Thema | Kulturation 1/2003 | Kulturelle Differenzierungen der deutschen Gesellschaft | Peer Kösling | Perspektiven des Kulturföderalismus
| Zwei Vorbemerkungen Erstens.
Die Tagungsleitung hatte mir vorgeschlagen, etwas zu den „Perspektiven
des Kulturföderalismus“ zu sagen. Über Perspektiven soll aber laut
Programm erst am Nachmittag gesprochen werden. Ich deute meine
Platzierung im Vormittagsprogramm so, dass die Tagungsleitung wenig
Perspektivisches bei diesem Thema erwartet. Für diesen zurückhaltenden
Anspruch bin ich ihr sehr dankbar.
Zweitens erscheint es mir ratsam, den Anwesenden zu sagen, in welchem
Zusammenhang ich mich mit dem Thema beschäftigt habe. Es war und ist
für mich kein Gegenstand kontinuierlicher wissenschaftlicher Arbeit,
sondern lediglich ein etwas umfassenderer Punkt im weiten politischen
Arbeitsfeld eines Referenten für Bildungs- und Kulturpolitik der
ehemaligen PDS-Bundestagsfraktion. Insofern stand meine vorübergehende
Beschäftigung mit dem Thema im Zusammenhang mit der Föderalismusdebatte
in der PDS, die vor allem durch die Neuauflage des
Länderfinanzausgleichs zu Beginn des vorigen Jahres ausgelöst worden
war.
Zunächst möchte ich darauf hinweisen, was bei Überlegungen zur
Entwicklung des Kulturföderalismus bedacht werden sollte, danach werde
ich versuchen, die wesentlich enger geführte laufende Debatte
einzufangen. Schließlich werde ich meinen Standpunkt dazu erläutern.
1.
Die Dimension und die Schwierigkeiten einer Debatte über die
Perspektiven unseres Kulturföderalismus sind vor allem mit dem Umstand
verbunden, dass der Kulturföderalismus den inhaltlichen Kern des
bundesdeutschen föderalen Systems überhaupt bildet. Woraus ergibt sich
das?
Föderale Strukturen setzen die Existenz von Ländern mit eigener
Staatlichkeit voraus. Diese Eigenstaatlichkeit beruht in erster Linie
auf einer eigenen Gesetzgebungskompetenz. (Länder, die nur über eine
Verwaltungskompetenz verfügen, fielen auf den Status von Provinzen
zurück.) Diese Gesetzgebungskompetenz der Länder beschränkt sich in der
Bundesrepublik heute neben dem Polizeirecht und dem Bauordnungsrecht im
Wesentlichen auf den Kultus-Bereich, auf den sich der
Kulturföderalismus bezieht. Seinen bildlichen Ausdruck findet das im
Begriff der „Kulturhoheit der Länder". Aus dieser Sachlage ergibt sich
dreierlei:
a) Zum einen: Eine Aushöhlung oder gar Liquidierung der Kulturhoheit
der Länder käme unter den derzeitigen verfassungsrechtlichen
Gegebenheiten einer Aushöhlung bzw. Liquidierung des Föderalismus
überhaupt gleich.
b) Zugleich gilt umgekehrt: Die Frage, welche Potenzen der
bundesdeutsche Föderalismus hat, und damit die Frage nach seiner
Verteidigungswürdigkeit und zukünftigen Entwicklung. beantwortet sich
vor allem auf kulturellem Gebiet. Die Wirksamkeit der föderalen
Strukturen auf den Gebieten von Bildung, Wissenschaft und Kultur
entscheidet also - ebenfalls nach gegebener Verfassungslage -
wesentlich über die Potenzen des Föderalismus als Prinzip insgesamt.
d) Zusammengedacht ergibt sich drittens: Wenn man in der Gesamtdebatte
zum Föderalismus zu der Auffassung kommt, dass föderale Strukturen nach
wie vor am besten geeignet sind, um Demokratie, Sozialstaatlichkeit und
Friedfertigkeit zu sichern und weiter zu entwickeln, dann ist das
zugleich ein starkes Argument für die Bewahrung und Ausgestaltung des
Kulturföderalismus.
