Thema | Kulturation 2/2003 | Deutsche Kulturgeschichte nach 1945 / Zeitgeschichte | Oliver Falk | Quo Vadis? Jugend und Jugendpolitik nach den X. Weltfestspielen
| 1. Einleitung
Quo
Vadis? Diese Frage wäre vielleicht - so könnte man spekulieren - unter
nicht wenigen Jugendlichen der DDR unmittelbar nach dem Festival auf
Unverständnis gestoßen. Oder hatte der real existierende Sozialismus
der DDR nicht etwa gerade bewiesen, zu was er im Stande war? Neben dem
ganzen materiellen Aufwand, den der bravourös meisterte – hatte er
nicht etwa gezeigt, dass er sehr wohl freien Meinungsaustausch und
kulturelle Vielfältigkeit tolerierte, ja sogar unterstützte? Und was
ist mit der Anerkennungswelle der DDR durch viele andere Staaten? Und
gibt es da nicht die Deutsch-Deutsche Annäherung? Gelockerte
Reisebedingungen? Von West nach Ost und von Ost nach Ost? Und nun die
Weltfestspiele! Hier hat sich die DDR offenbart, Maßstäbe gesetzt.
Hinter diese kann sie nun wirklich nicht zurückgehen!
Das die Führung der DDR entgegen dieser weit verbreiteten Überzeugung
sehr wohl wieder einen härteren Kurs einschlug wird bei der genaueren
Betrachtung nachfolgender Entwicklungen, vor allem solcher von
jugendpolitischer Bedeutung, deutlich.
Im Folgenden soll nun genauer auf den politischen Prozess eingegangen
werden, der 1974 in einem neuen, dem dritten Jugendgesetz der DDR
kulminierte. Bereits weit vor den Weltfestspielen einsetzend und nach
diesen forciert, zeigt dieser in einiger Deutlichkeit, wie weit die
Vorstellungswelten großer Teile der ostdeutschen Jugend – nicht zuletzt
unter dem Eindruck des Festivals - und den tatsächlichen
jugendpolitischen Entwicklungen auseinander klafften.
2. Wirkung der X. Weltfestspiele auf die ostdeutsche Jugend
Die X. Weltfestspiele waren für alle Beteiligten ein großer Erfolg.
Quer durch die ganze Bevölkerung überwog eine positive Bilanz teilweise
sogar überschwängliche Euphorie in der Bewertung der Ereignisse jener
Augusttage. So erhielt beispielsweise der 1. Generalsekretär der SED
Erich Honecker von einem älteren Genossen eine Postkarte, auf der
dieser bemerkte: „Zwanzig müsste man noch mal sein! “
Die X. Weltfestspiele hatte also offensichtlich nicht nur die Jugend
beeindruckt, sondern auch die Menschen älterer Generationen.
In den Augen der SED und FDJ galt das Festival ohnehin als ein voller
Erfolg, nicht zuletzt deswegen, weil es zu einem größeren Einfluss
unter der Jugend verhalf. Grund dafür war nicht zuletzt das Bemühen,
die Atmosphäre der WFS über die Grenzen der Hauptstadt hinaus in die
Republik zu tragen. Dies wurde unter anderem dadurch erreicht, indem
man breit angelegte Live Übertragungen im Fernsehen ausstrahlte (allein
im I. Programm ganze 113 Stunden Farbfernsehbeiträge) [1], einen quer
durch die DDR führenden sogenannten Festivalexpress einrichtete und
eine Vielzahl „kleiner Festivals“ in allen großen und größeren Städten
der Republik organisierte. Von Rostock bis Suhl belief sich die Zahl
auf 23.000 „kleine Festivals“, die insgesamt ein Publikum von über
2.300.000 Menschen fanden. [2] So musste man nicht eben nach Berlin
delegiert worden sein, um ein wenig vom Festivalglück abzubekommen. Der
damals Jugendliche W. Schröder, Radfahrer beim sportlichen
Rahmenprogramm in Leipzig, erinnert sich:
„[Das] fand ich eigentlich toll. [...] Also anders kann man das
nicht sagen. Es [...] sind doch gigantische Sachen bewegt worden, was
heute eigentlich nicht denkbar ist. Weil jeder ja so fragt: Was kriege
ich dafür? Und damals war es der Idealismus. Man brauchte nicht auf
Arbeit gehen, man hat einen tollen Verpflegungsbeutel gekriegt,
vielleicht eine Apfelsine oder eine Banane drin.“ [3]
Jenseits der Freude über Südfrüchte, war es vor allem dem Großaufgebot
an allerhand Kulturveranstaltungen, dem unbefangenen Umgang mit ebenso
bekanntem, wie skeptisch beäugten jugendlichen Habitus und auch dem
freundlichen Auftreten der Sicherheitskräfte geschuldet, dass man in
dieser weltoffenen Atmosphäre die ersten Anzeichen des Erfüllen jener
Hoffnungen sah, die man in Honecker gesetzt hatte, und die mit dem
Grundlagenvertrag neue Nahrung erhielten.
