Thema | Kulturation 2/2003 | Deutsche Kulturgeschichte nach 1945 / Zeitgeschichte | Christoph Ochs | Aktion „Banner“. Operativer Einsatz, Taktik und Strategie des MfS während der X. Weltfestspiele 1973
| Aktion „Banner“. Operativer Einsatz, Taktik und Strategie des MfS während der X. Weltfestspiele 1973
Einleitung
Toleranz, das war ein Wort, welches im Sprachgebrauch der
Staatssicherheit normalerweise nicht vorkam. Beschäftigt man sich
jedoch mit dem Einsatz der Staatssicherheit während der Vorbereitung
und Durchführung der X. Weltfestspiele von 1973, stolpert man
verdächtig oft über diese Vokabel, die dabei in mehreren
Steigerungsformen, bis hin zur ‚größtmöglichen Toleranz’, gebraucht
wurde.
Die X. Weltfestspiele fanden in einer Zeit der Annäherung zwischen West
und Ost statt. Die Politik der SED unter Führung Erich Honeckers war
seit 1971 auf die internationale Anerkennung der DDR ausgerichtet. Ziel
war es, die außenpolitische Isolation zu durchbrechen und aus der
verstärkten internationalen Anerkennung gleichzeitig innenpolitische
Legitimation zu gewinnen. Die Beziehungen zwischen beiden deutschen
Staaten entspannten sich zu Beginn der siebziger Jahre, was 1972 seinen
Ausdruck im Grundlagenvertrag zwischen DDR und Bundesrepublik fand.
Eine Gruppe von 15 vorwiegend westlichen Staaten, darunter
Großbritannien, die USA und Frankreich, nahmen 1973 diplomatische
Beziehungen zur DDR auf. Den Höhepunkt fand diese Politik im September
1973 durch die Aufnahme der DDR in die Vereinten Nationen.
Die X. Weltfestspiele der Jugend und Studenten dienten der DDR-Führung
dazu, der Welt das Bild eines liberalen, toleranten und weltoffenen
Staates zu vermitteln. Gleichzeitig sollte durch die Weltfestspiele
dokumentiert werden, dass die Jugend der DDR voll hinter der Politik
seiner Partei- und Staatsführung steht.
Vom 28. Juli bis zum 5. August 1973 tummelten sich mehrere
hunderttausend Jugendliche aus der ganzen Republik und über
zwanzigtausend ausländische Gäste in Berlin, der Hauptstadt der DDR. Es
war ein buntes Treiben auf den Strassen und Plätzen der Stadt, und ein
Hauch von Weltläufigkeit lag in der Luft. Die Weltfestspiele boten für
die DDR-Jugend eine einmalige Gelegenheit zum Meinungsaustausch mit
gleichaltrigen Jugendlichen aus aller Welt. Abseits der offiziellen
Veranstaltungen wurden Kontakte geknüpft und bis in die frühen
Morgenstunden miteinander diskutiert. Augenscheinlich unbehelligt von
Polizei und Staatssicherheit genossen die Jugendlichen die ihnen für
die Zeit der Weltfestspiele gewährte Freizügigkeit.
Was für den Betrachter von außen allerdings im Verborgenen blieb und
auch bleiben sollte, war das ausgeklügelte System der Kontrolle und
Überwachung, welches die Staatssicherheit, in Zusammenarbeit mit der
Volkspolizei, wie ein Netz über die Weltfestspiele legte. Dabei gehörte
es zur Taktik des MfS, sich bewusst im Hintergrund zu halten zunächst
nur zu beobachten und zu dokumentieren, denn der Einsatz des MfS bei
den Weltfestspielen wurde durch die neuen außenpolitischen Bedingungen
geprägt. Die Staatssicherheit bediente sich daher einer
Doppelstrategie. Sie wurde schon im Vorfeld aktiv, um sich dann während
der Weltfestspiele auf die Kontrolle und Überwachung zu beschränken.
Ein offenes Eingreifen war wegen des starken öffentlichen Interesses,
welches die Weltfestspiele auch im Ausland fanden, nur im äußersten
Notfall vorgesehen. Auf einen Nenner gebracht bedeutete dies,
Repressionen im Vorfeld und größtmögliche Toleranz während der
Weltfestspiele. Staatssicherheitsminister Erich Mielke umriss die
Strategie und die Taktik des MfS kurz vor den Weltfestspielen wie
folgt: „Im übrigen haben wir klar orientiert, dass man sich als
Kommunist, als Tschekist diesmal wie die 3 Affen verhalten muss und
trotzdem sehen, hören und richtig und konsequent handeln, wo es sein
muss.“ /1/
Auf der Grundlage der von der Staatssicherheit erstellten Befehle,
Weisungen und Maßnahmenpläne soll im Folgenden ein grober Überblick
über den operativen Einsatz, die Taktik und die Strategie der
Staatssicherheit während der X. Weltfestspiele gegeben werden. Die
Darstellung soll auch Anregungen zur weiteren Forschung zu diesem Thema
geben. Weitere detaillierte Untersuchungen zur Kontrolle und
Überwachung der ausländischen Delegationen, besonders zur Rolle der
Hauptverwaltung Aufklärung, wären wünschenswert. Darüber hinaus bieten
auch das präventive Vorgehen der Staatssicherheit und der Einsatz von
Inoffiziellen Mitarbeitern weitere Möglichkeiten zu
Spezialuntersuchungen.