Aus diesen Zusammenhängen erklärt sich auch die Tatsache, dass die
laufende Entflechtungsdebatte hinsichtlich der Kompetenzen auf
kulturellem Gebiet zwischen Bund und Ländern seitens der Länder nicht
von den für die Kultur zuständigen Ministern, sondern von den
Ministerpräsidenten bzw. den Staatskanzleien geführt werden. Das mag
und muss man aus kulturpolitischer Sicht bedauern, hat aber vor dem
Hintergrund des Gesagten durchaus seine Logik.
Die denkbare Alternative einer Auszehrung unseres föderalen Systems
durch die schrittweise Liquidierung seines kulturellen inhaltlichen
Kerns ist allerdings durch die sog. Ewigkeitsklausel nach Artikel 79
des Grundgesetzes von vorn herein so gut wie auszuschließen. Und
deshalb gibt es in der Debatte auch kaum eine bedeutende Stimme, die
den Föderalismus und damit den Kulturföderalismus prinzipiell in Frage
stellt. Dieser enge Zusammenhang von Kulturföderalismus und föderalem
System überhaupt setzt einer realitätsbezogenen Debatte über die
Perspektiven des Kulturföderalismus also von vorn herein enge Grenzen.
2. Zur Bestimmung der Perspektiven des
Kulturföderalismus ist es sicher dienlich, einen kurzen Blick auf seine
bisherige Entwicklung zu werfen. Der 1946 im Grundgesetz verankerte
föderale Staatsaufbau konnte zwar an eine gewisse Tradition in der
deutschen Geschichte anknüpfen, war aber doch wesentlich durch die
katastrophalen Erfahrungen mit dem zentristischen Nationalsozialismus
und seinen verschiedenen nationalistischen Wurzeln geprägt. Sowohl die
Siegermächte als auch die deutschen Organisatoren des Wiederaufbaus
hatten ein Interesse daran, ein überzogenes Nationalbewusstsein in
Deutschland zukünftig möglichst auszuschalten. Der föderale
Staatsaufbau sollte dafür eine entscheidende Grundlage bieten.
Dementsprechend tendierte die ursprüngliche Ausgestaltung der
Bundesrepublik eher zu einem separativen Föderalismus mit großer
Eigenständigkeit der einzelnen Länder, wenig Kooperation zwischen ihnen
und einer schwachen Bundesebene. In diesem Sinne waren ursprünglich
auch die Zuständigkeiten im Kultusbereich verteilt.
Der Kulturföderalismus in seiner heutigen Gestalt mit den auf den
gesamten Kultus-Bereich bezogen ausgeweiteten Zuständigkeiten des
Bundes ist Ausdruck und wesentlicher Bestandteil des Übergangs von
einem eher separativen zu einem eher kooperativen Föderalismus. Diese
Entwicklung hatte im inneren Konsolidierungsprozess der Bundesrepublik
und in ihrer wachsenden internationalen Bedeutung ihre Grundlagen. Und
mit der Vereinigung beider deutscher Staaten hat sie einen neuen Schub
erhalten. Diese Kompetenzerweiterung des Bundes auf kulturellem Gebiet
ist teils den Ländern vom Bund abgerungen, teils dem Bund von den
Ländern angetragen worden. Neben nachvollziehbaren Erfordernissen aus
der inneren und äußeren Entwicklung der Bundesrepublik haben diese
Kompetenzverlagerungen ihre Ursachen zu einem erheblichen Teil in der
schwindenden Finanzkraft der Länder (und Kommunen). Das hat dazu
geführt, dass die Gemeinschaft der Länder immer weniger in der Lage und
Willens ist, auch die kulturellen Aufgaben im engeren Sinne
wahrzunehmen, die von überregionaler und gesamtstaatlicher Bedeutung
sind.
In der Debatte zu Perspektiven des Kulturföderalismus - darauf kam es
mir in diesem Punkt an - gilt es also auch die Balance zu halten
zwischen den notwendigen Anpassungen an die veränderte Rolle
Deutschlands und damit der gewachsenen Rolle der Bundesebene einerseits
und der Bewahrung der hemmenden Potenzen des Föderalismus gegenüber
nationalistischen Tendenzen andererseits.