Zu einem besseren Verständnis, wie ungefähr die Atmosphäre in Berlin
und rund um den Alexanderplatz gewesen sein könnte, kann durchaus ein
kurzer Ausschnitt aus Christoph Dieckmanns Erinnerungsbüchlein „Die
Liebe in den Zeiten des Landfilms“ beitragen. Mit einem Augenzwinkern
weiß er uns aus seinen Erinnerungen folgendes zu berichteten:
„Heinrich [Alter Ego Dieckmanns] reiste nach Berlin. Die
Hauptstadt der Bürokratischen Republik wurde gerade heimgesucht von
jener weltoffenen Atmosphäre, die der Vorsteher des Landes schon seit
längerem plante.
Berlin, die Räuberin unter den Städten, tanzte, wimmelte und sang, denn
Hunderttausende von internationalen Gästen, der progressive Nachwuchs
sämtlicher verfügbaren Nationen, begingen die X. Weltfestspiele der
Jugend und Studenten. Selbst in diesem Tollhaus fiel Heinrich auf. Er
hatte sich in Kutte geworfen, den Parka mit dem großen polnischen
Black-Sabbath-Aufnäher. Lässig Gummi kauend hinterm
Existentialistenblick, behaart mit der coolsten Matte der Stadt, so
lungerte er am Fuße des Telespargels, im Volksmund auch Fernsehturm
genannt. Bald war er weiblich umringt, grunzte Anglizismen und schrieb
Autogramme. ´Where you want my writing?` fragte er entzückte Blauhemd-Maiden in einem Amerikanisch, das seiner Harzer Abkunft durchaus inne war. Hier, hier on arm! quietschten und drängelten die Darnen, und Heinrich signierte mit Schwung: Danny Joe Brown, Manhatten!!! [...]Sodann
betrat er das Kaufhaus „Centrum“ am Alexanderplatz [...] eilte ins
Männerklo und schnürte sich den rechten Unterschenkel aufs Gesäß.
Derart versehrt, hüpfte er zur Herren-Schuhabteilung und verlangte
einen Rinds-Boxcalf-Slipper der Größe zweiundvierzigeinhalb – den
linken bitte! Die Verkäuferin stammelte, man gebe nur komplette Paare
ab. Darauf schalt Heinrich die Bürokratische Republik einen Betrug am
behinderten Menschen. Verhaftung unterblieb, wegen weltoffener
Atmosphäre.“ [4]
Mit den vielen ausländischen Delegationen und einer bislang unbekannten
freizügigen Diskussionsatmosphäre in sogenannten Sit-ins und darüber
hinaus, wehte ein Hauch von großer weiter Welt in die Enge der kleinen
Republik. So blieb es nicht aus, dass V„...das Festival [...] unter der
Jugend den Wunsch nach weiteren internationalen Kontakten und
jugendgemäßen Artikulationsmöglichkeiten [weckte].“ Darüber hinaus
[...] hatte [es] das Lebensgefühl der jungen Generation angesprochen,
Optimismus verbreitet und Hoffnungen auf die Zukunft geweckt.“ [5]
Das es sich hierbei nicht allein um rückblickende Interpretationen
damaliger Jugendlicher handelt wird von den Eindrücken der am Festival
teilnehmenden westlichen Jugendlichen unterstrichen, die bei FDJlern –
wie sie sagten - Optimismus und Zuversicht feststellen konnten. Diese
Tendenzen der Einschätzung war auch in der relativ breiten
Berichterstattung überregionaler Zeitungen der BRD und Westberlins zu
erkennen, wie ein Abschlussbericht über den Verlauf der Weltfestspiele
an das Politbüro vermerkt.