1 Der Einsatz des MfS zu den Weltfestspielen
Aus den Akten geht hervor, dass das MfS mit massiven Störungen sowohl
in der Vorbereitung als auch in der Durchführung der Weltfestspiele
rechnete. Es wurde ein ganzer Katalog möglicher Störungen und
Provokationen aufgestellt. Danach befürchtete das MfS vor allem
Provokationen gegen die Staatsgrenze der DDR, das Umfunktionieren des
politischen Inhalts der Weltfestspiele und die Verbreitung feindlicher
Theorien und Ideologien durch Hetz- und Propagandamaterialien. /2/ Nach
den Informationen des MfS bereiteten sich besonders ausgewählte und
geschulte Personen aus der Bundesrepublik darauf vor, Kontakte zu
DDR-Bürgern zu knüpfen, um diese negativ zu beeinflussen und zu
Provokationen anzustacheln. Befürchtet wurde auch die massive Einreise
von links- und rechtsextremistischen Kräften aus Westberlin, um ihre
feindlichen Ideologien unter der Jugend der DDR zu verbreiten. /3/ Ziel
dieser feindlichen Kräfte war, nach Meinung des MfS, das Provozieren
von Zwischenfällen mit den Sicherheitsorganen der DDR im Zusammenwirken
mit negativen Personenkreisen aus der DDR. Veranstaltungen sollten
gezielt durch Sprechchöre zu den Themen „Mauerbau“, „Schiessbefehl“ und
„Reisefreiheit“ gestört werden. /4/ Ein weiteres Gefahrenpotential
vermutete die Staatssicherheit unter der eigenen Jugend. Hier waren die
Befürchtungen groß, dass sich Jugendliche ‘zusammenrotten’ könnten, um
ihren Unmut über die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse
auszudrücken. Ob diese Berichte, die von der Staatssicherheit
hauptsächlich aus Presse, Rundfunk und Fernsehen der Bundesrepublik und
einzelnen IM-Berichten zusammengestellt wurden, ein reelles Bild des
Bedrohungspotentials gegen die Weltfestspiele darstellten, darf
bezweifelt werden. Dem Leser eröffnen sich geradezu apokalyptische
Vorstellungen von Bedrohungen, Provokationen, Störungen und Terror
gegen die X. Weltfestspiele. Diese Berichte wirken übertrieben und
dienten auch zur Legitimation des eigenen Einsatzes.
Um ein derart großes Gefahrenpotential in den Griff zu bekommen, waren
nach Meinung der MfS-Führung auch außergewöhnliche Maßnahmen
erforderlich. Die Staatssicherheit bereitete sich generalstabsmäßig auf
ihren Einsatz vor. Es wurde eine besondere Strategie und Taktik
entwickelt, die den Einsatz tausender Mitarbeiter notwendig machte.
Der Einsatz der Staatssicherheit sollte auf die spezifischen
Bedingungen der Weltfestspiele ausgerichtet, mal verdeckt, an die
äußeren Bedingungen angepasst, mal offen und demonstrativ erfolgen.
Erich Mielke betonte, dass der Einsatz bei Tag und bei Nacht
ununterbrochen zu erfolgen habe./5/ Die Staatssicherheit war von Beginn
an in die Vorbereitungen und Durchführung der X. Weltfestspiele
integriert. Nichts sollte und durfte den Tschekisten entgehen, so die
Maßgabe von Minister Mielke./6/ Auf seinen Befehl hin wurde im April
1973 ein „Plan der Maßnahmen zur Gewährleistung der Sicherheit während
der X. Weltfestspiele“ erarbeitet, der am 25. Juni 1973 vom
Generalsekretär der SED, Erich Honecker, persönlich abgezeichnet und
damit bestätigt wurde. Danach erfolgte der Einsatz des MfS unter dem
Decknamen „Banner“. Dem Minister für Staatssicherheit wurde die
Koordinierung der Zusammenarbeit der bewaffneten Organe übertragen./7/
Aus dem „Gesamtplan“ lässt sich die besondere Rolle des MfS während der
Weltfestspiele ablesen, das zwei Aufgabenschwerpunkte zu erfüllen
hatte. Einerseits sollte die Sicherheit und der Schutz der
Repräsentanten der DDR, der internationalen Ehrengäste sowie der
ausländischen Festivalteilnehmer gewährleistet werden. Darüber hinaus
hatte das MfS für den Schutz der ausländischen Journalisten, des
internationalen Pressezentrums, der Botschaften und anderer
diplomatischer Einrichtungen zu sorgen. Auch für die Sicherung und den
Schutz sogenannter diversionsgefährdeter Objekte, wie Grenz- und
Industrieanlagen, Krankenhäuser und Kraftwerke war das MfS in
Zusammenarbeit mit der Volkspolizei und der Nationalen Volksarmee
zuständig. Andererseits sollte die Staatssicherheit die „ ... Pläne,
Absichten und Maßnahmen feindlicher und negativer Kräfte zur Störung
oder Diffamierung der X. Weltfestspiele rechtzeitig und umfassend ...
„/8/ aufklären und verhindern, um somit Störungen und Provokationen
schon im Vorfeld auszuschließen.
1.1 Mitarbeiter und Ressourcen
Zur Erfüllung dieses Aufgabenkatalogs wurden alle Kräfte der
MfS-Verwaltungen von Groß-Berlin, Potsdam und Frankfurt/Oder zur
Verfügung gestellt. Dazu kamen 4260 speziell ausgebildete Mitarbeiter
und das gesamte Wachregiment „Feliks Dzierzynski“ mit 3200 Soldaten.
Der Staatssicherheit wurden 1500 ausgewählte Mitarbeiter der
Volkspolizei unterstellt. Zusätzlich standen die FDJ-Delegation und die
Lehrkräfte und Hörer der Juristischen Hochschule der Staatssicherheit
als Reserve bereit. Aus allen Bezirken wurden Mitarbeiter nach Berlin
abkommandiert. Insgesamt mobilisierte das MfS für die Weltfestspiele
27.096 Mitarbeiter./9/ Bei einer Gesamtzahl von etwa 53.000
hauptamtlichen Mitarbeitern im Jahre 1973 waren etwas mehr als die
Hälfte aller MfS Mitarbeiter während der Weltfestspiele im Einsatz./10/
Dazu kamen noch 19.800 Volkspolizisten und 1750 Soldaten der Nationalen
Volksarmee, darunter zwei Elitebataillone, drei
Fallschirmjägerkompanien, eine gemischte Hubschrauberstaffel und ein
mobiler Gefechtsstand. Als Reserven standen 8870 freiwillige Helfer der
Volkspolizei und Angehörige des Zentralen Ordnerverbandes bereit./11/
Nach dem Gesamtplan setzten die bewaffneten Organe, inklusive aller
Reservekräfte, ca. 60.000 Sicherungskräfte zu den X. Weltfestspielen
ein.