3. Die Perspektive des Kulturföderalismus
entscheidet sich bei weitem nicht allein durch die Interessen und
Intentionen der Länder einerseits und des Bundes andererseits. Sie ist
mit einer ganzen Reihe anderer kulturpolitischer Sachverhalte
verknüpft, die von Bedeutung für die Aufgabenverteilung zwischen Bund
und Ländern sind. Dazu gehören vor allem
a) die Entwicklungen in den Kommunen als den entscheidenden Trägern,
Finanziers und Orten von Kultur. Für die materielle Ausgestaltung des
Kulturföderalismus ist ohne Zweifel von Bedeutung, ob wir es zukünftig
mit kommunalen Einheiten zu tun haben, die ihre Belange wirklich aus
eigener Kraft regeln können, oder ob sie am Tropf der Länder bzw. des
Bundes hängen werden.
b) Zu diesen Sachverhalten gehört auch das sich ändernde Verhältnis
zwischen den kulturellen Anbietern und Trägern: Also öffentliche Hand,
gemeinnütziger Sektor/bürgerschaftliches Engagement und Wirtschaft
(Trägerpluralismus). Hier gilt allgemein sicher folgendes: In dem Maße,
wie Kultur aus staatlicher Verantwortung und Vorsorge entlassen wird,
verliert der Kulturföderalismus an Bedeutung bzw. tangiert das
zumindest erheblich seine inhaltliche Substanz und Ausrichtung sowie
die Instrumentarien seiner Funktionsweise.
d) Der Einzug moderner Medien in die Produktion und Konsumtion
kultureller Güter lässt Fragen föderaler Strukturen ebenfalls in den
Hintergrund treten.
e) Schließlich haben die Erfordernisse und Auswirkungen des
europäischen Einigungsprozesses erhebliche Bedeutung für die
Perspektive unseres Kulturföderalismus.
Darauf möchte ich etwas näher eingehen. Die letztlich dominierenden
Auswirkungen des europäischen Einigungsprozesses auf unseren
Kulturföderalismus sind m. E. noch nicht ausgemacht. Grob vereinfacht
lassen sich im Moment zwei Tendenzen beobachten.
Zum einen erfahren die Bundesländer einen unmittelbaren
Bedeutungsverlust durch Verlagerung von bei ihnen angesiedelter
Kompetenzen auf die EU. (Art. 24 Abs. 1 GG ermächtigt den Bund dazu.)
Dieser Kompetenzentzug zu Gunsten der EU, der allerdings kaum Kunst und
Kultur im engeren Sinne betrifft, wird dadurch verstärkt, dass der Bund
Kompetenzen, die er seinerseits an die EU abtreten muss, durch
Kompetenzabzug aus den Ländern zu kompensieren versucht. Nach Lage der
Dinge bietet sich dafür nicht viel mehr als der Kultus-Bereich an.
Flankiert wird diese Gefahr des Bedeutungsverlustes der Länder dadurch,
dass das in der EU geltende Subsidiaritätsprinzip bisher nur die
nationale Ebene erfasst und die innerstaatlichen Gliederungen
unberücksichtigt lässt. Aus dieser ersten Tendenz heraus erwachsen der
„Kulturhoheit“ der Länder und damit dem Kulturföderalismus also
Gefahren.
Die gegenläufige Tendenz verbindet sich vor allem mit dem Schlagwort
vom „Europa der Regionen“. Grundlage dieses Schlagworts sind
Föderalisierungs-, zumindest aber Dezentralisierungstendenzen in fast
allen Mitgliedsstaaten der EU. Institutionell findet der Sachverhalt
seinen Niederschlag im „Ausschuss der Regionen“ bei der EU. Dieses
Gremium hat allerdings nur beratenden Charakter. Die hauptsächlichen
Bestrebungen der Bundesländer gehen dahin, diesen Ausschuss zu einem
gleichwertigen europäischen Organ mit eigenem Frage- und Klagerecht
gegenüber Kommission und Rat aufzuwerten sowie das
Subsidiaritätsprinzip auf die subnationalen Gebietskörperschaften
auszuweiten.