„In den großen überregionalen Zeitungen der BRD und Westberlins war
eine kontinuierliche, relative breite Berichterstattung zu verzeichnen.
Folgende Haupttendenzen wurden sichtbar:
[...] Angesichts des Selbstbewusstseins, der echten Begeisterung der
Jugendlichen der DDR und der Freizügigkeit und Toleranz, die in Berlin
zutage treten, müsse man im Westen von alten Klischee-Vorstellungen
über die innere Stabilität des Regimes in der DDR und über die
politische Haltung ihrer Jugend Abschied nehmen.
Das Zugeständnis einer weltoffenen Diskussion mit Andersdenkenden sei
für die SED-Führung ein großer politischer Test gewesen, dessen
Ergebnis positiv ausgefallen sei. Das Erlebnis dieses freien
Meinungsaustausches, hunderttausender Jugendlicher der DDR, werde es
der SED andererseits schwer machen, hinter die durch das Festival
gesetzten Maßstäbe zurückzugehen.“ [6]
Konnte sie wirklich nicht? Dies war eine Fehleinschätzung, der nicht
nur westliche Medien, sondern eben auch große Teile der ostdeutschen
Jugend erlagen.
3. Nach den X. Weltfestspielen
Die Hoffnungen und Wünsche der Jugendlichen, hatten sich im
wesentlichen kaum geändert. Sie blieben die selben, wie sie bereits im
Vorfeld der Weltfestspiele artikuliert wurden. Das Festival war letzten
Endes nichts anderes als eine Art Katalysator für allerlei
Begehrlichkeiten. Gleichwohl blieb die Erfüllung der Hoffnungen nach
den X. Weltfestspielen aus. Bereits nach kurzer Zeit zog der Alltag und
damit „der alte Trott“ wieder ein. [7] In einer Information der
Abteilung Verbandsorgane vom 17. 4. 1974 lässt sich denn auch ein -
gemessen an der Realität - vermutlich relativ vorsichtig formulierter
Satz lesen. Unter Punkt 1, übertitelt mit dem Wort „Gesamteindruck“
steht:
„[...] Eine Reihe von FDJlern weist darauf hin, dass die Erfahrungen
der X. Weltfestspiele ungenügend genutzt werden und teilweise auch der
Elan und die jugendgemäße Atmosphäre in den FDJ Kollektiven
zurückgegangen sind.“ [8]
Zurückgegangen war allerdings nicht nur der Elan, sondern auch das im
Vorfeld der Weltfestspiele gestiegene Interesse an der Arbeit im
Jugendverband. War seit 1970 die absolute Mitgliedzahl jährlich um fast
100.000 Jugendliche gestiegen, ließen sich im Jahr 1974 gerade mal
15.000 neue Mitgliederzugänge verzeichnen. [9] Grund dafür war die
allgemeine Ernüchterung unter den Jugendlichen, die relativ schnell
nach den Weltfestspielen eintrat.
Exemplarisch dafür folgende Äußerung eines ehemaligen Lehrlings aus Altenburg. [10]
„Es war eine einmalige Situation, und danach ging es mit dem
gleichen stupiden Schwachsinn in FDJ-Manier weiter.“ Und weiter
erinnert sich dieser: „Es war, glaube ich, nie das Ziel – so wie wir
damals dachten -, dass das ein Anfang zur Öffnung ist.“
Einer von der politischen Führung aus der Einsicht in die Notwendigkeit
betriebenen liberaleren Jugendpolitik vor den X. Weltfestspielen folgte
nunmehr eine Regulierung bzw. eine klare Eingrenzung der im Zuge des
Festivals entstandenen Freiräume in Form eines neuen Jugendgesetzes.
Gerade an der Diskussion um dieses dritte der Jugendgesetze der DDR
lässt sich ablesen wohin der Weg nach den Weltfestspielen führen würde.
