Thema | Kulturation 1/2009 | Deutsche Kulturgeschichte nach 1945 / Zeitgeschichte | Rainer Knapp | Freikörperkultur im DDR-Sportverein
| Zu
den Eigenheiten der ostdeutschen Gesellschaft gehörte eine Vorliebe für
nacktes Baden an öffentlichen Orten und für ein geselliges Leben ohne
lästige Bekleidung - „Freikörperkultur“. Unser Autor Raimund Knapp
(geboren 1931 in Stuttgart) gehörte zu den organisierten Naturisten und
hat aus aktuellem Anlass auf die einstigen Motive für seinen Anschluss
an die FKK-Bewegung zurückgeblickt. Dabei hat er auch sein Fotoarchiv
durchgesehen und ist sogar auf Fotos aus der Geschichte seines Vereins
vor 1933 gestoßen. Von diesen bislang unveröffentlichten gut achtzig
Jahre alten Fotos geben wir einige im Anhang wieder. (Alle Fotos R.
Knapp und Archiv R. Knapp)
Neulich fragte mich ein Fünfzehnjähriger aus dem Bekanntenkreis,
was es im Osten mit FKK auf sich hatte. Er hatte erfahren, dass das
Nacktbaden ausgerechnet in der DDR weit verbreitet war. Nun wollte er
von mir wissen, wie dies zu erklären sei.
Ich muss zugeben, dass ich ihm spontan zwar bestätigen konnte, dass
sich FKK in der DDR zu einer unorganisierten Massenbewegung entwickelte
und ich mich mit meiner Familie da gerne mitbewegen ließ. Doch ich
hatte den Eindruck, dass mir eine richtig überzeugende Antwort nicht
gelang. Vielleicht ist es heute für einen fast 80jährigen auch gar
nicht so einfach, einem jungen Mann von heute zu erklären, was ihm FKK
in der DDR bedeutet hat.
Hönow 1931 (Verein für gesunde Lebensweise)
und Hönow 1982 (Sportgemeinschaft Naturfreunde Berlin-Lichtenberg)
Es liegt auf der Hand, dass damit die Angelegenheit für mich nicht
erledigt war. Ich wollte die Frage auch für mich selbst beantworten. 26
Jahre meines Lebens hatte die DDR geprägt und die Freikörperkultur war
da beileibe nicht unwesentlich. Doch diese Seite meines DDR-Daseins
habe ich letztendlich als eine Normalität wahrgenommen, die kaum Anlass
zum Nachdenken bot. Also hole ich dies jetzt nach und will ergründen,
ob sich aus meinen Erfahrungen eventuell etwas verallgemeinern lässt.
Auf die zahlreichen Argumente der FKK-Befürworter und der FKK-Gegner,
wie sie zu lesen und zu hören sind, will ich nicht eingehen. Mein
eigenes Erleben soll zunächst einmal ausreichen.
1963 übersiedelte ich aus Westdeutschland in die DDR. 1966 genoss
ich mit meiner Familie im Ostseebad Wustrow in einem schönen
Erholungsheim meinen ersten und einzigen FDGB-Urlaub (in der Folgezeit
sind wir in die Sektion der Zelturlauber gewechselt). Von einer
unfreiwilligen Erstbegegnung mit Nacktbadern blieben wir verschont. Die
kalten Oktobertage und die 13° Wassertemperatur sorgten dafür.
Vielleicht gut so, denn zu dieser Zeit waren wir auf so etwas nicht
vorbereitet. Wie auch! Unsere Vergangenheit in Baden-Württemberg und in
Bayern hat uns – wenn dort FKK überhaupt ein Thema war – genügend
Vorurteile mitgegeben.
Wustrow aber hatte zumindest signalisiert: Achtung bei eventuell weiteren Ostseereisen, Nackedeis lauern dort überall.
Zwei Jahre später machten wir Urlaub auf dem Zeltplatz Altenkirchen
auf der Insel Rügen. Angesagt war eine Wanderung 6 km entlang der
bewaldeten Düne namens Schaabe bis nach Glowe. Auf halber Strecke
forderten unsere Kinder (9 und 5 Jahre alt) eine Badepause ein und
drängten uns durch die Düne zum Strand. Dabei landeten wir, ohne dass
uns ein Warnschild abgehalten hätte, auf einem der weitläufigsten
Nacktbadereviere der ganzen Ostsee. Wir hatten gar keine Chance zur
Umkehr, denn unsere Kinder passten sich in Sekundenschnelle der
Situation an und tobten nackt ins Wasser. Was sollten wir nun tun? Wir
entkleideten uns zögerlich und setzten uns mangels fehlender Decke noch
etwas verschämt auf unsere Kleider. Dies war auch mehr oder weniger
zwingend, denn wir befanden uns noch in einem Jahr, wo Angekleidete an
diesen Orten vorschnell als Spanner angesehen und ermahnt wurden.