Aus der Sicht dieser
Entwicklung könnten dem Kulturföderalismus in Deutschland neue Potenzen
zuwachsen. Allerdings ist zu beachten, dass die „Europa-Regionen“,
soweit sie Deutschland betreffen, nicht mit den gegenwärtigen
Bundesländern zusammenfallen.
Fazit dieses Punktes: Aus dem europäischen Einigungsprozess erwachsen
dem Kulturföderalismus in der BRD also Gefahren und Chancen. In
Rückkoppelung dieses Zusammenhangs kann eine überzeugende zeitgemäße
Fortentwicklung des Kulturföderalismus in Deutschland dazu beitragen,
den „Kultur-Artikel“ des Amsterdamer Vertrages (Art. 151) mit Leben zu
erfüllen, dessen wichtigste Aussage lautet: „Die Gemeinschaft leistet
einen Beitrag zur Entfaltung der Kulturen der Mitgliedstaaten unter
Wahrung ihrer nationalen und regionalen Vielfalt sowie gleichzeitiger
Hervorhebung des gemeinsamen kulturellen Erbes.“ (Abs. 1)
Diese mögliche anregende Funktion unseres Kulturföderalismus für die
kulturpolitischen Entwicklungen auf EU-Ebene ist bei seiner zukünftigen
Ausgestaltung ebenfalls zu beachten.
4. Landläufig wird Föderalismus eo ipso mit mehr Demokratie
verbunden. Dahinter muss heute ein dickes Fragezeichen gesetzt werden.
Die Länder haben über den Bundesrat gegenwärtig zwar größere
Einflussmöglichkeiten auf die Gesetzgebung des Bundes als je zuvor. In
den Ländern haben die Landesparlamente und erst recht die von den
Entscheidungen betroffenen Bürgerinnen und Bürger jedoch kaum noch
einen Einfluss auf das Zusammenwirken der Länder mit dem Bund. Die
Entscheidungen werden vornehmlich in der Exekutive und der
Ministerialbürokratie getroffen. Wenn sich das nicht ändert, ist
abzusehen, dass der Föderalismus seinen Rückhalt in der Bevölkerung
mehr und mehr verlieren wird.
5.
Diese Wirkungsbedingungen unseres Kulturföderalismus müssen wohl
beachtet werden, wenn es um seine künftige Ausgestaltung geht. Dabei
wird zugleich deutlich, dass der Spielraum für gravierende
Veränderungen im Grunde gering ist. Das nimmt die Politik gern zur
Kenntnis und konzentriert sich auf das Naheliegende. Im Zentrum der
aktuellen Debatte steht deshalb die Frage, in welchem Umfang eine
eigenständige Kulturpolitik des Bundes mit der allgemein anerkannten
„Kulturhoheit der Länder“ vereinbar ist. Bei genauerem Hinsehen verengt
sich der Gegenstand der Kontroverse noch weiter: Die kulturpolitischen
Aktivitäten des Bundes erfolgen vornehmlich auf zweierlei Weisen. Zum
einen über ihre ordnungspolitischen Aktivitäten, mit denen sie
entscheidend auf die Rahmenbedingungen für Kultur, Bildung und
Wissenschaft Einfluss nimmt. Zum anderen über die finanzielle Förderung
von kulturellen Einrichtungen und Projekten. Die ordnungspolitischen
Zuständigkeiten hat der Bund sich vor allem über die
verfassungskonforme Ausschöpfung der konkurrierenden Gesetzgebung
angeeignet. Auf diese Weise hat er sich neben seinen Zuständigkeiten
aus der ausschließlichen Gesetzgebung für die auswärtige Kulturpolitik
sowie das Urheber- und Vertragsrecht eine ganze Reihe von Kompetenzen
angeeignet, die für die kulturelle Entwicklung in der Bundesrepublik
maßgeblich sind. Das betrifft z. B. das Vereinsrecht, das
Stiftungsrecht, die kulturellen Aspekte des Bundesvertriebenengesetzes,
die wirtschaftliche Filmförderung, die Künstlersozialversicherung oder
auch die berufliche Aus- und Weiterbildung. Hinzu kommen weitere
Kompetenzen auf der Grundlage der Rahmengesetzgebung und der 1969
eingeführten Gemeinschaftsaufgaben. Diese betreffen vor allem den
Bildungs- und Forschungsbereich, in der Rahmengesetzgebung aber auch
solche Gebiete wie Presse und Film, Landschaftspflege und Raumordnung
sowie den Schutz von Kulturgütern vor Abwanderung.
