Thema | Kulturation 1/2005 | Film- und Fernsehgeschichte | Kathrin Lange | Postmoderne-Diskurs und „Ostalgie“ im Kino – Studie zu den Filmen SONNENALLEE und GOOD BY, LENIN!
| 1. Die DDR im Spiegel der Medien
Nach
dem schnellen und friedlichen Untergang der DDR 1989/90 verschwand ein
deutscher Staat, und sein Besitz wurde auf den anderen deutschen Staat
übertragen. Die DDR als System oder Konstrukt mit all ihren
gesellschaftlichen Teilbereichen, Institutionen, Hierarchien und
kulturellen Werten ging unwiderruflich verloren. Diese Kompensation
eines Verlustgefühls kann man als Auslöser für die entstehende
Nostalgie oder nostalgische Mythenbildung nach der Wende sehen. Man
stellte sich die Frage, wie man das Verlorene, plötzlich Verschwundene
bewahren könne. Diese Form der Nostalgie, der verklärenden, einseitigen
Erinnerung an die DDR, wurde im journalistischen Diskurs mit dem
Neologismus „Ostalgie“ tituliert. Anfang der 1990er Jahre kam dieser
Begriff auf und benannte einen gesellschaftlichen Gemütszustand, den
die Westdeutschen kurz nach der Wende und Wiedervereinigung bei den
Ostdeutschen konstatierten. Dieser Trend wurde so wirksam, dass ein
eigener Begriff für die (Wieder)-Beschäftigung mit der
DDR-Vergangenheit geprägt wurde. „Ostalgie“ thematisiert den Eindruck
oder die Mentalität des Verlustes.
Nach dem Vollzug der politischen und wirtschaftlichen
Einigung erlebten Überreste der DDR ein Comeback; ehemalige Ostprodukte
und Markenartikel wie z.B. Rotkäppchen-Sekt erlangten – auch im Westen
– Kultstatus, nachdem sie zuvor als der West-Konkurrenz klar unterlegen
wahrgenommen wurden. Nach der anfänglichen Begeisterung für westliche
Produkte und der D-Mark-Einführung sehnten sich viele Ostdeutsche nach
ihnen vertrauten und bekannten Artikeln. Während die DDR sich längst
verabschiedet hatte, stieg die Zahl der Produkte, die an sie erinnerten
bzw. sie „überlebten“.
2003 schwappt eine erneute „Ostalgie“-Welle über
Deutschland, die als übergreifendes Phänomen die Medien und andere
gesell-schaftliche Teilbereiche durchdringt. GOOD BYE, LENIN! wird in
den Medien häufig als deren Auslöser bezeichnet. Der „Ostalgie“-Trend
ruft „Ost-Motto-Parties“, Revival-Konzerte von ehemaligen Ost-Bands,
wieder auf den Markt gebrachte Ostprodukte auf den Plan. Eine große
mediale Plattform der zurückgekehrten Erinnerung an die DDR stellt auch
das Internet dar. Die meisten der zahlreichen „DDR-Webseiten“ widmen
sich dem DDR-Alltagsleben, der Alltagssprache und der Massenkultur oder
werben via Internet für Ostprodukte. Des weiteren erscheinen zahlreiche
Bücher, die in vielfältiger Form das Thema DDR behandeln oder an
persönliche Eindrücke und Erfahrungen der DDR erinnern, wie Claudia
Ruschs Meine Freie Deutsche Jugend oder Jana Hensels Zonenkinder oder sog. „DDR-Lexika“ wie Fragen an die DDR
etc. Ein genereller Ost-Trend zeigt sich auch in der Mode. T-Shirts,
Jacken, Taschen, Accessoires mit DDR-Schriftzug, Hammer und
Zirkel-Emblem, neue oder originale FDJ-Hemden und NVA-Sportanzüge
finden im Inland (vor allem im Westen) und Ausland (wie z.B. in der
Modemetropole London) interessierte Käufer. Alles mit DDR-Label oder
„Ost“-Etikettierung verkauft sich, und dieser Trend besteht (allerdings
in abgeschwächter Form) noch immer im Frühjahr 2004. Die „DDR“ mit
ihren Zeichen ist Spielmaterial einer umfassenden populären
Massenkultur (geworden).
Den größten Einfluss auf die „Ostalgie“-Welle aber haben
die „DDR“- oder „Ostalgie“-Unterhaltungsshows, die im Sommer und Herbst
2003 von zahlreichen TV-Sendern ausgestrahlt werden (z.B. DIE
OSTALGIE-SHOW am 17.8. im ZDF, DIE DDR-SHOW am 3., 10., 17. und 24. 9.
bei RTL, DIE ULTIMATIVE OST-SHOW am 23. und 30. 8. bei SAT 1 oder EIN
KESSEL DDR am 22. 8. im MDR. Ehemalige DDR-Bürger und ostdeutsche
Prominente sind zu dieser Zeit zudem in zahlreichen TV-Gesprächsrunden
zu Gast und erinnern sich dort an ihre Heimat und Vergangenheit.
Der journalistische Mediendiskurs über „Ostalgie“ bzw.
Erinnerung an die untergegangene DDR breitet sich rasch aus: Die Presse
setzt sich mit diesen TV-Sendungen auseinander und kritisiert massiv
die Einseitigkeit und Verharmlosung des dargestellten früheren
DDR-Alltags (vgl. Dieckmann, Heming, Osang, Pergande, Witzel).
Prominente wie Politiker äußern sich in und zu diesen Shows, die hohe
Einschaltquoten und Marktanteile für die Sender erzielen und ein
breitgefächertes Massenpublikum ansprechen, indem sie scheinbar den
Nerv der Zeit (bzw. die gefühlten Bedürfnisse) getroffen haben.
Vornehmlich Ostdeutsche kritisieren das in den Medien
dargestellte, verklärte DDR-Bild als verzerrt, als ein armes,
stereotypes Erinnerungskonstrukt der DDR, wie schon bei der ersten
„Ostalgie“-Welle Anfang bis Mitte der 1990er Jahre. Einerseits empören
sich Bürger, die in der DDR aufgewachsen sind und gelebt haben, über
die Verulkung und Banalisierung der Präsentation ihres angeblichen
Alltagslebens in der DDR. Sie fühlen sich, ihre Ängste, Nöte und
Freuden unseriös reduziert, falsch und lächerlich dargestellt. Sie
können ihre „tatsächlich“ gelebte Vergangenheit und ihre Erinnerungen
daran in diesen Shows nicht wiederfinden. Andererseits üben
Intellektuelle wie Politiker, Historiker oder ehemalige
DDR-Bürgerrechtler harsche Kritik am erneuten „Ostalgie“-Diskurs 2003.
Sie verurteilen die mediale Darstellung bzw. die inszenierte Erinnerung
der DDR als gefährliche Verharmlosung und Negation der
menschenunwürdigen Seiten des DDR-Systems, als Darstellung von Lügen
und Unwahrheiten, in denen die totalitäre Diktatur inklusive der
Schikanen und zahlreichen Opfer des Regimes verschwiegen wird.
Bundestagspräsident Wolfgang Thierse mahnt, die DDR müsse stattdessen
„in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit“ gezeigt werden. Zwar habe es auch
„Alltag, Glück, Sport, Unterhaltung, Westfernsehen“ gegeben. Die DDR
sei aber eine Diktatur und Misswirtschaft gewesen, denn „wir wurden
bespitzelt und hinter eine Mauer gesperrt“ (Thierse zitiert nach
www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518, 262269,00.html).
Der frühere DDR-Bürgerrechtler Günter Nooke warnt vor
einem unangemessenen und leichtfertig-nostalgischen Umgang mit der
DDR-Geschichte. Mit dem Hinweis, dass die ehemalige
DDR-Vorzeigeathletin Katarina Witt die RTL-Show co-moderiert, fragt er
provokativ: „Was wäre denn in diesem Land für ein Geschrei, wenn nicht
Kati Witt eine DDR-Show, sondern zum Beispiel Johannes Heesters eine
Dritte-Reich-Show moderieren würde? […] Der entscheidende Punkt ist,
dass der Alltag in einer Diktatur nicht so dargestellt wird, als hätte
es nur das Alltagsleben und nichts anderes gegeben“ (Nooke zitiert nach
www.pz-news.de/kultur/ lifestyle/berichte/33692; vgl. auch Heming).
Auch wenn beide Seiten, sowohl die Bürger als auch die
Bürgerrechtler und Politiker, jeweils andere Aspekte dieser Shows
kritisieren, so herrscht doch Einigkeit über die Verwerflichkeit und
Verzerrung der in ihnen skizzierten „DDR-Wirklichkeit“. Tatsächlich
bleiben in diesen Unterhaltungssendungen Angehörige der Mauertoten,
Opfer der Staatssicherheit oder den alltäglichen Schikanen des Staates
ausgesetzte ehemalige DDR-Bürger ausgeklammert. Negative Seiten des
totalitären SED-Regimes werden nicht nur vernachlässigt, sondern
gänzlich ausgeblendet. Der allgemeine Vorwurf gegenüber solchen Shows
lautet, dass keine „Wahrheit(en)“ dargestellt, sondern lediglich
Erinnerungssplitter oder stereotype Bildformen präsentiert werden.
Der Historiker Bernd Faulenbach hält die Shows „für wenig
geeignet, das Interesse des Publikums an der DDR-Geschichte generell zu
steigern. Voraussetzung dafür wäre nämlich, dass die Zuschauer aus dem
Osten ihren Alltag wieder erkennen und der West-Zuschauer Neues
erfahren würde“ (Faulenbach zitiert nach
www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,262269, 00.html). Beides sei,
so Faulenbach, nicht der Fall, da statt des DDR-Alltags ein „buntes
Surrogat“ geliefert werde. Dadurch könne allenfalls das Bild einer
harmlosen DDR mit teils skurrilen, teils liebenswerten Zügen entstehen
(vgl. ebd.). Die rezeptive Erwartung an eine positive und auch negative
Aspekte und Facetten umfassende DDR-Konstruktion wird nicht erfüllt.
Die Moderatoren dieser DDR-Sendungen weisen unisono die
Vorwürfe der Verharmlosung von sich. Sowohl Ulrich Meyer (SAT 1) als
auch Gunther Emmerlich (MDR) ebenso wie Oliver Geißen und Katarina Witt
(RTL) erklären, sie wollten „die DDR nicht schönreden“, sondern sich
„dem Komplex mit ironischer Distanz nähern“ (vgl.
www.spiegel.de/kultur/gesell-schaft/0,1518, 262269,00.html).
Sowohl die Verklärung als auch Ausblendung bestimmter
Phänomene in solchen Unterhaltungsshows zur besten Sendezeit ist nicht
verwunderlich. Man kann von diesen kaum erwarten, etwas anderes über
die DDR zu erfahren. So konnten und wollten die Sender keine endgültige
Wahrheit über die DDR zeigen, denn dieser mediale „Ostalgie“-Diskurs
verläuft im Fernsehen wie andere westliche postmoderne Diskurse, in
denen immer nach demselben Prinzip ein Spiel mit medialen Stereotypen
oder Mustern gespielt wird; ein Potpourri oder Patchwork aus bereits
bekannten Bildern, kleinen Erzählungen, Symbolen, Zeichen- und
Mythenwelten entsteht. Ein Retrotrend eines Retrotrends erfolgt, der
den Prozess der Mythenbildung forciert und funktioniert wie
postmoderner Mainstream mit einer kollektiven Erinnerungsproduktion,
die dem postmodernen Erinnern entspricht (vgl. Dieckmann, Osang,
Witzel,). Gemäß der Prinzipien und Grundzüge der Postmoderne zielen die
Shows nicht auf eine Präsentation adäquater Reflexion der sog.
„Wirklichkeit“ der DDR ab, sondern präsentieren stattdessen ewig
wiederkehrende Zeichen, Muster, Klischees oder Stereotypien der „DDR“,
die – verstreut vorhanden – nun mosaikartig zusammengesetzt werden und
aufgrund ihrer Bekanntheit und Vertrautheit ein Déjà-vu-Gefühl bei
diversen Zuschauergruppen auslösen. Es entsteht keine Tiefe, sondern
diese Shows jonglieren mit längst etablierten Stereotypen und
präsentieren dem Zuschauer ein oberflächliches „Echo der
Erinnerungssplitter“ oder einen „Karneval der Zeichen“, ein
überdrehtes, ausgelassenes Spiel mit Bildern, weil sie kein
spezifisches Sparten-, sondern ein Massenpublikum erreichen wollen.
Sowohl der „naive“ als auch der „eingeweihte“ Zuschauer sehen dieselben
„doppeltcodierten“ (Elsaesser 1998, 70f) Shows im Fernsehen mit
unterschiedlichen Motivationen und Intentionen. Damit dieses Ansprechen
divergierender Teilpublika funktioniert, muss das mediale
Mainstream-Produkt Komplexität reduzieren und mit
Wiedererkennungsmerkmalen, allseits bekannten Stereotypien und „Mythen“
aufwarten. Das scheint das einfache Erfolgsrezept der TV-Sender zu
sein.
Festzuhalten ist für postmoderne ästhetische
Wirkprinzipien, dass sie nicht auf Wirklichkeit(en), sondern lediglich
auf Echos von Diskursen rekurrieren. Was hier über die postmodernen
Strategien dieser TV-Shows konstatiert wurde, gilt (in abgeschwächter
Form) auch für eine Vielzahl von „Post-DDR“- oder Post-wall-Filmen, die
nach dem Ende der DDR entstanden. Zahlreiche Filme seit den frühen
1990ern setzten sich mit der Thematik des abrupten Endes der DDR, der
Wende bzw. der deutsch-deutschen Wiedervereinigung auseinander. Bei den
sog. postsozialistischen oder Post-wall-Filmen ist zwischen zwei Typen
zu unterscheiden: den ernsthaften Aufarbeitungsfilmen, meist (Melo-)
Dramen und den eher heiteren Filmen, meist Komödien, die die DDR und
ihre Hinterlassenschaften verabschieden.
So entstanden ab Ende 1989 und 1990/91 wenige letzte
DEFA-Filmprojekte, die aus innerer Berührt- und Betroffenheit und
Wahrheitstreue das Leben und den Alltag in der DDR darstellten. Einige
versuchten, sich mit der Vergangenheit auseinander zu setzen,
andererseits aber auch die Errungenschaften und positiven Seiten der
Grundidee des Sozialismus hervorzuheben (wie DER TANGOSPIELER, DER
VERDACHT, VERFEHLUNG, JANA UND JAN). Andere rechneten mit diesem Staat
und ihren unmenschlichen Schikanen und absurden Seiten ab (wie LETZTES
AUS DER DADAER, MIRACULI oder DAS LAND HINTER DEM REGENBOGEN).
Im Anschluss an diese unterschiedlichen
Aufarbeitungsfilme entstanden Filme, die eher einen heiteren Abschied
der DDR hervorkehrten. D. h. es folgten (teilweise groteske) Komödien
über die ehemalige DDR, die wenig Wert auf „Realismus“ und Wahrheit,
historische und politische Korrektheit legten, sondern in erster Linie
unterhalten wollten.
SONNENALLEE und GOOD BYE, LENIN! gehören zu einer Gruppe
von Filmen, die man als postsozialistisch oder post-wall bezeichnen
kann. Dies sind Filme, die nach dem Ende der DDR diese
„wiederauferstehen“ lassen bzw. das Alltagsleben in der DDR in
Erinnerung rufen. Die hier zu untersuchenden Filme sind die beiden mit
Abstand erfolgreichsten dieser Art. Beide beschäftigen sich – trotz
großer Unterschiede – mit der DDR bzw. lassen sie filmisch lebendig
werden – als Rekonstruktion von Geschichte oder Vergangenheit bzw.
Erinnerung an Vergangenes in der Gegenwart, d. h. das
Wiederbeschäftigen mit historischen Ereignissen heute.
So kam am 7. Oktober 1999 der erste hier zu untersuchende
Film SONNENALLEE (D 1999, Leander Haußmann) in die Kinos, fand dabei
einerseits großen Anklang, stieß aber andererseits auch auf heftigen
Widerstand bei Zuschauern und Kritikern.
Dreieinhalb Jahre später kehrte die DDR als Schauplatz
auf die Leinwand zurück: Im Februar 2003 hatte der zweite hier zu
analysierende Film GOOD BYE, LENIN! (D 2003, Wolfgang Becker) seine
Kinopremiere und feierte sogar noch größere Erfolge als Haussmanns
SONNENALLEE. GOOD BYE, LENIN! gewann zahlreiche nationale und
internationale Filmpreise.
2. Exkurs: Postmoderne
„Postmoderne“
ist ein oftmals diffus gebrauchter Begriff, der seit den 1950ern bis
heute die unterschiedlichsten Gesellschaftsbereiche durchzieht. Zima
erklärt, der Begriff „Postmoderne“ werde oftmals als „Epoche, Ideologie
oder Stil“ verstanden, was zwangsläufig zu Problemen mit dem Begriff
führt (Zima, 21). Lyotard wehrt sich allerdings massiv gegen eine
diffuse Postmoderne und fordert eine prägnante, präzise Postmoderne
(vgl. Welsch 1997, 35 und auch Sandbothe, 41f).
Zunächst legt die Verwendung der Vorsilbe „Post“ in
Postmoderne eine Ablösung der Moderne nahe. Jedoch ist diese strikte
Abgrenzung zur Moderne nur eine scheinbare; Postmoderne meint keine
Epoche nach oder jenseits der Moderne (Welsch 1988, 1), sondern wie
Lyotard sagt: „Im Gegenteil: die Postmoderne ist schon in der Moderne
impliziert […] Die Moderne geht konstitutiv und andauernd mit ihrer
Postmoderne schwanger“ (Lyotard 1988b, 205).
