gestört sind. Als ich vor bald einem Jahr zum letzten Mal auf
Tonband gesprochen habe, war die Anstrengung so übermäßig und das
Ergebnis so unbefriedigend, daß ich beschloß, es bei diesem letzten Mal
für immer bewenden zu lassen.[72]
DDR-Schriftsteller waren mit vielen politischen Reden, Äußerungen
und Appellen im Rundfunkprogramm präsent, die sie zum Teil in ihrer
Eigenschaft als Staats- oder Parteifunktionäre hielten. Regelmäßig
wurden die Reden und Diskussionsbeiträge der Schriftstellerkongresse
und anderer kulturpolitischer Tagungen (ganz oder teilweise) übertragen
und damit der hohe gesellschaftliche Rang der Literatur dokumentiert.
Auch als Gegenstand von politischen Kommentaren kam sie häufig vor,
wofür man oft Schriftsteller gewann. Dabei waren dann auch andere als
die üblichen tagespolitisch gefärbten und verkürzenden, nicht jedoch
auf politische Aussagen verzichtenden Formulierungen zu hören. In einem
Kommentar von Franz Fühmann vom 12. Juli 1954 über ein Treffen ost- und
westdeutscher Autoren auf der Wartburg heißt es unter anderem:
Wir sind überein gekommen, die wahnsinnige Spaltung Deutschlands
und die Versuche der Spaltung unserer humanistischen Literatur nicht
anzuerkennen. Wir wissen, daß wir zusammengehören. Beieinander,
miteinander und füreinander und gemeinsam für Deutschlands Frieden und
Einheit und für die humanistische Einheit unserer Literatur zu wirken,
das ist unser Gelöbnis.[73]
Über die Autorengespräche, Interviews und Literaturdiskussionen mit
Schriftstellern im Rundfunkprogramm der fünfziger Jahre existiert auf
Grund der mangelnden Überlieferungssituation kein Überblick.[74] Die
literarischen Debatten und der literaturwissenschaftliche Diskurs jener
Jahre wurde in den literarischen Fachzeitschriften ausgetragen und vom
Rundfunk eher nachvollzogen als belebt. Die Auswahl der
Gesprächspartner für literarische Rundfunkdiskussionen folgte oft dem
Diktat der kulturpolitischen Direktiven. So sind mit Bertolt Brecht nur
1951 und 1952 Werkstattgespräche geführt worden.[75] Nach dem auch
Brecht treffenden Formalismus-Verdikt nahm der Rundfunk dann Abstand
von weiteren Gesprächen mit ihm. Mit seinen politischen Appellen und
Reden war Brecht trotzdem im Programm präsent. Darüber hinaus hatte er,
was wenig bekannt ist, in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre Einfluß
auf verschiedene literarische Sendungen. So erarbeiteten und
produzierten er und sein Theaterensemble im Tonstudio des Berliner
Ensembles mehrere Sendungen, die in diesen Fassungen vom Rundfunk
ausgestrahlt wurden. Diese Sendungen, die Lieder, Rezitationen,
Lesungen, Szenen und verbindende Zwischentexte enthielten, verzichteten
mitnichten auf politische Aussagen, zeichneten sich aber durch eine
sorgfältige und ausgefeilte Bearbeitung der Texte aus.[76] Die
politischen Aussagen stellten zwar einen Zeitbezug her, kamen aber ohne
vordergründig tagespolitisch-journalistische Formulierungen aus.
Die Sendung Und weil der Mensch ein Mensch ist … vom 11.
Februar 1954, in der Brecht-Lieder, -Gedichte und -Szenenausschnitte
von Mitgliedern des Berliner Ensembles vorgetragen wurden, beschrieb
laut (vom Rundfunk hergestelltem und den Hörern nicht mitgeteiltem)
Argu-Text
Brecht als jenen Dichter, der von jeher konsequent gegen
Militarismus und Faschismus gekämpft hat. In der gegenwärtigen Periode
des verstärkten Kampfes gegen EVG und Remilitarisierung werden die
Worte Bertolt Brechts die Menschen in ganz Deutschland in ihrer
Entschlossenheit zum Kampf für Frieden und Einheit stärken.
In der Sendung selbst, deren Zwischentexte von der
Brecht-Mitarbeiterin Käthe Rülicke stammen, hörte sich eine der
politischen Aussagen dagegen folgendermaßen an:
Das 1939 geschriebene Gedicht General, dein Tank ist ein großer Wagen
ist leider auch heute noch aktuell. Es ist eine Warnung an alle, die
die Welt in einen neuen Krieg stürzen wollen. Gültig geblieben ist aber
auch Brechts Zuversicht auf die denkende Kraft des Menschen.[77]
Zwei weitere Sendereihen, die Mitte der fünfziger Jahre
ausgestrahlt wurden und durchaus Besonderheiten im sonstigen
Sendeumfeld waren, gehen auch auf Brechts direkte Einflußnahme zurück: Die Stunde der Akademie,
die 1955/56 lief und im Magazincharakter über die Tätigkeit der
ostdeutschen Akademie der Künste informierte, ist von Bertolt Brecht
inhaltlich und gestalterisch konzipiert worden. Sie war die einzige
Reihe, bei der der Rundfunk - nach langen Auseinandersetzungen mit
Brecht und der Akademie der Künste - nicht nur die gestalterische,
sondern auch die inhaltliche Verantwortung aus der Hand gegeben
hatte.[78] Ähnliches trifft auch auf die zwischen 1954 und 1957
gelaufene Theaterkritik-Sendung Forum der Kritik mit Herbert
Ihering zu, die jedoch nicht in der Verantwortung der
Literaturabteilung, sondern der Abteilung Theater und Film /
Kulturpolitik lag. Angeregt durch die Akademie der Künste, kam auch
diese Sendung erst nach vielen bürokratischen Verzögerungen zustande,
an deren Überwindung sich Bertolt Brecht persönlich beteiligte.
Iherings Rezensionen waren sehr persönlich gehaltene,
Theatertraditionen aufgreifende und vergleichende Betrachtungen, frei
von politischem Wortgeklingel. Seine Meinung über die
kitschig-rührseligen und substanzlosen bundesdeutschen Filme jener
Jahre brachte er darin allerdings ziemlich deutlich zum Ausdruck. Auch
diese Sendung wurde 1957 zu Fall gebracht.[79]
Ein anderer Autor, der in den literarischen Programmen der
fünfziger Jahre starke Spuren hinterlassen hat, ist Günter Kunert, der
in diesen Jahren für mehrere Redaktionen des Rundfunkhauses
gleichzeitig arbeitete. Er nutzte die verschiedenen literarischen
Gattungen für Funkproduktionen und schrieb satirische Kurzgeschichten,
Hörszenen, Glossen, Funkerzählungen, feuilletonistische Betrachtungen
und Kurzhörspiele. 1954 war er Autor einer vierstündigen satirischen
Sylvestersendung in szenischer Gestaltung. Auch viele seiner Gedichte
fanden sich in den Lyriksendungen.[80] Mehrere Folgen der
Kriminalhörspielreihe Ich sage aus stammen von ihm. In der zweiten
Hälfte der fünfziger Jahre war er Librettist einer Musikballade (Das Denkmal des Fliegers) und der Funkoper Fetzers Flucht.[81]
Beispiele für Sendereihen, die über längere Zeit von damals oder
später prominenten Schriftstellern verantwortet wurden (wie das in den
sechziger Jahren mit Stephan Hermlins Reihe Lektüre möglich
war[82]), finden sich nicht. Die Ursachen sind so vielfältig wie
bereits beschrieben und hängen vor allem mit der Entwicklung des
Mediums zum Staatsrundfunk zusammen, der sein Überwachungsmonopol über
die Sendungen nicht aus der Hand gab. Nicht jeder Schriftsteller hatte
auch die Stirn, sich dabei wie Bertolt Brecht in langwierige
Auseinandersetzungen einzulassen. Brecht hat kraft seiner Autorität
mehr als einmal auf die hohe Verantwortung der Rundfunkchefs für das
künstlerische Gesicht des Programms und für die einfühlsame
Zusammenarbeit mit den Künstlern aufmerksam gemacht und hierbei
Veränderungen eingefordert.[83]
In der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre förderte der Rundfunk
Auftragsproduktionen, die neben dem Hörspiel vor allem die kleine
literarische Form betrafen: Liedtexte, Gedichte, agitatorische
Kurztexte, Reportagen, womit er für einige Zeit für einige junge und in
den sechziger Jahren bekannt gewordene Autoren sicher die wichtigste
Verdienstquelle war. Die Literaturredaktionen vergaben auch
Übersetzungsaufträge für ausländische, vor allem fernöstliche,
arabische und afrikanische Literatur und trugen damit zur Erschließung
solcher Werke bei.