1.2 Repressionen im Vorfeld der Weltfestspiele
Die Angst von Partei- und Staatssicherheitsführung vor
öffentlichkeitswirksamen, politisch unerwünschten Zwischenfällen ist in
den Akten greifbar./12/ Daher wurden die Mitarbeiter immer wieder zur
Toleranz ermahnt, aber auch zur absoluten und ‘revolutionären’
Wachsamkeit. Um unliebsame Zwischenfälle von vornherein auszuschließen,
durchkämmte das MfS im ersten Halbjahr 1973 zusammen mit der
Volkspolizei die gesamte Republik nach möglichen Gefahrenherden. Auf
Geheiß des Ministers, sollte alles, was über feindliche Pläne bekannt
wird, sofort dem MfS mitgeteilt werden, damit „ ...wir vorbeugend tätig
werden können, vorher eingreifen können."/13/
Tausende Jugendliche wurden wegen ihres angeblichen asozialen
Verhaltens, ihrer Renitenz gegenüber den Staatsorganen oder wegen ihrer
Vorstrafen überprüft bzw. verhaftet. Die Zahlen, welche die immer
beflissenen Genossen der Sicherheit ihren Vorgesetzten meldeten,
erschrecken den heutigen Leser.
Die Hauptabteilung IX des MfS vermeldete die stolze Zahl von 6.635
eingeleiteten Ermittlungsverfahren wegen asozialen Verhaltens im ersten
Halbjahr 1973./14/ Das war ein Plus von 4.632 Ermittlungsverfahren im
Vergleich zum selben Zeitraum des Vorjahres. Bis zum 23. Juli 1973
wurden 8.995 Personen durch das MfS und die Volkspolizei verhaftet,
weil sie angeblich gezielt Straftaten gegen die X. Weltfestspiele
vorbereiteten oder zu solchen Personenkreisen gehörten, von denen man
annahm, dass sie eine Gefahr für die Sicherheit und Ordnung während der
Festspiele darstellen könnten./15/ Bis zur Eröffnung der
Feierlichkeiten wurden 553 Personen in psychiatrischen Einrichtungen
eingeliefert, 929 verschwanden in Jugendwerkhöfen und 1.453 in
Spezialkinderheimen./16/ In den Akten werden solche Maßnahmen als „ ...
rechtzeitige Einweisung in Einrichtungen der Volksbildung und des
Gesundheitswesens ... „/17/ bezeichnet. Zur Verhinderung von Reisen
nach Berlin wurden bis zum 28. Juli mit 21.935 /18/ Personen Gespräche
geführt und etwa 30.000 Personen unter Kontrolle genommen./19/ Bis zum
Beginn der Weltfestspiele wurden nicht weniger als 5.391 Personen
ermittelt, die sich in 955 kriminellen Gruppierungen organisiert haben
sollen./20/
Überprüft wurden auch die verschiedenen Festivaldelegationen aus der
DDR. Schließlich wollte man für die Festspiele nur Jugendliche
nominieren, die den eigenen gesellschaftlichen und politischen
Ansprüchen gerecht wurden. Es sollten nur jene, „ ... die von ihrer
bisherigen Entwicklung und Haltung weitgehend dafür Gewähr bieten,
unsere Republik würdig zu vertreten.“, zu den Weltfestspielen delegiert
werden. Nach den Überprüfungen wurden viele Kandidaten unter anderem
wegen mangelnder politischer Zuverlässigkeit, Vorstrafen und
unmoralischem oder rowdyhaftem Auftreten abgelehnt./21/
Dass die Staatssicherheit keinerlei Risiko eingehen wollte, zeigt sich
auch daran, dass ca. 50 000 Personen, die „ ... unmittelbar oder
mittelbar mit den ausländischen Teilnehmern in den Objekten, deren
Umgebung oder in Betreuerfunktionen in Berührung kommen konnten ...
“/22/, vorbeugend überprüft wurden. Auch ausländische Bürger mit
ständigem Wohnsitz in der DDR gerieten ins Blickfeld des MfS. Die extra
für die Weltfestspiele gegründete ‚Arbeitsgruppe Ausländische
Teilnehmer’ erhielt von anderen Diensteinheiten des MfS Informationen
über ausländische Bürger in der DDR. Alle politisch-operativ
aufgefallenen Ausländer sollten in einer Kartei gespeichert werden,
wenn möglich mit Foto./23/ Nun konnte die Manifestation des Friedens
und der Völkerverständigung beginnen.
2 Taktik und Strategie des MfS zu den Weltfestspielen
Das MfS befürchtete besonders „Zusammenrottungen“ sogenannter negativer
Jugendlicher. Um nicht mit einem massiven Aufgebot an
Sicherheitskräften diese Gruppen auflösen zu müssen, wurde der Einsatz
von Ablenkungsmitteln erwogen, wobei die Mitarbeiter der
Staatssicherheit eine erstaunliche Phantasie an den Tag legten. So
wurde der spontane Einsatz eines Fanfaren- oder Spielmannszuges oder
einer Beat-Kapelle angeregt, um solche Gruppierungen zu zerstreuen.
Dies führte zu einer erstaunlichen Einsicht auf Seiten des MfS. „Ein
Wort eines Mitglieds einer renommierten Beat-Kapelle kann unter
Umständen überzeugender sein als ein Appell der Sicherungskräfte.“/24/
Auch andere, besonders phantasievolle Möglichkeiten wurden in Betracht
gezogen. So heißt es an selber Stelle: Möglich seien auch „ ... andere
kurzfristig zu organisierende Attraktionen, wie z. B. auch eine
Flugvorführung, die zwar teuer, aber selbst in einer Grossstadt binnen
weniger Minuten zu organisieren ist. Ein Flugzeug- oder
Hubschraubereinsatz bietet die Möglichkeit, durch Abwurf einiger die
Aufmerksamkeit auf sich lenkender Gegenstände in die Menge Interessen
zu wecken (Fallschirme mit Päckchen daran, der Päckcheninhalt könnten
billige Gebrauchsgegenstände sein) und durch Fortverlegen der
Abwurfstelle die Menge zu zerstreuen.“
Die Einsatzkräfte wurden angewiesen, sich bei „Zusammenrottungen“
zurückzuhalten und Provokateure nur zu beobachten und zu
identifizieren. Eine Verhaftung sollte später, von der Öffentlichkeit
unbemerkt, erfolgen, um eine Solidarisierung von Umstehenden zu
verhindern. Generell galt, dass keine administrativen Maßnahmen bei
Demonstrationen im Stadion und anderen Festivalorten durchgeführt
werden sollten, da zu viel Öffentlichkeit durch Rundfunk und Fernsehen
aus dem Ausland bestand.