„Die Disziplinierung der ostdeutschen Jugendlichen erhielt mit dem Jugendgesetz [...] einen neuen gesetzlichen Rahmen.“ [11]
4. Zur Entstehung, Bedeutung und Wirkung des Jugendgesetzes 1974
Die SED-Führung, hoch zufrieden mit dem Verlauf des Festivals,
forcierte nun die bereits 1972 begonnene Diskussion um ein neues
Jugendgesetz. So formulierte Albert Norden zur 10. Tagung des ZK der
SED (2.10.1973):
„Die X. Weltfestspiele waren ein überzeugender Ausdruck des
gewachsenen Bewusstseins der Jugend der DDR. [...] Wir sind davon
überzeugt, dass gerade die Erfahrungen der X. Weltfestspiele geeignet
sind, die begonnene Diskussion über den vom ZK der SED vorgeschlagenen
Entwurf eines neuen Jugendgesetzes zielgerichtet und breit
weiterzuführen und dieses bedeutsame Dokument unserer Jugendpolitik in
die Tat umzusetzen.“ [12]
Im Vordergrund des neuen Jugendgesetzes stand vor allem die materielle
Besserstellung der Jugend, die zum größten Teil auf junge Ehen und
Familien sowie Lehrlinge abzielte. Auf dem Gebiet des kulturellen
Lebens und der Freizeitgestaltung Jugendlicher indes war man bestrebt
nun wieder klare Grenzen zu ziehen. An erster Stelle, so lässt sich
einer Vorlage des Zentralrates der FDJ (6. Dez. 1972) an das Politbüro
entnehmen, müsse
„Bestimmendes Anliegen aller im Jugendgesetz festzulegenden Aufgaben
[...] die Erziehung [der Jugend zu] klassenbewusste[n] Sozialisten[...]“ [13] sein.
Gerade auf dem Gebiet der Freizeitgestaltung der Jugend sah man, um
diesem Anspruch gerecht zu werden, allerdings noch großen
Nachholbedarf.
In einer Expertise (1972) [14] – also noch weit vor den WFS - zur
Ausarbeitung des Jugendgesetzes wird deutlich, welche Probleme man in
der Freizeitgestaltung der Jugend erkannt haben wollte.
„Die Freizeitgestaltung...“ so lässt sich erfahren
„...wird vor allem auf den entscheidenden unteren Leitungsebenen nicht
mit der notwendigen Planmäßigkeit geführt. Spontaneität und
Subjektivität haben in diesem so bedeutsamen Bereich des
gesellschaftlichen Lebens zu viel Spielraum. [...] In vielen Städten
und Gemeinden besteht ein großer Nachholbedarf bei der Gestaltung einer
vielseitigen, niveauvollen Freizeit als Teil der sozialistischen
Lebensweise.
[...] Deutlich muss erkannt werden, dass die durch die im ganzen
unbefriedigende Lage im Freizeitbereich relativ günstige Bedingungen
für das Eindringen feindlicher Auffassungen über Form und Inhalt der
Freizeitgestaltung gegeben sind. [...]
Ein Vorschlag, wie die bestehenden Problem zu lösen seien wurde gleich mitgeliefert:
„Eine der entscheidenden Voraussetzungen, um mit dem Jugendgesetz
spürbare Veränderungen auf dem Gebiet der Freizeitgestaltung der Jugend
zu erreichen, ist – [...] – eine klare inhaltliche Zielbestimmung.
[...] Diese Zielbestimmung ist auch erforderlich, um der Jugend selbst
klarer als bisher zu erläutern und zu begründen, wie ein junger
Sozialist seine Freizeit heute und künftig gestalten soll. Eine solche
gesellschaftliche Normierung des Freizeitverhaltens fehlt unseres
Erachtens gegenwärtig.“
Ging die Forderung nach einer Normierung jugendlichen
Freizeitverhaltens im allgemeinen Vorbereitungstrubel der
Weltfestspiele ein wenig unter – sicherlich auch weil es zu diesem
Zeitpunkt eher unpassend erschien - , wurde nun nach dem Festival eine
solche forciert. Wie in der Expertise bereits angeklungen stand nunmehr
– und das nicht nur in der Diskussion sondern auch im Jugendgesetz
selbst – die „Entwicklung der Jugend zu sozialistischen Persönlichkeiten“ [15] an erster Stelle.