Wie zu erwarten, beendeten wir unseren ungeplanten Aufenthalt am
FKK-Strand zunächst einmal mit der Erkenntnis, dass das Baden und
Schwimmen ohne Badebekleidung ein herrliches Körpergefühl erzeugt; und
dass das anschließende Trocknen, ohne in den nassen Klamotten
eingezwängt zu sein, ungleich angenehmer ist als mit. Und da Hunderte
um uns herum wohl der gleichen Ansicht waren: Vor wem hätten wir uns
denn da schämen sollen?
Ach ja, was uns noch auffiel, ohne es zu ergründen: Auf dem
FKK-Gelände standen im Gegensatz zum Textilstrand keine Strandkörbe; es
waren auch fast keine Strandburgen zu sehen. Gab es da eine
unausgesprochene Verständigung oder lag es am Desinteresse, sich von
der Allgemeinheit abzuschotten? Hatten wir es da gar mit einer neuen
menschlichen Spezies zu tun?
Es kam wie es kommen musste: In den folgenden Tagen gehörten wir
auch dazu, ohne uns groß über den Sinn unseres veränderten Verhaltens
Gedanken zu machen. So schnell kann ein Aha-Erlebnis zu neuen
Einsichten führen! Ich kann mich aber daran erinnern, dass ich zunächst
noch für kurze Zeit die missliche Vorstellung hatte, dass mich so nackt
mein Chef oder eine Mitarbeiterin sehen könnte. Ein blöder weil
unlogischer Gedanke, denn sie wären ja dann auch nackt gewesen.
Irgendeinen Missionstrieb, unsere Mitmenschen zu überzeugen,
verspürten wir nicht. Es reichte allenfalls zu einem etwas
überheblichen Mitleid mit den Textilbadern, die nach wie vor aus
Gewohnheit oder aus einem inneren Bedürfnis heraus, aus ästhetischen
Gründen (ein alter Körper auch noch nackt – nicht zum Ansehen!), aus
moralischen Rücksichten oder auch nur aus Scheu, um das Wort
Verklemmtheit nicht zu gebrauchen, auf ihre Badebekleidung nicht
verzichten wollten.
So schnell also kann man Meinungen und Verhaltensweisen
austauschen! Und doch entwickelte sich bei uns erst so nach und nach
ein Bedürfnis nach Dauerhaftigkeit. Kurzum, die folgenden Urlaubsorte
suchten wir schon nach FKK-Möglichkeiten aus. Doch Ostsee-Zeltplätze
wurden in den Ferienmonaten auf Antrag zugeteilt, und eine Genehmigung
für die begehrtesten unter ihnen – an erster Stelle das FKK-Areal
zwischen Prerow und Darßer Ort – war nur in größeren Jahresabständen zu
bekommen. Und da das Binnenland mit der rasanten FKK-Entwicklung nicht
Schritt hielt, war man schon glücklich, wenn dort der eine oder andere
See-Zeltplatz eine FKK-Ecke ausgewiesen hatte. Je südlicher man kam,
desto schwerer machten es sich wohl die zuständigen örtlichen
Verwaltungen, dafür entsprechende Strandabschnitte freizugeben.
Doch: Einmal nackt baden – immer nackt baden! Und „echte“ FKKler
sind zuweilen zäh. Sie eroberten sich nach und nach, oftmals Gebote und
Verbote ignorierend, immer mehr Strandgebiete. Kein stillgelegter
Baggersee war vor ihnen sicher. Zwar galt formal immer noch eine
ministerielle Anordnung aus dem Jahre 1956 (siehe Anhang), doch sie
wurde nur noch halbherzig umgesetzt und verlor in den siebziger und
erst recht in den achtziger Jahren dann trotz ihrer andauernden
Gültigkeit fast gänzlich an Bedeutung.
Man muss konstatieren, dass sich die Mehrzahl der Urlauber an der
Ostsee, die die Möglichkeit des Nacktbadens gerne für sich in Anspruch
nahm, damit begnügte und geduldig auf den nächsten Urlaub wartete. Doch
was passierte mit denen, die sich unheilbar infizierten und sich mit
dieser kurzen Zeitspanne nicht zufrieden geben wollten? Die erkannt
hatten, dass es ja nicht allein um das Baden ging, sondern dass
Nacktheit weitergehende gesundheitsfördernde Vorzüge bot? Auch
brauchten wir nur an die Chancen unserer Kinder zu denken, Nacktheit
als etwas Natürliches zu begreifen.