Auch sollten sich die Mitarbeiter der Staatssicherheit, gekleidet im
FDJ-Hemd, in die Gruppe begeben und deren Zusammenhalt auflockern sowie
durch kluge Argumentation die „Zusammenrottung“ auflösen./25/ Überhaupt
setzte das MfS einen Grossteil der Mitarbeiter als FDJler getarnt ein.
Ziel war es, die eingeleiteten Sicherheitsmassnahmen für Außenstehende
zu verschleiern und die eigenen Kräfte schnell und überraschend zum
Einsatz zu bringen. „Die Sicherungskräfte müssen in der Lage sein, an
Diskussionen mit FDJlern und ausländischen Gästen teilzunehmen und
dabei konsequent unseren Klassenstandpunkt, die Politik unserer Partei
und Regierung vertreten.“/26/
Sprechchöre mit negativem Inhalt sollten durch, wie es hieß,
progressive Kräfte, in diesem Fall die FDJ, ins Gegenteil verkehrt
werden. Auch der spontane Einsatz von FDJ-Singegruppen zum Übertönen
negativer Sprechchöre wurde geplant. Bei sonst unerwünschten Symbolen,
Losungen und Porträts zeigte das MfS ebenfalls eine große Toleranz. Nur
bei Transparenten und Spruchbändern mit übler Hetze und Diskriminierung
sollte eingegriffen werden. Führten Gespräche mit den Trägern solcher
unerwünschten Symbole und Losungen nicht zu dem gewünschten Ergebnis,
seien diese weiter zu beobachten und zu identifizieren. Gleichzeitig
wurde dafür gesorgt, dass zu den Großveranstaltungen geeignete Losungen
und Träger bereitstanden, um kurzfristig die nicht gewünschten zu
verdecken. Auch hier fehlt der Hinweis an die Sicherheitskräfte nicht,
keine Gewalt anzuwenden, da dies dem Charakter der Weltfestspiele
widersprechen würde./27/ „Als Grundsatz gilt, marxistische Kräfte
bekennen ihren Standpunkt, ohne sich in unüberschaubare
Auseinandersetzungen einzulassen.“/28/ Auch der Minister selbst machte
sich zu diesem Thema Gedanken. Zu einem möglichen ‚sit in’ vor der
Ehrentribüne sagte er: „ ... was kann man machen? Grosses Tuch darüber
decken und links und rechts vorbei marschieren usw.“, um dann aber
gleich wieder klar zu stellen: „Nur wenn große Störungen verursacht
werden, holen wir uns natürlich dann auch die Erlaubnis zum
Eingreifen.“ /29/
Die ausgegebene Taktik der größtmöglichen Toleranz führte in der
Führung des MfS aber auch zu Bedenken, dass die angestrebte
Freizügigkeit in der Meinungsfreiheit während der Weltfestspiele
negative Auswirkungen auf die ideologische Standfestigkeit, gerade der
jüngeren Mitarbeiter haben könnte. Die neue Taktik stand in scharfem
Gegensatz zu den bisherigen Vorgehensweisen der Staatssicherheit. Es
wurde Befürchtet, dass die Mitarbeiter in komplizierten Situationen
Schwierigkeiten bekommen könnten, die richtigen Entscheidungen zu
treffen. Um dem entgegenzuwirken sollten die Mitarbeiter verstärkt
ideologisch geschult werden./30/
2.1 Der Einsatz von Inoffiziellen Mitarbeitern
Schon im Vorfeld der Weltfestspiele wurden die Mitarbeiter angewiesen,
die inoffiziellen Kontakte zu intensivieren und detaillierte
Einsatzpläne für die IM zu erarbeiten. Diese sollten mittels eines „
... selbständigen und bewussten operativen Verhaltens und Reagierens [
... ] zur Erkennung feindliche Absichten und zur Verhinderung ihres
Wirksamwerdens ... “ beitragen./31/ Wichtig waren der Staatssicherheit
dabei unter anderem Informationen über Kontakthandlungen zwischen
DDR-Bürgern und Teilnehmern aus nichtsozialistischen Ländern, besonders
solche mit westlichen Journalisten. Zu politischen Veranstaltungen, bei
denen das MfS mit Provokationen rechnete, sollten nur solche IM
geschickt werden, die auch ausreichend politisch-ideologisch gefestigt
waren und über genügend Lebenserfahrung verfügten./32/ Viele der
IM-Berichte waren jedoch wenig aussagekräftig und beschäftigten sich
eher mit Nebensächlichkeiten wie Wetter und Verpflegungssituation.
Kurioserweise schickte die Hauptabteilung II/6 des MfS am 2. August
1973 ihren Gesellschaftlichen Mitarbeiter Sicherheit (GMS) „Jürgen
Winter“ zu einem Treffen junger Esperantisten, an dem dieser auch
auftragsgemäß teilnahm. Das Ergebnis war jedoch eher mager. „Da dieses
Treffen in der Sprache der Esperantisten durchgeführt wurde, konnte der
GMS nicht viel verstehen.“/33/ Allerdings stellte das MfS durch die
IM-Berichte auch fest, dass es gegnerischen Kräften gelungen ist, eine
Reihe von Kontakten zu sogenannten negativen Kreisen in der DDR
herzustellen. „Derartige Kontakte bedürfen der weiteren intensiven
politisch-operativen Kontrolle und Bearbeitung.“/34/ Betroffen waren
besonders kirchliche Mitarbeiter, Journalisten, Künstler und
Schriftsteller.
Die Arbeitsgruppe Ausländische Teilnehmer knüpfte ein Netz von
Inoffiziellen Mitarbeitern unter den Betreuern und Dolmetschern der
Delegationen und setzte insgesamt 428 Inoffizielle Mitarbeiter ein./35/
Im Abschlussbericht wurde stolz vermeldet, dass zu etwa neunzig Prozent
aller eingesetzten Betreuer und Dolmetscher inoffizielle Verbindungen
bestanden./36/ Diese hatten unter anderem die Aufgabe, das von den
Delegationen mitgeführte Material, wie Flugblätter und Broschüren,
konspirativ zu kontrollieren und über deren Inhalt Bericht erstatten.