Ende der fünfziger Jahre veranstaltete der Rundfunk mehrere
Literaturwettbewerbe, bei denen es nicht nur um Hörspiele, sondern auch
um Erzählungen, Reportagen, Porträts und Gedichte ging, die dann in die
Literaturprogramme Aufnahme fanden. Das Literaturpreisausschreiben des
Deutschlandsenders von 1957/58 hatte das Motto »Keine Atomwaffen in
Deutschland«. Preisträger wurden neben Günther Deicke, Günter Kunert
und Georg Maurer auch Schriftsteller aus der Bundesrepublik wie
Siegfried Gläss, Gert Ledig, Karlludwig Opitz und Kurt-Maria Sandner.
Unter den 920 Einsendern waren - ebenso wie bei dem ein Jahr später von
Radio DDR veranstalteten Wettbewerb »Und der Zukunft zugewandt« zum 10.
Jahrestag der DDR und seinen über 600 Zuschriften - überwiegend
Laienautoren.
Daß natürlich auch die gegenwärtige Literatur ... auf einen Zustrom
dieser Volkskräfte nicht verzichten kann, sondern auf sie angewiesen
ist und die Vereinigung mit ihnen suchen muß, mag für manche Autoren in
Westdeutschland ungewöhnlich klingen,
versuchte man den westlichen Wettbewerbsteilnehmern unter Hinweis
auf die Traditionen der revolutionären proletarischen Literatur den
Bitterfelder Weg zu erklären.
Unser Preisausschreiben erhielt durch die Beteiligung von
Laienautoren einen viel umfassenderen Sinn, als wir ihn ursprünglich
mit unserem Aufruf zu geben glaubten.[84]
Offensichtlich überfordert, hier aktiv zu werden und möglicherweise
auch wegen der mangelnden literarischen Qualität solcher Einsendungen,
erklärte man diesen Autoren:
Wir können diese Arbeiten nicht mit ausführlichen Lektoraten und
Urteilen zurückreichen. Die Jury kann diesen vielen Einsendern nicht
mit fachlichen Ratschlägen antworten und unsere literarische Redaktion
hat nicht den Mitarbeiterstab eines Verlagsunternehmens. Wir bitten die
Einsender dafür um Verständnis. Wir wissen, daß viele dieser
Laienschriftsteller in den literarischen Zirkeln, die beispielsweise in
den Betrieben der DDR existieren, oder bei den Arbeitsgemeinschaften
junger Autoren in den Bezirksverbänden des Deutschen
Schriftstellerverbandes Rat und Hilfe finden werden.[85]
Literatur-Vermittlungsformen und -Sendereihen
In den überlieferten Rundfunk-Unterlagen und den veröffentlichen
Selbstdarstellungen finden sich relativ wenige Überlegungen der Macher
zur Gestaltung der Literatursendungen oder zu funkspezifischen
Vermittlung von Literatur. Dagegen gibt es, wie bereits dargestellt,
viele Beschreibungen der Sendereihen, die vor allem die
Wirkungsabsichten thematisieren.
Man vermittelte Literatur überwiegend durch Rückgriff auf die
überkommenen, bewährten Sendeformen und machte Lesungen, Berichte,
Rezensionen, Interviews, Autorengespräche, auch Diskussionen, und
kommentierte besonders viel und gern. Auffällig ist die häufige
szenische Auflösung des Vorgetragenen, auch bei Lesungen, was in diesem
Jahrzehnt im Übrigen auch bei vielen politischen Sendungen genutzt
wurde.
Die Hauptvermittlungsform war aber die Lesung, durch Schauspieler,
Rundfunksprecher oder die Autoren selbst. Dabei berief man sich
ausdrücklich auf die »Entwicklung und Pflege der Tradition des
Erzählens«, die verschüttet sei und die man mit den modernen Mitteln
der Technik vervollkommnen wolle.[86] Unter Bezug auf die
mittelalterliche Erzähltradition und auf die mündlich übermittelten
Volksdichtungen (nicht jedoch auf den Gemeinschaftsempfang des
NS-Rundfunks), die Gemeinschaftserlebnisse gewesen seien, stellte man
fest:
Bei uns könnte es heute nur das Gemeinschaftserlebnis des Volkes
sein. ... Ein Vortragssaal faßt nur einige hundert Menschen, der
Rundfunk erreicht aber viele Tausende und mehr. ... Ist nicht auch das
ein schöner Beweis, daß heute allen Menschen die Möglichkeit gegeben
ist, am kulturellen Leben der Nation teilzunehmen? Gibt nicht auch das
uns allen die Kraft, für die Unteilbarkeit unserer deutschen Kultur
einzutreten und sie vor zerstörenden Einflüssen zu schützen?[87]
Von 1955 bis 1959 war die Reihe Roman in Fortsetzungen im
Programm, das größte Lesungsvorhaben dieses Jahrzehnts, bei dem ganze
Literaturwerke gelesen wurden, anfangs von prominenten Schauspielern,
auf einem sehr guten Sendeplatz im Abendprogramm. Die Hörer sollten
damit »an bedeutende Werke der Weltliteratur herangeführt werden«,
gleichzeitig wollte man die Werke des sozialistischen Realismus
popularisieren.[88]
Roman in Fortsetzungen beim Berliner Rundfunk und bei Radio DDR 1955-1959
1955
Hans Fallada, Kleiner Mann, was nun? Gelesen von Erwin Geschonneck
B. Traven, Die Baumwollpflücker. Gelesen von Harry Hindemith
Bodo Uhse, Patrioten. Gelesen von Hans Hildebrandt
Romain Rolland, Meister Breugnon. Gelesen von Wolfgang Heinz
Erwin Strittmatter, Tinko
Franz Fühmann, Kameraden
1956
Halldor Laxness, Atomstation
Dieter Noll, Mutter der Taube
Stendhal, Rot und Schwarz
Maxim Gorki, Die Mutter. Gelesen von Helene Weigel
Martin Viertel, Die Bärenjagd
Friedrich Wolf, Lucie und der Angler von Paris
Honoré de Balzac, Junggesellenwirtschaft. Gelesen von Anselm Alberty
Theodor Fontane, Irrungen, Wirrungen
Arnold Zweig, Benarome. Gelesen von Willi Schwabe
Peter Nell, Der Junge aus dem Hinterhaus, Gelesen von Peter Bosse
Leonhard Frank, Das Ochsenfurter Männerquartett
Kurt Tucholsky, Schloß Gripsholm. Gelesen von Hans Hildebrandt
William J. Blake, Maria Meinhardt. Gelesen von Regine Toelg
Ehm Welk, Mutafo. Gelesen von Gerry Wolf
M. Dambrowski, Pfarrer Filip
1957
Claude Tillier, Mein Onkel Benjamin. Gelesen von Rudolf Wessely
Charles de Coster, Die Geschichten von Ulenspiegel. Gelesen von Wolfgang Heinz
Thomas Mann, Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull. Gelesen von Herwart Grosse
Anna Seghers, Der Ausflug der toten Mädchen. Gelesen von Mathilde Danegger
Karl Mundstock, Bis auf den letzten Mann. Gelesen von Horst Naumann
Günter Weisenborn, Auf Sand gebaut. Gelesen von Kurt Oligmüller
Wanda Wasilewskaja, Einfach Liebe
1958
Ljudmil Stojanow, Die silberne Hochzeit des Obersten Matow
Herbert Jobst, Der Findling. Gelesen von Gerhard Murche
Michail Scholochow, Ein Menschenschicksal
Jorge Amado, Herren des Strandes. Gelesen von Egon Wander
Otto Gotsche, Zwischen Nacht und Morgen. Gelesen von Erich Franz
1959
Leonid Leonow, Professor Skutarewski. Gelesen von Anselm Alberty
Adolf Rudnicki, Goldene Fenster
Rudolf Braune, Junge Leute in der Stadt
G. Karaslawow, Stanka. Gelesen von Ingeborg Medschinski
Edith Bergner, Spiel mit Philine. Gelesen von Thankmar Herzig
Anna Seghers, Die Entscheidung. Gelesen von Inge Werzlau
Henry Fielding, Joseph Andrews Abenteuer. Gelesen von Herwart Grosse
Auch die in dieser Reihe gelesenen Romane spiegeln die generelle
Schwerpunktsetzung der Literaturauswahl in den fünfziger Jahren wieder:
Neben Literatur des 20. Jahrhunderts, aus der DDR und den
sozialistischen Ländern kamen einige Werke früherer Jahrhunderte „zu
Gehör“. Man strebte Abwechslung an und bezog auch unterhaltsame und
Abenteuerliteratur ein. In den Jahren ab 1957 ist die wieder stärkere
Orientierung auf »sozialistischen Realismus« erkennbar.