Auch Jameson betrachtet die Postmoderne nicht lediglich
als Epochenbegriff, sondern begreift sie als „kulturelle Dominante“
(Jameson, 47), die Probleme zuspitzt, die in der Moderne als Problem
des Subjekts schon angedeutet waren. Ein ästhetischer Wandel in der
Moderne lässt sich für Ende der 1950er bzw. Anfang der 1960er Jahre
konstatieren, indem es zu einem Bruch in der kulturellen Entwicklung
kam (vgl. Lyotard 1979, 19). Die ökonomischen und ästhetischen
Gegebenheiten führten auch zu einem Wandel in der
Wahrnehmungsverfassung des Menschen. Die Begriffe Wirklichkeit und
Wahrheit wurden in der Folge zu prekären Begriffen, u.a. beeinflusst
durch die Beliebigkeit des postmodernen Zeichensatzes. Die zunehmende
Informationsflut im 20. Jahrhundert ließ den Menschen zunächst ratlos
(ebd., 30).
2.1. Postmoderne Merkmale
Laut
Hassan erfasste die Postmoderne nach und nach alle gesellschaftlichen
Teilbereiche – ausgehend von der Literatur und Literaturkritik durch
Fiedler und Sontag über die Architektur-Debatte durch Jencks und der
Philosophie durch Lyotard bis hin zu den visuellen Künsten wie dem
postmodernen Film.
Hassan verweist auf die immense Reichweite des Begriffs
„Postmoderne“; er arbeitet eine Reihe von postmodernen Merkmalen
heraus, die sich teilweise überschneiden: „Unbestimmtheit(en),
Fragmentarisierung, Auflösung des Kanons, Verlust vom ‚Ich’ und
‚Tiefe’, das Nicht-Zeigbare oder Nicht-Darstellbare, Ironie,
Hybridisierung, Karnevalisierung, Performanz, Konstruktcharakter,
Immanenz“ (Hassan, 49f). Diese ästhetischen Eigenheiten, die Hassan der
Postmoderne allgemein zuschreibt, decken sich mehr oder weniger
deutlich mit den Merkmalen eines gesellschaftlichen Teilbereichs – dem
Film.
Unbestimmtheiten, Fragmentarisierung und die Auflösung
eines Kanons meinen alle das von Lyotard beschworene ‚Ende der großen
Erzählungen’, das Aufbrechen der Totalität, die zu „Ambiguitäten,
Brüchen und Verschiebungen“ (Hassan, 49) in unserem Denken, Wissen und
unserer Gesellschaft führen. Unsere gesamte Gesellschaft und ihre
Teilbereiche zerfallen in einzelne Blöcke oder Elemente; es kommt zu
einem Auflösen von Totalität. Die Fragmente oder Disparitäten werden zu
neuen Formen zusammengefügt. Dies führt u. a. zu Hybridisierung. Als
Hybridisierung oder Vermischung von Genres bezeichnet Hassan u. a.
Parodie, Travestie, Pastiche, Plagiat, Klischee und Spiel, Pop, Kitsch
(vgl. Hassan, 52), die alle den Bereich der Repräsentation erweitern.
Abbilder, also Kopien erlangen somit dieselbe Gültigkeit wie ein Urbild
oder Original. Es entsteht eine Vermischung von Kopie und Original, von
Kontinuität und Diskontinuität, hoher und niederer Kunst (wobei diese
Kategorien hinfällig geworden sind), in der die Vergangenheit nicht
imitiert wird, sondern in die Gegenwart hineingeholt, in der Gegenwart
simuliert wird (vgl. ebd.).
Durch bereits genannte postmoderne Merkmale wie
Unbestimmtheiten, Fragmentarisierung, Ironie, Karnevalisierung oder
Hybridisierung ergibt sich ein bestimmter Performanz- und
Konstruktcharakter. Der postmoderne Text enthält Lücken oder Brüche,
die mit Sinn und Bedeutung gefüllt werden können oder müssen. Durch die
Auflösung des Kanons, der Leitideen, verwischen Grenzen zwischen Fakt
und Fiktion. Die Postmoderne konstruiert Wirklichkeit, d. h. alles ist
Konstruktion oder Simulation. Wirklichkeit existiert nur noch als
Konstruktion von Wirklichkeit.
Jean-François Lyotard, der Hauptvertreter der philosophischen Postmoderne, diagnostizierte in Das postmoderne Wissen
(1979) eine Krise der sinnstiftenden ‚großen Erzählungen’ oder
‚Meta-Erzählungen’ (‚grand récits’) der Moderne, „die jeweils eine
Leitidee vorgaben, die alle Wissensanstrengungen und Lebenspraktiken
einer Zeit bündelte[n] und auf ein Ziel hin versammelte[n]“ (Welsch
1988, 12). In der Moderne herrschten noch Einheitsdenken oder
geschlossene Entitäten, Universalismus und die Reduktion auf abstrakte
Identitäten oder verbindliche Welterklärungsmodelle vor. Aus der
Totalität der ‚großen Erzählungen’, d. h. den gesellschaftlich
verbindlichen und dominierenden Leitideen der Moderne, zu denen man
z.B. Humanismus, Rationalismus, Christentum, Marxismus, Sozialismus und
Kapitalismus zählen kann, entstehen nach dem Verständnis der
Postmoderne vielfältige, fragmentarisierte ‚mittlere’ bis ‚kleinere
Erzählungen’, die nicht mehr allgemeine, sondern nur begrenzte, also
relative Gültigkeit besitzen. Nach dem Verständnis der Postmoderne
existieren die ‚großen Erzählungen’ nicht mehr; Totalität und
Universalismus sind zugunsten eines Pluralismus und einer
allumfassenden Heterogenität verschwunden (vgl. Prechtl, 458).
Pluralisierung, Fragmentarisierung und Heterogenisierung
sind allgemeine postmoderne Merkmale des Aufbrechens alles
Ganzheitlichen (bzw. aller Kanons nach Hassan). Damit einhergehend
lässt sich der Verlust oder das Ende des einen Sinns, der einen
Geschichte, der Wahrheit oder der Wirklichkeit in der Postmoderne
ablesen (vgl. Lyotard 1979, Welsch 1997, Baudrillard 1999 s. u.).
Ebenso beinhaltet dieser Verlust auch das Verschwinden der Frage nach
Objektivität und Wahrheit oder das Verwischen der eindeutigen Grenze
zwischen Faktizität und Fiktion. Es handelt sich also um die Betonung
der Vielfältigkeit oder Pluralisierung von Wahrheiten bzw. allgemein um
die Denk-, Handlungs- und Lebensweisen, Modelle und Wissenskonzepte und
ihre Vermengung oder Hybridisierung (vgl. Welsch, Hassan).
Da ein jeder Wirklichkeit different wahrnimmt, existieren
genau genommen Milliarden subjektiv wahrgenommene, konstruierte
Wirklichkeiten (vgl. Krieg, 146). Ebenso lässt sich über den Begriff
der Wahrheit sagen, dass es die eine, letzte Wahrheit (im Sinne einer
platonischen Idee) nicht geben kann, sondern lediglich eine Vielzahl
von Wahrheiten. Wahrheit und Wirklichkeit sind stets schon als etwas
Plurales aufzufassen, jedes Bild von Wahrheit und Wirklichkeit ist
bereits kanalisiert oder vermittelt und somit subjektiviert.
Wahrheit als (moderne) Meta-Erzählung spaltet sich nach
dem Verständnis der Postmoderne in „plurale Wahrheiten“, in
verschiedene Perspektiven auf. Der eine Sinn von „Geschichte“ (oder
Rekonstruktion von Geschichte) spaltet sich auf in ‚mittlere’ bis
‚kleinere’ Erzählungen. Kollektive Erinnerung oder Nostalgie sind
verschiedenartige Erinnerungsfragmente, die nicht objektivierbar,
sondern stets subjektiviert und reduziert sind auf einen möglichst
großen gemeinsamen Nenner.
‚Wirklichkeit’ oder ‚Wahrheit’ (als Meta-Erzählung) gibt
es nicht mehr in der Postmoderne, sondern alles ist Simulation oder
(mediale) Konstruktion.
2.2. Postmoderne im Film
Nach
Felix kann „Postmodernismus als die prägende Dominante des
internationalen Erzählfilms“ betrachtet werden (Koebner, 458). Der
Begriff der Postmoderne, der „als Stilrichtung oder als Epoche, als
philosophisches, ästhetisches oder [kulturelles] Zeitgeistphänomen“
(Bleicher, 113) bezeichnet wurde, hat sich seit den 1980er und 90er
Jahren aufs Kino ausgebreitet. Auch hier haftet dem Begriff etwas
Diffuses an. Dennoch herrscht bei bestimmten Filmen und Filmemachern
Konsens über ihre ‚Postmodernität’.
Schreckenberg beantwortet die Frage, was postmoderne
Filme ausmacht wie folgt: „demonstrative Künstlichkeit“ (Schreckenberg,
120), Reflexivität, Medienzitate sowie eine „Überwältigung der Sinne“
(ebd., 123) durch visuelle Schocks und Spektakel, ein wiederverwendetes
Mythenrepertoires (vgl. ebd., 122) und Mehrfachcodierung des Materials,
um unterschiedliche Zuschauergruppen anzusprechen.
Diese Merkmale nennt auch Eder, wenn er die Postmoderne
und Postklassik im Kino der 90er Jahre auf einige Merkmale zu
reduzieren versucht (vgl. Eder, 11). Er nennt „Intertextualität,
Spektakularisierung und Ästhetisierung, Selbstreferentialität sowie
Anti-Konventionalität und dekonstruktive Erzählverfahren“ (Eder, 11).
Dabei soll allerdings nicht außer Acht gelassen werden, dass nicht alle
diese Merkmale in einem Film auftauchen müssen, um ihn als postmodern
bestimmen zu können. Vielmehr Intertextualität gilt als ein
wesentliches Merkmal des postmodernen Films (vgl. Felix, Eder).
Darunter versteht man Referenzen oder Reminiszenzen eines (Prä- oder
Hypo-) Textes auf einen anderen (Hyper-) Text (vgl. Nünning 220f,
261f). Dabei kann es sich um ein direktes Zitat oder aber um mehr oder
weniger deutliche Anspielungen oder Verweise handeln. Intertextuelles
Erzählen bedeutet dann, dass ein Film sich auf einen anderen Film bzw.
andere Filme bezieht – sei es, dass er auf visueller, akustischer oder
narrativer Ebene auf einen oder mehrere andere Filme rekurriert; als
ein Kino, „das das ‚Mythenrepertoire’ der populären Kultur anzapft und
für seine Zwecke verwendet“ (Schreckenberg, 122). Zwar sind und waren
im Film immer schon Rückgriffe auf Erzähltraditionen, Bilder und Muster
gebräuchlich (vgl. Bordwell 1998), doch nimmt die intertextuelle
Bezugnahme im postmodernen Kino charakteristische Formen an. Wichtig
ist hierbei nicht allein, auf welche Texte sich ein postmoderner Film
bezieht, sondern auch „wie und mit welcher rezeptionsstrategischen
Ausrichtung“ (Eder, 12), also mit welcher Intention er dies tut.
„[…] [s]tatt sich […] nach den Prinzipien der
dramaturgischen Notwendigkeit und narrativen Ökonomie auf die Erzählung
zu konzentrieren, stellen postmoderne Filme oft unabhängig von den
Erfordernissen des Plots spektakuläre Szenen, Stilelemente und
audiovisuelle Attraktionen heraus […]“ (Eder, 19).
D. h. manche Bilder bzw. Spektakel erfüllen keine
besondere narrative Funktion im Plot, sondern besitzen einfach einen
gewissen Eigen- bzw. Schauwert, und die Aufmerksamkeit des Zuschauers
konzentriert sich auf etwas anderes, das von der eigentlichen
Handlungsentwicklung wegführt (vgl. Eder, 19).
Zu der narrativen kommt eine stilistische
Selbstreferentialität, d. h. nicht nur die Erzählstruktur ist
auffällig, sondern auch die Verwendung filmischer Mittel und
Darstellungsstrategien, also die Betonung des spezifisch Filmischen –
wie die Perspektiven- oder Bildmaterialauswahl. Ausgesuchte Details der
mise-en-scène wie Ausstattung, Settings, Requisiten bzw. das auffällige
Design von Gegenständen, technische Effekte, ungewöhnliche
Kamerabewegungen, Ton, Musikeinsatz, Licht- und Farbdramaturgie rufen
den Eindruck „demonstrativer Künstlichkeit“ hervor (Schreckenberg,
120). Derlei stilistische Selbstreferentialität, ein gewolltes
Bewusstmachen, dass hier eine Geschichte erzählt wird, hat eine
anti-illusionierende und distanzierende Wirkung auf den Zuschauer.
Die beiden in dieser Arbeit zu analysierenden Filme
setzen solche selbstreferentiellen und selbstreflexiven Verfahren (wie
Ironie oder ein Spiel mit Zitaten) extensiv ein und kreieren so ein
Gefühl von „Ostalgie“, betonen aber gleichzeitig die Artifizialität des
Erzählten. Durch die Hervorhebung bekannter Muster, Motive,
Stilelemente und die zahlreichen, auf allen Textebenen sofort
erfassbaren Stereotypien oder Mythen, sind postmoderne Filme hochgradig
selbstreferentiell. Diese Offenlegung der Klischees und dieser
lustvolle Umgang mit den stereotypen Figurenmerkmalen und
Handlungselementen als Stereotype kann man als narrative
Selbstreferentialität bezeichnen (vgl. Schweinitz i.D.,276).
Intertextuelle, selbstreferentielle Kurzzitate aus der
Filmgeschichte lassen sich dekonstruiert und doppelcodiert als
Zitatbausteine in einem neuen Filmmosaik einfügen. Zitate oder
Anspielungen können in unterschiedlicher Weise als filmische
Darstellungsmittel der Selbstreferenz gebraucht werden (vgl. Bleicher
120f). Postmoderne Filme „nutzen Mythologie und Spielregeln einer von
jedermann verstandenen Populärkultur nicht mehr additiv, sondern
dekonstruieren ihre Funktionsweise“ (Kothenschulte, 7) und brechen mit
geronnenen Konventionen. So werden Kausalketten, lineare
Handlungsabfolgen, stereotype Strukturen, Figuren und Genres
dekonstruiert. D. h. postmoderne Filmemacher greifen inhaltliche und
formale Konventionen auf und verwenden sie als Bausteine neuer
Erzählungen, als narratives Spielmaterial. Durch Mehrfachcodierungen,
die viele für entscheidende Bedingungen im postmodernen Kino erachten,
kann das Publikum doppelt einbezogen werden: Der postmoderne Film kann
folglich sowohl den ‚naiven’ Zuschauer, der sich am oberflächlichen
Handlungsablauf, an Action und Spektakel erfreut, als auch den
‚eingeweihten’, ‚ironischen’ Zuschauer, der die Gemachtheit und Zitate
oder Anspielungen erkennt und sich an seinem Wissen delektiert,
erreichen (vgl. Bleicher, 113). Der Verwendung selbstreferentieller und
intertextueller Verfahren verdankt der postmoderne Film mit seiner
Strategie der Doppelcodierung seine Popularität bei verschiedenen
Zuschauergruppen. Eine Grundlage der Mehrfachcodierung des Erzählens
ist der Genremix.
2.3. Simulation – Postmoderne Realitäten
Das
Simulationskonzept des französischen Soziologen und Kulturkritikers
Jean Baudrillard greift gewissermaßen den Gedanken Lyotards auf, dass
es in der Postmoderne zu einem Zerfall der ‚großen Erzählungen’ kommt.
An die Stelle des einen sinnstiftenden Originals treten polyvalente
Simulationen oder Kopien.
Baudrillard entfaltet die Simulation zeichentheoretisch
und unterscheidet kulturgeschichtlich drei Stadien oder
Repräsentationsordnungen der Zeichenfunktion, die Simulakren.
‚Simulakrum’ als Produkt oder Gegenstand der Simulation bezeichnet bei
Baudrillard den Zustand der Referentialität von Zeichensystemen; mit
anderen Worten: eine „[…] ‚Wucherung’ des Zeichenprozesses dahingehend,
dass Zeichen zunehmend selbstreferentiell werden, und Bedeutung und
Bezug (Referenz) zusammenfallen“ (Prechtl, 542). Ein Simulakrum ist
vereinfacht gesagt ein Trugbild, das so raffiniert oder verführerisch
ist, dass es ‚Wirklichkeit’ zu ersetzen vermag. Baudrillard ist der
Ansicht, alles sei Simulation oder medial konstruiert. Postmoderne
destruiert oder zersetzt Wirklichkeiten, setzt sie aber zugleich
selektiv, neu zusammen.
Gegenwärtig befinden wir uns nach Baudrillard im dritten
Zeitalter der Simulation. Hier haben sich die Zeichen arbiträr von
jeder Referenz gelöst (vgl. Schnell, 472). In aktuellen
medientheoretischen Zusammenhängen gilt ein Simulakrum als „’Kopie ohne
Original’, als eine Darstellung, die sich auf ein reales Vorbild zu
beziehen scheint, diese Referenz aber nur noch kreiert und somit
simuliert“ (Nünning, 585f). Bei Baudrillard umfasst der Begriff des
Simulakrums „Repräsentationen und Artefakte, die sich nicht mehr auf
Vorbilder, Substanzen, Zwecke und Ideale zurückführen lassen, sondern
mit Hilfe von Modellen und Codes Realitätseffekte simulieren und
operationalisierbar machen“ (ebd.; vgl. Baudrillard 1988, 159).
Er erkennt die Simulation in allen gesellschaftlichen
Teilbereichen unserer Kultur, wie z.B. Politik und Kunst, was zur Folge
hat, dass Realität verschwindet bzw. Realität und Fiktion sich
gegenseitig bis zur Ununterscheidbarkeit durchdringen (vgl. Prechtl,
542). D. h. im Zeitalter der Simulation und Hyperrealität lassen sich
das Wahre und das Gemachte voneinander nicht trennen (vgl. auch Bolz
1991, 111). Die Welt, die wir wahrnehmen, ist immer schon unsere eigene
Konstruktion, Produkt unserer Vorstellungen und geformt von den
kulturellen Determinanten, denen wir unterworfen sind (vgl. Büsser,
83). Im Zeitalter der Digitalisierung ist die Simulierbarkeit realer
Abläufe durch neueste Computertechnologien plausibel geworden.
Postmoderne Produkte, wie die hier zu untersuchenden
Filme (oder die „Ostalgie“-Unterhaltungsshows) simulieren oder
konstruieren Fragmente der DDR durch die Anhäufung bestimmter Zeichen.