Die ordnungspolitischen Kompetenzen des Bundes im kulturellen Bereich
sind weitgehend akzeptiert. In der Rahmengesetzgebung hat es bereits
vor einigen Jahren eine Klarstellung gegeben, die im Interesse der
Länder lag. Danach dürfen Rahmenvorschriften keine in Einzelheiten
gehenden oder unmittelbar geltende Regelungen enthalten. Auch auf
dieser Basis stehen die Länder einer Ausweitung der Rahmengesetzgebung
allerdings ablehnend gegenüber. Die Überprüfung der
Gemeinschaftsaufgaben gehört zum aktuellen Anliegen der Länder im
Rahmen der von ihnen angestoßenen Entflechtungsdebatte.
Hauptsächlich aber dreht sich diese Debatte um die
kulturpolitische Einflussnahme, die der Bund über seine finanzielle
Förderung von Einrichtungen und Projekten in den Ländern ausübt. Auch
hier ist das bisherige Engagement des Bundes in den neuen Ländern auf
Grundlage von Artikel 35 des Einigungsvertrages weitgehend unstrittig.
Seine Fortführung bzw. die Modalitäten dieser Fortführung werden nun
aber auch zunehmend in Frage gestellt. Für die Beurteilung der
Dimension dieses Streitpunktes ist es außerdem nützlich zu wissen, dass
das Fördervolumen des Bundes bestenfalls 10% der öffentlichen
Fördermittel ausmacht, die insgesamt wiederum nur ein Bruchteil dessen
sind, was in der Kulturwirtschaft umgesetzt wird. Bei dieser
Focusierung auf die Förderpraxis war es dann folgerichtig, dass die
seit längerem schwelende Debatte im Zusammenhang mit der Gründung einer
Bundeskulturstiftung eine deutliche Zuspitzung erfuhr. Die Länder
erklärten, dass vor Errichtung einer von Bund und Ländern gemeinsam
getragenen nationalen Kulturstiftung erst eine Entflechtung der
Förderzuständigkeiten erfolgen müsse. Die Verhandlungen darüber sind
noch im Gange.
6.
Abschließend möchte ich meinen Standpunkt zu den Fragen andeuten, die
zur Entwicklung unseres Kulturföderalismus in überschaubarer Zeit
aufgeworfen worden sind.
Auch um zu zeigen, dass in diesem Felde unterschiedliches Herangehen
nötig ist, will ich zunächst auf den Bildungsbereich eingehen. Ich
halte es für sinnvoll, diesen Bereich auf bundesweit geltende
rahmenrechtliche Grundlagen zu stellen. Diese rahmenrechtlichen
Grundlagen müssten, ohne die in den föderalen Strukturen liegenden
Vorzüge der Vielfalt, des Experimentierens, der Innovation und des
fairen Wettbewerbs in ihren Kernen zu beschneiden, folgendes zum Ziel
haben:
a) bestimmte Standards im gesamten Bundesgebiet zu gewährleisten,
b) die Vergleichbarkeit und gleiche Wertig- und Verwertbarkeit aller Abschlüsse zu sichern
c) sowie gleichwertige Bedingungen für die Arbeit der Bildungseinrichtungen herzustellen.
Diesen Standpunkt hatten wir uns in der PDS-Fraktion bereits vor den
Ergebnissen der PISA-Studie zu eigen gemacht. Grundlage dafür waren
massive Anforderungen sowohl von den im Bildungsbereich Tätigen als
auch aus der Elternschaft. Nach PISA hat sich in dieser Richtung auch
bei anderen etwas getan.