Der Lesung dieser Romane lag eine Kürzung und Bearbeitung zugrunde,
die - begründet mit notwendiger Straffung und Konzentration auf
wesentliche Handlungsstränge - auch einer näheren Betrachtung bedürfte.
Als Bertolt Brecht im Juni 1956 die Lesung von Gorkis Mutter mit seiner Frau Helene Weigel hörte, schrieb er an Gerhard Stübe:
Lassen Sie den Roman auf keinen Fall zusammensäbeln! Für die echten
Zuhörer, die sich ja während eines solchen Unternehmens erst sammeln,
ist 'je länger' unbedingt 'desto besser'! Im Radio - wie auf der Bühne
- ist nur das Langatmige lang. Und es ist wichtig, die Hörer, d. h. so
viele Hörer als möglich lange zusammenzuhalten bei einer solchen künstlerisch politischen Unternehmung.[89]
In den ersten Jahren dieser Reihe ließ man zum Abschluß des
jeweiligen Romans in einer gesonderten Sendung die Mitwirkenden zu
Gestaltungsfragen zu Wort kommen. Der Rundfunksprecher Hans
Hildebrandt, der 1955 Die Patrioten von Bodo Uhse gelesen
hatte, äußerte sich in der Sendung vom 19. Juli 1955 recht kritisch zu
diesem Roman. Für ihn waren die Hauptfiguren zu sehr »synthetisch
hergestellte Menschen«. Der Romanstil hätte allzu häufige
Wiederholungen des Ausdrucks und sprachliche Ungenauigkeiten enthalten:
»Sie sehen also, auch ich bin beim Nacherzählen ein Mensch, in dem
Freude und Leid vermengt sind. Zum Glück aber überwog die Freude an der
Arbeit.«[90]
Auch die eingegangenen Hörerbriefe wurden in diesen Sendungen verlesen und kommentiert. Zu dem Buch Patrioten, das den Widerstandskampf gegen das NS-Regime thematisiert hatte, waren weit weniger Zuschriften eingegangen als zu Falladas Kleiner Mann, was nun? .
Viele Hörer hätten sich in Pinneberg wiedererkannt, interpretierte man,
und wären aus diesem Grunde von dessen Schicksal besonders bewegt
worden. Bei den Patrioten dagegen handele es sich um Menschen,
die den Ausweg zeigen, eine zahlenmäßig geringe, disziplinierte und
moralisch starke Vorhut, die besten Söhne unseres Volkes, deren
Heldentum wir bewundern, deren Opfergang uns beschämt.[91]
So wurde in diesen Jahren Antifaschismus »verordnet«, wobei auch
das Eingeständnis der Verstrickungen der Masse der Bevölkerung in den
Nationalsozialismus nicht fehlte.
Die offiziellen Berichte über die Hörerresonanz auf dieses
Mammut-Sendeunternehmen, auch die in der Rundfunk-Programmzeitschrift
abgedruckten Hörerbriefe, sprechen von einer begeisterten Aufnahme beim
Publikum. Kultur-Komiteemitglied Wolfgang Rödel berichtete, daß sogar
Parteiversammlungen wegen der Lesung von Strittmatters Tinko hätten verlegt werden müssen und daß die Sendungen nachweislich das Ausleihverhalten in den Bibliotheken beeinflußt hätten.[92]
1956, als in der Nachfolge des XX. Parteitages der KPdSU das
Rundfunkprogramm wieder in die Kritik geraten war und massenweise
Hörerversammlungen in der ganzen Republik zur Erkundung der
Publikumsmeinung veranstaltet wurden, erschien in den Berichten über
solche Versammlungen auch ein realistischerer Blick auf den Roman in Fortsetzungen.
Es stellte sich heraus, daß die Reihe gar nicht so republikweit bekannt
war, wie angenommen wurde, daß die Abstände zwischen den einzelnen
Lesungen zu lang seien und daß das Konzept der Wiederbelebung der
Erzähltradition via Radio nicht überall auf Zustimmung stieß.[93]
Bei den Lesungen bevorzugte der Rundfunk die geschulten Stimmen von
Schauspielern und Rundfunksprechern, ganz in der überkommenen
Rundfunktradition. In diesem Jahrzehnt herrschte noch weitgehend die
sonore, hochsprachliche, stark artikulierende und
parteilich-pathetische Diktion vor: Der Rundfunk verstand sich als
Sprachbildner der Nation, Rundfunksprechen wurde als eigene Kunst
geradezu zelebriert. Bertolt Brecht, der dagegen eine natürliche
Sprechweise, auch als soziale Charakterisierung, durchsetzen wollte,
hatte deshalb bei seinen Sendungen immer wieder
Meinungsverschiedenheiten mit den Rundfunkverantwortlichen
auszufechten.[94]
In der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre legte man mit der
Lesereihe Verboten - noch nicht verbrannt im Deutschlandsender eine
Sendung auf, in der aus Büchern gelesen wurde, die in der
Bundesrepublik, zum Beispiel in Bayern, als staatsgefährdend verboten
waren. Vor jeder Sendung wurde der entsprechende Brief des bayrischen
Staatsministers, der sogenannte Leuckartsche Index, verlesen. Er betraf
unter anderem die im Deutschlandsender vorgestellten Bücher von Ludwig
Renn Der spanische Krieg, F. C. Weiskopfs Himmelsfahrtskommando, Herbert Ottos Die Lüge oder Erich Weinerts Camaradas - überwiegend Literaturwerke, die den spanischen Bürgerkrieg und die NS-Zeit thematisierten.