2.4. Geschichte, Erinnerung, Nostalgie
Der
naive Mensch glaubt, dass sein Dasein und die Umstände seines Lebens
auf geschichtlichen Handlungen fußt. Hierbei lässt er außer Acht, dass
es auch Geschichtsschreibung gibt. Diese erweist sich häufig als
fiktiv, da nicht ausschließlich mit Dokumenten gearbeitet wird, sondern
viel der eigenen Interpretation und Perspektivierung überlassen wird.
Diese Tatsache wird auch gerne in Literatur und Film genutzt, weil der
interpretative Charakter der Erzählung vom Leser oder Zuschauer mit
„ernsthafter“ Geschichtsschreibung verwechselt wird. Die Postmoderne
macht sich diesen Umstand zunutze, indem sie Versatzstücke der
Erinnerung einzelner Beteiligter zu einem collagierten Bild
zusammenfügt, was oftmals glaubwürdiger erscheint als eine homogene
Geschichtserzählung, die ein geglättetes Bild der Geschichte
darzustellen versucht. Dies ist eine kulturelle Leistung des
kollektiven Gedächtnisses. Das kulturelle Gedächtnis oder die
kollektive Erinnerung ist jedoch kein objektiver „Speicher […], der die
Vergangenheit [und somit Wahrheit] selbst bewahrt, sondern […] die
Gesellschaft von ihrer jeweiligen gegenwärtigen Situation aus ihre
Geschichte(n) unter wechselnden Bezugsrahmen neu konstruiert“ (Nünning,
213).
Dies geschieht hier exemplarisch im Film. Der historische
Roman bzw. der historische Film (oder Jamesons „Nostalgie-Film“, 64f)
der Gegenwart „[…] steht […] für eine Ästhetik, die vom Verschwinden
des historischen Referenten geprägt ist. Der historische Roman der
Gegenwart [ebenso wie der „Nostalgie-Film“] kann es sich nicht mehr zur
Aufgabe machen, die historische Vergangenheit einfach zu
repräsentieren. […] Kulturproduktion wird damit in einen geistigen
Bereich abgedrängt, der nicht mehr länger der des alten monadischen
Subjekts ist, sondern eher […] der Bereich eines degradierten
kollektiven ‚objektiven Geistes’. Dieser erblickt nicht mehr
unmittelbar eine vermeintlich reale Welt oder eine rekonstruierte
Vergangenheit, die doch selbst einmal Gegenwart war, sondern spürt […]
die Schatten unserer Vorstellung von dieser Vergangenheit […] auf. Wenn
es also doch noch so etwas wie ‚Realismus’ gibt, dann müßte dies ein
Realismus sein, der aus der schockartigen Erkenntnis entspringt, daß
die Wirklichkeit nicht mehr ‚unmittelbar’ zu begreifen ist und dass wir
uns langsam einer neuen und einzigartigen historischen Situation
bewusst werden müssen, in der wir dazu verdammt sind, Geschichte nur
noch in unseren eigenen gängigen Bildern und Simulakren zu suchen, da
die ‚Geschichte an sich’ für immer verloren ist“ (Jameson, 69f).
Um sich die „Vergangenheit“ anzueignen, verwendet der
Film Stereotypien einer Vergangenheit, die sich in eben diesem Medium
ausdrückt. Wie der historische Roman macht sich der „Nostalgie-Film“
frei von Geschichte, d. h. es besteht kein Zusammenhang mehr zwischen
schulischem, gelerntem Geschichtswissen, medialen Erfahrungen und dem
erlebten Alltag (vgl. Jameson, 67).
Sowohl SONNENALLEE als auch GOOD BYE, LENIN! sind
narrativ-fiktionale Historienfilme im weiteren Sinne. Nach Koebner
stellt der Historienfilm als eigenständiges Genre für den Zuschauer
eine Reise in die Vergangenheit dar (vgl. Koebner, 253). Die Handlung
im Historienfilm spielt stets in einer abgeschlossenen Vergangenheit,
die – unabhängig wie lang sie zurückliegt – visuell rekonstruiert wird.
Diese visuelle Rekonstruktion ist einerseits möglich durch aufwendige
und mehr oder weniger authentisch wirkende Ausstattung (mise-en-scène,
also Architektur, Dekor, Requisiten, Kleidung); andererseits durch
Konzentration auf den in der entsprechenden, darzustellenden Zeit
herrschenden Zeitgeist, d. h. die geistige Durchdringung der Epoche.
Historienfilme stellen eine Vergangenheit dar, die nicht mehr
existiert, die also wiedererweckt werden muss durch die Repräsentation
des Looks bzw. des Zeitgeists (vgl. Rother, 306). Vergangene
‚Wirklichkeit’ ist immer nur als Wirklichkeit [oder bewusste
Unwirklichkeit] der Kulisse möglich (vgl. Rother, 306).
Rother gibt zu bedenken, dass ‚Authentizität’ zwar das
Ziel der Geschichtsschreibung sei, dass jedoch keine
Geschichtsdarstellung (auch nicht die filmische) das Vergangene echt
und unverfälscht darstellen könne.
Das Imitieren eines bestimmten Looks der Vergangenheit
durch Simulationen und Pastiche einer zum Stereotyp gemachten
Vergangenheit erkennt Jameson in den sog. „Nostalgie-Filmen“. „In
diesen Filmen wird die ganze Imitationskunst des Pastiche neu
strukturiert und auf eine kollektive und gesellschaftliche Ebene
projiziert“ (Jameson, 64). Pastiche meint eine „liebevolle Einfühlung“
(Albertsen in Nünning, 493) oder „weiße Ironie“ und ist im Gegensatz
zur „roten“, beißend-spöttischen Parodie freundlich oder mild ironisch
(vgl. Elsaesser 1998, 98). Der Nostalgie-Film (ebenso wie der
historische Roman) sei „[…] nie auf eine altmodische ‚Repräsentation’
historischer Inhalte aus. Er nähert sich der ‚Vergangenheit’ vielmehr
durch stilistische Konnotationen: Qualitäten der ‚Vergangenheit’
(‚pastness’) werden dabei durch Hochglanzbilder und Modeattribute
vermittelt (Jameson, 65) […] [Er] kann es sich es nicht mehr zur
Aufgabe machen, die historische Vergangenheit einfach zu
repräsentieren. Er ‚repräsentiert’ nur mehr unsere Vorstellungen und
Stereotypen von dieser Vergangenheit (die so […] zur ‚Pop-History’
wird) […]“ (Jameson, 69).
Der Nostalgie-Film leistet zweierlei: Einerseits ist es
„der verzweifelte Versuch, sich die verloren gegangene Vergangenheit
anzueignen“ (Jameson, 64), indem sie reproduziert und somit reanimiert
wird. Andererseits sind „wir dazu verdammt, […] Geschichte nur noch in
unseren eingängigen Bildern und Simulakren zu suchen, da die
‚Geschichte an sich’ für immer verloren ist“ (Jameson, 69f). So
argumentieren auch Baudrillard und Elsaesser.
Zunehmend wird sich der Mensch bewusst, dass auch seine
Sinne trügen können. Es besteht in diesem Zusammenhang eine
Unsicherheit, die sich auch auf die Wahrnehmung der Vergangenheit
erstreckt und somit Erinnerungen zweifelhaft erscheinen lässt. Die
Vergangenheit ist nicht mehr Zeugnis erlebter Wirklichkeit, sondern
erzeugt im Gedächtnis eine Parallelwelt, „die gleichermaßen unreal,
hyperreal und virtuell ist“ (Elsaesser 2002, 12). In diesem
Zusammenhang ist es notwendig von der Ironie zu sprechen, die, wie
erwähnt, ein konstitutives Element der Postmoderne ist. Kümmert sich
die Postmoderne um Vergangenes, wird der Ironie auch hier viel Raum
zugemessen.
Erinnerung geht meist einher mit Nostalgie. Der Begriff
‚Nostalgie’ (oder in der spezifischen Form der „Ostalgie“) ist
verknüpft mit einer bestimmten Form der (V)Erinner(lich)ung. Unter
Nostalgie verstand man ursprünglich die Sehnsucht nach (dem als besser
erscheinenden) Vergangenen. Eine Aktualisierung erfuhr der Begriff in
einer Nostalgie-Welle Mitte der 1960er Jahre. Hierunter wird eine Reihe
von Erscheinungen zusammengefasst, denen eine Rückwendung auf
Vergangenes gemeinsam war (v. a. in der Mode, im Kunstinteresse, auch
in der Tendenz mancher Weltbilder und Lebenseinstellungen).
Nostalgie ist zugleich „eine sentimentale Rück-Sicht [und] Rückzug aus der Gegenwart“ (Der Spiegel
1973, 86), somit ist sie „[…] Kulturstimmung von heute […] und […] von
gestern“ (ebd.). Massenkultur von heute, von der Mode über Musik bis
Film und Literatur beleben Vergangenheitserinnerungen, während die
Industrie am Geschäft mit der Vergangenheit verdient (vgl. ebd.; siehe
„Ostalgie“-Welle). Nostalgie und liebevolle Erinnerung an Vergangenes
und Verschwundenes kann man, wie Der Spiegel es tut, bezeichnen
als „Passion fürs Passé“ (ebd., 86). Geliebt, gekauft, gespielt,
getragen und gegessen wird, was frühere Generationen konsumierten
(ebd., 86).
Die Nostalgie ist ambivalent oder doppelgesichtig: Zu
unterscheiden sind eine naive oder naiv reproduzierte Nostalgie und
eine „vorsätzliche, artifiziell und bewusst gemachte Nostalgie, die
sich der Vergangenheit kritisch oder spielerisch [ironisch] im Zitat
bemächtigt“ (Der Spiegel, 1973, 98). Die Erinnerung älterer Nostalgiker
an Vergangenes aus ihrer Kindheit oder Jugend ist nachvollziehbar und
meist naiv. Die Nostalgie Jüngerer ist vorsätzlich, ironisch.
„Erst die Teilnahme der Jüngeren unter Dreißig […] popt
die alte Wehmut eigentlich zur modischen Nostalgie auf. Dabei ist
unerheblich, daß da, wo die Alten mitunter eine gerührte Träne vor
soviel Déjà-vu verdrücken, die Twens zumeist amüsiert das Kuriose,
Komische, kurzum das Campgefühl genießen, das ja immer eine halbwegs
selbstironische Befriedigung war“ (Der Spiegel 1973, 92).
Wie
gezeigt, bedeutet Nostalgie ein Gefühl von Wehmut oder Melancholie, das
durch Erinnern entsteht oder Erinnerung hervorruft. Erinnerung ist
stets subjektiv und vermittelt. Ebenso ist Nostalgie ein (naives oder
ironisches) Verklären und Ausblenden verschiedener Aspekte eines
Phänomens wie der „Ostalgie“.
Der sowohl zeitlich – auf die Vergangenheit gerichtete –
als auch der räumliche, lebensweltliche Bezug (also die
Heimatverbundenheit) wird in dem Neologismus „Ostalgie“ deutlich; die
beiden Komponenten Heimat und Vergangenheit werden verbunden, und so
bezeichnet „Ostalgie“ ein tiefes, emotionalisiertes Sehnsuchtsgefühl,
das mit einer gewissen Verklärung oder Ausblendung bestimmter
(negativer) Aspekte einhergeht.
Die Ostdeutschen unterstellte Haltung des Mystifizierens
und Verklärens der DDR-Vergangenheit und ihrer Errungenschaften wurde
im medialen Diskurs allgemein als DDR-Nostalgie oder „Ostalgie“
bezeichnet (vgl. Eschke). Das Phänomen der „Ostalgie“ in den Medien
resp. wissenschaftlichen Beiträgen meint eine Form „der nostalgischen
Rückbesinnung der Ostdeutschen auf die ‚guten’ Zeiten in der DDR […]
[wobei] [e]in Streitpunkt dabei […] in der Differenz zwischen
öffentlicher Darstellung und individuellem Erleben bzw. Wahrnehmen
[besteht]“ (Neumann, 359f).
Eschke sieht „Ostalgie“ nicht als oberflächliches
Phänomen, sondern als Folge des massiven weltpolitischen Umbruchs im
sozialen und individuellen Leben der einst in der DDR lebenden Menschen
1989/90 und ihrem Wunsch, nach zahllosen Veränderungen, die sie
erreichen wollten bzw. die sie erreichten, stabilisierende Faktoren in
ihr Leben in der Folgezeit einzubringen (vgl. Eschke, 1). Nostalgie als
geistige Haltung fasst er auf als „Moment der Verklärung des
Vergangenen, der Verhältnisse, die zerstört und verloren sind“ (Eschke,
2). In der Trauer um den Verlust der DDR als ganzes System würden Wesen
und Eigenschaften des Verlorenen überhöht, verklärt und mystifiziert.
Durch diese Enttäuschung über den Verlust käme es zwangsläufig zu einem
Vergleich des Alten, Verlorenen mit dem Neuen, Hinzugewonnenen.
(N)Ostalgie resultiert aus Unzufriedenheit und einem Gefühl, von der
BRD nicht ernst genommen zu werden und wird bezeichnet als
„zwangsläufige Folge geistiger Schwierigkeiten beim begreifenden
Verarbeiten jener tiefgreifenden Probleme, die sich mit dem realen
Wechsel der Daseinssituation und Lebensqualität ergeben“ (Eschke, 3).
Im Medium Film kam es zu zyklischen Retro- oder
„Ostalgie“-Wellen – vom Tragischen (wie in VERFEHLUNG, DER VERDACHT
oder DER TANGOSPIELER) über Groteskes (wie in LETZTES AUS DER DADAER,
MIRACULI, DAS LAND HINTER DEM REGENBOGEN, BANALE TAGE oder GORILLA
BATHES AT NOON) bis hin zum Komischen (wie in GO, TRABI, GO oder der
Fortsetzung DAS WAR DER WILDE OSTEN) Anfang der 1990er Jahre bis hin zu
SONNENALLEE oder HELDEN WIE WIR Ende der 90er, die beide in den Komplex
der „Ost“-Komödien gehören.
Manch späterer Film erinnert wiederum ernsthafter als
diese Komödien an die DDR und die Erinnerungen an sie und ihr Ende.
DREI STERN ROT beispielsweise schildert die DDR als einziges Trauma. In
diesem Film wird die Geschichte eines ehemaligen Grenzers erzählt, der
einer Psychologin auf der Couch liegend seine Vergangenheit mitteilt
und so auf sein Leben zurückblickt. Zu diesen Filmen gehören auch
BERLIN IS IN GERMANY, der – ohne sich einer simplen „Ostalgie“
hinzugeben – desillusionierend zeigt, dass im vereinten Deutschland
auch nicht alles besser läuft als in der DDR, ebenso wie der letzte
post-wall-Film, nämlich GOOD BYE, LENIN!
Formal ähneln sich die beiden hier zu untersuchenden
Filme SONNENALLEE und GOOD BYE, LENIN! durch den gewählten Ort der
Handlung: Beide spielen im Ostteil des geteilten Berlin. In beiden
Filmen ist der Protagonist ein junger Mann, auf dem Übergang von der
Adoleszenz zum Erwachsenenalter.
Micha aus SONNENALLEE ist 17 Jahre alt, Schüler und
verliebt; Alex aus GOOD BYE, LENIN! ist 21, arbeitet als Fernsehmonteur
und genießt die Liebe zu Lara. Beide Filme erzählen (die) Geschichte
aus der Sicht ihrer jungen, männlichen Hauptfiguren, die beide –
unterschiedlich häufig – als Ich-Erzähler in voice-over-Kommentaren
ihre Erlebnisse retrospektiv mitteilen.
Trotz dieser Parallelen sind beide Filme, ihre
Intentionen und ihre Machart sehr unterschiedlich. So ist SONNENALLEE
eine groteske Komödie mit deutlich postmodernen Merkmalen, GOOD BYE,
LENIN! dagegen eine Tragikomödie mit postmodernen Versatzstücken, die
jeweils mehr oder weniger „ostalgisch“ erscheinen können.
3. SONNENALLEE - Vorbemerkungen zum Film
Leander
Haußmanns Film SONNENALLEE präsentiert dem Zuschauer einen Blick zurück
auf ein privates Leben bzw. den Alltag in der DDR in den 1970er Jahren
– erzählt aus der Sicht des zu dieser Zeit 17-jährigen Michael
Ehrenreich. Er, seine Familie und Freunde sind die Träger der
episodischen, lose verbundenen Handlung. Der Zuschauer erfährt von
ihren banalen Alltagsproblemen. Im Mittelpunkt des Films stehen dabei
einerseits die Liebesgeschichte von Micha und Miriam, andererseits
Michas Freunde und seine Familie.
Micha lebt mit seinen Eltern und seiner Schwester in
einer beengenden Wohnung in der Ostberliner Sonnenallee, unmittelbar an
der Grenze zum Westen. Michas Eltern sind angepasst und vorsichtig,
wahren vor dem „Stasi-Nachbarn“ die Fassade der regimetreuen Bürger;
sind tatsächlich allerdings eher kritisch. (So schaut Michas Vater
prinzipiell Westfernsehen, droht mit Eingaben und schimpft auf den
Staat, dessen Organe und Produkte. Michas Mutter plant gar eine
Republikflucht, nachdem sie im Grenzgebiet den Pass einer Westdeutschen
gefunden hat.) Häufig kommt Michas Westonkel Heinz zu Besuch und
schmuggelt legale Westwaren statt Begehrtem und Verbotenem über die
Grenze. Er macht sich stets vor(ver)urteilend über das (im übertragenen
Sinne) „kranke“ DDR-System lustig, ohne darüber näher informiert zu
sein. Der Kontakt zum Westen oder ein Vergleich zwischen Ost und West
liegt so unmittelbar an der innerdeutschen Grenze für die Bewohner der
Sonnenallee.
Michas „Kontakt“ zum Westen ergibt sich besonders durch
seine Leidenschaft zur Musik. Ihn interessiert überwiegend westliche
(teils verbotene und schwer zu beschaffende) Rock- und Popmusik. Diese
Leidenschaft teilt er mit den Jungen aus seiner Clique, besonders mit
Mario und Wuschel.