Kurz, auch wir wollten nicht nur unsere zwei Urlaubswochen unter
FKK-Bedingungen verbringen, sondern die warme Jahreszeit möglichst oft
und lange zum Nacktsein im Wasser oder an der Luft nutzen. Wir waren
Berliner, wohnten in der Innenstadt, hatten weder Kleingarten noch
Datsche. Unsere gewachsenen Vorstellungen von gesundheitsbewusster
Nacktkultur konnten sich aber nur in der freien Natur realisieren. Der
Überlegung, dass es in einer Großstadt doch Gleichgesinnte geben muss,
folgte die Suche nach einer FKK-Möglichkeit in Berlin.
Sicher, wir hätten sie in dieser Zeit in der Berliner Umgebung
schon finden können, Am Müggelsee, am Autobahnsee bei Velten, am
Motzener See. Doch uns bei schönem Wochenendwetter morgens mit den
Kindern und vollen Badetaschen dorthin auf den Weg und abends auf den
Rückweg zu machen, schien uns zu aufwendig und irgendwie unzulänglich.
Wir wollten ja mehr.
Wie alles andere, war in der DDR auch das Vereinswesen schön
durchorganisiert: Rechtlich akzeptierte und öffentlich förderwürdige
Gemeinschaften konnten nur als Gruppierungen von Großorganisationen
gebildet werden. Sich zum Vergnügen oder aus Gesinnung nackt zu
gesellen, das war als Organisationsgrund nicht akzeptiert, eine
Vereinsbildung der Naturisten, um diesen Begriff einmal zu gebrauchen,
war schlichtweg unmöglich. Während den meisten Nackedeis die zufällige
Gemeinschaft der offenen Strände und Zeltplätze genügte, bildeten die
konsequenteren Naturisten meist Sektionen bei betrieblichen und
örtlichen Sportvereinen oder unter einem unverfänglichen Namen. Und so
haben auch wir schließlich einen solchen Verein gefunden. Durch einen
Zufall sind wir auf die „Sportgemeinschaft Naturfreunde
Berlin-Lichtenberg“ aufmerksam geworden, die ein Vereinsgelände am
Berliner Stadtrand bei Hönow unterhielt. Auch dieser Verein war nur
deshalb für die FKK-Bewegung zugelassen, weil sich seine Mitglieder
„volkssportlich“ betätigten und er unter dieser Prämisse an den
Deutschen Turn- und Sportbund - DTSB - angeschlossen werden konnte.
Außerdem hatten die Gründer 1965 gute Karten, weil sie auf den
proletarisch orientierten „Verein für gesunde Lebensweise“ hinweisen
konnten, der von 1927 bis zu seinem Verbot 1933 bereits auf diesem
Gelände wirkte und Freikörperkultur betrieb. Auch damals wurde schon
fotografiert, einige Bildbeispiele sind im Anhang zu finden.
Dieser Sportgemeinschaft, gerade mal acht Kilometer von unserer
Stadtwohnung entfernt, konnten wir also beitreten und waren damit nicht
nur Natur- und FKK-Freunde, sondern auch Sportfreunde geworden.
Und so sahen die Vereinsdaten aus: Schwankend 100 bis 200
Mitglieder und Gäste, zwei Sektionen, nämlich Volleyball und
Tischtennis, eine Gruppe Freizeitgymnastik, ein gut funktionierender
Vorstand sowie eine Satzung und eine Ordnung.
Das genutzte Vereinsgelände befand sich in einem von der Strasse
aus nicht einsehbaren Waldstück zwischen Hönow und Seeberg, das zu
DDR-Zeiten der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG)
Hönow gehörte, die aber mit dem Waldstück nichts Richtiges anzufangen
wusste und es deshalb verpachtete. Jahrespacht: Alle einsatzfähigen
Vereinsmitglieder verpflichteten sich, an einem vorgegebenen
Frühlingswochenende am „Rübenhacken“ teilzunehmen.
Das Gelände verfügte über keinen Strom, doch über ein Plumpsklo,
immerhin getrennt nach Geschlechtern und eines für die Kinder, sowie
über eine Wasserpumpe, die aus drei Meter Tiefe sauberes
Schichtenwasser zog. Der am Rand liegende kleine See versackte zwar
zunehmend, taugte aber noch einige Jahre für das morgendliche Bad und
für die Kinder als großes Planschbecken.