Eine solche verbindliche Rahmensetzung ist auf zweierlei Wegen möglich.
Zum einen über entsprechende verpflichtende Rahmenvereinbarungen
zwischen den Ländern im Rahmen der Kultusministerkonferenz (KMK) oder
der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung
(BLK). Dies setzt allerdings eine effizientere und verbindlichere
Arbeitsweise dieser Gremien voraus. Die Aktivitäten insbesondere der
KMK in den vergangenen Monaten waren jedoch kaum geeignet, die seit
langem währende Skepsis ihrer Arbeitsweise gegenüber zu entkräften. Zum
anderen ist eine solche Rahmensetzung über Bundesrahmengesetze, wie das
für den Hochschulbereich bereits erfolgt ist, möglich.
Ich halte eine Rahmengesetzgebung auf wichtigen bildungspolitischen
Feldern für eine effiziente Möglichkeit, Sozialstaatsanspruch und
Bundesstaatsprinzip auf einem vertretbaren föderalen Weg zu vermitteln.
Dies um so mehr, als der bereits erwähnte erneuerte Art. 75 Abs. 2 GG
zukünftige Rahmengesetze auf eine allgemeine Richtlinienfunktion
begrenzt. Damit bliebe den Ländern immer noch genügend Spielraum für
konkrete gesetzliche Ausgestaltung entsprechend ihrer spezifischen
Bedingungen und Entwicklungsperspektiven.
In absehbarer Zeit sind solche rahmengesetzlichen Regelungen allerdings
nicht in Sicht. Nicht zuletzt, weil sie an eine Grundgesetzänderung
gebunden sind, die eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag erfordert.
Für die Entwicklung von Kunst und Kultur im engeren Sinne hat sich die
grundgesetzlich festgelegte bzw. verfassungsrechtlich abgesicherte
Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern, die den Ländern die weit
überwiegende Zuständigkeit für diesen Bereich zuweist, bewährt. Trotz
aller akuten Probleme sprechen dafür die auch im internationalen
Vergleich erreichte kulturelle Vielfalt und Dichte, die eng mit den
föderalen Strukturen der Bundesrepublik verbunden sind. Allgemeine
Kriterien wie Vergleichbarkeit, Passfähigkeit, Verwertbarkeit etc., die
für die sozialen Konsequenzen des Bildungssystems von Bedeutung sind,
können m. E. auf Kunst und Kultur keine Anwendung finden. Für die
Gewährleistung des Verfassungsgebots gleichwertiger Lebensverhältnisse
ist entscheidend, dass
in allen Bundesländern vielfältige Möglichkeiten kulturellen Ausdrucks
und kultureller/künstlerischer Produktion und Konsumtion gegeben sind.
Regional unterschiedliche konkrete Inhalte und Formen dieses
kulturellen Lebens (also das Wie) beeinträchtigen m. E. nicht
die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse, sondern bereichern sie.
Allerdings kann diese gegebene Kompetenzverteilung zukünftig nur
tragfähig sein, wenn die Länder und in deren Folge die Kommunen in die
Lage versetzt werden, ihre damit verbundene Verantwortung für die
Entwicklung von Kunst und Kultur tatsächlich wahrzunehmen.
Im Rahmen dieser bestehenden grundsätzlichen Kompetenzverteilung halte
ich ein nachdrücklicheres und bewussteres konzeptionelles Engagement
des Bundes für bundesweit wirkende kulturpolitische Rahmenbedingungen
und eine stärkere Einbeziehung des Bundes in die finanzielle
Kulturförderung für unabdingbar. Dabei berücksichtige ich folgende
Gegebenheiten: Auf der einen Seite haben die gesamtstaatlichen
kulturellen Aufgaben durch mannigfaltigste Entwicklungen der letzten
Jahre (Globalisierung, europäischer Einigungsprozess, deutsche Einheit,
veränderte Bedingungen kultureller Produktion und Teilhabe) eine solche
Dimension erreicht, die bei Gründung der Bundesrepublik nicht absehbar
war. Auf der anderen Seite sind die meisten Länder (und die Kommunen)
infolge zunehmender Finanzschwäche immer weniger in der Lage (und in
der Folge davon teilweise auch immer weniger willens), diese wachsenden
gesamtstaatlichen kulturellen Aufgaben zu schultern. Auf Grund der
absehbaren Entwicklung auf beiden Seiten dieses Widerspruchs ist ein
stärkeres Engagement des Bundes in kulturellen Angelegenheiten von
gesamtstaatlicher Bedeutung unverzichtbar. Das darf allerdings nicht
dazu führen, dass die Länder von dieser Ebene verdrängt werden bzw.