Kurz vor ihrem Schulabschluss überlegen Micha und Mario,
welchen Weg sie in Zukunft einschlagen wollen: ob sie eine aktive
Widerstandsgruppe gründen oder drei Jahre zur Armee gehen sollen, um
anschließend studieren zu können. Zu ihrer typisch jugendlichen
Verortung in der Gesellschaft und Identitätssuche kommt die romantische
Suche nach der großen Liebe, die nach Misserfolgen und Niederlagen in
Happy ends münden. Doch bevor es dazu kommt, ereignen sich einige
Beinah-Katastrophen. So wird Wuschel im Grenzgebiet angeschossen und
überlebt nur durch einen glücklichen Zufall; der angepasste Micha kann
den aufsässigen Mario im letzten Moment davon abhalten, bei der Stasi
mitzuarbeiten.
3.1. DDR-Mythen und Zeichen
Als
„DDR-typische“ Symbole oder Mythen, die in SONNENALLEE vorkommen, sind
zu nennen: das geteilte Berlin, im Grenzgebiet permanente
Ausweiskontrollen und Wachsamkeit der Staatskräfte (NVA, ABV), ein
sozialistisches Menschenbild und entsprechende Erziehung, die
Einheitspartei SED und staatliche Organe wie die FDJ; der Balanceakt
der Bürger zwischen Anpassung und Widerstand; zunächst verbotenes, dann
geduldetes Westfernsehen und Westverwandtschaft (vgl. Neubert, 35f),
dadurch ein Vergleich des Ost-Lebensstandards mit dem Westen und
zugleich Abgrenzung vom „imperialistischen Klassenfeind“, den
westlichen Verlockungen und Freiheiten (wie Popmusik der Rolling Stones
oder Frank Zappa, Jingler-Jeans, Jacobs Krönung); Schwierigkeiten,
alltägliche Gebrauchsgegenstände zu bekommen und Tätigkeiten wie
Eingaben schreiben. Abgesehen von diesen Merkmalen der DDR gibt es
zahlreiche visuelle Hinweise, um „pures DDR-Tum“ kenntlich zu machen
(Kleidung, Einrichtung).
Indem bestimmte Codes oder Zeichen, eine DDR-Ikonografie,
ironisiert und karnevalisiert auf die Spitze getrieben werden, wird der
Konstruktcharakter und die Artifizialität dieses Films offensichtlich.
So entwickelt sich in SONNENALLEE ein Geflecht aus sozialistischen
Motiven oder „Mythen“ wie z.B. das Buckeln vor dem vermeintlichen
Stasi-Nachbarn oder dem ABV, Besuch aus dem „Tal der Ahnungslosen“ oder
Westverwandtschaft, die (ausgerechnet legale) Westwaren einschmuggelt.
Dass man über die „Welt“ oder „Wirklichkeit“ in
SONNENALLEE lachen kann, liegt an ihrer überspitzten, selbstironischen
und demonstrativ künstlichen Darstellung. (N)ostalgische Gefühle, die
der Film erzeugt oder aber negiert (vgl. Cooke, 156), beziehen sich in
erster Linie darauf, dass man lernte, sich zu arrangieren und der
Fähigkeit, das Beste aus teilweise absurd-komischen Situationen der
Anpassung, Mangelwirtschaft und begrenzten Freiheiten zu machen. Der
Film wird aus der Sicht eines Jugendlichen erzählt, der damals „jung
und verliebt“ war, und sich als Erwachsener an die Jugend allgemein
positiv und verklärend erinnert.
Dass Greuel oder Schikanen des totalitären,
diktatorischen Systems nur am Rande präsentiert werden, bedeutet nicht,
dass der Film unkritisch ist oder verharmlosen will. Denn das Lachen
über etwas bedeutet meist die schärfste Kritik. So leitet der Film den
Zuschauer dazu an, das Absurde und Groteske der DDR durch die
karnevaleske Art der Darstellung zu durchschauen und zu reflektieren.
Es werden typische, klischeehafte DDR-Mythen wie Besuche
und Geschenke von Westverwandten (beispielsweise durch den überzogenen
Strumpfhosenschmuggel von Onkel Heinz) oder Gedanken an eine
Republikflucht in den Westen (durch das künstliche Altern der Mutter um
20 Jahre) und Jugendmythen (Schulstreiche, ausgelassene Parties und
Drogenerfahrungen) selbstironisch miteinander verknüpft. Doch gerade
durch die Stereotypik der Figuren und ihrer typischen Handlungen
entsteht die satirisch-überzeichnete ‚Repräsentation der DDR’.
3.1.1. Das groteske Alltägliche
Sämtliche
Haupt- und Nebenfiguren in SONNENALLEE wirken wie Typen oder
Stereotypen. Sie fungieren als Spielsteine, die im Verlauf der
Filmgeschichte und durch lebensweltliche Erfahrungen durch wiederholten
Einsatz von Motiven, Geschichten und Erzählverfahren in
unterschiedlichen narrativen Zusammenhängen entstanden sind. Im
Alltagsempfinden (lebensweltliche Bezüge) und in der filmischen
Repräsentation sind diese Figuren simplifiziert und reduziert auf
wenige, dafür deutliche Merkmale. Typen oder Stereotypen sind
schematisch reduzierte Konstrukte, die sich im Laufe des Films nicht
verändern; sie sind „fertige Schablonen “ – schon zu Beginn des Films.
Ohne große individuelle Substanz gezeichnet und meist mit einem
einzigen Kernmerkmal ausgestattet, stehen sie für eine bestimmte
‚Idee’. Alle sind extrem überzeichnet und beinahe karikaturhaft oder
grotesk dargestellt, vom überzeugten Grenzer über verdeckte
Stasi-Beamte, Mitläufer, prahlerische Westdeutsche bis hin zu erwachsen
werdenden Jugendlichen oder überzeugten FDJ-lern.
Hier verdeutlicht sich das Prinzip sog. ‚kleinerer
Erzählungen’: SONNENALLEE inszeniert die jüngste deutsche Vergangenheit
bewusst „alltäglich“ im Mikrokosmos einer Ostberliner Straße. Die
durchschnittlichen Ostdeutschen in der Sonnenallee haben normale,
gewöhnliche Probleme. Micha liebt die Schulschöne Miriam und Musik.
Michas ältere Schwester wechselt permanent ihre Freunde und passt sich
deren Überzeugungen blind an. Sie steht für die Idee der Anpassung
allgemein. Die Mutter spielt nach außen eine unbescholtene, regimetreue
DDR-Bürgerin, während sie vom Westen träumt und ihre beabsichtigte
Republikflucht erst an der Grenze abbricht. Michas Vater ist ebenso ein
kritischer, dennoch angepasster DDR-Durchschnittsbürger. Michas Freund
Mario steht wie seine – ältere unangepasste – Freundin Sabrina für den
(nicht immer ungebrochenen) Widerstand gegen die Staatsgewalt und ihren
begrenzten Freiheiten. Wuschel steht stellvertretend für eine junge,
unpolitische Generation, die West-Musik liebt.
Der Abschnittsbevollmächtigte (ABV) Horkefeld
repräsentiert unbedingte Gehorsamstreue. Unreflektiert und naiv, aber
zunächst unantastbar steht er auf der untersten Stufe der Volkspolizei.
Der NVA-Grenzer verkörpert den prinzipientreuen, überzeugten
Sozialisten, der sicher ist, dass der Kapitalismus gegen den
Sozialismus auf Dauer chancenlos sei. Ebenso sind die FDJ-Oberen, die
Rektorin und der Staatssicherheitsbeamte als treue und loyale
SED-Anhänger stark überzeichnet. Schon in ihrem Auftreten und ihrer
Wortwahl wird ihr Wesen oder die Idee, für die sie stehen, deutlich.
Entsprechend ihrer starren Rollen ergeben sich bestimmte
Handlungsstereotype. In der DDR typische Handlungen wie Eingaben
schreiben, Westfernsehen schauen, FDJ-Quartiergäste aufnehmen, seine
Position im Regime finden zwischen Anpassung und Zustimmung bzw.
Ablehnung und Widerstand oder Gedanken an Republikflucht und ein
Vergleich der Lebenssituation DDR – BRD werden gezeigt (vgl. Neubert
33f).
Ebenso stereotyp wie das Figurenrepertoire ist auch der
Handlungsort. Der überwiegende Teil des Plots spielt im östlichen Teil
der Sonnenallee, d. h. auf der Straße, in benachbarten Wohnungen oder
der Schule, unmittelbar im Grenzgebiet (wie auch zahlreiche Schilder
verdeutlichen). Die Schauplätze erinnern allesamt stark an Kulissen und
betonen ihre Künstlichkeit.
Das Bild von der DDR, das so vermittelt wird, kann als
Pastiche bezeichnet werden. Das postmoderne Pastiche nimmt den Platz
der (modernen) Parodie ein. Unter Pastiche versteht Jameson eine
„[…] Imitationskunst, deren Original verschwunden ist […]
Die im Pastiche-Begriff gefaßte permanente Imitation bezeugt […] eine
Konsumgier auf eine Welt, die aus nichts als Abbildern ihrer selbst
besteht und versessen ist auf Pseudoereignisse und ‚Spektakel’
jeglicher Art. Für diese Erscheinungen bietet sich Platons Begriff des
‚Simulakrum’ an: die identische Kopie von etwas, dessen Original nie
existiert hat“ (Jameson, 61ff).
Durch Pastiche, demonstrative Künstlichkeit und
Stereotypien wird kein authentisches, repräsentatives, sondern ein
klischeehaftes DDR-Bild erzeugt.
Ein Beispiel für eine solche klischeehafte, DDR-typische
Handlung (die in vielen Post-DDR-Filmen wie z.B. HELDEN WIE WIR oder
EINFACH RAUS auftaucht) ist die Rezeption von Westfernsehen in
Ostdeutschland. In SONNENALLEE schaut Michas Vater fast ausschließlich
Westfernsehen. Als die FDJ-Quartiergäste Udo und Olaf aus Dresden bei
Ehrenreichs zu Besuch sind, schauen sie zusammen mit Michas Vater die
westliche Spielshow AM LAUFENDEN BAND mit Rudi Carrell. Dabei wird der
DDR-Mythos vom sog. „Tal der Ahnungslosen“ lebendig. Die erstaunten
„Ahnungslosen“ und der Vater schauen ohne Unterbrechung Westfernsehen,
zeitgleich macht sich die Mutter für ihre geplante Republikflucht so
zurecht, dass sie der Westbürgerin, deren Pass sie gefunden hat,
ähnlich sieht und begibt sich mit der Absicht, die DDR zu verlassen,
zum Grenzübergang, während Micha gerade seine gefälschten Tagebücher
für Miriam schreibt.
Hier treffen gleich mehrere DDR-Klischees und narrative
Muster parallelisiert (durch das Stilmittel der Parallelmontage)
aufeinander – nämlich Westfernsehen und Konsum, Fluchtgedanken und
Meinungsfreiheit. Mit dem Topos „Republikflucht“ verbindet der Film in
mythischer Form auch das Gegensatzpaar vom „bunten Westen“ und „grauen
Osten“.
3.1.2. Alltagskulturelle Zeichen und künstliche Inszenierung
Eines
der auffälligsten Beispiele für die demonstrative Künstlichkeit der
Repräsentation der DDR ist der Multifunktionstisch („Mufuti“) im
Wohnzimmer von Michas Eltern. Alle Figuren im Wohnzimmer werden durch
die Untersicht und Zentralperspektive auf den Tisch zu Nebenfiguren
degradiert, während der Tisch den gesamten Raum dominiert. Die ganze
Aufmerksamkeit des Zuschauers richtet sich auf das Artefakt, das ein
typisches DDR-Objekt darstellen soll. Spätestens als dann überraschend
statt des erwarteten Onkels der ABV ins Wohnzimmer tritt, sofort den
Tisch visiert und fragt, ob dies ein Mufuti sei, wird diese
Aufmerksamkeit betont.
Ebenso wird in einer anderen Szene das erste Telefon der
Familie in Szene gesetzt. Wie eine Statue wird das Telefon feierlich
enthüllt, und die ganze Familie samt Sabines neuem Freund versammelt
sich staunend und fasziniert um diese neue Errungenschaft. Das Telefon
nimmt den Bildmittelpunkt ein, um das herum sich die Figuren
gruppieren. Die Bildkomposition und die Länge der Szene stellt das
Telefon als unalltägliche Sensation im DDR-Privathaushalt heraus. Als
es genau in diesem Moment klingelt, ist die Sensation perfekt. Onkel
Heinz muss der Familie erst erklären, wie ein Telefon benutzt wird. Mit
dem DDR-Mythos „Seltenheit oder Besonderheit eines Telefons im
Privathaushalt“ wird hier gespielt, indem es geradezu als „Heiligtum“
und tückisches Objekt gleichzeitig präsentiert wird.
Haußmann bemerkt, dass bei genauerer Betrachtung, „[…]
der Film vollkommen unrealistisch ist. Das Dekor, die Straße – das
sieht alles gebaut aus“ (Haußmann, 12). Der Film präsentiert einen
DDR-Look, der zu detailliert, zu perfekt und konstruiert ist, um
‚realistisch’ oder ‚authentisch’ zu wirken.
Das an sich banale, unspektakuläre Alltägliche wird
bewusst betont bzw. spektakulär ästhetisiert. Requisiten wie Kleidung
oder Wohnungseinrichtung sind hervorgehoben und stehen als Zeichen in
erster Linie für die DDR-Alltagskultur.
3.1.3. Popmusik als Leitmotiv und Symbol der Massenkultur
Während
des gesamten Plots spielt Musik eine wichtige Rolle. Popmusik bildet
zudem mit der Liebesgeschichte das narrative Leitmotiv des Films und
greift die postmodernen Merkmale Intertextualität, Spektakularisierung
und Selbstreferentialität akustisch auf. So sind die nicht-diegetischen
Lieder in den Szenen stets sprechende Titel.
Die zahlreichen Tanzeinlagen und Musiknummern in der
Schuldisco, auf der Party oder auf dem Spielplatz – dem Treffpunkt der
Gruppe – sind auffällig inszeniert.
Zudem charakterisiert Musik die Figuren näher, da sie im
Leben der Jugendlichen eine wichtige Rolle spielt. Szenen, die
unmittelbar mit dem Beschaffen und Rezipieren von Musik zu tun haben
(Vorspann, Schwarzmarkt, Schuldisco, Party u.a.) nehmen im Film viel
Raum ein.
Micha träumt davon, Pop- und Rockmusiker zu werden; seine
Clique hört gern verbotene westliche Musik und besonders Michas Freund
Wuschel ist besessen davon, das langersehnte Rolling-Stones-Album Exile
on Main Street (1972) zu bekommen. Auch die Episode auf dem
Schallplatten- und Zeitschriften-Schwarzmarkt gehört dazu; hier
verspricht sich Wuschel, endlich seinen Wunsch zu erfüllen.
Zu Beginn des Films fährt die Kamera durch das Zimmer des
Protagonisten, der uns als voice over (rückblickend) von seinem Traum
erzählt, ein Popstar zu werden. Meist trägt er ein T-Shirt, auf das er
selbst die Worte „Rock und Pop“ geschrieben hat. Durch die Poster in
seinem Zimmer wird der Stellenwert der Popkultur in seinem Leben
exponiert. Die Beatles, Bob Dylan, Omega, Ausschnitte des
West-Jugendmagazins Bravo (statt des Ost-Pendants Melodie und Rhythmus),
aber auch mediale Heldenfiguren wie Batman oder Winnetou hängen als
massenkulturelle und intermediale Chiffren an den Wänden in Michas
Zimmer. Wir sehen (und der Protagonist erklärt uns), was er gerade
macht. Er nimmt verbotene Popmusik, Moscow von Wonderland, aus dem
Radio auf Kassette auf, um sie anschließend seinen Freunden
vorzuspielen. Dadurch lernen wir seine Clique, mit der er seine
Freizeit verbringt, kennen. Es sind Jugendliche, die ähnlich fühlen und
die gleichen Interessen haben wie er.
Das Massenmedium Popmusik funktioniert in SONNENALLEE
leitmotivisch; (West-)Musik erfüllt eine zentrale narrative Funktion
für die jugendlichen Bewohner der Straße. Musik allgemein bzw. eine
Schallplatte im Besonderen wird zum Lebensretter für Wuschel. Auch
vermag die Musik die Grenzen zu öffnen. Sie dient im Film als
Universalmetapher, als Allheilmittel. Sie bedeutet Rettung und
Freiheit, aber auch Risiko, insofern ihr Besitz strafbar war. Die
Schlussszene verdeutlicht den Aspekt der Karnevalisierung durch den
Einsatz und die Bedeutung von Musik. Im „surrealen“ Finale hat sich
Michas Traum, Popstar zu sein, scheinbar verwirklicht. Zusammen mit
Wuschel begibt sich Micha durch einen „weißen Schleier“ hindurch und
steht auf dem Balkon. Sie spielen Luftgitarre, und die Bewohner der
Sonnenallee schauen erst verwundert, doch schnell werden sie von den
beiden Jugendlichen mitgerissen. Sämtliche Figuren im Plot – von Michas
Familie und seinem Freundeskreis über die Gemüsehändlerin und den
Nachbarn bis hin zum suspendierten ABV und den FDJ-Funktionärinnen –
tanzen im Grenzgebiet zur Musik von Micha und Wuschel und überwinden
gemeinsam ausgelassen tanzend und heiter die irritierten und
überforderten Beamten und sogar die Grenze. Die „betonierten“
Verhältnisse werden durch Popmusik zum Wanken resp. Einsturz gebracht.
Popmusik fordert eine Erfüllung im Hier und Jetzt, sie erscheint als
„gelebte Utopie“.
Bands wie die Rolling Stones oder Musiker wie Frank Zappa
werden dargestellt als wichtige Ikonen der Massenkultur und
Musikgeschichte der 1970er Jahre insgesamt – im Westen wie im Osten.
Man kann Musik als Bindeglied bzw. „nostalgic revisitation of this
period“ (Cooke, 163) verstehen.