Materialien mit diskriminierenden Inhalt sollten durch die Betreuer
„scheinbar unabsichtlich“, durch Beschmutzen, das Herbeiführen von
Wasserrohrbrüchen oder durch den Einsatz von Säure, unbrauchbar gemacht
werden./37/
Die Staatssicherheit nutzte ihren Einsatz bei den Weltfestspielen auch
zur Anwerbung neuer Inoffizieller Mitarbeiter. Die ‚Arbeitsgruppe
Ausländische Teilnehmer’ übernahm beispielsweise 428 Inoffizielle
Mitarbeiter von anderen Diensteinheiten des MfS für ihre Arbeit. Am
Ende der Aktion „Banner“ konnte sie die Werbung von 81 neuen
Inoffiziellen Mitarbeitern vermelden./38/
2.2 Die ausländischen Festivalteilnehmer
Besonders im Blick der Staatssicherheit standen die ausländischen
Teilnehmer der Weltfestspiele. „Der Gegner ist drin (in den
Delegationen) oder mischt sich unter die Gruppen, und er wird
Provokateure in Aktion treten lassen.“, so jedenfalls die Befürchtung
von Stasi-Chef Mielke./39/
Für die Sicherung und Überwachung der ausländischen Delegationen war
die ‚Arbeitsgruppe Ausländische Teilnehmer’ verantwortlich. Diese
sollte die ausländischen Gäste und deren Unterkünfte politisch-operativ
vor terroristischen Anschlägen und Provokationen sichern. Die
Arbeitsgruppe entwarf für jede Unterkunft, in der ausländische Gäste
untergebracht waren, detaillierte Sicherungskonzeptionen. Die Umgebung
dieser Objekte wurden, wie es im Sprachgebrauch der Staatssicherheit
hieß, „aufgeklärt“ und die in der unmittelbaren Nähe wohnenden Personen
überprüft. Zur besseren Kontrolle wurden verdeckte Beobachtungspunkte
eingerichtet und die Einschleusung politisch-operativer Mitarbeiter in
die Objekte vorbereitet./40/ Zur Sicherung und Kontrolle der
ausländischen Festivalteilnehmer wurden durch Staatssicherheit und
Volkspolizei insgesamt 3.410 Mitarbeiter eingesetzt, davon 1.360 durch
das MfS./41/
Unter der Absicherung der ausländischen Teilnehmer verstand die
Staatssicherheit aber nicht nur deren Schutz vor terroristischen
Anschlägen und Provokationen. Sie befürchtete, dass von den
ausländischen Delegationen „ ... ideologische Zersetzungsversuche, vor
allem zur Verbreitung des Sozialdemokratismus, Maoismus, Nationalismus
und anderer feindlicher Ideologien ... „/42/ ausgehen könnten.
Kontaktversuche von ausländischen Gästen gegenüber DDR-Bürgern und
Teilnehmern anderer sozialistischer Staaten sollten zunächst nur
beobachtet und dokumentiert werden, um sie später weiter zu
„bearbeiten“. Die Verbreitung von Flugblättern und Broschüren mit
ungewolltem politischen Inhalt durch die ausländische Delegationen
sollte verhindert werden und schon verteilte Materialien durch die
Sicherheitskräfte und die FDJ eingezogen werden.
Politisch-operative Mitarbeiter des MfS wurden mit dem „ ... Ziel der
Aufklärung und Bekämpfung feindlicher Konzeptionen des ‚Störens durch
Teilnahme’ ... “/43/, als Betreuer für die ausländischen Delegationen
eingesetzt. Solche Mitarbeiter wurden auch gezielt in offizielle
Funktionen im Organisationskomitee eingeschleust oder arbeiteten in
einigen Fällen als Kraftfahrer. Nach den Weltfestspielen stellte die
‘Arbeitsgruppe Ausländische Teilnehmer’ fest, dass sich diese Maßnahmen
bewährt hätten und wesentlich mehr Informationen aus erster Hand
„abgeschöpft“ werden konnten./44/
Trotzdem sollte gegenüber abweichendem politischen Verhalten von Seiten
ausländischer Festivalteilnehmer die „größtmögliche Toleranz“ an den
Tag gelegt werden./45/ Ausländische Delegationen wurden bei der
Einreise keiner Zollkontrolle unterzogen. Eine Ausnahme bildete nur die
Einreise über den Flughafen Schönefeld. Außerdem durften die
ausländischen Delegationen die für ihre Tätigkeit notwendigen
technischen Mittel, wie Tonband- und Vervielfältigungsgeräte einführen.
Das MfS behielt sich jedoch vor, Personen- und Gepäckkontrollen mit
sogenannten operativ-taktischen Mitteln durchzuführen, so dass der
Kontrollierte davon nichts bemerkte. Ebenfalls unbemerkt wurden Kopien
von Passbildern aus den Reisepässen der einreisenden ausländischen
Teilnehmer angefertigt, um sogenannte feindlich-negative Personen
besser identifizieren und überwachen zu können./46/
Ein Zentraler Einlassverband kontrollierte die Objekte und deren
Umgebung, in denen die ausländischen Teilnehmer untergebracht waren.
MfS-Mitarbeiter, als FDJler getarnt, sassen an den Rezeptionen und
liessen nur diejenigen in die Objekte, die über den richtigen
Passierschein verfügten./47/ Somit konnte die Staatssicherheit
einerseits für die allgemeine Sicherheit der ausländischen Gäste
sorgen, hatte aber gleichzeitig die Möglichkeit, alle
Personenbewegungen der ausländischen Gäste zu kontrollieren.
Bei den Großveranstaltungen wurden an den Aufmarschstrecken Dolmetscher
eingesetzt, welche die mitgeführten Losungen und Transparente der
verschiedenen Delegationen übersetzten und deren Inhalt an die
Staatssicherheit weitermeldeten. So konnten unerwünschte Losungen „ ...
durch sinnvolles Eingreifen der operativen Kräfte zurückgezogen
werden.“/48/ Auch hatte es sich bewährt, Mitarbeiter direkt als
Betreuer bei den ausländischen Delegationen einzusetzen, da so eine
Führung der Inoffiziellen Mitarbeiter erleichtert wurde.