Sogar ein Boot zur allgemeinen Nutzung konnte eingelassen werden. Alles
in allem romantisch und für Naturfreaks ohne gehobene Ansprüche ideal.
Wer waren diese Naturfreunde? Soweit etwas zur sozialen
Zusammensetzung auszumachen war, war nicht zu übersehen, dass wir mit
unseren Vorgängern in den 20er Jahre noch insofern vergleichbar waren,
als wir die Begeisterung für die Natürlichkeit und die unverkrampfte
Bewegung in der freien Natur mit ihnen teilten. Wie sie, waren auch wir
fast ausschließlich Berliner und verspürten den gleichen Drang, die
Stadt, wann immer es ging, hinter uns zu lassen. Ob sie
gesundheitsbewusster lebten als wie wir, möglicherweise sogar
Vegetarier oder Abstinenzler waren, ist schwer auszumachen. Hierin
hätten wir uns wohl schon etwas voneinander unterschieden.
Viele fühlten sich von unserer Freude an dieser Art der Lebensweise
angezogen, unabhängig von ihrer sozialen Stellung, ihrem Bildungs- und
Berufsstand. Alle empfanden gleichermaßen die Vereinszugehörigkeit als
angenehm. „Standesunterschiede“, soweit sie vorhanden waren, machten
sich nicht bemerkbar. Dass da eine stabile Gemeinschaft entstanden war,
zeigte sich schon an der jährlichen Winterwanderung, an der die meisten
Mitglieder, natürlich bekleidet, gerne teilnahmen.
Flucht vor dem Alltag? Es mag beim einen oder anderen eine Rolle
gespielt haben. Für fast alle aber war es ein Ausgleich zu den
Tagesmühen, und den haben alle gleichermaßen genossen. Was war ihnen am
wichtigsten? FKK, Naturerlebnis, sportliche Betätigung oder das
unkomplizierte, offene Miteinander in der Gemeinschaft? Darüber hat
sich wohl keiner den Kopf zerbrochen; es passte einfach alles gut
zusammen.
Nun, um das Wichtigste an den Schluss zu setzen: Der Verein durfte
Plätze für maximal 25 Dauerzelte bereitstellen, die auch ständig
genutzt wurden (das Bedürfnis, einen eventuell freiwerdenden Platz zu
ergattern, war unter den Tagesgästen vorhanden, doch mehr Plätze waren
aus hygienischen Gründen nicht gestattet – siehe Plumpsklo ). Damit
waren die Voraussetzungen geschaffen, dass die meisten das
Freizeitvergnügen und die gesunde Familienerholung saisonbedingt auf
das ganze Wochenende oder sogar darüber hinaus ausdehnen konnten. Auch
war es leichter, etwas gemeinsam auf Gelände zu planen und zu
veranstalten - Kinder-, Sommer- und Sportfeste, romantische Lagerfeuer
u. a. Und um dies noch gleich anzufügen: Um den DTSB zu überzeugen,
dass wir nicht nur nackt, sondern auch sportlich sind, legten jährlich
die befähigten Mitglieder mehr oder weniger enthusiastisch das
DTSB-Sportabzeichen in Bronze ab. Diese niedrige Stufe des
Leistungsabzeichens sah nur Disziplinen vor, die wir auf unserem
Gelände gerade noch in eigener Regie ausrichten konnten.
Eingezäunt waren wir nicht, dennoch wurden wir von besonders
Neugierigen nicht ausgemacht und belästigt. Verirrte Fußwanderer wurden
meist belehrt, dass sie sich auf Vereinsgelände befinden; und es war
nicht selten, dass wir den einen oder anderen später als neues Mitglied
wiedersahen.
Doch das freie Leben ohne Zaun verlief nicht immer ohne
Komplikationen. Eine Begebenheit mit makabrer Komik ging in das
Vereinsgedächtnis ein. An einem Wochentag um die Mittagszeit parkte
versteckt auf dem Waldstück ein PKW. Die Insassen konnten nicht ahnen,
dass da eine nackte Gefahr lauerte. Da ihnen das Gelände unbewohnt
schien, fühlte sich das Liebespaar im Wagen unbeobachtet und
entkleidete sich, ohne erkennbar FKKler zu sein. Ja, da hatten sie aber
nicht mit unserem Sportsfreund und Rentner Willi gerechnet, der es nun
als seine Pflicht ansah, aufklärend einzuschreiten. Nackt wie er war,
stand er plötzlich gestikulierend neben dem Wagen. Man stelle sich die
erschreckten Gesichter der beiden vor, in dieser für sie peinlichen
Situation plötzlich ausgerechnet einen Nackten vor sich zu haben. Das
Pärchen ergriff, ohne Willi anzuhören und entkleidet wie es war, die
Flucht im Auto. Ob es gar psychischen Schaden davongetragen hat, ist
nicht bekannt. Willi hat sich natürlich wegen seines Übereifers eine
Rüge eingehandelt.