Gesonderte Lesereihen waren der heiteren Literatur und der Satire
gewidmet, besonders in der Mitte der fünfziger Jahre, als Satire und
Kabarett generell, auch im Rundfunk, eine gewisse Blüte erlebten. Die heitere Kurzgeschichte, Humoresken der Weltliteratur, Meister des Humors oder Die Anekdote waren Titel solcher Sendereihen. Zwischen 1953 und 1956 hatte man mit Kurz und gut
eine 15minütige, ausgesprochene Satire-Reihe im Programm, in der neben
Übernahmen aus der Presse auch original für den Funk geschriebenen
Texte gesendet wurden. Offizielle Wirkungsabsicht war, »den Gegner zu
entlarven« und »Mängel bei uns mit den Mitteln des Humors überwinden zu
helfen«.[95] 1954 konnte man zum Beispiel folgende Satiren hören:
Autor / Titel Inhalt
Regina Hastedt, Das Haar in der Suppe:
Über bürokratische Vorgesetzte in der DDR
Milos Hlavka, Ein König:
Reiseabenteuer eines Berliners heute
W.W. Aschenbach, Mit tellergroßer Lupe:
Kriminalromane westlicher Prägung
Felix Mantel, Märchen v.d. satir.Muttersprache:
Funktionärsdeutsch in der DDR
Günter Kunert, Otto kauft ein:
Mängel der DDR-Verkaufskultur
W. Brudzinski, Väter und Söhne:
menschliche Erziehungsschwächen allgemein
J. Dietl, Das Märchen vom Hans:
Bürokratie u. Korruption i. öffentl. Dienst (tschech. Satire)
J.Marek, Der Standpunkt d. Kritikers:
Opportunismus eines Literaturkritikers (tschech. Satire)
Achim Zell, Auf tönernen Füßen:
Überheblichkeit westdeutscher Politiker
Achim Zell, Wer will unter die Soldaten?:
Bonner Wehrpflicht
Achim Zell, Der Patenschaftsvertrag:
Plakative Erfüllung von Patenschaftsverträgen in der DDR
Karl Stitzer, Die wohlanständige Gesellschaft:
Westberliner Justiz
O. Dahlmann, Das Horoskop d. Woche:
westdeutscher Horoskop-Schwindel
G. Spranger, Mit fremden Federn:
Berichterstattungswesen in der DDR
A. Zell, Die Diskussionsverordnung:
Vortäuschung von Meinungsstreit in der DDR
L. Gaßner, Warum hat die Brigade...:
Bürokratie in DDR-Betrieben
V. Kana, Bürgermeister Horalek:
Kapitalistisches Demokratietheater bei Wahlen (tschech. Satire)
W.K. Schweickert, Ich gewann ...:
Verhalten bei Lottogewinn
Günter Kunert, Von Wölfen und Schafen:
Karrieristische Schriftsteller/opportunistische Funktionäre in der DDR
Günter Kunert, Achtung, hier spricht der Boß!:
Unwirksamkeit von Westagenten in der DDR
Karl Stitzer, Kunkel und die Banausen:
Zeitgedichte auf die Bürokratie
Knud Knudsen, Das Donnerstagskonzert:
handwerkliche Fähigkeiten von Männern
Achim Zell, Der historische Augenblick:
Phrasendrescherei bei der FDJ
D. Tkatsch, Der Herr Papa:
Eltern als Erzieher
In diesem vom Neuen Kurs geprägten Jahr überwogen - neben der
beliebten satirischen Beschreibung allgemein menschlicher Schwächen -
offensichtlich »die Mängel bei uns« die »Entlarvung des Gegners«. 1955
schrieb die Literaturabteilung für diese Reihe einen Wettbewerb aus,
Satiriker seien dringend gesucht, die Sendereihe solle so treffend und
wirksam wie möglich gestaltet werden:
"Ein Satiriker muß den Blick für das Wesentliche haben, er muß
zupacken und gestalten können. Er darf übertreiben, wenn er damit die
Wirkung verstärkt, er ist ein Karikaturist der Feder ... Innere
Anteilnahme setzt die Satire voraus, der Satiriker, den wir suchen,
bejaht die Neuordnung unseres Lebens. Es ist ihm ernst darum, die
Menschen und die Verhältnisse zu bessern, deshalb erhellt er mit dem
Schlaglicht seines Witzes und Spottes die Stellen, die faul und morsch
sind. Selbst aus dem verstecktesten Winkel stöbert er diejenigen auf,
die unsere Entwicklung hemmen und unserer Ordnung schaden. Weithin
vernehmbar warnt er vor den Gefahren, die uns drohen."[96]
Die Ausschreibung war erfolgreich und »auf den
Redaktionsschreibtischen landeten Hunderte von Manuskripten«, von denen
viele gesendet wurden.[97] Dennoch hielt sich auch diese Sendereihe in
dieser Form nicht lange.
Auch im Gefolge des Neuen Kurses, als man das Programm mit
Unterhaltung aufzulockern bemüht war, war von 1954 bis 1956 ein
Literaturprogrammtyp im Angebot, der eine relativ freie
feuilletonistische Gestaltung erlaubte, bei dem man mit Satiren,
Glossen, szenischer Umsetzung und Musik arbeitete: Die Stunde vor Mitternacht.
Im Plauderton wurde die Sendung moderiert, von den Autoren selbst und
auch von Schauspielern. Die Sendereihe, die einen sehr unregelmäßigen
Senderhythmus hatte, war bei Autoren und Redakteuren sehr beliebt. Als
ihre Einstellung für 1957 beschlossen wurde, schrieb Autor und
Regisseur Joachim Witte in einem Protestbrief an das Komitee:
"Diese von vielen begehrte Reihe war die einzige
Einstundensendung, die eine künstlerisch freie Gestaltung zuließ. Durch
den Wegfall werden wir in Zukunft wieder nur die starre Form der bloßen
Lesung haben!"[98]
Der Protest verhallte unbeachtet.
Gestaltungsexperimente hätten eigentlich auch die oft halb- oder
ganzstündigen sogenannten Erbesendungen geboten. Diese Reihen, zum
Beispiel Leben und Werk, Unvergängliches Erbe oder Blätter der Erinnerung
wurden zwar auch mit Hörszenen oder zum Teil essayistisch vermittelt,
hatten in erster Linie aber Vortragscharakter. Autoren waren
Literaturwissenschaftler oder auch die Literaturredakteure selbst, die
hier die Gelegenheit wahrnahmen, ihr erworbenes Wissen umfangreich
abzuarbeiten. In getragener Diktion, von Bedeutungsschwere durchtränkt,
wurde in diesen Reihen Bildung pur verbreitet - und damit
Volkshochschul- oder Schulfunkatmosphäre, ganz in Übereinstimmung mit
dem gängigen Erbe- und Nationalliteraturkonzept. Solche Themen von 1954
wie »Hans Sachs und die deutsche Klassik«, »Der Hessische Landbote von
Georg Büchner«, »Georg Forster und die deutsche Nation« unterstützten
den Bildungs- und gesamtdeutschen Sendeauftrag.
Ein Dauerbrenner bei den Hörern waren die sogenannten
Mottosendungen, die eine Kombination von Literaturlesung oder
-rezitation und musikalischer Gestaltung anboten, besonders wenn sie am
Sonntagvormittag ausgestrahlt wurden. Schon im Mai 1945 war mit Besinnung und Einkehr
eine solche Reihe ins Programm des SBZ-Rundfunks gekommen, die - von
getragener Lyrikrezitation und klassischer Musik beherrscht - für Jahre
die Richtung für diesen Sendetyp vorgab.[99] Apostrophiert als
»repräsentative Feiertagssendungen«, die »Lebensmut, Sinnenfreude,
Zuversicht und echte Heiterkeit« vermitteln sollten, schufen diese
Sendungen offensichtlich so etwas wie Gottesdienstersatz am
Sonntagvormittag.[100] Man war jahrelang von der »recht glücklichen
Mischung von Lyrik, Prosa und Musik« überzeugt, »die dem Hörer das
geben wollte, was ihm gerade heute den Verlust von Bibliotheken und
Büchern etwas entschädigen soll. Dabei haben wir uns weder an das Schatzkästlein
der Nazizeit angelehnt, noch etwa verstaubte Literatur vermittelt und
gerade diese Sendung hat ... ein wirklich großes Echo in der
Allgemeinheit, der Hörerschaft gefunden. « [101]
In den fünfziger Jahren liefen solche Sendungen unter dem Titel Musik und Dichtung, ab 1955 gab es zusätzlich in der gleichen Sendeform und zur gleichen Sendezeit Das Schatzkästlein
auf dem Deutschlandsender, das nun auch in seinem Titel auf die Sendung
gleichen Namens im NS-Rundfunk zurückgriff und in seiner hausbackenen
Anlage offenbar auch entsprechend konservative Hörerschichten in der
Bundesrepublik ansprechen sollte. Dort allerdings wurden die Hörer
bereits von mehreren ARD-Hörfunksendern auch mit Schatzkästlein-Sendungen
zur gleichen Sendezeit versorgt: Deutsch-deutsche Gemeinsamkeiten bei
der Weiterführung von NS-Rundfunktraditionen und von kleinbürgerlicher
Sonntags-Literaturtümelei im Interesse überkommener Hörgewohnheiten.
Im DDR-Rundfunk schwebte das Erbe als Brücke zwischen den beiden
Teilen Deutschlands über dieser Sendeform, die »Schätze hebt, mit denen
die Dichter und Komponisten aller Zeiten und Zonen ihre Mitmenschen
beglückt und bereichert haben.«[102] Man bezeichnete die
Literaturauswahl als »locker, allgemeinverständlich, schlicht und
sorgfältig« und griff thematisch anfangs eher Zeitloses auf, später
ging man jedoch auch zu Zusammenstellungen mit direkt politischen
Themen über. Mit dieser Sendeform und deren weihevoller, sakraler
sprachlicher Diktion traf man offensichtlich die zeitgenössischen
Hörerwartungen am besten. Viele Hörer bestätigten den Machern »gute
Literaturauswahl«, »passende Wort- und Musikzusammenstellung«, den
»Einsatz von Spitzenkräften des Schauspiels«, die gewünschte
»behagliche Feiertagsatmosphäre« oder »eine angenehme sonntägliche
Abwechslung, die zum Nachdenken Anlaß gibt«.[103] In diesen Jahren war
Das Schatzkästlein die Literatursendung, die die meiste zustimmende
Hörerpost erhielt.[104] Auch wenn mitunter Kritik laut wurde (Wolfgang
Langhoff sprach 1953 von einem »absoluten Niveauabstieg«, eine Hörerin
kritisierte 1955 das »müde, verlogene Pathos, das der Situation an
frischen Gräbern entspricht«[105]), diese Sendeform war bis weit in die
sechziger Jahre im Programm.[106]
Inhaltlich und gestalterisch schwankten diese Sendungen zwischen
Bildungsüberfrachtung, Trivialität und hehrem literarischem Anspruch,
hinzu kam auch hier die zunehmende vordergründige Ideologisierung.