Letztlich war dieses Jugendgesetz Ausdruck des ambivalenten
Verhältnisses der politischen Führung zur Jugend. Einerseits erkannte
man sehr wohl die Notwendigkeit der Förderung Jugendlicher, gleichwohl
beschränkte sich diese aber vor allem auf die materielle Versorgung.
Ungefähr ein Jahr nach Erlassen des Gesetztes vermerkte man, das
nunmehr:
„- ...knapp 400000 Lehrlinge ein höheres Lehrlingsentgelt erhalten
- deren Urlaub auf 24 Tage erhöht wurde
- das durch staatl. Zuschüsse im Jahr 74 das Mensaessen verbessert wurde
- über 900 Jugendklubs neu gebildet wurden
- 280 Sporteinrichtungen geschaffen wurden
- und über 1 Millionen Kinder ihre Sommerferien in einem Ferienlager verbringen konnten.“ [16]
Auf der anderen Seite indes war ein fast in Paranoia ausuferndes
Misstrauen gegenüber den sogenannten Hausherren von Morgen zu
verzeichnen. Auch wenn in der Lesart eines Horst Sindermanns die Jugend
zu den „Bahnbrechern des Neuen“
[17] gehört: Welchem Neuem allerdings die Bahn gebrochen werden sollte,
lag nicht in der Entscheidung der Jugendliche selbst; es war staatlich
klar vordefiniert.
So formulierte Erich Honecker:
„Dem Sozialismus [...], und nur dem Sozialismus, gehört die Zukunft. Und das ist die Zukunft der Jugend.“ [18]
Das Misstrauen gegenüber der Jugend rührte nicht zuletzt daher, dass
man sich offensichtlich nicht so sicher war ob das die Jugendlichen der
DDR ähnlich konsequent sahen. Dementsprechend argumentierte Hans
Jagenow, Sekretär des ZR der FDJ in einem Vortrag vom Dezember 1974:
„Wenn wir davon ausgehen, dass junge Menschen nicht automatisch
Sozialisten werden und sich das Klassenbewusstsein ebenso wenig von
einer Generation auf die andere vererbt, [...], dann wird klar, wie
wichtig die konsequente Anwendung der entsprechenden Festlegungen des
Jugendgesetzes für die Verstärkung der politisch-ideologischen
Erziehungsarbeit ist.“ [19]
Hierbei drängt sich unwillkürlich der Verdacht auf, dass mit der
materiellen Besserstellung, wie beispielsweise der Schaffung neuer
Jugendklubs, vor allem auf eine bessere Einflussnahme auf jugendliche
Sphären abgezielt wurde. Dies wurde gar von vielen Jugendlichen selbst
wahrgenommen:
„Fragen und Argumente zur Position des Einzelnen in der DDR – Häufig aufgetreten:
- Ich habe im Sozialismus zu wenig persönliche Freiheit. Ich soll
politisch organisiert sein, aber ob ich davon überzeugt bin, danach
fragen mich meine Lehrausbilder nicht.
- Bei uns ist das Freizeitleben politisiert. Wenn man nicht die gesellschaftliche Norm einhält, ist man das schwarze Schaf.
- Warum heben wir immer die Rolle des Kollektivs hervor? Ich habe selbst eine Meinung und weiß, was ich zu tun habe.“ [20]
Dem Wunsch nach Individualismus, so wird deutlich, stand die Normierung
des gesellschaftlichen Lebens gegenüber. Wollte man sich als
Jugendlicher keine Unannehmlichkeiten einhandeln, blieb nichts anderes
übrig, als sich einzureihen.
Raum für jugendlichen Eigensinn – war er ohnehin schon knapp bemessen –
gab es nach den X, Weltfestspielen nun kaum noch. Die Hoffnungen und
Illusionen ostdeutscher Jugendlicher, genährt durch Machtwechsel,
Grundlagenvertrag und Weltfestspiele, die Phase des Gefühls eines
Aufbruchs, fanden mit dem neuen Jugendgesetz zu ihrem entgültigen Ende.