3.2. SONNENALLEE als typisch postmoderner Film?
Bei
SONNENALLEE, der häufig als „Mauerkomödie“ etikettiert wurde, handelt
es sich um einen Hybridgenrefilm. Der Film spielt mit den
Genrekonventionen der Romantic comedy. Diese hat stets ein Happy
ending, im Laufe der Geschichte wird ein (heterosexuelles) Paar
gebildet. In SONNENALLEE wird das Grundstrukturmuster der romantischen
Komödie vervielfacht; Liebe und Paarbildungen kommen als Thema gehäuft
vor. So bilden sich gleich zwei Paare neu – nämlich Micha und Miriam
sowie Mario und Sabrina. Ein Ehepaar, Michas Eltern, kann seine Gefühle
füreinander neu entfachen; dies wird deutlich an der überzeichneten
Verführungsszene, die wiederum zahlreiche westliche Kinoklischees
bedient, u. a. durch die Verwendung der Musik.
Michas Bemühungen, Miriam zu erobern, stehen im
Mittelpunkt des Films. Die Szene, in der Miriam dem Zuschauer zum
ersten Mal präsentiert wird, bedient alle westlichen Kinoklischees.
Miriam wird künstlich inszeniert als „Göttliche“; als Mischung
weiblicher Ikonen wie Marilyn Monroe und Marlene Dietrich. Mit
Weichzeichner, begleitet von schnulziger Musik (einer
nicht-diegetischen Hymne à la Pretty Woman) und extrem verlangsamt
steigt sie eine Treppe hinab. Dabei zieht sie die Blicke aller
umstehenden Männer auf sich. Alle Figuren bleiben auf der Straße mit
offenen Mündern stehen und schauen sie an, alles steht in diesem Moment
still. Sogar Leander Haußmann selbst schaut ihr entrückt nach und läuft
gegen eine Hauswand. Diese Szene ist ebenso artifiziell und fern der
Realität wie stereotyp und zeigt dem Zuschauer, wie Micha Miriam sieht.
Aber auch Versatzstücke vieler anderer Genres und
Subgenres fließen neben- und nacheinander in diese „intertextuelle
Zeichenrevue“ ein: SONNENALLEE ist eine Liebeskomödie mit zahlreichen
Jugendfilmelementen. Man kann auch von Schul-, Disco- oder
Musikfilmelementen sprechen, denn der Zuschauer erlebt Szenen in der
Schuldisco, einen „sozialistischen Schulstreich“ – der die Lenin-Parole
„Die Partei ist die Vorh(a)ut der Arbeiterklasse“ – verunglimpft ,
FDJ-Vorträge als Strafaufgabe sowie eine strenge Rektorin und
propagandistischen Schulunterricht. Ebenso typisch für Jugendfilme
werden uns in SONNENALLEE Parties, Drogenerfahrungen und das Gefühl der
ersten großen Liebe präsentiert.
Auch vereinzelt eingestreute Western-Elemente werden in
SONNENALLEE sichtbar. So weht ein Tumble weed als Standardrequisit in
vielen Western durch „den wilden Osten“. Auch ein Indianer als ein
Stereotyp im Figurenrepertoire des Western erscheint Micha. Der
bekannte DEFA-Indianer Gojko Mitic prangt auf einem Filmplakat in
Michas Zimmer, und in der Drogenrausch-Szene spricht ein an Mitic
erinnernder Indianer aus einem anderen Zimmer, das eine filmisch
außerreale Welt, die Welt des Westerns, darstellt, zu Micha und rät
ihm, er solle sich Miriam zur Squaw machen.
D. h. verschiedene vertraute Elemente aus verschiedenen
Genres werden mosaikartig in SONNENALLEE eingebaut. Der Film rekurriert
in seinem Zitatenspiel außer auf Genres bzw. konventionalisierten oder
kondensierten Genreelementen in erster Linie auf bekannte
DEFA-Produktionen.
So beinhaltet er intertextuelle und intermediale Zitate
bzw. Anspielungen. Es finden sich in dem Film direkte und indirekte
Verweise auf andere einzelne Filme. Miriam wohnt in dem Haus, in dem
auch der mittlerweile gealterte Paul (dargestellt von Winfried
Glatzeder) aus Heiner Carows Film DIE LEGENDE VON PAUL UND PAULA (DDR
1973) wohnt. In einer Szene läuft Paul als ein Figurenzitat durch das
Treppenhaus. Er fragt Micha, der mit seinen Tagebüchern zu Miriam eilen
will, ob „ein Beilchen gefällig wäre“. Dies ist eine eindeutige
sprachliche und inhaltliche Anspielung auf Pauls einstigen Versuch, zu
Paula zu gelangen, da er seinerzeit ihre Wohnungstür mit einem Beil
einschlagen musste. An der Wohnungstür von Paul prangt zudem ein
Türschild mit den Namen „Paul und Paula“. Dies alles sind ironische
Anspielungen auf den älteren Film, mit denen sich SONNENALLEE
doppelcodiert an den eingeweihten (ostdeutschen) Zuschauer wendet, der
mediensozialisiert und erinnernd, sich an dieser Anspielung erfreut,
während dem naiven (westdeutschen) Zuschauer, der den DEFA-Film nicht
kennt, diese Anspielung verborgen bleibt. Weitere akustische
intertextuelle Verweise in SONNENALLEE beziehen sich ebenfalls auf
diesen DEFA-Film, z.B. in der Disco-Szene, in der diegetisch das
Puhdys-Lied „Geh´ zu ihr und laß deinen Drachen steigen“, das Titellied
aus diesem Carow Film, gespielt wird.
Diese hier geschilderten intertextuellen Verweise
beziehen also bekannte DEFA-Filme in die Handlungsebene der Figuren in
SONNENALLEE ein. Ebenso dürfte der Zuschauer, der auch JAHRGANG 45 von
Jürgen Böttcher gesehen hat, sich an die Szene aus dem Film erinnert
haben, in der Alfred und Lisa auf dem Motorrad durchs Land fahren, als
in SONNENALLEE Sabrina und Mario das Land durchkreuzen. Auch die
Nachbarn in den Mietshäusern der Sonnenallee, in denen Micha oder
Miriam wohnen, ähneln den Nachbarn der Sunny aus SOLO SUNNY (DDR 1979,
Konrad Wolf) oder denen aus DIE LEGENDE VON PAUL UND PAULA.
Der wissende bzw. eingeweihte DEFA-Zuschauer erkennt
etwas aus seiner Filmvergangenheit in diesem neueren Film über
DDR-Alltagserfahrung wieder und hat gegenüber dem westdeutschen
Zuschauer, der diese Bezüge vielleicht nicht kennt, einen zusätzlichen
Genuss an den vertrauten Bildern. Erinnerung an frühere DDR-Zeiten wird
durch diese vermittelten Bezüge hergestellt.
Ironisch anmutende intermediale Verweise vermag der
Zuschauer zu erkennen, wenn Theaterregisseur Haußmann Sprechproben im
Badezimmer abhalten lässt oder sämtliche Vorträge auf der
FDJ-Veranstaltung als lächerliche, groteske Theaterinszenierung mit
großer Gestik und Mimik, verlangsamt und mit nicht-diegetischer Musik
präsentiert. Darüber hinaus füllt Haußmann das theatertypische
Stilmittel der „Mauerschau“ in seinem Film mit neuem Sinn, nämlich als
Blick auf die Mauer. Der Begriff aus der Welt des Theaters wird hier im
Film ironisch, in anderer Bedeutung genutzt – nämlich tatsächlich als
Blick auf einen absurd-komischen DDR-Mikrokosmos.
Auch das postmoderne Merkmal der Spektakularisierung bzw.
Ästhetisierung findet sich in SONNENALLEE. Auffällige
Kameraperspektiven und -fahrten illustrieren DDR-Mythen und betonen
sie. Die extremen Kameraaufsichten auf die bewaffneten NVA-Beamten auf
den Grenztürmen verdeutlichen die personifizierte Übermacht der
Staatsgewalt. Andere Beispiele für visuelle Hervorhebungen sind die
signifikanten, oben bereits beschriebenen Zentralperspektiven, die auf
besondere Alltagsgegenstände im DDR-Haushalt wie den Mufuti oder das
neue Telefon gerichtet sind. Wichtig ist hierbei vor allem die
Bildkomposition, wenn die Familie das neue Telefon oder den Tisch
umrahmt.
Subjektive Blicke und Empfindungen, teilweise dargestellt
durch verwackelte oder verschwommene Point of view-Shots von Micha auf
Miriam u. a. während seines Drogenrausches sind ebenso
spektakularisiert wie markante Kamerabewegungen wie die 360°-Fahrt um
die Freunde auf dem Spielplatz.
Farb- bzw. Bildsortenwechsel sind im Film weitere
auffällige und bedeutsame Darstellungsmittel. In SONNENALLEE kommen in
zwei Szenen aus verschiedenen Gründen solche Wechsel vor. Zunächst
sieht der Zuschauer während Michas und Marios „Hungerschau“, mit der
sie Westdeutsche im Grenzgebiet verulken, Schwarzweißbilder. Es wirkt
auf den Zuschauer so, als filme einer der Westdeutschen im Bus – aus
seiner Sicht – die beiden „hungernden“ ostdeutschen Jugendlichen, die
bettelnd dem Bus nachlaufen. Schwarzweißbilder werden konventionell
eher in Dokumentarfilmen oder dokumentarischen Formaten eingesetzt, da
sie vermeintlich authentischer erscheinen. Die Westdeutschen im Bus
zweifeln nicht am Elend, das Michas und Marios „Fake-Auftritt“ ihnen
zeigt. Sie halten dies für ostdeutsche Realität.
Der zweite „Farbwechsel“ findet in der oben bereits
erwähnten „phantastischen“ Schlussszene statt. Nachdem die Grenze
geöffnet und Michas voice over zum letzten Mal zu hören ist,
verschwinden allmählich die Farben aus den Bildern bis diese
schließlich „ergraut“, also schwarz-weiß sind. Michas schillernde,
rosige Erinnerungen, die er rückblickend mit den Worten: „Es war die
schönste Zeit meines Lebens, weil ich war jung und verliebt“
kommentiert, scheinen bildlich als farbliches Fade out zu verblassen.
Vielleicht hat er damals als verliebter Teenager alles buchstäblich
durch eine „rosarote Brille“ gesehen oder aber ihm ist durch den
zeitlichen Abstand langsam ein anderes Bild erwachsen.
3.3. Das Umschreiben der eigenen Geschichte
Das
Tagebuch, in dem Micha in der filmischen Gegenwart der 1970er Jahre
fiktive (Fake-) Erinnerungen an eine Vergangenheit niederschreibt, ist
insofern interessant, weil es diese Vergangenheit so in seinem Leben
nicht gegeben hat. Er deutet seine subjektive Vergangenheit (als
Autobiographie) oder Geschichte in seiner Fiktion in der Fiktion des
Films um. Hierbei handelt es sich um eine re-interpretierte
Repräsentation oder medial konstruierte Simulation von Wirklichkeit.
Da Michael Ehrenreich die Geschichte über seine
Jugenderinnerungen in der Sonnenallee bzw. DDR retrospektiv erzählt,
könnte es durchaus sein, dass er sich auf „tatsächliche“
Tagebucheinträge aus dieser Zeit stützt. Die Tagebücher oder
Tagebucheinträge, die er für Miriam schreibt und „ihr zu Füßen legt“,
sind natürlich fingiert. Der Zuschauer jedoch könnte anhand der cues
(nach Thompson 1998, passim) im Plot (gemeint sind die Off-Kommentare)
eine Story rekonstruieren, die den Schluss nahe legt, das Tagebuch sei
die Grundlage des gesamten Films und nicht lediglich eine
Schlüsselepisode.
Das Verwischen (und Vermischen) von Vergangenheit und
Gegenwart ist typisch für postmodernes Erzählen. Der Protagonist geht
weit in seine Kindheit zurück und beginnt aufzuschreiben, wie er lesen
und schreiben lernte. Nach und nach verbindet er Ereignisse der
Jetztzeit während des Aufschreibens und seiner Umwelt mit der
konstruierten imaginierten Vergangenheitsbeschreibung. So baut er z.B.
den Stromausfall im Grenzgebiet, die daraus resultierende Unruhe und
den Schuss auf Wuschel, in seine „fiktiv erinnerte“
Tunnelflucht-Episode ein.
Der Zuschauer ist bei diesem Schreibprozess zugegen, man
sieht die Figur Micha bis tief in die Nacht hinein am Schreibtisch
sitzen und erfährt, dass dieses Tagebuch nicht nur fiktiv und
konstruiert ist wie jedes Tagebuch oder jede Geschichte, sondern dass
es doppelt fiktiv, also frei erfunden ist, weil er es nachträglich
aufschreibt und sich an Ereignisse „erinnert“, die es in seiner
Vergangenheit nie gab (wie die Tunnelbau-Episode). Allerdings findet
Micha durch sein Schreiben und seine Reflexion zu sich selbst und
seinem zukünftigen Handeln. Durch das Aufschreiben seiner
vermeintlichen Vergangenheit in der Gegenwart findet er den Schlüssel
seines Verhaltens in der Zukunft. So lehnt er es ab, nach seiner
Schulzeit drei Jahre zur Armee zu gehen, auch wenn er dadurch sein
Studium aufs Spiel setzt.
Das fiktive Tagebuch erfüllt zwei Funktionen: Erstens
wird dem Zuschauer ein anderes, realistisches DDR-Bild vermittelt als
im restlichen Film, obwohl es als individuelle Erfahrung von Micha
aufgemacht ist. Denn Micha schreibt scheinbar auf, was er wirklich
denkt (bzw. das, von dem er hofft, dass Miriam so denkt).
Während Micha seine Tagebücher schreibt, hält Wuschel
endlich sein Exile on Main Street-Doppelalbum in den Händen. Als er im
Grenzbezirk von dem ABV aufgefordert wird, stehen zu bleiben, rennt
Wuschel davon, da er fürchtet, sein Album werde konfisziert. Der ABV
schießt auf den Jungen – er geht zu Boden. In diesem für den Zuschauer
unerwarteten, ernsten und komödien-untypischen Moment der Gewalt
bewahrheiten sich die gerade von Micha in seinem Tagebuch
niedergeschriebenen Klagen über die DDR und ihre unmenschlichen,
lebensbedrohlichen Unterdrückungsmechanismen. Zugleich zerbröckelt in
diesem Moment die „ostalgische“ Fassade des Films. Denn hier scheint
ein junger Mensch wie ein Märtyrer für seinen Traum zu sterben. Die
Rolling-Stones-Schallplatte steht als Metapher für die Freiheit und für
die Erfüllung seines Traums. Auch wenn Wuschel durch eine glückliche
Fügung überlebt, bleibt dieser Gewaltakt im Gedächtnis des Zuschauers
haften. Das verklärte, rosige (vermeintlich „ostalgische“) DDR-Bild
kann nicht wieder hergestellt werden. Wuschels großer Traum, dass
Doppelalbum der Rolling Stones zu besitzen, ist gewaltsam und mutwillig
zerstört worden. Dennoch war es auf wundersame Weise und im
übertragenen Sinne sein Lebensretter.
Zweitens zeigt die Tagebuch-Szene, dass Vergangenheit
immer schon gewesen ist und nur in Form von Erinnerungen an Vergangenes
in die Gegenwart zurückkehren bzw. lebendig werden kann. Das Schreiben
des Tagebuchs ist im Film ein selbstreferentielles Moment, das sich an
die ostdeutschen Zuschauer wendet und ihre „ostalgische“ Form der
Vergangenheitserinnerung reflektiert und kritisiert. Das Tagebuch als
Speichermedium für Erinnerungen oder als mediales Gedächtnis gibt stets
nur wieder, was aus den gesamten Erfahrungen der Vergangenheit zur
Bewahrung ausgewählt wurde. Positive Erinnerungen bleiben Menschen eher
im Gedächtnis verhaftet; negative Erfahrungen bleiben meist positiver
im Gedächtnis verankert, als sie ursprünglich tatsächlich bewertet
worden sind. Selbst unangenehme Dinge werden meist mit zeitlichem
Abstand positiver und somit ‚verfälscht’ in Erinnerung gerufen.
3.4. „Ostalgie“ in SONNENALLEE?
Viele
Kritiker unterstellten dem Film eine gefährliche Verharmlosung und
Beschönigung des dargestellten Alltags der DDR, er sei „[…] nothing
more than a self-indulgent piece of ‚Ostalgie’ which trivialises the
oppressive reality of life in the GDR[…]“ (Cooke, 156). Cooke
untersucht speziell die Nostalgie in der Repräsentation der DDR im
Film.
Einerseits (und oberflächlich) scheint sich die Annahme,
SONNENALLEE suhle sich in einer Form von Ostalgie, zu bestätigen durch
den Kommentar von Brussig, der die Romanvorlage Am kürzeren Ende der Sonnenallee
schrieb und zusammen mit Haußmann das Drehbuch verfasste. Er sagt,
SONNENALLEE sollte ein Film werden, „bei dem die Westler neidisch
werden, dass sie nicht im Osten leben durften“ (Haußmann 1999, 22). Die
offizielle Ankündigung des Films lautete passend zu dieser Äußerung:
„Es wird Zeit, daß man darüber spricht, was die DDR noch war außer
Mauer, Stasi und Zentralkomitee“ (Cooke 160).
Ebenso erscheint die Anfangsszene ostalgisch, in der wir
Michas voice-over-Stimme vernehmen, die uns erklärt, dass nicht alles
in der DDR schlecht war. So sagt Micha: „Mir geht´s nicht so schlecht
[…] Obdachlose gibt´s bei uns jedenfalls nicht, und verhungern muß auch
keiner“. Damit wird die These oder der Vorwurf, SONNENALLEE sei
ostalgisch, gestützt oder genährt, denn ‚Ostalgie’ meint gerade eine
Nachwende-Mentalität, die die Zustände, die seinerzeit in der DDR
herrschten, als sicher und geordnet bezeichnet und nach denen man sich
zurücksehnt.