Letztlich führte man damit deutsche kleinbürgerliche
Sonntagsbetulichkeit weiter, das »Museum«, wie Heiner Müller das
dahinter stehende kulturpolitische Konzept der Wiederbelebung
konservativer bürgerlicher Werte bezeichnet hat. Hier offenbart sich
die generelle kultur- und literaturpolitische Akzentsetzung jener
Jahre, die in den Literaturredaktionen des Rundfunks wenig Überlegungen
über neue, andere und funkspezifische Vermittlungsformen zuließ, obwohl
man in der DDR ja in jeder Beziehung Alternative zu Bisherigem hatte
sein wollen. Auch hier waren es Künstler, die den Mangel an
künstlerisch-methodischer Reflexion innerhalb der Funkarbeit
aussprachen. Bertolt Brecht hatte noch einige Monate vor seinem Tod
Gerhard Stübe gegenüber erklärt, in der Akademie der Künste die
Einrichtung einer Radioklasse anregen zu wollen:
»In ihr sollten Autoren, Dramaturgen und Regisseure, assistiert
von wissenschaftlichen Mitarbeitern, praktische Rundfunkerfahrungen
gemeinschaftlich systematisieren. Werde doch ... auf diesem Gebiet
immer noch nach dem Faustregelprinzip gearbeitet. Wo können sich
festangestellte und freiberufliche Rundfunk- und Fernsehmitarbeiter
fachlichen Rat holen? Wie sollen sie sich über die internationalen
Entwicklungen auf dem laufenden halten? Welche Maßstäbe soll die noch
in den Kinderschuhen steckende sozialistische Hörspielkritik anlegen,
wenn es ihr an wissenschaftlichen Grundlagen mangelt?« [107]
In den fünfziger Jahren überdeckte das tagespolitisch festgelegte
Sendegeschäft solche Fragen und ebnete neue Versuche und Ansätze ein.
Ob es davon tatsächlich so wenig gegeben hat, ob individuelle
Handschriften und Experimente so selten vorkamen, wie es den Anschein
hat, bedürfte einer weiteren Aufklärung.
Sendeumfang und Sendeplätze
Es gibt heute wohl keine deutsche Rundfunkstation, die so viele
[künstlerische] Wortsendungen hat wie wir. Nehmen wir alle Gattungen
unseres Monatsprogramms auf den drei Sendern zusammen, so kommen wir
auf über hundert.[108]... Diese imponierende Zahl unterstreicht
eindeutig die große Bedeutung, die der Literatur im Kampf unseres
Volkes um Frieden, Einheit und Demokratie von den verantwortlichen
Stellen unseres Staates beigemessen wird.[109]
Diese stolze Bilanz von 1952 und 1953 weist auf einen opulenten
Umfang des Literaturangebotes hin, bei dem allerdings auch die von
anderen Abteilungen verantworteten Sendungen wie Hörspiele,
kulturpolitische Magazine und Theater- und Filmsendungen einbezogen
wurden. Denn Anfang des Jahrzehnts gab es für die in der
Literaturabteilung produzierten Sendungen auf den drei Programmen gut
zehn Sendetermine pro Woche mit zirka fünf Stunden Sendezeit.[110] Für
die erste Hälfte der fünfziger Jahre ist des weiteren zu
berücksichtigen, daß die zentrale Literaturabteilung zwischen 1952 und
1955 für alle drei Programme zulieferte, was bedeutete, daß fast jede
Sendung unverändert auf jedem Programm lief, so daß das eigentliche
Angebot sich erheblich reduzierte.
Am Ende der fünfziger Jahre war man bei gut 20 wöchentlichen
Sendeterminen mit zirka neun Sendestunden auf fünf Programmen
angekommen, eine erhebliche Steigerung also, zumal nun drei
Literaturredaktionen unterschiedliche Sendungen für diese Programme
herstellten. Allerdings war man in dieser Zeit mehr und mehr vom
zunächst üblichen wöchentlichen Senderhythmus abgekommen, was die
Hörerbindung verringerte.
Die Sendedauer der einzelnen Literatursendungen weist über das
ganze Jahrzehnt hinweg einen relativ ausgeglichenen Anteil von
Kurzangeboten zwischen fünf und 15 Minuten (vor allem für die mehr
informierenden Genres wie Büchervorschauen, Rezensionen, Berichte,
Kommentare, aber auch Lesungen) und Sendungen bis zu einer Stunde auf.
Letztere, zum Teil aufwendig produziert, wurden zum Ende der fünfziger
Jahre mehr und mehr reduziert.
Entgegen anderen Aussagen[111] wurden aber die besten Sendezeiten
mitnichten den Literatursendungen zur Verfügung gestellt: Die in diesem
weitgehend noch fernsehlosen Jahrzehnt wichtigen Hauptsendezeiten am
Morgen und Abend der Werktage waren anderen Programmsparten
vorbehalten. Nur die - nicht von der Literaturabteilung produzierten -
Hörspiele waren zur besten Sendezeit am Abend im Angebot.
Die meisten Literatursendungen konnte man dagegen am
Werktagnachmittag hören, dem klassischen Sendeplatz für Literatur seit
der Frühzeit des Rundfunks.[112] Einige Sendungen liefen im
Spätabendprogramm (ab 22.00 Uhr) der Werktage. Immerhin erhielt das
Prestige-Unternehmen, die Lesereihe Roman in Fortsetzungen,
einen Sendeplatz im Abendprogramm. Und am Wochenende war die Literatur
zu einer ausgesprochenen Hauptsendezeit präsent, am Sonntagvormittag.
Ohne Erfolg versuchten die Literaturredaktionen mehr als einmal,
nahezu bei jeder Programmreform, an der festgeschriebenen
Sendeplatz-Zuweisung zu rütteln. Regelmäßig forderten sie auch die
Hörer dazu auf, ihre Meinungen zu Sendezeiten und Sendeplätzen
kundzutun, die dann in den Sendungen verlesen oder als Argument
gegenüber der Rundfunkleitung benutzt wurden.
»Nur das Fehlen einiger Wortsendungen im Abendprogramm wird von
vielen Hörern bemängelt, ein Umstand, der in Zukunft berücksichtigt
werden müßte, weil der werktätige Mensch, der heute mehr als je
aufgeschlossen ist für Fragen der Literatur und des Buches, gerade in
den Abendstunden an der Entwicklung des literarischen Geschehens, wie
es der Rundfunk vermittelt, teilnehmen möchte.« [113]
Der »werktätige Mensch«, dessen geistige und literarische
Interessen hier in einer Beschreibung aus dem Jahre 1952 den gängigen
Wunschvorstellungen folgen, konnte normalerweise in der Woche nach
22.00 Uhr keine Literatursendungen mehr wahrnehmen, auch wenn er
gewollt hätte: Der reguläre Arbeitsbeginn lag damals in der DDR
zwischen 6.00 und 8.00 Uhr. »Die Sendezeiten liegen mit einigen Ausnahmen zwischen 14.00 und
16.20 Uhr. Welcher werktätige Hörer ist dann zu Hause? Eine rhetorische
Frage, die sich von selbst beantwortet, nicht wahr? Aber sie werden
verstehen, daß über die Festlegung der Sendezeiten die
Literaturabteilung nicht allein zu befinden hat,« [114] schrieb Gerhard Stübe leicht resigniert, aber die sich auf die
Sendezeiten auswirkenden Machtverhältnisse zwischen den einzelnen
Programmsparten durchaus real schildernd, seinen Hörern 1953 in der
Programmzeitschrift.
Obwohl es in diesen Jahren innerhalb des Werktagnachmittags mehrere
Sendetermin-Änderungen zu früheren oder späteren Anfangszeiten hin
gegeben hat, wurde er als Literatur-Domäne des Rundfunkprogramms nicht
verlassen. Wer konnte also die vielen Literatursendungen tatsächlich
hören? Nicht-Werktätige, höchstens noch Schichtarbeiter, Frauen (die
Frauen-Berufstätigkeit war in den fünfziger Jahren noch nicht so hoch
wie in den späteren Jahrzehnten), Rentner, Kinder und Jugendliche. Am
Sonntagvormittag erreichte sie alle, Werktätige und Nicht-Werktätige,
dann ein Literaturangebot, das, wie bereits beschrieben, einen breiten
konservativen Massengeschmack bediente. Ohnehin an Literatur
Interessierte, Künstler und Schriftsteller, mögen dagegen auch die
Sendetermine am späten Werktagabend wahrgenommen haben. Auch hier
offenbaren sich auffallende Ähnlichkeiten mit den Literatur-Sendezeiten
in den Rundfunkstationen der Bundesrepublik.