2.3 Die Sicherung der Grenze
Ein weiteres Problem stellte für die Staatssicherheit die Sicherung der
Grenze zu West-Berlin dar. „Der Schiessbefehl wird natürlich nicht
aufgehoben. Wir wollen aber nicht, dass jemand erschossen wird. Aber
wir müssen vorbeugend so arbeiten, dass uns nichts passiert; dass wir
nicht erst schießen müssen.“/49/
Auch hier galt die ausgegebene Taktik, im Vorfeld alles zu prüfen und
eventuelle Störungen von Beginn an zu verhindern. Der Schiessbefehl
sollte demnach flexibel gehandhabt werden. Tote an der Mauer hätten
nicht in das Bild gepasst, welches die DDR der Welt zeigen wollte. Der
Minister für Staatssicherheit, Mielke, schlug deshalb Prämien für
diejenigen Grenzposten vor, die einen Mann ergreifen, ohne dabei zu
schießen. „An der Grenze muss man die Menschen lautlos ergreifen und
nicht schießen. Auch was von drüben kommt, so in Empfang nehmen und
einlochen ... .“/50/
Für die Führung der Staatssicherheit war klar, dass die westliche
Presse, allen voran das Feindbild Nummer eins, die ‘Springer-Presse’,
das Grenzproblem aufbauschen würde. Es wurde befürchtete, dass
Provokateure zu einem Marsch an die Mauer aufrufen könnten, dem sich
dann, wie beim „Schneeballprinzip“, viele anschließen könnten. Das
schien für die führenden Genossen ein Alptraum zu sein. Deshalb sollte
„ ... alles so geschickt organisiert werden, dass gar nicht erst etwas
passiert.“/51/
Die Sicherung der Grenze wurde in enger Absprache zwischen dem MfS, der
Volkspolizei und dem Ministerium für Nationale Verteidigung
organisiert. So verstärkte die Volkspolizei zu den Weltfestspielen ihre
Streifentätigkeit in Grenznähe, und die Grenztruppen erhöhten die Zahl
der Grenzposten. Auch sollten während der Weltfestspiele die
Wehrpflichtigen an der Grenze zu West-Berlin durch erfahrene Offiziere
ersetzt werden. Das eigentliche Problem schien nicht in der Möglichkeit
von ungesetzlichen Grenzübertritten durch DDR-Bürger zu liegen, sondern
in Grenzprovokationen von westlicher Seite. „Der große
Unsicherheitsfaktor für uns ist die Auslösung von drüben. Deshalb
wollen wir vielleicht auch bei Angriffen von drüben mit Nebelkörpern
arbeiten usw., um möglichst nicht schießen zu müssen. [ ... ] Sie
wollen ein paar Tote haben. Das müssen wir verhindern.“/52/
Allerdings musste das MfS bei der Auswertung der Weltfestspiele
feststellen, dass es trotzdem zu 186 Straftaten nach §213 StGB
(ungesetzlicher Grenzübertritt) kam, an denen 248 Bürger der DDR
beteiligt waren. An der Grenze zu West-Berlin wurden 15 versuchte
Grenzübertritte mit 17 Personen registriert. Die Staatssicherheit
verbuchte es als großen Erfolg ihrer vorbeugenden Tätigkeit, dass in
der gesamten DDR 42 versuchte Grenzübertritte verhindert werden
konnten, zehn davon nach West-Berlin. Darunter war auch ein
spektakulärer Versuch, die Grenze nach West-Berlin mit einer
prominenten Geisel zu durchbrechen. So planten, nach Informationen der
Staatssicherheit, vier Jugendliche aus Rangsdorf den Chefkommentator
des DDR-Fernsehens, Karl-Eduard von Schnitzler, zu entführen. Der Plan
der „Rowdygruppe“ sah vor, zum Zeitpunkt der Eröffnung der
Weltfestspiele, „ ... an der Grenzübergangsstelle
Friedrich-Zimmerstrasse, unter Androhung der Erschießung des
Chefkommentators, das Passieren der Staatsgrenze nach Westberlin zu
erzwingen.“/53/ Offenbar rechnete die Gruppe damit, dass die
Sicherheitsorgane das Leben der Geisel in solch einer Situation nicht
unnötig gefährden würden. Als Motiv gaben die vier ihre ablehnende
Haltung gegenüber den Weltfestspielen an.