Auch die filmische Darstellung der Autoritätspersonen,
die unbeirrt an den SED-Staat und seine marxistisch-leninistische
Ideologie glauben, werden naiv und harmlos präsentiert, als wären sie
in Wirklichkeit nicht so schlimm empfunden worden. Hier scheint sich
eine Trivialisierung und Beschönigung der Unterdrückungsmechanismen der
SED-Organe in SONNENALLEE zu zeigen, so Kritiker (vgl. Löser, 20). Es
wird m. E. nach jedoch deutlich, dass sowohl die Grenzbeamten, der ABV
als auch die FDJ-Führungsriege nicht verharmlost, sondern vielmehr als
lächerliche Figuren, als naive Stereotype des Typus ‚fundamentale
Sozialisten’, karikiert werden (vgl. Cooke). SONNENALLEE geht noch
einen Schritt weiter. Nicht nur die Autoritätsfiguren erscheinen
lächerlich, übertrieben naiv und weltfremd, sondern ebenfalls die
meisten repräsentativ für die ostdeutsche Bevölkerung stehenden Figuren
wirken konstruiert und unverkennbar (stereo-)typisiert. Nicht nur die
Ostdeutschen, sondern auch die wenigen vorkommenden Westdeutschen sind
flache und reduzierte stereotype Figuren, ausgestattet mit meist nur
einem Merkmal. Der West-Onkel Heinz ist nörglerisch, macht sich über
die Umstände in der DDR lustig, genau wie der West-Freund von Miriam.
Der tiefe gesellschaftliche Graben zwischen Ost und West
wird offensichtlich im Film. Haußmann konstruiert die DDR als „Zoo“, in
dem sich Westdeutsche einige Male als neugierige Voyeuristen auf
Aussichtsplattformen postieren, um auf die „armen“ Ostdeutschen
herabzublicken, sich ihnen überlegen zu fühlen und zu amüsieren, wie
Zoobesucher am Affengehege („Huhu Ossi, mach mal winke, winke!“). Schon
die abfällige Bezeichnung Ossi im Zusammenhang mit „winke, winke“
signalisiert eine offensichtliche Distanz zwischen „Ossis“ und
„Wessis“. Doch nicht nur die Westdeutschen machen sich über die
Ostdeutschen lustig. Auch umgekehrt machen sich Micha und Mario einen
Spaß daraus, z.B. durch ihre Hungerschau Westtouristen zu schockieren.
Um diesen Graben zwischen Ost und West zu überwinden,
setzt Haußmann in seinem Film auf universelle Erfahrungen junger Leute,
auf Erfahrungen, die Jugendliche im Westen wie im Osten beim
Erwachsenwerden und dem Erleben der ersten großen Liebe teilen. Das
künstliche Inszenieren einer Teenagerschwärmerei ist für Ost- wie
Westzuschauer sofort ersichtlich. Interessant ist, dass Haußmann, der
selbst aus Ostdeutschland stammt, diese Szenen typisch westlich
inszeniert. Das nostalgische Gefühl, das die Hauptfigur erweckt,
entsteht durch die Erinnerung an die Jugend, nicht durch die Erinnerung
an die DDR. Die Erinnerung an die DDR entsteht „beiläufig“ einfach aus
dem Grund, dass die Jugend dieser Figur in der DDR gelebt wurde. „The
focus of the film becomes, therefore, the nostalgic recollection of the
experience of first love, thus making Micha´s warm memories of the GDR
more acceptable […]” (Cooke, 162).
Haußmanns Film SONNENALLEE untersucht provokativ das
doppeldeutige Wesen des Phänomens der ‚Ostalgie’ in Deutschland.
Einerseits versucht der Film, eine Balance zwischen Ost- und
Westdeutschen (wieder-) herzustellen, indem der historische
Verdrängungsprozess, den die Ostdeutschen seit der Wiedervereinigung
erfuhren, überwunden wird. Die Erfahrungen der Ostdeutschen sollen
„normalisiert“ werden, dabei setzt der Film allerdings nicht nur auf
„Ostalgie“, sondern allgemein auf ein Nostalgiegefühl der 1970er Jahre,
die in Ost und West vorherrschte.
„Iniatially SONNENALLEE appears to present a highly
accurate image of East Berlin in the 1970s. In the opening shot the
camera pans slowly across the walls of Micha´s bedroom, showing all the
paraphernalia of 70s youth culture. It moves across posters of The
Beatles and Bat Man to a record of Omega, […] until pausing on Micha´s
prized possession, an East German reel-to-reel tape recorder. His room
becomes the spectator´s entrance portal to this lost world, and has all
the qualities of a living museum. As in contemporary ‘ostalgic’ GDR
theme parks, the film fetishises certain GDR artefacts. In fact, at
times the focus on a particular item seems almost to become a form of
‘ostalgic’ product placement, advertising certain prized exhibits in
the filmic museum and allowing the East German audience a celebratory
moment of jouissance as they recognise a now forgotten object” (Cooke,
163).
Andererseits (und dem vorherigen scheinbar
widersprechend) versucht der Film, durch den massiven Gebrauch
ironischer Überkodierung der Zeichen und Ost-Details die ostdeutschen
Zuschauer von ihrer Geschichte und der DDR zu distanzieren. Dadurch
wird gerade eine dominante „ostalgische“ Lesart unterdrückt.
Zusammengefasst unternimmt SONNENALLEE zweierlei: Der
Film feiert eine „ostalgische“ (p)ostmoderne Zeichenrevue und stellt
„Ostalgie“ gleichzeitig in Frage. Er zeigt, dass die eigene gelebte
Vergangenheit weder verleugnet noch unreflektiert wachgerufen werden
sollte, sondern hier durch eine ironische Karikatur gespiegelt wird.
4. GOOD BYE, LENIN! – Zum Film
Die
Tragikomödie GOOD BYE, LENIN! kehrt im Vergleich zu SONNENALLEE zu
einer klassischen Narration zurück. So finden sich rundere, ausgeprägte
Figuren sowie eine weniger episodische, kausaler aufgebaute, lineare
Handlung. Die Identifikation mit den Figuren wird vereinfacht, da sie
mehrfach in rührenden Szenen zu sehen sind und weniger lächerlich
erscheinen als die Stereotypen in SONNENALLEE. Durch diese
Rückbesinnung auf klassische Narrationsmuster, die mit postmodernen
Versatzstücken gekoppelt ist, hat der Film möglicherweise ein noch
größeres Publikum angesprochen.
Der Film GOOD BYE, LENIN! erzählt die Geschichte einer
besonderen Wiederauferstehung der DDR im Kleinen. Die nach der
Republikflucht ihres Mannes alleinerziehende Mutter und scheinbar
regimetreue Ostberlinerin Christiane Kerner erleidet am 7.10.1989 – dem
40. Jahrestag der DDR – einen Herzinfarkt, als sie auf dem Weg zu den
Feierlichkeiten im Palast der Republik ihren demonstrierenden Sohn in
der Gewalt der Volkspolizei erblickt. Nach ihrem Infarkt fällt sie in
ein achtmonatiges Koma.
Während ihres Komas bricht die instabile DDR zusammen,
und der Kapitalismus „erobert“ die sozialistische DDR. Für Christiane
Kerners Kinder Alex und Ariane kommt es – wie für alle Ostdeutschen –
in dieser Zeit zu massiven Veränderungen. Die gesamte DDR-Lebenswelt
wandelt sich rasch und „verwestlicht“ zunehmend; besonders ist dies in
Berlin spürbar.
So bricht Ariane ihr Wirtschaftsstudium ab und arbeitet
bei der Fast-food-Kette Burger King. Ihr westdeutscher Arbeitskollege
Rainer wird ihr neuer Freund und zieht in die Plattenbauwohnung der
Kerners ein. Alex, gelernter PGH-Fernsehreparateur, verliert nach der
Abwicklung seines Betriebs seine Arbeit, bekommt einen neuen Job als
Monteur von Satellitenanlagen und freundet sich mit seinem Westberliner
Teamkollegen Denis an. Zudem trifft Alex die russische Lernschwester
Lara, die er auf der Demonstration kennen gelernt hat, am Krankenbett
der Mutter wieder.
Nach acht Monaten erwacht Christiane Kerner aus ihrem
Koma. Da sie allerdings noch sehr geschwächt ist, und der Schock des
Untergangs der DDR und der völligen Veränderung für sie
lebensbedrohlich erscheint, entschließt sich Alex vor dem Hintergrund
der Warnung des Arztes, seiner Mutter das Ende der DDR vorzuenthalten.
Er bringt das zwischenzeitlich „verwestlichte“ Schlafzimmer der Mutter
– ihren Lebensmittelpunkt, da sie ans Bett gefesselt ist – wieder in
den Zustand, in dem sie es verlassen hat. Es entsteht die letzte
DDR-Nische, ein DDR-M(a)us(ola)eum für die Mutter. Zunächst behelfen
sich Alex und seine eingeweihten Helfer (Familie, Freunde und Nachbarn)
mit kleinen Notlügen, um die ‚Wahrheit’ bzw. ‚Realität’ von der Mutter
fernzuhalten. Alex und Ariane tragen ihre alte Ost-Kleidung, die sie
aus der Altkleidersammlung herausfischen, und Alex füllt
West-Lebensmittel in alte recycelte Ost-Verpackungen um. Nach und nach
wird das „Lügengebäude“ immer größer; das Trugbild oder die Simulation
einer virtuell oder hyperreal existierenden DDR ist immer schwieriger
aufrechtzuerhalten. Die Mutter entdeckt immer mehr „Brüche“ in ihrer
Lebenswelt, die ihre Zweifel nähren, dass etwas nicht stimmt. So fragt
sie oft, was eigentlich passiert sei während ihres Komas. Als sie
fernsehen möchte, zeigt Alex ihr alte, bereits gesendete Nachrichten
der AKTUELLEN KAMERA und Sendungen wie EIN KESSEL BUNTES und DER
SCHWARZE KANAL auf Video. Schließlich produzieren Alex und sein Kollege
Denis selbst gefälschte Nachrichten, um nach aufgetretenen Brüchen der
skeptischen Mutter plausible Erklärungen für das Ges(ch)ehene zu
liefern.
Später erfahren Alex und Ariane, die ihrer Mutter die –
vermeintlich schockierende – Realität vorenthalten, ihrerseits von der
Mutter die ‚Wahrheit’ über den Vater und ihre eigene Einstellung zum
DDR-System. Christiane Kerner plante die Republikflucht zusammen mit
ihrem Mann und wollte ihm mit Alex und Ariane in den Westen folgen. Zum
Ende bringt auch Alex seiner Mutter schonend und liebevoll Teile der
Wahrheit nahe.
4.1. Überbetonung mythischer Objekte – Die Alltäglichkeit des Grotesken
Um
den Schein einer ‚DDR-Wirklichkeit’ zu wahren, werden Zeichen oder
Alltagsgegenstände, die die DDR repräsentieren, überbetont. Das
Schlafzimmer der Mutter wird so „DDR-gemäß“ wie möglich hergerichtet
bzw. rekonstruiert. Hier finden sich konzentriert DDR-typische
Einrichtungsgegenstände (Requisiten wie Tapeten, Gardinen, Möbel,
Bettwäsche), dass man das Zimmer als „pures DDR-Tum“ bezeichnen kann.
So wie Barthes Beefsteak und Pommes Frites oder den
Citroën als „französische Mythen“ oder „pures Franzosentum“ bezeichnet,
so kann man natürlich auch Spreewaldgurken, Tempobohnen oder Moccafix
Gold und den Trabant als „pures DDR-Tum“ bezeichnen. Diese Dinge sind
ihrer ursprünglichen (denotativen) primären Inhalte als Lebensmittel
oder Gebrauchsgegenstände beraubt und mit einer sekundären Bedeutung
oder Konnotation aufgeladen. Der Mythos, so Barthes, „[…] schafft die
Komplexität der menschlichen Handlungen ab und leiht ihnen die
Einfachheit der Essenzen, er unterdrückt jede Dialektik, jedes
Vordringen über das unmittelbar Sichtbare hinaus, er organisiert eine
Welt ohne Widersprüche, weil ohne Tiefe […] […] Die Menschen stehen zum
Mythos nicht in einer Beziehung der Wahrheit, sondern des Gebrauchs.
Sie entpolitisieren nach ihren Bedürfnissen. Es gibt mythische Objekte,
die für einige Zeit im Schlaf belassen werden, sie sind dann nur
unbestimmte mythische Schemata, deren politische Fracht fast
gleichgültig erscheint“ (Barthes, 131f).
An anderer Stelle vergleicht Barthes Chalets im
Baskenland mit ihrer Tradition und Geschichte mit einem Baskenchalet in
Paris, in dem er das „Wesen der ‚Baskität’“ erkennt (Barthes, 106).
Dieses Haus ist zwar ohne Tradition und Geschichte, dennoch ist es
konnotiert als Chalet, das „baskischer“ ist als die originalen Chalets,
weil alle Zeichen in ihm vereint sind. Ebenso ist in GOOD BYE, LENIN!
die Wohnung bzw. das Schlafzimmer der Mutter so überkodiert
„DDR-sozialistisch“ eingerichtet, dass die zunächst sinnentleerte und
wieder mit Sinn aufgeladene Zeichenhaftigkeit sehr auffällt, was mit
Barthes übereinstimmt. Die Gegenstände sind allerdings vor dem
Hintergrund des Endes der DDR „sekundär semantisiert“ (vgl. Barthes).
Als zum Geburtstag der Mutter die Familie, die Nachbarn,
ihr ehemaliger POS-Chef sowie die FDJ-Pioniere sich im Krankenzimmer
einfinden, sehen wir eine „DDR-(Fetisch)isierung“ auf ihrem Höhepunkt.
Arianes neuer westdeutscher Freund wird mit einem gefälschten
DDR-Lebenslauf ausgestattet. Der derangierte POS-Rektor überreicht
einen Geschenkkorb mit dem üblichen Inhalt (Rosenthaler Kadarka,
Moccafix Gold etc.) mit der gebräuchlichen Ansprache. Die Nachbarn
gratulieren und wünschen sich, dass alles wieder so wird, wie es einmal
war. Christiane Kerner muss dies auf ihren Gesundheitszustand beziehen;
der Zuschauer allerdings weiß, dass sich der „linientreue“ Genosse
Ganzke wehmütig die DDR zurücksehnt. Die beiden FDJ-Pioniere tragen
noch einmal ihr blaues Halstuch und singen „Unsere Heimat“, ein Lied
aus dem Standardrepertoire. Alex, Ariane und Lara tragen
DDR-(Ver-)Kleidung.
Alex versucht, die Geburtstagsfeier so normal oder
ritualisiert wie möglich zu „inszenieren“. Doch dieses Ritual ist nach
all den Veränderungen nur noch eine Farce. Permanent droht der Schein
aufzufliegen, denn durch zahlreiche Pannen im Zimmer wird die Mutter
irritiert. Diese „kleinen Störungen der seriellen Rituale“ (Bleicher,
108) als Folge der internen Pannen (Arianes Freund Rainer patzt beim
Vortragen seiner erfundenen DDR-Vita, Rektor Klapprath wankt, die mit
Westgeld bestochenen ehemaligen FDJ-Pioniere kennen das Lied „Bau auf,
bau auf“ nicht) und externen Störquellen im Weltbild der Mutter betonen
die brüchige Oberfläche der Inszenierung. Als am Plattenbau gegenüber –
genau im begrenzten Sichtfeld der Mutter – statt eines DDR-typischen
Banners ein Plakat des bekanntesten kapitalistischen Konsumprodukts,
Coca-Cola, entrollt wird, ist die Gemeinschaft im „DDR-Museum“ ratlos.
Die erste Fake-Nachricht soll der Mutter diese Merkwürdigkeit plausibel
machen.
Anders als in SONNENALLEE, in dem Product placement oder
massenkulturelle Zeichen als bloßer Gag oder ironische
Wiedererkennungsmerkmale fungieren, ohne die der Film dennoch
funktionieren würde und die beliebig austauschbar sind, erfüllen die
DDR-Zeichen in GOOD BYE, LENIN! eine andere Funktion. Hier sind
Ostprodukte wie Spreewaldgurken, Moccafix Gold, Tempobohnen oder
DDR-typische Rituale unerlässlich für die Narration. Sie sichern die
‚Authentizität’ der simulierten DDR für die Mutter, die den Schwindel
wegen ihrer angeschlagenen Gesundheit nicht bemerken darf.
Massenkulturelle Zeichen des Westens und der westlichen
Konsumgesellschaft, die ebenso zahlreich vorkommen, drohen (wie ein
Damoklesschwert über der Mutter schwebend) die Fassade zu zerstören.
Deutlich wird die latente Bedrohung der Scheinwelt durch den
„West“-Zeppelin: Ihre Enkelin Paula macht ihre ersten Gehversuche und
entdeckt aus dem Fenster schauend einen Zeppelin mit
„West“-Zigarettenwerbung am Himmel und zeigt darauf. Alex schläft
währenddessen tief und fest. Christiane Kerner schaut zu ihrem
schlafenden Sohn, dann zur Enkelin, und steigt zum ersten Mal aus ihrem
Bett, geht zum Fenster, während der bedeutungsvolle Zeppelin in
Sichtweite kreist. Da die Mutter jedoch ihre Blicke ausschließlich auf
ihre Enkelin richtet und nicht darauf achtet, wo die Kleine hinschaut
und – zeigt, bleibt der Zeppelin, der für ein Produkt mit sprechendem
Namen (West) wirbt und emblematisch wirkt, von der Mutter ungesehen.
4.1.1. Raumfahrt als Leitmotiv und Symbol
So
wie sich in SONNENALLEE Popmusik als ‚Idee der Freiheit’ wie ein roter
Faden durch die Narration zieht, ist in GOOD BYE, LENIN! die Raumfahrt
das Leitmotiv. So spielen Raketen, Flugobjekte jeglicher Art und
Feuerwerk im gesamten Film eine wichtige Rolle. Nach der Republikflucht
des Vaters erwählt sich Alex Jähn, der als erster deutscher Kosmonaut
ins All flog, zum Vaterersatz (vgl. von Festenberg, 120) und eifert ihm
nach, in dem er als Mitglied der „AG Raketenbau“ Miniaturraketen
bastelt und zündet. Alex geht sogar so weit, dass er in seinem dritten
Fake (den vermeintlich echten) Kosmonauten und Volkshelden Sigmund Jähn
zum neuen DDR-Staatschef macht.