Die hochgespannnten literarischen Bildungs- und Erziehungsabsichten
des DDR-Rundfunks den Werktätigen gegenüber wurden zwar mit einer
Vielzahl von Sendungen, nicht jedoch durch die Realität der Sendeplätze
eingelöst, eine Tatsache, die die politischen Programmverantwortlichen
in ihren vielen Berichten, Bilanzen und Erklärungen nie thematisiert
haben, gleichzeitig ein Ausdruck für den der Literaturvermittlung
zugemessenen Stellenwert als Beiwerk zur Unterstützung der politischen
Botschaften.
In diesem vorgegebenen Rahmen von politisch-journalistischen
Prämissen, kulturpolitischen Direktiven und staatlichem
Repräsentationsanspruch bewegte sich die Literaturvermittlung in den
fünfziger Jahren. Vordergründige Ideologisierung und Pädagogisierung
wurden begleitet von unkritischen Rückgriffen auf überkommene
Vermittlungsformen und Propagandamethoden. Dennoch gab es Um- und
Aufbrüche, auch die Literatursendungen konnten eine gewisse
Eigendynamik entwickeln. Ebenso wie die Gesamtgesellschaft blieb aber
auch dieses mediale Segment in dem widersprüchlichen Spannungsfeld
zwischen den propagierten alternativen Zielen und ihrer Umsetzung mit
konservativen Mitteln stecken.
Das staatliche Angebot an die Geistesschaffenden, Kultur und
Literatur zur Sache des ganzen Volkes zu machen und an den
gesellschaftlichen Entwicklungen mitzuwirken, wurde dennoch
weitestgehend aufgegriffen. Auch am Ende dieses an widersprüchlichen
Ereignissen und Trends reichen Jahrzehnts waren viele bereit, den
eingeschlagenen Weg weiterzugehen. So resümierte Christa Wolf das Ende
der fünfziger Jahre:
Wir sahen uns auch nicht etwa einer Front gegenüber, die gegen
uns stand: Immer gab es Differenzierungen, auch in der Kritik, wenn
auch manchmal sehr spät. Wir sahen verschiedene Strömungen in der
Gesellschaft. Wir hatten das Gefühl, die Realität bewege sich auf die
Dauer in die gleiche Richtung wie wir, und wir könnten, zusammen mit
den Leuten aus der Wirtschaft, aus der Wissenschaft, dieser
progressiven Richtung zum Durchbruch verhelfen. Vergiß nicht, daß viele
von uns, dem vielgeschmähten Bitterfelder Weg folgend, in Betrieben
waren, Freundschaften mit Leuten aus Brigaden, mit
Wirtschaftsfunktionären schlossen, Einblick bekamen in ökonomische
Prozesse und Widersprüche. Das war alles sehr anstrengend, aber auch
hoch interessant, und wir waren immer noch jung, zwischen dreißig und
fünfunddreißig. Und es gab für uns keine Alternative. Sollten wir das
Westdeutschland Adenauers und Globkes oder Erhards als möglichen
Lebensort in Betracht ziehen? Diese Land hier war - großmäulig
gesprochen - unser Kampffeld, hier wollten wir es wissen, hier sollte
es passieren, und zwar noch zu unseren Lebzeiten. [115]
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-,-: Die Literaturabteilung hat das Schlußwort. In: Der Rundfunk, 1953, H. 38.
-,-: Darüber freuen wir uns. Die Literaturredaktion antwortet auf Hörerbriefe. In: Unser Rundfunk, 1955, H. 11.
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Thomas Mann schrieb unserer Redaktion. In: Unser Rundfunk, 1954, H. 37.
Und abends Kostproben der Literatur. Der demokratische Rundfunk öffnet sich dem Schrifttum. In: Neue Zeit vom 27.11.1952.
Unvergängliche Dichtung. In: Unser Rundfunk, 1958, H. 43.
Unvergängliche Dichtung. In: Funk und Fernsehen, 1960, H. 21.
...und was sagt der Hörer? Literatursendungen viel begehrt. In: Der Rundfunk, 1953, H. 24.
Von A bis Z ja! – aber anders. In: Unser Rundfunk, 1955, H. 39.
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Programmgeschichte des Hörfunks in der Weimarer Republik. Hrsg. von
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Wo bleiben gute Agit-Prop-Sendungen? In: Unser Rundfunk, 1958, H. 39.
Wolf, Gerhard: Sieg der Dilettanten? In: Neue deutsche Literatur, 1955, H. 12.
Zahlbaum, Willi: Für ein besseres Programm. In: Der Rundfunk, 1953, H. 30.
Zilles, Hermann: Wir wünschen guten Empfang! Das Winterprogramm des
Berliner Rundfunks und des Deutschlandsenders. In: Der Rundfunk, 1950,
H. 46.
Anmerkungen
1 Vgl. Grimmer: Die spezifischen Aufgaben der Redaktion
Kulturpolitik des Deutschlandsenders ...; Weniger: Literaturkritische
und -propagandistische Sendungen im Deutschlandsender; Flessau:
Zielrichtung und Methoden der ideologischen Beeinflussung der Hörer in
kulturpolitischen Sendungen ...; Radke: Zur Rolle des Deutschen
Demokratischen Rundfunks in der ersten Etappe der sozialistischen
Kulturrevolution in der DDR. 2 Redaktionsleiter Gerhard Stübe zum Beispiel, Jahrgang 1921, war
nach dem Krieg Pressereferent eines Bürgermeisters gewesen und nun mit
gerade 30 Jahren für das gesamte Literaturprogramm verantwortlich.
3 Vgl. hierzu ausführlich Dussel: Die Sowjetisierung des DDR-Rundfunks in den fünfziger Jahren, S. 992-1018.
4 Vgl. Beschlußprotokoll 4/1956 der Kollegiumssitzung am 20.1.1956,
S. 2, Deutsches Rundfunkarchiv (DRA) Berlin, Historisches Archiv,
Hörfunkbestand (HA HF).
5 Vgl. hierzu ausführlich Emmerich: Literatur des sozialistischen Aufbaus (1949-1961), S. 113-173.
6 Rede Hermann Axens auf der Rundfunktagung zum fünfjährigen
Bestehen des deutschen demokratischen Rundfunks am 11.5.1950, S. 36-37,
DRA Berlin, HA HF, F201-00-00/0001.
7 Rede Maximilian Scheers auf der Rundfunktagung zum fünfjährigen
Bestehen des deutschen demokratischen Rundfunk am 11.5.1950, S. 152,
DRA Berlin, HA HF, F201-00-00/0001.
8 Zilles: Wir wünschen guten Empfang!
9 Girnus: Der demokratische Rundfunk im Kampf für eine realistische deutsche Kunst, S. 44.
10 Diskussionsbeitrag Günther Cwojdraks auf der Kulturtagung des
demokratischen Rundfunks am 13.4.1951, S. 115, DRA Berlin, HA HF,
F210-00-00/0001.
11 Und abends Kostproben der Literatur.
12 Stübe: Die Literaturabteilung stellt sich vor; Ferner Stübe: Die Literaturabteilung hat das Schlußwort.
13 Vgl. u.a. Zahlbaum: Für ein besseres Programm; Heiss: Ergebnis ernsthafter Prüfung: Ein neues Programm.
14 Beschlußvorlage 27/1955, S. 1-2, Bundesarchiv Berlin (BArch), Bestand DR 6/4.
15 Beschlußvorlage 27/1955, S. 2-3, BArch, Bestand DR 6/4.
16 Wolf: Sieg der Dilettanten?
17 Beschlußvorlage 7/1956, S. 4, BArch, Bestand DR 6/4.
18 Besser mitgedacht als vorgedacht. Zu Hörermeinungen über Die japanischen Fischer.
19 Der für den 28. November 1956 - einen Tag vor der Verhaftung von
Wolfgang Harich - vorgesehene und bereits produzierte Vortrag war ohne
Vorankündigung aus dem Programm genommene worden, was eine Reihe von
empörten Nachfragen, u.a. aus der Akademie der Künste, nach sich zog.