3 Zusammenfassung
Die Staatssicherheit wertete ihren Einsatz zu den X. Weltfestspiele als
vollen Erfolg. „Im gesamten Zeitraum der Vorbereitung und Durchführung
der X. Weltfestspiele war die politisch-operative Lage in der
Hauptstadt und in allen Bezirken der DDR normal und stabil. Die
Sicherheit und Ordnung waren jederzeit gewährleistet.“/54/ Erich Mielke
konnte am 6. August 1973 stolz vermelden, dass die bewaffneten Organe
der DDR, allen voran das Ministerium für Staatssicherheit, die an sie
gestellten Aufgaben voll und ganz erfüllt haben./55/
Als Erfolg wurde die vorbeugende Arbeit eingeschätzt, besonders die
Maßnahmen zur Bekämpfung der Asozialität, die Verhinderung von
Berlinreisen und die Aufdeckung von geplanten Grenzübertritten./56/ Es
gab kaum nennenswerte Zwischenfälle, wenn man von etwa 13 Gramm
Haschisch, einer geringen Menge Schund- und Schmutzliteratur und einer
Pistole der Marke Browning absieht, die an der Grenze sichergestellt
wurden./57/ Im Zeitraum der Festspiele wurden durch Staatssicherheit
und Volkspolizei 213 Personen festgenommen. Gegen 93 von ihnen wurden
Ermittlungsverfahren eingeleitet, davon endeten 76 mit Haft. Unter den
festgenommenen waren 24 Festivalteilnehmer, 3 davon aus ausländischen
Delegationen. Ein Mitglied der finnischen Festivaldelegation wurde
festgenommen, weil er in stark angetrunkenem Zustand eine DDR-Fahne von
einem Wohnhaus entfernt hatte, um sich diese als Souvenir mit nach
Hause zu nehmen./58/ Gegen die ausländischen Gäste wurden allerdings
keine weiteren Maßnahmen eingeleitet. Überhaupt musste das MfS
feststellen, dass ein Grossteil der ermittelten jugendlichen Täter
unter starkem Alkoholeinfluss stand./59/
Selbstzufrieden konnte die Staatssicherheit feststellen, dass die im
Zusammenhang mit der Aktion „Banner“ registrierten Vorkommnisse, im
Vergleich zu den Aktionen „Jubiläum“ (20. Jahrestag der DDR) und
„Meilenstein“ (VIII. Parteitag der SED), bedeutend geringer ausgefallen
sind. So wurden zur Aktion „Meilenstein“ von 1971 in nur fünf Tagen 326
Vorkommnisse registriert, während es bei der zwölf Tage andauernden
Aktion „Banner“ lediglich 124 waren./60/ Dies erstaunt umso mehr, wenn
man bedenkt, dass mehrere hunderttausend Jugendliche und Gäste an den
X. Weltfestspielen teilnahmen.
Die geringe Zahl von Vorkommnissen rechtfertigte die von der
Staatssicherheit ausgegebene Taktik. Demnach hatte der schon im Vorfeld
in Gang gesetzte Repressions- und Kontrollapparat funktioniert.
Allerdings war es, trotz des gewaltigen Aufgebots an Mensch und
Material, dem MfS nicht möglich, eine totale Kontrolle über die
Weltfestspiele zu erlangen. So schätzte die Hauptabteilung XX die Zahl
der festgestellten Kontakthandlungen, von DDR-Bürgern mit Personen aus
dem nichtsozialistischen Ausland, als relativ ein. Es musste zugegeben
werden, dass die Kontakttätigkeit „ ... während des Festivals weit
höher lag.“/61/ Für die Jugendlichen gab es also, abseits von Kontrolle
und Überwachung, genügend Freiräume.
Die Doppelstrategie der Staatssicherheit, durch Repressionen im Vorfeld
mögliche Gefahrenherde auszuschließen und sich während der
Weltfestspiele in Toleranz zu üben und im Hintergrund zu agieren, hatte
sich bewährt. Das MfS nutzte die gewonnenen Erkenntnisse und
Erfahrungen aus dem Einsatz zu den X. Weltfestspielen zur „ ...
weiteren Vervollkommnung der Formen und Methoden der Arbeit auf diesem
Gebiet, für die weitere Erhöhung der Schlagkraft der bewaffneten
Organe.“/62/
Anmerkungen/Nachweise
1 Protokoll der Einweisung der Repräsentanten der Partei- und
Staatsführung und weiterer führender Genossen in den Gesamtplan der
Maßnahmen zur Gewährleistung der Sicherheit während der X.
Weltfestspiele, 5. 07. 1973, BStU, MfS, GVS 005 – 680/73, Bl. 92.
2 BStU, MfS, ZOS Nr. 1173, Bl. 72ff., o.D.
3 Einführende Bemerkungen zur Informierung über den “Gesamtplan der
Maßnahmen zur Gewährleistung der Sicherheit während der X.
Weltfestspiele”, 5.7.1973. BStU, MfS, ZAIG Nr. 4853, Bl. 3.
4 Hinweise über Pläne, Absichten und Maßnahmen des Gegners sowie
geplante Aktivitäten feindlicher/negativer Kräfte in der DDR im
Zusammenhang mit der Vorbereitung und Durchführung der X.
Weltfestspiele, 26. 06. 1973. BStU, MfS, ZAIG Nr. 4852, Bl. 2.
5 Plan der Maßnahmen zur Gewährleistung der Sicherheit während der X.
Weltfestspiele, 25.7.1973, BStU, MfS, GVS 005 – 644/73, Bl. 24.
6 Protokoll der Beratung des Ministers für Staatssicherheit mit dem
Minister für Nationale Verteidigung und dem Minister des Inneren und
Chef der Deutschen Volkspolizei, 24. 7. 1973, BStU, MfS, GVS 005 –
725/73, Bl. 73.
7 BStU, MfS, GVS 005 – 644/73, Bl. 3-71, Anm. 5, insb. Bl. 23.
8 Ebd., Bl. 6ff u. 4.
9 Ebd., Bl. 20f. u. Tab. des Kräfteeinsatzes des MfS, ebd,. Bl. 65, Anlage 4b.
10 Jens Gieseke, Die hauptamtlichen Mitarbeiter der Staatssicherheit.
Personalstruktur und Lebenswelt 1950-1989/90, Berlin 2000, S. 294.
11 Tabelle des Kräfteeinsatzes des MfS,. BStU, MfS, GVS 005 – 644/73, Bl. 62-64, Anlage 4 u. 4a, Anm. 7.
12 Zu einigen beachtenswerten Problemen im Zusammenhang mit der
Gewährleistung eines störungsfreien und reibungslosen Ablaufs der X.
Weltfestspiele, vom 11. 7. 1973, BStU, MfS, AGM Nr. 2066, Bl. 189.
13 BStU, MfS, GVS 005 – 725/73, Bl. 73, Anm. 6.
14 Übersicht zu eingeleiteten Ermittlungsverfahren wegen asozialen
Verhaltens gem. § 249 StGB in der [...] unmittelbaren Vorbereitung und
Durchführung der X. Weltfestspiele, 5. 8. 1973, BStU, MfS, HA IX Nr.
5354, Bl. 14, Anlage 1.
15 Übersicht über durchgeführte Festnahmen im Rahmen der Maßnahmen zur
vorbeugenden Beseitigung von Gefahrenmomenten [...] während der X.
Weltfestspiele, 23. 7. 1973, BStU, MfS, HA IX Nr. 269, Bl. 28.
16 Übersicht zu Personen, die in psychatrischen Einrichtungen,
Jugendwerkhöfen und Spezialkinderheimen untergebracht wurden, 5. 8.
1973, BStU, MfS, HA IX Nr. 5354, Bl. 21, Anlage 8.
17 Ebd., Bl. 3.
18 Übersicht über die mit kriminell und asozial gefährdeten Personen
geführten Gespräche zwecks Verhinderung einer Einreise in die
Hauptstadt der DDR, Berlin, während der X. Weltfestspiele, 5. 8. 1973,
ebd., Bl. 19, Anlage 6.
19 Übersicht über am 23.7.1973 unter Kontrolle stehende Personen, 5. 8. 1973, ebd., Bl. 20, Anlage 7.