In dieses Entwicklung passt eben auch das Verbot der Klaus-Renft-Combo
1975. Bedenkt man, dass die Renft-Combo zu den X. Weltfestspielen noch
die inoffizielle Festivalhymne „Ketten werden knapper“ geliefert hatte
und sich auf ihren Konzerten einem begeisterten Publikum gegenübersah,
kann diese, durchaus gewünschte, Symbolwirkung des Verbots kaum
unterschätzt werden. In die, wiewohl oft zitierten, aber doch eben
passenden Worte Reiner Kunzes übersetzt, hieß das wohl:
„Hier wird nicht gespielt! Eure Zeit ist vorbei [...]!“ [21]
Anmerkungen
[1] Information an das Politbüro vom 31. August 1973. SAPMO-BArch, DY 30 / vorl. SED / 18052.
[2] Ebd.
[3] Zit. nach Ohse, Marc-Dietrich: Jugend nach dem Mauerbau. Anpassung,
Protest, Eigensinn (DDR 1961–1974). Berlin 2003. Hier: S. 355 f.
[4] Dieckmann, Christoph: Die Liebe in den Zeiten des Landfilms. Eigens erlebte Geschichte. Berlin 2002. Hier: S. 112 ff.
[5] Mählert, Ulrich / Stephan, Gerd-Rüdiger: Blaue Hemden – Rote
Fahnen. Die Geschichte der Freien Deutschen Jugend. Opladen 1996. Hier:
S. 200.
[6] wie Anm. 1
[7] Ohse. Jugend. S. 356.
[8[ Abteilung Verbandsorgane. Informationen über Hinweise und Probleme
aus Leserbriefen an die Redaktion “Neues Leben” zur Diskussion: Gewählt
– Was nun? 17.4.1974. SAPMO-Barch, DY 30 / vorl. SED / 14313.
[9] Ohse. Jugend. S 362.
[10] Zit. nach Rossow, Ina: Rote Ohren, roter Mohn, sommerheiße
Diskussionen. Die X. Weltfestspiele der Jugend und Studenten 1973 als
Möglichkeit für vielfältige Begegnungen. In: Fortschritt, Norm und
Eigensinn: Erkundungen im Alltag der DDR. Hg. v. Dokumentationszentrum
Alltagskultur der DDR. Berlin 1999. S. 156-275. Hier: S. 272f.
[11] Ohse. Jugend. S. 360.
[12] Aus dem Bericht des Politbüros an die 10. Tagung des ZK der SED
(2. 10. 1973). Berichterstatter Albert Norden. Berlin 1973.
[13] FDJ-ZR, Vorlage für SED-Politbüro, 6.12.1972, SAPMO-BArch, DY 30 /
J IV 2 / 2 / 1426, Bl. 21. Zit. Nach Ohse. Jugend. S. 358.
[14] Zentralinstitut für Jugendforschung. Expertise zur Ausarbeitung
des Jugendgesetzes 1972. SAPMO-BArch, DC 4 / 1745, Bl. 37 ff.
[15] Das Jugendgesetz der DDR. Materialien der 12. Tagung der
Volkskammer der DDR am 28. Januar 1974. Hg. v. Abteilung Presse und
Information des Staatsrates der Deutschen Demokratischen Republik. Heft
9. Berlin 1974. Hier: § 1.
[16] FDJ-ZR. Vortrag von Hans Jagenow. 2.12.1974. SAPMO-BArch, DC / 4 / 1751.
[17] Sindermann, Horst. In: wie Anm. 15). S. 17.
[18] Honecker, Erich: Die Jugend der Deutschen Demokratischen Republik
und die Aufgaben unserer Zeit. 20.10.1972. In: Ders.: Reden. Bd. 2. S.
63. Zit. Ohse. S. 363.
[19] wie Anm. 16.
[20] FDJ-ZR. Abteilung Verbandsorgane. Aktuelle Fragen und Argumente
unter der Jugend und Initiativen aus FDJ Grundorganisationen 1973. Hier
vom 16.10.1973. SAPMO-BArch , DY / 24 / FDJ A / 9037.
[21] Kunze. Reiner: Die wunderbaren Jahre. Frankfurt 1998 (1978). S. 42f.
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