Die Westflucht des Vaters spielt sich genau parallel zum
Weltraumflug Jähns ab, wobei man es nicht von der Hand weisen kann,
dass dieser Weltraumflug auch eine Art Republikflucht darstellt. Der
Traum des Menschen vom Fliegen hängt stark mit dem Freiheitsgedanken
oder -mythos zusammen.
Als zum Ende des Filmes Alex’ Mutter stirbt, wird ihre
Asche mit seiner selbstgebauten Rakete aus Kindheitstagen vom
Plattenbaudach in den Himmel geschossen. Alex’ Kindheit ist nun
endgültig vorbei – ebenso wie das enge Verhältnis zu seiner Mutter und
der DDR nicht mehr existieren kann. „Irgendwo da oben schwebt sie jetzt
und schaut vielleicht auf uns hinab. Und sieht uns als winzige Punkte
auf unserer kleinen Erde. Genau wie damals Sigmund Jähn“ (Töteberg,
130).
4.1.2. Dokumentarische Formen in GOOD BYE, LENIN!
GOOD
BYE, LENIN! nutzt den dem Dokumentarischen innewohnenden
Realismuseindruck bzw. Glaubwürdigkeitsanspruch. Prinzipiell jedoch
geht es darum, dass dokumentarische Aufnahmen nicht einfach
‚Wirklichkeit abbilden’, wobei die dem photographischen Bild inhärente
Indexikalität für ihre ‚Objektivität’ oder gar ‚Wahrheit’ bürgt,
sondern dass sie in einem Diskurs über die Wirklichkeit organisiert
sind (Kessler, 71).
Zwischen den filmischen Gattungen des Fiktionalen und des
Dokumentarischen ergeben sich hybride Mischformen. Viele
Dokumentarfilme sind „ganz oder in wesentlichen Teilen inszeniert“,
umgekehrt werden auch in fiktionalen Filmen, die sich dadurch
bestimmen, dass das Gezeigte ‚nicht wirklich’ sondern ‚ausgedacht’,
‚fiktiv’ ist, Elemente der Wirklichkeit […] einbezogen (Hickethier,
191f). Fotos von Figuren, Portraits von historischen Personen,
dokumentarisches Material (entweder überliefertes Material oder für den
Film gedrehte, nachgestellte Szenen) werden in GOOD BYE, LENIN!
miteinander kombiniert (vgl. Rother, 314)
Ein Einschub von Dokumentar- oder Archivmaterial in einen
Spielfilm kann mehrere Gründe haben. Einerseits wird durch den Wechsel
der Bildsorten eine ironische Brechung herbeigeführt, die Spannung oder
aber Komik hervorruft.
In GOOD, BYE LENIN! wird die fiktive Figur der Christiane
Kerner mit der historischen Person des DDR-Ministerpräsidenten Willi
Stoph zusammengeführt. Des weiteren werden in GOOD BYE, LENIN! (wie
auch in anderen Post-wall-Filmen, z.B. HELDEN WIE WIR oder EINFACH
RAUS) wiederholt Archiv- oder Dokumentarbilder in die Narration
eingebettet. So sieht der Zuschauer in GOOD BYE, LENIN! u. a.
Originalbilder von 1989/90 von der Maueröffnung, der DM-Einführung oder
der Fußballweltmeisterschaft sowie der Wiedervereinigungsfeier 1990.
Tendenziell ähnlich funktioniert die „Konstruktion der
Fiktion im Modus des Dokumentarischen“ (Hickethier, 205). Fiktionale
Aufnahmen, die Fake-Nachrichten, geben sich als dokumentarische
Formate, Nachrichten, aus, teilweise wird historisierend inszeniert, in
dieser Vermischung bemühen sich Alex und Denis um eine möglichst
unauffällige „nahtlose Verzahnung von fiktionalem und dokumentarischem
Material“ (ebd.). Die Fake-Nachrichten der AKTUELLEN KAMERA von Alex
und Denis geben sich als ‚echt’ aus; ihre Fiktionalität ist zunächst
für die Mutter nicht durchschaubar, da aus gesundheitlichen Gründen die
„tatsächliche“ Realität von ihr ferngehalten wird.
Die Vermischung von Fiktion und anderen Programmformen
(hier Fernsehnachrichten) ist eine originelle, neuartige Form des
Infotainments: Durch die Kenntnis der „eigentlichen“ Informationen und
des Wissensvorrats wird der Filmzuschauer im Jahre 2003 durch die
Rekontextualisierung der (historischen) Ereignisse 1989/90, die für die
Mutter präpariert werden, unterhalten (vgl. Hickethier, 207)
4.2. GOOD BYE, LENIN! als typisch postmoderner Film?
Gemäß
der ästhetischen Eigenheiten der Postmoderne enthält auch Beckers Film
postmoderne Versatzstücke. So tauchen in GOOD BYE, LENIN! zahlreiche,
sorgfältig ausgewählte Anspielungen oder Zitate aus anderen Filmtexten
auf. Diese Anspielungen finden sich in den m.E. nach entscheidenden
Szenen des Films. Nur die wichtigsten sollen hier erwähnt werden.
Am deutlichsten ist die Bezugnahme auf den
Science-Fiction-Film 2001: A SPACE ODYSSEY (GB 1968, Stanley Kubrick,
dt. 2001: ODYSSEE IM WELOTRAUM). Auf diesen Science-Fiction-Film wird
akustisch angespielt, indem die Walzerklänge aus dem Hypotext 2001: A
SPACE ODYSSEY im Hypertext GOOD BYE, LENIN! wiederkehren. Noch
auffälliger ist das Zitat des berühmten Match cut aus Kubricks Film,
den Denis in eines seiner Hochzeitsvideos eingebaut hat. Hier wird
erneut auf diesen Film – und implizit auf die Themen Raumfahrt und
Fliegen – angespielt, wenn auch in einem Kontext (Hochzeit), der mit
Raumfahrt nichts zu tun hat. Denis weist Alex explizit auf den
übernommenen Schnitt hin, der in seinem Hochzeitsvideo keiner Intention
folgt, sondern einfach eine Spielerei bzw. eine Hommage an Kubricks
Raumfahrtepos ist. In dieser Szene wird dem Zuschauer die für Alex
wichtige Helferfigur Denis und sein technisches und filmgeschichtliches
Wissen sichtbar gemacht.
Eine weitere wichtige Szene – sozusagen die
Visualisierung des Filmtitels GOOD BYE, LENIN! – ist ein filmisches
Zitat. Ein demontierter Lenin-Torso fliegt, an einem Hubschrauber
hängend, die Karl-Marx-Allee entlang, an der auch gerade die Mutter
steht, die zum ersten Mal überhaupt seit Monaten ihr Bett bzw. ihr
Zimmer verlassen hat. Diese Lenin-Statue scheint ihr die Hand zum
Abschied (Good Bye) zu reichen und ist eine filmische Anspielung. So
wie Fellini in LA DOLCE VITA (IT/FR 1960, dt. DAS SÜSSE LEBEN) eine
Christus-Figur mit ausgebreiteten Armen als Leitidee des Christentums
über das katholische, aber moralisch „verlotterte“ Rom fliegen lässt,
setzt Becker, sekundär semantisiert, Lenin als ideologische
Zentralfigur des Sozialismus visuell ein.
Noch ein weiteres intertextuelles Zitat soll hier nicht
unerwähnt bleiben. So wie Billy Wilder in ONE, TWO, THREE (USA 1961,
dt. EINS, ZWEI, DREI) Coca-Cola als das Symbol für westlichen
Kapitalismus schlechthin verwendet, spielt dieses Produkt auch in GOOD
BYE, LENIN! eine prominente Rolle. Die erste Fake-Nachricht, die Denis
und Alex nach der Geburtstagsfeier der Mutter drehen, wird als
Toposzitat – sogar aus der gleichen Perspektive mit nahezu identischer
Kadrierung – vor der ehemaligen Westberliner Zentrale des Konzerns
gedreht, dem Handlungsort in Wilders Film, in dem es um teilweise
absurd-komische Wirrungen in der kürzlich erst) geteilten Stadt Berlin
und den jeweiligen Polen Sozialismus und Kapitalismus geht.
Die auffälligsten postmodernen Merkmale in GOOD BYE,
LENIN! sind Selbstreferentialität oder Reflexivität und
Intermedialität. Der Film zeigt zahllose verschiedene Bildsorten oder
mediale Produkte. Im Plot werden Postkartenmotive, Fotografien,
Amateurfilmbilder, Originalmedienbilder aus dem Fernsehen und Zeitungen
aus den Jahren 1978, 1989 und 1990 mit den Filmbildern und
Film-im-Film-Bildern der gefälschten Nachrichten vermengt. Verschiedene
Bildsorten, die unterschiedliche Intentionen verfolgen, werden
aneinander gereiht. Egal, ob die Bilder ein gewisses Maß an
Authentizität oder Artifizialität vermitteln, ist zu betonen, dass
Bilder immer schon Interpretationen und nicht Abbilder von Wirklichkeit
sind.
GOOD BYE, LENIN! beginnt mit einem Postkarten-Vorspann,
anschließend folgen Amateurfilmbilder, die Alexander Kerner und seine
Schwester Ariane 1978 zeigen, danach sehen wir Fernsehbilder von der
Weltraumfahrt des DDR-Kosmonauten Sigmund Jähn, die Alex und Ariane
anschauen, während sie mitanhören, dass ihr Vater in den Westen
geflohen ist. Es folgen Bilder desselben Jahres und des Jahres 1979.
Die Mutter ist zunächst apathisch und im Krankenhaus wegen der Flucht
ihres Mannes. Anschließend folgen erneut Amateurfilmbilder und Fotos,
die die Mutter als engagierte DDR-Bürgerin zeigen; sie wird sogar für
ihr Engagement vom Staat geehrt und ausgezeichnet.
Es folgt ein Match cut und ein Zwischentitel zeigt an,
dass ein Zeitsprung von zehn Jahren stattgefunden hat. Wir sehen den
kleinen Alex als jungen Mann am 40. Jahrestag der DDR (7.10.1989). Hier
beginnt die eigentliche Geschichte des Films. Der Plot hat bis hierher
die Vorgeschichte dieser Familie präsentiert.
Selbstreferentiell wirkt GOOD BYE, LENIN! durch seine
intertextuellen Bezüge, die dem kundigen Zuschauer wegen dieser
Doppelcodierung zusätzlichen Genuss bereiten. Selbstreferentialität,
also das Bewusstmachen seiner Gemachtheit bzw. des Inszeniert-Seins der
Bilder, wird insbesondere deutlich durch die reflexiven
Film-im-Film(-im-Film)-Konstruktionen, den Fake-Nachrichten. Die immer
gleichen Nachrichtensendungen der AKTUELLEN KAMERA waren inhaltlich und
formal selbst schon erwartbar und konstruiert, so dass Alex und Denis
sie ohne große Anstrengung – sogar mit Denis’ einfachem Equipment –
simulieren können, indem sie mithilfe „alter“, recycelter Medienbilder
und neuem Bildmaterial sowie einem entsprechenden Sprachstil eine
andere DDR-Wirklichkeit als die tatsächliche inszenieren.
4.3. Postmoderne und ihre Überschreitung
Auch
wenn GOOD BYE, LENIN! einige dem postmodernen Kino zugeschriebene
Versatzstücke oder ästhetische Merkmale enthält, ist er nicht typisch
postmodern inszeniert. Zwar baut er intertextuelle und
selbstreferentielle Bezüge ebenso ein wie spektakulär ästhetisierte
Bilder, allerdings kann man sagen, dass GOOD BYE, LENIN!, abgesehen von
diesen formalen Versatzstücken, auf einer weiteren Ebene postmodern
wirken kann bzw. die Postmoderne überschreitet. Er thematisiert das
Konstruierte, Zusammengesetzte und Zitierte explizit – statt es
lediglich als Applikation oder Gag zu gebrauchen. Postmoderne Ideen
oder Philosophien der Simulation werden im Film greifbar bzw. sind ein
Thema des Films. So setzt sich GOOD BYE, LENIN! als Film thematisch mit
den Prämissen und Grundzügen der Postmoderne auseinander und
überschreitet sie, indem er mit der Postmoderne als Postmoderne spielt.
Er spielt also indirekt und direkt mit den konstruierten Wahrheiten der
Medien und kreiert Simulationen der Wirklichkeit, wie Baudrillard sie
beschreibt. Wahrheit bzw. Manipulation von ‚Wirklichkeit’ sind die
eigentlichen Hauptthemen des Films, die sich auf verschiedenen Ebenen
durch den gesamten Plot hindurchziehen.
Ideen, denen die Postmoderne entsagt, werden explizit
angesprochen. Eine moderne Auffassung von Wahrheit als ganzheitliche,
ist in der Postmoderne (und in diesem Film) obsolet. Hier ist
‚Wahrheit’ (bzw. sind ‚Wahrheiten’) immer Konstrukte und uneindeutig
resp. vielschichtig, simulierbar und austauschbar.
Die ‚DDR’ wird wieder lebendig bzw. hyperreal durch den
Einsatz von Medien. Die Off-Stimme des männlichen Protagonisten spricht
Sätze wie: „Als ich an diesem Tag in Wolken starrte, wurde mir klar,
dass die Wahrheit nur eine zweifelhafte Angelegenheit war, die ich
leicht Mutters gewohnter Wahrnehmung angleichen konnte. […] Ich musste
nur die Sprache der Aktuellen Kamera studieren und Denis’ Ehrgeiz als
Filmregisseur anstacheln“ (Töteberg, 78).
Das selbstironische Spiel mit der ‚Wahrheit’ (bzw. den
‚Wahrheiten’) ist in die Narration eingebaut, also narrative
Konstruktion; andererseits auf einer außer-filmischen,
gesellschaftlichen Ebene ein konstitutives Merkmal des postmodernen
Diskurses. Die beiden großen Lügen oder Unwahrheiten des Films sind die
Lebenslüge der scheinbar linientreuen Mutter, die erst spät gebeichtet
wird, und die Notlügen ihres Sohnes, um sie zu schützen.
Ironie ist eines der Elemente, die in GOOD BYE, LENIN!
verstärkt eingesetzt werden. Die narrative Funktion dieses Stilmittels
trägt zur Komik des Filmes bei. Häufig werden Bilder und Töne, die
nicht kongruent sind, übereinander gelegt. Während Alex aus dem Off
aufzählt, was seine Mutter in ihrem Koma „verschläft“, sieht der
Zuschauer eine Montagestrecke von Archivmaterial. Teilweise sind dies
dieselben oder sehr ähnliche Bilder, die wir als Zuschauer schon
mehrfach gesehen und in unserem kollektiven Gedächtnis gespeichert
haben. So spricht Alex aus dem Off z.B. lapidar von einer riesigen
„Altstoffsammlung“ oder einem „klassischen Konzert“ (vgl. Töteberg,
28f), während dem Zuschauer im Plot bekannte Bilder vom Abriss der
Mauer oder des historischen Augenblicks präsentiert werden, in dem
Kohl, Brandt, Seiters, Momper u. a. auf dem Balkon des Schöneberger
Rathauses die Nationalhymne „singen“.
Sämtliche Äußerungen der Mutter wirken ebenfalls
ironisch. Durch ihr Wissensdefizit und ihre Ahnungslosigkeit entsteht
unfreiwillige Komik. So will sie z.B. tagsüber fernsehen und sich
ablenken, um ihre Kinder zu entlasten; ohne jedoch wissen zu können,
dass sie damit das Gegenteil bewirkt, denn für Alex ergeben sich nun
zusätzliche Probleme.
Ebenso funktioniert die Ironie von Einzelbildern im Film.
So sitzt Alex am Morgen des 7.10.1989 allein auf einer Parkbank vor dem
Plattenbau. Während in der Bildmitte ein überdimensionales Banner
prangt, auf dem als Schrift im Film (vgl. Metz, 51f) zu lesen ist: „Der
Mensch steht im Mittelpunkt der sozialistischen Gesellschaft“, befindet
sich Alex im rechten äußeren Bildrand, also im übertragenden Sinne an
den Rand gedrängt. Umrahmt wird dieses große Banner von zwei kleineren,
die den Anlass dieser Schmückung der Häuserfassade offenbaren: An
diesem Tag wird der 40. Jahrestag der DDR gefeiert. Die Bildlogik bzw.
-komposition suggeriert dem Zuschauer, dass zu diesem Zeitpunkt das
Individuum (personifiziert durch Alex) im System der DDR (als
sozialistische Gesellschaft) an den Rand gedrängt scheint, dass dieses
Plakat nur eine leere Parole ist, die nichts mit der Realität zu tun
hat. Dies bestätigt sich etwas später, denn Alex protestiert noch am
selben Abend gegen das System und seinen marginalen Wert in diesem.
4.4. Das Umschreiben von Geschichte
In
GOOD BYE, LENIN! nimmt das Spiel um Wahrheiten und Lügen,
Wirklichkeiten und Wissensvorräte mehr Raum ein als in SONNENALLEE.
Alexander Kerner schreibt den ‚tatsächlichen’, zurückliegenden Verlauf
der jüngsten deutschen Geschichte um. Wie oben beschrieben, präsentiert
er seiner Mutter eine andere ‚Realität’. Er produziert und zeigt seiner
Mutter fiktive Nachrichtensendungen auf Video, in denen er Fakten oder
‚Geschichte’ – wie der Zuschauer aus wiederaufgerufenen, gespeicherten
Bildervorräten der Erinnerung weiß – umschreibt. Dabei verwendet er neu
produziertes sowie bereits existierendes Material, also Medienbilder
aus zweiter Hand, um daraus eine passende ‚Realität’ oder ‚konstruierte
Wahrheit’ für sie zusammenzusetzen.
„Geschichte wird gemacht“ – so lautet der Paratext auf
dem Filmplakat. Dies ist auf zwei Arten zu verstehen: Erstens spielt
der Film in einem historisch einmaligem „Zeitfenster“ der Veränderung.