sich von dieser Ebene zurückziehen. In diesem Falle würde ihre
„Kulturhoheit“ unweigerlich zu einem „Kultur-Provinzialismus“ führen.
Allerdings bin ich mir der verfassungsrechtlichen Problematik der
kulturellen Zuständigkeiten bewusst, die der Bund unter Hinweis auf die
gesamtstaatliche Dimension einer Aufgabe an sich zieht. (Nach den
ursprünglichen Intentionen des Grundgesetzes sind Aufgaben, die die
Belange und die Leistungskraft eines einzelnen Bundeslandes
übersteigen, zunächst einmal Sache der Gemeinschaft der Länder.)
Um die notwendige Kooperation von Bund und Ländern zukünftig auf einen
sicheren Boden zu stellen, habe ich große Sympathie für den Vorschlag,
die Gemeinschaftsaufgaben nach Art. 91b GG auf den Kulturbereich
auszudehnen. Das schließt m. E. eine klare Verantwortungs- und
Aufgabenverteilung nicht aus.
Für die unterhalb dieser Schwelle liegenden Modalitäten der
Kulturförderung durch den Bund könnte ich mir folgendes Verfahren
vorstellen:
Feststellung der gesamtstaatlichen bzw. internationalen Bedeutung einer
Institution oder Projekts nach klaren Kriterien in einem für die
Öffentlichkeit transparenten Verfahren. Mit dem vom
Kulturstaatsminister veranlassten „Blaubuch“ liegt für die neuen
Bundesländer ein erster Katalog vor, der auf die alten Bundesländer
ausgeweitet werden könnte.
Mit der Feststellung der gesamtstaatlichen und internationalen
Bedeutung einer Institution oder eines Vorhabens erhält die betreffende
Einrichtung die Möglichkeit und Berechtigung, durch Bundesmittel gefördert zu werden.
Denkbar wäre es, diese möglichen Förderanteile des Bundes nach dem Grad
der Bedeutung zu staffeln. Es sollte dann aber den jeweiligen Ländern
überlassen bleiben, ob sie für den an Qualitätskriterien ausgerichteten
Etat der Einrichtung oder des Projekts den Bundesanteil abrufen oder
nicht.
Da Mitfinanzierung immer auch Mitsprache nach sich zieht, könnten
reichere Länder auf diese Weise ihre Unabhängigkeit vom Bund im
gewünschten Umfang realisieren, ohne dass die ärmeren darunter zu
leiden hätten. (In Klammern will ich bei dieser Gelegenheit bemerken,
dass damit das Kriterium der gesamtstaatlichen oder internationalen
Bedeutung einer kulturellen Einrichtung m. E. kein spezifisches
Kriterium für die Hauptstadtförderung ist.)
Im Übrigen bin ich generell der Auffassung, und damit möchte ich
schließen, dass die Ausgestaltung des bestehenden kooperativen
Kulturföderalismus nicht einer das Grundgesetz dogmatisch auslegenden
Entflechtungsdebatte untergeordnet werden darf, sondern in erster Linie
von den Bedürfnissen und Interessen derer ausgehen muss, die in den
Bereichen von Bildung, Wissenschaft, Kunst und Kultur als Produzenten,
(Ver-)Mittler und Teilhabende agieren. Es kann nicht Sinn der aktuellen
Debatte sein, dass in ihrem Ergebnis sich die Verfassungsrechtler und
Ministerpräsidenten über übersichtlich verteilte Kompetenzen freuen,
die Rahmenbedingungen für die genannten Bereiche sich aber
verschlechtert haben.
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