Er wurde am 2. Dezember 1956 in der kulturpolitischen Wochenzeitschrift
Sonntag veröffentlicht. Edition in: Mayer: Zur deutschen Literatur der Zeit. Im DRA Berlin ist das Tondokument nicht überliefert.
20 Kommentar von Wolfgang Rödel vom 5.12. 1956, DRA Berlin, HA HF, DS 1956.
21 Komiteevorlage vom 20.5.1957, S. 8, BArch, Bestand DR 6/529.
22 Bericht an den Ministerrat über die kulturpolitische Arbeit des
Rundfunks und des Fernsehens, 1958, S. 8, BArch, Bestand DR 6/529. 23 Brief des Komiteevorsitzenden Hermann Ley vom 23.7.1957 an den
Schriftsteller Kuba, BArch, Bestand DR 6/349. Kuba hatte auf dem kurz
zuvor stattgefundenen 32. Plenum des SED-Zentralkomitees den
DDR-Rundfunk kritisiert. 24 Wolfgang Rödel: Kommentar zum 32. Plenum. Erläuterung der
kulturpolitischen Aufgabe des demokratischen Rundfunks, 4.8.1957, S. 3,
DRA Berlin, HA HF, DDR 1957/632; Ferner: Rödel: Unser Rundfunk und die
zeitgenössische Literatur; Ley: Kultur in Funk und Fernsehen.
25 Bericht zur Arbeit des Senders Radio DDR und seiner Redaktionen, 1957, S. 9, BArch, Bestand DR 6/529.
26 Beschlußvorlage vom 20.5.1957, S. 8, BArch, Bestand DR 6/529.
27 Beschlußprotokoll 30/1957 vom 20.8.1957, BArch, Bestand DR
6/529; Vgl. auch: Düwel: 'Dressierte Flöhe' in der Literatur. Wie Maxim
Gorki die bürgerliche Dekadenz bekämpfte.
28 Engelhardt: Betrachtung beim Lesen von Hörerpost; Ferner
Hartert: Arbeiterdichter mehr zu Wort kommen lassen!; Wo bleiben gute
Agit-Prop-Sendungen? 29 Komitee-Beschlußprotokoll 12/1960 vom 29.3.1960, BArch, Bestand DR 6/355.
30 C. (Cwojdrak): Wir lesen im Betrieb.
31 Becher: Auf andre Art so große Hoffnung, S. 620.
32 Rede Hermann Axens auf der Rundfunktagung am 11.5.1950, S. 36-37, DRA Berlin, HA HF, F201-00-00-/0001.
33 Koplowitz: Über Sinn und Form des Betriebsabends; Ferner: Kritik
und Selbstkritik im Betriebsabend; Mildner: Worauf es ankommt.
34 Rede Alfred Duchrows auf der Rundfunktagung am 11.5.1950, S. 103, DRA Berlin, HA HF, F201-00-00/0001.
35 Vgl. z. B. ...und was sagt der Hörer?; Literaturfreunde haben
das Wort; Originalzuschriften von Hörern an die Literaturredaktionen
aus den fünfziger Jahren sind im DRA Berlin nicht überliefert. Die in
der Programmzeitschrift abgedruckten Briefe können nicht als
repräsentativ gelten.
36 Sendemanuskript im DRA Berlin, HA HF, DS 1954.
37 Freigabeschein, Ansage und Sendemanuskript, DRA Berlin, HA HF, Berlin I 1954/8.
38 Stübe: Darüber freuen wir uns.
39 Vgl. Schneider: Alltägliches?
40 Die Aussprache.
41 Vgl. z.B. Niemann: Unsere Schriftsteller lesen; Ein lieber Gast.
Anna Seghers im Röhrenwerk Neuhaus; Fiebiger: Literarischer Treffpunkt;
Ich schreibe.
42 Vgl. z.B. Von A bis Z ja! –aber anders.
43 Sendemanuskript der Sendung Literarische Umschau vom 22.3.1955, DRA Berlin, HA HF, DS 1955/120.
44 Vgl. Sauter: Unter der Leselampe.
45 Jäckel: Wer schreibt den Schluß?
46 Aktenband Konferenzen, S. 92, BArch, Bestand DR 6/73.
47 Literatur und Rundfunk.
48 Literatursendungen des Deutschlandsenders und des Berliner Rundfunks.
49 Stübe: Die Literaturabteilung stellt sich vor.
50 Beschlußvorlage vom 28.7.1955, BArch, Bestand DR 6/3.
51 Die Auswahl der Jahre ist beispielhaft vorgenommen worden, um
schrittweise Entwicklungen deutlich zu machen. Für die Jahre 1950, 1954
und 1959 betrifft das Autoren, denen Einzelsendungen gewidmet waren,
für 1957 auch Sendungen mit mehreren Autoren, vor allem Lyriksendungen.
Vgl. die Gesamtaufstellung der Autoren für diese Jahre in der Anlage 1.
52 Beschlußvorlage vom 28.7.1955, BArch, Bestand DR 6/3.
53 Freigabeschein, Ansage und Sendemanuskript vom 3.11.1955, DRA
Berlin, HA HF, DS 1955/835. Die Ansage für die Lesung eines
Ausschnittes aus einem anderen Werk von Heinrich Böll am 14.6.1956
faßte sich noch kürzer: »In unserer Sendereihe ... lesen wir Ihnen
heute Ausschnitte aus der Erzählung Das Brot der frühen Jahre
von Heinrich Böll«. Dem von Christa Wolf ausgewählten Ausschnitt war
folgender, den Hörern nicht mitgeteilter Argu-Text vorangestellt:
»Heinrich Böll erzählt die Geschichte eines jungen Menschen, der durch
die Not der Nachkriegsjahre gegangen ist: Das Unbehagen gegenüber der
geistigen und materiellen Existenz«. Freigabeschein, Ansage und
Sendemanuskript, DRA Berlin, HA HF, DS 1956/888. 54 Vgl. Lokatis, Der Verlag Kultur und Fortschritt als Filter für sowjetische Literatur, S. 118-121.
55 Sendemanuskript, DRA Berlin, HA HF, DDR 1957/354.
56 Angaben in Prozent, bezogen auf das jeweilige Jahr. Die
Fehlbeträge bis 100 Prozent beziehen sich auf Autoren aus anderen
Ländern. Grundlage der Berechnung für die Jahre 1950, 1954 und 1959
sind die Ausdrucke in der Programmzeitschrift, für 1957 eine Auflistung
des DDR-Rundfunks, den Zeitraum Mai bis Oktober des Jahres betreffend,
vgl. Beschlußvorlage 80/1957, DRA Berlin, HA HF. 57 Vgl. Beschlußvorlage 80/1957, DRA Berlin, HA HF, und Beschlußvorlage vom 28.7.1995, BArch, Bestand DR 6/3.
58 Angaben in Prozent, bezogen auf den jeweiligen Sender.
59 Beschlußvorlage vom 28.7.1955, BArch, Bestand DR 6/3.
60 Vgl. Beschlußvorlage 80/1957, DRA Berlin, HA HF.
61 Bericht an den Ministerrat über die kulturpolitische Arbeit des
Rundfunks und des Fernsehens, 1958, S. 7, BArch, Bestand DR 6/529.
62 Vgl. hierzu Barck: Öffentlichkeits-Defizite: Tabuisierungen, S. 418-431.
63 Vgl. Zusammenstellung der Sendetitel solcher Sendungen für die Jahre 1950, 1954 und 1959 in der Anlage 2.
64 Freigabeschein, Ansage und Sendemanuskript vom 4.4.1954, DRA Berlin, HA HF, B095-00-05/0001, TSig. 0022.
65 Literarische Umschau.
66 Protokoll der Rundfunktagung am 11.5.1950, S. 211-212, DRA Berlin, HA HF, F 201-00-00/0001.
67 Stübe: Junge Autoren im Funk. Vgl. auch Stübe: Junge Autoren kommen zu Wort.
68 Vgl. Scheer: Stiefkind Rundfunkkritik.
69 Püschel: Das neue Gedicht.
70 Eine solche Lektorierung der Texte ist jedoch schwer
nachweisbar, da im DRA Berlin nur die zur Sendung angefertigten
Manuskripte überliefert sind. Der Redaktionsschriftwechsel mit
Schriftstellern aus den fünfziger Jahren ist nicht vorhanden.