20 Übersicht über aufgelöste kriminelle Gruppierungen, 5. 8. 1973, ebd., Bl. 16, Anlage 3.
21 Einführende Bemerkungen zur Informierung über den “Gesamtplan der
Maßnahmen zur Gewährleistung der Sicherheit während der X.
Weltfestspiele”, 5. 7. 1973, BStU, MfS, ZAIG Nr. 4853, Bl. 3.
22 Schlussfolgerungen und Erkenntnisse aus der Aktion “Banner”, 10. 8.
1973, BStU, MfS, AS Nr. 432/73, Bd. 1a, Bl. 139f, AG/AF.
23 Einsatzplan der Arbeitsgruppe Ausländische Festivalteilnehmer
(AG-AF) zur Vorbereitung und Durchführung der Aktion „Banner“, 11. 5.
1973, ebd., Bl. 51.
24 Grundsätze für die politisch-operativen und taktischen Handlungen
der Einsatzkräfte des MfS zur Verhinderung bzw. schnellen Auflösung von
Zusammenrottungen Jugendlicher, 28. 6. 1973, BStU, MfS, AGM Nr. 1758,
Bl. 38, HA XX. Das Folgende ebd.
25 Ebd., Bl. 36.
26 Schulungsmaterial zur Vorbereitung der Angehörigen der
Hauptabteilung PS auf die Aktion „Banner“, Mai 1973, BStU, MfS, HA PS
Nr. 1007, Bl. 44f.
27 BStU, MfS, AGM 1758, Bl. 73, 28. 6. 1073.
28 BStU, MfS, ZAIG Nr. 25138, Bl. 41.
29 BStU, MfS, GVS 005 – 725/73, Bl. 74, Anm. 6.
30 Ebd., Bl. 74.
31 Einsatzplan zur politisch-operativen Sicherung der Aktion „Banner“
gemäss Befehl Nr. 13/73 [...], 2. 5. 1973, BStU, MfS, ZOS 1171, Bl. 57,
HA XIX.
32 BStU, MfS, ZAIG Nr. 25138, Bl. 39.
33 Stimmungsbericht v 3. 8. 1973, BStU, MfS, ZAIG Nr. 15702, Bl. 3.
34 AG/AF, Abschlusseinschätzung zur Aktion “Banner”, 15. 8. 1973, BStU, MfS, AS Nr. 432/73, Bd. 1a, Bl. 181.
35 Ebd., Bl. 190.
36 AG/AF, Schlussfolgerungen aus der Aktion “Banner”,10. 8. 1973, ebd., Bl. 136.
37 Sicherungskonzeption zur politisch-operativen Sicherung der
ausländischen Festivalteilnehmer während der Eröffnungsveranstaltung
der X. Weltfestspiele am 28. 7. 1973 [...], BStU, MfS, ZOS Nr. 1171,
Bl. 146.
38 BStU, MfS, AS Nr. 432/73, Bd. 1a, Bl. 139, Anm. 22.
39 BstU, MfS, GVS 005 – 725/73, Bl. 78, Anm. 6.
40 Einsatzplan der Arbeitsgruppe Ausländische Festivalteilnehmer
(AG-AF) zur Vorbereitung und Durchführung der Aktion „Banner“, 11. 5.
1973, BStU, MfS, AS Nr. 432/73, Bd. 1a, Bl. 39.
41 Vortrag zur Erläuterung des „Gesamtplanes der Massnahmen zur
Gewährleistung der Sicherheit während der X. Weltfestspiele“, 5. 7.
1973, BStU, MfS, ZOS Nr. 1171, Bl. 224.
42 Ebd., Bl. 44.
43 Ebd., Bl. 36.
44 BStU, MfS, AS Nr. 432/73, Bd. 1a, Bl. 179, Anm. 34.
45 BStU, MfS, AGM Nr. 1758, Bl. 2.
46 BStU, MfS, AS Nr. 432/73, Bd. 1a, Bl. 185, Anm. 34.
47 Konzeption für die Tätigkeit des Zentralen Einlassverbandes, 18.6.1973, BStU, MfS, AGM Nr. 2065, Bl. 35.
48 BStU, MfS, AS Nr. 432/73, Bd. 1a, Bl. 137, Anm. 22. Das Folgende ebd.
49 Ausführungen des Ministers für Staatssicherheit; Protokoll der
Beratung des Ministers für Staatssicherheit mit dem Minister für
Nationale Verteidigung und dem Minister des Inneren [...], 24.7.1973,
BStU, MfS, GVS 005 Nr. 725/73, Bl. 77.
50 Ebd., Bl. 84.
51 Ebd., Bl. 78.
52 Ausführungen des Ministers für Nationale Verteidigung Genosse Hoffmann; Protokoll (Anm. 49), ebd., Bl. 80.
53 Feindlich-negative Handlungen bzw. Vorkommnisse in der Hauptstadt
der DDR in Vorbereitung und Durchführung der X. Weltfestspiele, o.D,
BStU, MfS, ZOS Nr. 1173, Bl. 45.
54 Einschätzung der feindlich-negativen Handlungen bzw. Vorkommnisse in
der Hauptstadt und in den Bezirken der DDR in Vorbereitung und
Durchführung der X. Weltfestspiele, 29.8.1973, BStU, MfS, ZOS Nr. 1173,
Bl. 100.
55 Meldung des Ministers für Staatssicherheit an den Genossen [...]
Vorsitzender des Nationalen Verteidigungsrates, 6.8.1973, BStU, MfS,
AGM Nr. 2066, Bl. 3.
56 BStU, MfS, HA IX Nr. 5354, Bl. 2, 5.8.1973.
57 BStU, MfS, ZOS Nr. 1173, Bl. 66.
58 Abschlussbericht zur Aktion „Banner“, 14. 8. 1973, BStU, MfS, HA IX Nr. 269, Bl. 1f.
59 BStU, MfS, ZOS Nr. 1173, Bl. 22. Anm. 53.
60 Ebd., Bl. 33.
61 Einschätzung festgestellter Kontakthandlungen während der Aktion
„Banner“ und politisch-operative Schlussfolgerungen zur weiteren
schwerpunktmäßigen Bearbeitung, 23.8.1973, BStU, MfS, ZMA XX, Bl. 1.
62 BStU, MfS, AGM Nr. 2066, Bl. 4, Anm. 55.
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