1983 mussten wir dann auf Druck der staatlichen Versicherung doch
noch einen Zaun bauen, wollten wir unsere Zeltversicherungen nicht aufs
Spiel setzen.
Ach, das nackte, unbeschwerte Vereinsleben hätte so weitergehen
können. Ging es aber nicht. Mit der DDR brach auch ihre FKK-Welt
zusammen. Die Sportgemeinschaft Naturfreunde quälte sich noch als
eingetragener Verein durch die Jahre, konnte aber ihrem Ableben nicht
mehr entgehen – sie ruhe in Frieden!
Nach diesem, mir durch Nachfrage auferlegten Rückblick, vermute
ich, dass sich die FKK-Bewegung zu einem Massenphänomen entfalten
konnte, weil in der DDR die bürgerlichen Vorstellungen von Sittlichkeit
und Moral allmählich verblassten. Aber darüber hinaus, denke ich, war
der lockere, offene und ungezwungene Umgang im Miteinander, wie er sich
hier entwickeln konnte, letztlich auch der Freikörperkultur förderlich.
Das könnte erklären, warum in der DDR-Öffentlichkeit die
Freikörperkultur mehr und mehr akzeptiert worden ist und die
Entscheidung des Einzelnen dafür oder dagegen ohne Rechtfertigung oder
Diskriminierung auskam. Autoren, die das FKK-Leben in der DDR mit
verschiedenen politischen Motiven erklären wollen, laufen da meines
Erachtens allesamt ins Leere.
Mal sehen, ob mir der junge Mann diese Behauptungen abnimmt.
Anhang
1.
Aus der Anordnung des Ministeriums des Innern vom 18.Mai 1956
(Gesetzblatt des Inneren, Teil I Nr.50 vom 6.Juni 1956):
„Das Baden ohne Badebekleidung (Wasser-, Luft- und Sonnenbaden) an
Orten, zu denen jedermann Zutritt hat, ist ... nur dann gestattet, wenn
diese Orte ausdrücklich von den zuständigen örtlichen Räten freigegeben
und entsprechend gekennzeichnet sind oder das Baden ohne Badebekleidung
von unbeteiligten Personen unter den gegebenen Umständen nicht gesehen
werden kann.“
2.
Empfohlene Literatur
Kupfermann, Thomas: „Sommer, Sonne, Nackedeis. FKK in der DDR“
Eulenspiegel Verlag 2008
Thormann, Lutz: "Schont die Augen der Nation!" Zum Verhältnis von
Nacktheit und Öffentlichkeit in der DDR. Magisterarbeit an der
Friedrich-Schiller-Universität Jena, 2007
Friedrich, Hagen: Baden ohne. FKK zwischen Mövenort und Talsperre Pöhl, VEB Tourist Verlag Berlin-Leipzig, 1982
3.
Fotografien aus der Geschichte des „Vereins für gesunde Lebensweise“
Die historischen Fotos werden an dieser Stelle ohne längere analytische
Kommentare wiedergegeben. Sie stehen hier nur als Verweis auf linke,
lebensreformerische und auch arbeiterliche Traditionen der FKK-Bewegung
in der DDR.
Viele der überlieferten Fotos sind Aufnahmen von Versammlungen und Debatten des Vereins
Schillerkragen, Windjacke und Debatten über Vegetarismus: sozialistische Lebensreformer
Unübersehbar die große Zahl von Kindern, immer wieder auch familiäre Situationen.
Die Fotos bieten eine breite soziale Typologie der Mitglieder eines
sozialistisch orientierten Freizeitvereins. Die festgehaltenen
Alltagssituationen sind da besonders aufschlussreich.
Obligatorisch war die Kulturarbeit: dokumentiert sind Schachspiel,
Chorgesang, das „Vereinsorchester“, vor allem aber viele Bemühungen um
Körperästhetik
Akrobatische Übungen waren offenbar bei allen sehr beliebt. Dies sicher auch, weil sie ohne aufwendiges Gerät auskommen.
Szenen aus dem gemeinsamen Alltag am Wochenende
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