Entsprechende Schriftsteller-Nachlässe konnten nicht durchgesehen
werden.
71 Johanna Rudolph: Zur Lesung Thomas Manns. Unser Literaturkommentar
vom 28.6.1954, DRA Berlin, HA HF, Berlin I 1954; Ferner: Thomas Mann
liest: Felix Krulls Musterung; Drescher: Thomas Mann sprach zu uns -
wir danken dem Demokratischen Rundfunk!; Thomas Mann schrieb unserer
Redaktion; Heydeck: Thomas Mann am Mikrofon.
72 Brief im Privatbesitz vom Gerhard Stübe, der Verf. mit frdl. Genehmigung zur Veröffentlichung zur Verfügung gestellt.
73 Sendemanuskript Unser Literaturkommentar, DRA Berlin,
HA HF, Berlin I 1954. Dieses Treffen auf der Wartburg war von
prominenten westdeutschen Schriftstellern aus Furcht vor politischer
Vereinnahmung boykottiert worden. Auch der regelmäßige Kontakt, den die
Literaturredakteure des DDR-Rundfunks zu einigen von ihnen
unterhielten, mußte auf deren Wunsch hin zum Teil konspirativ gestaltet
werden. Der Literaturkommentar, der einige Jahre im Programm
war und überwiegend von Rundfunkmitarbeitern stammte, ging politisch
ganz direkt zur Sache. Er hatte vor allem die »entlarvende
Auseinandersetzung mit der antihumanistischen Literatur
Westdeutschlands« zu führen (Beschlußvorlage vom 28.7.1955, BArch,
Bestand DR 6/3). Die Flut von Kriegsmemoiren, Landser- und
Trivialliteratur, das Einfuhrverbot von DDR-Literatur und die
Abschottung gegenüber DDR-Schriftstellern in der Bundesrepublik boten
hierfür auch reichlich Kommentaranlässe.
74 Transkripte solcher Gespräche sind nicht überliefert, nur einige ausgewählte Tonbeispiele.
75 Beide Gespräche sind im DRA Berlin als Tondokument überliefert:
Maximilian Scheer und Bertolt Brecht im Gespräch mit den jungen
Regisseuren und Dramaturgen Lothar Creutz, Egon Monk, Peter Palitzsch,
Käthe Rülicke, Wera Skupin, 22. 12.1951, DOK 443/1/2; Annemarie Auer
und Bertolt Brecht im Gespräch mit Claus Hubalek, Käthe Rülicke, Peter
Palitzsch über das Buch Theaterarbeit, 11.6.1952, DOK 483. Edition beider Gespräche in: Brecht im Gespräch, S. 136-139 und S. 140-145.
76 Vgl. Pietrzynski: 'Jeden Monat wird eine Sendung des Berliner Ensembles gegeben ...'.
77 Freigabeschein und Sendemanuskript, DRA Berlin, HA HF, DS 1954/1486.
78 Vgl. Pietrzynski: 'Eine Bereicherung des Rundfunkprogramms ...'.
79 Vgl. Pietrzynski: Bertolt Brecht und die Reihe Forum der Kritik
mit Herbert Ihering; Ferner: Jäger: Kurzer Abschied von einem
Rezensionswesen, S.92. Eine Reihe von Iherings Originalmanuskripten
sind im DRA Berlin überliefert (HA HF, B083-00-05/0001), die
Tondokumente sind nicht erhalten. 80 Vgl. Die Aussprache. Ein vielseitiges Werk; Kunert: Ich bin
sehr neugierig ...; Kunert: Von einem, der auszog, Satiriker zu werden.
81 Diese recht umfängliche und unterschiedliche Gestaltungsmittel
nutzende Funkarbeit umfaßt mehr, als Günter Kunert heute in seinen
publizierten Erinnerungen preisgibt. Sicher hat er inzwischen einen
großen Abstand zum Inhalt dieser Rundfunktexte, die Individualität,
Witz und Ironie auszeichnen, aber ebenso vom Geist der Zeit und
inhaltlich von den politischen Prämissen jener Jahre geprägt sind.
Kunert zitiert eine Stasi-Einschätzung: »daß er sehr luschig gearbeitet
hat und zum anderen sich nicht an die Argumentationen des
Redaktionskollektivs [der Unterhaltungsredaktion] hielt und nach
eigenen Anschauungen arbeitete.« Vgl. Kunert, Erwachsenenspiele, S.
200. 82 Vgl. Hermlin: Lektüre.
83 Vgl. Pietrzynski: 'Der Rundfunk ist die Stimme unseres Landes ...'.
84 Menschen rettet das Leben, S. 3. Vgl. auch:
Literaturpreisausschreiben des Deutschlandsenders;
Literaturpreisausschreiben von Radio DDR.
85 Pressemitteilung des Deutschlandsenders vom August 1958,
F090-00-00/0033. Die Originaleinsendungen zu den Preisausschreiben sind
im DRA Berlin nicht überliefert.
86 Beschlußvorlage vom 28.7.1955, BArch, Bestand DR 6/3.
87 Sendemanuskript: Antwort auf Hörerbriefe zu unserem ersten Fortsetzungsroman, 8.3.1955, DRA Berlin, HA HF, Berlin I/115.
88 Beschlußvorlage vom 28.7.1955, BArch, Bestand DR 6/3.
89 Brecht: Briefe, Brief 2352a.
90 Sendemanuskript, S.5-6, DRA Berlin, HA HF, Berlin I/386.
91 Sendemanuskript, S. 3, DRA Berlin, HA HF, Berlin I/386.
92 Wolfgang Rödel: Die Behandlung der kulturpolitischen Sendungen
zur Pflege der nationalen Kultur, Beschlußvorlage 7/1956 vom 20.1.1956,
DRA Berlin, HA HF; Ferner: Literaturfreunde haben das Wort. Weitere
Stimmen zur Sendereihe Roman in Fortsetzungen; Meister Breugnon. Roman in Fortsetzungen.
93 Vgl. Protokoll der Höreraussprache mit Angehörigen des Kulturbundes vom 8.11.1956, S. 2, BArch, Bestand DR 6/550.
94 Vgl. Pietrzynski: 'Jeden Monat wird eine Rundfunksendung des Berliner Ensembles gegeben ...'.
95 Beschlußvorlage vom 28.7.1955, BArch, Bestand DR 6/3.
96 Satiriker gesucht!; Ferner: Kunert: Von einem, der auszog, Satiriker zu werden.
97 Achtung! Preisausschreiben 'Satiriker gesucht'.
98 Brief an Hermann Ley vom 2.10.1956, BArch, Bestand DR 6/547/548.
99 Vgl. Fischer, Pietrzynski: 'Hier spricht Berlin ...', S. 42-43.
100 Musik und Dichtung am Sonntagvormittag.
101 Rede Heinz Ruschs auf der Tagung des Künstlerischen Wortes, 25-26.11.1947, Bl. 80, DRA Berlin, HA HF, F201-00-00/0003.
102 Musik und Dichtung am Sonntagvormittag.
103 Vgl. Das Schatzkästlein im Urteil der Hörer; Die Aussprache. Unsere Hörer beurteilen die Sendung Musik und Dichtung.
104 Vgl. Hörerpostzusammenfassung 1958, BArch, Bestand DR 6/559.
105 König: Über die Sprecher in Musik und Dichtung.
106 Das Schatzkästlein des Deutschlandsenders lief bis
1971. Dann jedoch erfolgte ein radikaler Bruch für diese bisher der
Sonntagsbetulichkeit gewidmeten Sendezeit - mit einer poppigen
Sonntagvormittag-Jugendsendung. 107 Stübe: Des Rundfunks liebstes Kind.
108 Gerhard Stübe in: Und abends Kostproben der Literatur.
109 Stübe: Die Literaturabteilung stellt sich vor.
110 Vgl. Sendestruktur von Literatursendungen für 1950, 1954, 1957
und 1959 in der Anlage 3. Die Tabellen enthalten auch die von anderen
Abteilungen produzierten künstlerischen Wortsendungen. 111 Vgl. die hierzu von Gunther Nickel gemachten Aussagen in: Konstellationen. S. 207.
112 Vgl. Wittenbrink: Rundfunk und literarische Tradition, S. 999.
113 Und abends Kostproben der Literatur.
114 Stübe: Die Literaturabteilung stellt sich vor.
115 Hörnigk: Gespräch mit Christa Wolf, S. 263. Die eingangs zitierte Passage stammt ebenfalls aus dieser Quelle, S. 253.
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