Durch innen- und außenpolitische Faktoren veränderte sich binnen kurzer
Zeit Deutschland, Europa und die ganze Welt. Zweitens manipuliert Alex
den Lauf der Geschichte bzw. er schreibt sie um; so „erschafft er eine
DDR aus dem marxistischen Märchenbuch [und] [l]ässt den Traum vom
Sozialismus mit menschlichem Antlitz noch einmal auferstehen“ (Fux). So
flüchten z.B. in der zweiten im Plot gezeigten Fake-Nachricht
Westdeutsche, die sich in der westlichen „Ellenbogengesellschaft“ nicht
wohlfühlen in den Osten (statt umgekehrt). Der Zuschauer dieser
„Filme-im-Film“ ist amüsiert, weil er es aus heutiger Sicht besser weiß
als die Mutter und neugierig ist, ob sie an – der für den Zuschauer
offensichtlich simulierten – Fake-Nachricht zweifelt oder nicht.
Andererseits ist der Zuschauer verblüfft, wie die ihm bekannten
Medienbilder als „Vor-Bilder“ der Westflucht, die er im kollektiven
Gedächtnis gespeichert hat (ebenso wie die Bilder der
Fußballweltmeisterschaft 1990 in Italien), nun in einem neuen Kontext
präsentiert werden. Er erkennt deutlich, dass Bilder manipulierbar und
Realität zu simulieren imstande sind (vgl. McLuhan, Baudrillard). Beim
Zuschauer entsteht Verblüffung darüber, wie überzeugend diese grotesken
Umdeutungen sind.
Durch die gleiche wiederkehrende Struktur in den
DDR-Nachrichten und die formelhafte Wortwahl der berichteten
Themenschwerpunkte (vgl. Töteberg, 134f, Kuhlmann) funktionieren die
gefälschten AKTUELLE KAMERA - Nachrichtenbeiträge als Spiel mit ewigen
Floskeln, etablierten Inhalten und vor-bewussten Stereotypen. Durch das
Imitieren der Sprache der AKTUELLEN KAMERA, ihres Stils und ihrer
typischen Machart fallen die Simulationen als „Kopien ohne Original“
der Mutter nicht als ‚gefälscht’ auf. Der Zuschauer ist irritiert,
welche absurden und historisch ‚falschen’ Gegebenheiten der Mutter so
plausibel dargebracht werden. Ebenso bemerkt der Zuschauer, dass Bilder
nicht nur als Abbilder für Fakten stehen, sondern auch als Sinnbilder
immer neuer Bedeutungen, Denotationen und Konnotationen herhalten
können. Bilder sind je nach Kontext und Intention des Bildervermittlers
uneindeutig und manipulierbar. Der Film macht dem Zuschauer, der die
Medien- oder Archivbilder im kollektiven Gedächtnis verankert hat,
bewusst, dass der Sinn der Bilder je nach Selektion, Montage und
Kommentar variierbar, re-kombinierbar bzw. re-kontextualisierbar ist.
Im ersten fiktiven Nachrichtenbeitrag wird, um das
riesige Coca-Cola-Plakat am Plattenbau gegenüber zu erklären, dieses
Produkt als sozialistisches Getränk aus den Getränkekombinaten der
Volkseigenen Betriebe (VEB) Leipzig verklärt.
In der zweiten Fake-Nachricht, die nötig wird, weil die
Mutter erstmals ihr Zimmer bzw. „DDR-Refugium“ verlassen hat und in die
verwirrend andere, mit deutlichen West-Einflüssen versehene `reale´
Welt getreten ist, wird die tatsächliche Situation Ende 1989 ins
Gegenteil verkehrt. Der Mutter wird suggeriert, dass Westdeutsche nach
Ostdeutschland fliehen, um in Ostberlin ein neues Leben zu beginnen.
Absurd komisch und ironisch wirkt dies, weil mit denselben oder sehr
ähnlichen Bildern, die damals die Ostflucht gen Westen illustrierten
nun in einem anderen Kontext das Gegenteil abgebildet wird. Die
Wahrheit ist nicht nur austauschbar, sondern mit denselben bekannten
Bildern aus dem Bildervorrat des kollektiven Gedächtnisses ins
Gegenteil verkehrbar und manipulierbar. Der Film zeigt hier die
„Unwirklichkeit“ der Wirklichkeit auf bzw. spielt mit der Hyperrealität
scheinbar realer (Ab-)Bilder. Durch die Kombination von altbekannten
Medienbildern (TV-Bildern) und neu gedrehten, nachgestellten Bildern
wird ein Novum oder Irrealis geschaffen.
Der Witz besteht darin, dass alle Figuren – außer der
Mutter – und der Zuschauer eingeweiht sind. Die beiden ersten
Fake-Nachrichten verwundern die Mutter zwar, allerdings käme ihr nicht
der Gedanke, an deren Wahrheitsgehalt zu zweifeln oder eine
Manipulation der AKTUELLEN KAMERA zu vermuten.
Anders verhält sich dies allerdings beim letzten
Fake-Beitrag: Die Mutter ist bereits eingeweiht, spielt aber aus Liebe
zu ihrem Sohn, der sich solche Mühe gemacht hat, weiterhin die
scheinbar Ahnungslose, die den Verlauf der „gemachten“ Geschichte nicht
fassen kann. Tatsächlich weiß sie zu diesem Zeitpunkt mehr als Alex.
Auch der Zuschauer weiß durch Alex’ Kommentar, dass dieser nicht über
den Kenntnisstand seiner Mutter informiert ist.
Die dritte Fake-Nachricht vermittelt der Mutter und dem
Zuschauer der Nachrichten, dass Sigmund Jähn angeblich dem
zurückgetretenen Erich Honecker als Staatschef nachgefolgt sei und dass
er die Grenzen der DDR geöffnet habe. Alex setzt ausgerechnet sein Idol
und seinen Vaterersatz Jähn – bzw. einen Taxifahrer, der Jähn ähnlich
sieht – an die Spitze der „neuen“ DDR.
4.4.1. Alex als moderner Potemkin
Alex
ist ein Bildervermittler. Beruflich beliefert er ehemalige DDR-Bürger
mit TV-Satellitenanlagen; auch privat fungiert er für seine Mutter als
„Bilderbringer“, indem er für sie eine Simulation der DDR herstellt
bzw. aufrechterhält. Alex nutzt die Scheinwelt der Medien; im weitesten
Sinne agiert er wie ein „postmoderner Potemkin“. Alexander Kerner baut
ebenso wie der russische General Potemkin „Lügengebäude“ oder
„Trugbilder“ auf. Ganz deutlich werden die Parallelen zwischen Alex und
Potemkin, sobald die Mutter fernsehen möchte, um ihren Kindern
möglichst wenig Arbeit zu machen. Wie bereits erwähnt, zeigt Alex ihr
zunächst alte Nachrichten und Unterhaltungssendungen auf Video. Durch
seinen Beruf als gelernter Fernsehreparateur verfügt er über
technisches Wissen und in seinem neuen Job hat er den Filmexperten
Denis kennen gelernt, der nebenbei Filme von Hochzeiten und
Betriebsfeiern herstellt. Denis verfügt über ein ausreichendes
Equipment sowie über fundiertes praktisches und theoretisches
Filmwissen. Er hilft Alex, die DDR-Fassade durch die Fake-Nachrichten
aufrechtzuerhalten. Durch die wichtige Helferfigur Denis und seiner
Funktion als „Bilderbringer“ erfüllt Alex die Voraussetzungen eines
postmodernen Potemkin. Er macht sich „unantastbare Authentizität“ von
Medienbildern zunutze und lässt durch Simulationen einer anderen
Wirklichkeit die DDR (wie er sie sich offenbar selbst immer gewünscht
hat) wiederauferstehen. Er unternimmt dies vordergründig für seine
Mutter und hintergründig für sich (vgl. Ranze, 34), wie er selbst im
Off-Kommentar einräumt: „Irgendwie musste ich zugeben, dass sich mein
Spiel verselbstständigte [sic!]. Die DDR, die ich für meine Mutter
schuf, wurde immer mehr die DDR, die ich mir vielleicht gewünscht
hätte“ (Töteberg, 104).
4.4.2. Der Täuscher als Getäuschter
Durch
Alex’ scheinbare Verlässlichkeit und die Sympathie für ihn begreift der
Rezipient Alex und seine Voice-over-Kommentare als zuverlässig und
inhaltlich ‚wahr’. Man glaubt ihm, was er sagt. Der Zuschauer
rekonstruiert die Story aus dem Plot: das, was Alex uns vermittelt. Wir
sehen ihn und seine Mutter, wie er sie sieht. Ein Clou des Films
besteht darin, dass die Figur Alex, von der der Zuschauer glaubt, er
kenne die Vergangenheit und die Wahrheit über seinen Vater und seine
Mutter, eben doch nicht alles weiß. Die Mutter überrascht mit der
Beichte ihrer Lebenslüge im letzten Drittel des Films nicht nur ihre
Kinder, sondern auch den Zuschauer, der bislang keinen Grund hatte, an
Alex’ Version der Republikflucht des Vaters, so wie seine Mutter es ihm
erzählt hatte, zu zweifeln.
Die Aufklärung der Lebenslüge der Mutter ist ein später
Wendepunkt des Films. Alex möchte ihr dennoch so schonend wie möglich
Aspekte der Realität mitteilen, ohne zu wissen, dass Lara und
vermutlich auch der Vater die Mutter über die deutsche Vereinigung
aufgeklärt haben, folglich ohne zu wissen, dass seine Mutter beim
Anschauen der letzten Fake-Nachricht eingeweiht ist, dass es sich nicht
um „echte“ Nachrichten handelt.
Die Schlusspointe ist, dass Alex in seinem letzten
Off-Kommentar davon ausgeht, seine Mutter sei „glücklich gestorben“,
weil sie „die Wahrheit nie erfahren hat“ (Töteberg, 129). Der Film hebt
in dieser Szene die Erzählerperspektive, die bisher mit der Sichtweise
der Figur von Alex identisch war (und dessen Off-Stimme stets die
Handlung „allwissend“ kommentierte) auf eine scheinbar „objektive“
auktoriale Ebene. Dadurch wird aber nicht Objektivität
wiederhergestellt, sondern in einer letzten Paradoxie das Spiel mit
Wahrheit und Wirklichkeit aporetisch zum Abschluss gebracht.
Für den Zuschauer teilt sich diese Ironie des Schicksals
nicht unbedingt bei der erstmaligen Rezeption in Gänze mit. Erst bei
mehrmaligem Sehen kann der Zuschauer sich nach und nach unklare,
unlogische Szenen erschließen. Das Spiel mit der Wahrheit findet also
auf mehreren Ebenen statt, die ineinander verschlungen sind. Damit kann
der Film auf mehreren Ebenen bzw. uneindeutig gelesen werden.
4.5. GOOD BYE, LENIN! als „ostalgischer“ Film?
Ob
GOOD BYE, LENIN! ein ostalgischer Film ist, lässt sich etwas
schwieriger bestimmen als im Falle SONNENALLEE. So herrscht in der
Rezeption des Films Uneinigkeit darüber, ob er ostalgisch oder
nicht-ostalgisch sei. Zwar befriedigt Beckers Film durch „die […] im
Detail liebevolle Ausstattung […] Nostalgie-Erwartungen vollauf“
(Baumgarten 1), doch sei er, so Rahayel, ein Film, der „sich auf
allgemeinere Aussagen über die Wiedervereinigung zu[bewegt], die etwas
mit der Würde eines Ablebens zu tun haben und sich deshalb sowohl von
Ostalgie als auch von jeder Siegermentalität abgrenzen“. Rahayel
beschreibt GOOD BYE, LENIN! als „unterhaltsame wie ernsthafte
Annäherung an die DDR als Heimat und an das Phänomen Wiedervereinigung
aus ostdeutscher Sicht“ (Rahayel, 21). Becker zeige „die DDR trotz
aller Makel als verlorene Heimat“ (ebd.). Ranze pflichtet Rahayel bei;
so beschreibt ersterer GOOD BYE, LENIN! als „Tragikomödie […], die die
Tragweite der Wiedervereinigung, besonders für die Ostdeutschen,
einbezieht, ohne die DDR nostalgisch zu verklären“ (Ranze, 35).
Der Film zeigt deutlich die Verlierer und Gewinner der
Wende. Einige der Figuren kommen mit der neuen Situation nach der Wende
schlecht zurecht. So trauert der linientreue Ganzke der DDR mit all
ihren Errungenschaften nach. Er will, „dass alles wieder so wird, wie
es mal war“ (Töteberg, 73, vgl. Geburtstagsfeier). Er verkörpert als
Figurenstereotyp, ja sogar als Figurenzitat à la Motzki, in „Reinform“
die naiv-ostalgische Mentalität, da er sich mit den neuen Verhältnissen
nicht abfinden kann. Ebenso wie Ganzke kommt auch der ehemalige
POS-Rektor und Parteisekretär Klapprath mit den weitreichenden
Veränderungen nicht klar. Er ist arbeitslos geworden und tröstet sich
mit Alkohol über den Verlust hinweg. GOOD BYE, LENIN! zeigt folglich
die Schattenseiten und menschlichen Katastrophen der Verlierer der
Wende. (Andererseits wird der unbeholfene Westdeutsche Rainer als
Gewinner oder Nutznießer der Wende präsentiert, da er beispielsweise
günstig an eine Wohnung und einen Trabant gelangt.)
Bei der dritten Figur wird diese „ostalgische“
Zuschreibung ambivalent. Christiane Kerner erscheint zunächst als
regimetreue Genossin, die vor den Veränderungen und dem Verlust von
allem, an das sie geglaubt hat, offenbar geschützt werden muss. Doch
ihre Situation stellt sich letztendlich anders dar. Der Zuschauer
erfährt durch sie von den Schattenseiten des Regimes. Sie wusste nicht
nur von der Republikflucht ihres Mannes, sondern wollte ihm mit den
Kindern in den Westen folgen, weil ihnen das Leben in der DDR erschwert
wurde. Nur weil die Staatssicherheit sie unmittelbar nach der Flucht
ihres Mannes einschüchterte und ihr zusetzte, wandelt sie sich aus
Angst und Resignation scheinbar zur Anhängerin des Regimes und zu einer
„Vorzeigebürgerin“, um sich selbst und ihre Kinder vor Schikanen zu
schützen. Sie macht also deutlich, dass der diktatorische Staat nicht
dazu geeignet ist, ihm nachzutrauern. Daraus wird ersichtlich, dass
„ostalgische“ bzw. nostalgische Gefühle hier ihrer Meinung nach nicht
angebracht sind.
Alex hingegen, der nach der Wende kurzfristig arbeitslos
wird, kann zwar schnell eine neue Arbeit finden, doch lernt er bald die
negativen Seiten des westlichen Systems kennen. Unter anderem bemerkt
er, dass alles nicht mehr langsam und gemächlich vor sich geht, sondern
mehr Hektik und Hast in sein Leben kommt; dies wird besonders deutlich
in den spektakulären Zeitraffersequenzen. Der Westen entwertet Alex´
bisherige Existenz. Als er und seine Schwester endlich die Ersparnisse
seiner Mutter finden, ist die Frist des Geldumtauschs verstrichen; die
30.000 Ostmark seiner Mutter sind wertloses Konfetti. In der Szene auf
dem Plattenbaudach wirft Alex sein entwertetes Erbe, das Ostgeld, in
die Luft und bekommt es vom Westwind wie zum Hohn zurückgeweht.
Alex hat die positiven Seiten der DDR in seiner Jugend
schätzen gelernt. Sein Abschied von der DDR ist gleichzeitig ein
Abschied von seiner Jugend. Er muss nicht nur erwachsen werden, sondern
sich zudem mit einer ganz anderen Mentalität und Realität vertraut
machen. Die DDR, die er für seine Mutter bzw. vor allem für sich selbst
kreiert, wird zu einer DDR, wie er sie sich immer gewünscht hat, denn
er hegt durchaus „ostalgische“ Gefühle (vgl. Ranze, 34). Der zweite
Abschied von der DDR, den er für seine Mutter in der letzten
Fake-Nachricht inszeniert, soll ein würdiger Abschied werden, denn
seiner Meinung nach gab es durchaus gute Seiten, die nicht einfach
vergessen werden sollten.
Der Film zeigt also beide Seiten der DDR: Die positiven
Erfahrungen, die man dort machte, einfach weil es Heimat war und sich
Sicherheiten boten, und andererseits auch die negativen Seiten, die
Überwachung, den Mangel und die begrenzten Möglichkeiten, mit denen man
sich arrangieren musste.
5. Fazit
Nach dem Ende der
DDR entstanden eine ganze Reihe von postsozialistischen oder
Post-wall-Filmen, überwiegend, aber nicht ausschließlich in
Deutschland. SONNENALLEE und GOOD BYE, LENIN!, die in dieser Arbeit
genauer analysiert wurden, sind also nur zwei von zahlreichen Filmen,
die nach ähnlichen Kriterien zu beurteilen sind. Diese Filme
funktionieren als „postmoderne Erinnerung“, d. h. dass sich die Frage
nach der historischen Wahrheit nicht stellt, sondern vielmehr das
Subjekt und das Erleben in den Vordergrund gerückt werden. Die Filme,
die in dieser Arbeit untersucht wurden, sind als postmoderne
Massenprodukte zu sehen und funktionieren ähnlich wie die 2003
produzierten TV-Shows, die die DDR „repräsentierten“. Prinzipiell wird
also in den Post-wall-Filmen und noch ausgeprägter in den
DDR-Erinnerungs- oder Retro-Shows so mit DDR-Kultur umgegangen, wie
andere Kulturkreise mit ihrer Vergangenheit umgehen. So spielt der
„Ostalgie“-Diskurs lustvoll mit Utensilien und Zeichen der
DDR-Ikonografie ebenso wie beispielsweise die Coens oder Tarantino mit
amerikanischer Kultur, u. a. den Motiven und Konventionen des
klassischen Hollywoodkinos. Wie zuvor westliche massenkulturelle
Zeichen (wie auch in der Pop Art) als Spielmaterial verwendet wurden,
werden in dieser „Ostalgie“ sozialistische, massenkulturelle Mythen und
Zeichen als Spielsteine gebraucht. Diese „Erinnerung an den Osten“
verläuft im Grunde genauso wie der Postmoderne-Diskurs im Verständnis
der westlichen Welt. Totalitäten, Gesamtheiten und so etwas wie
Wahrheiten werden aufgebrochen und in plurale Splitter zerlegt. Mit
diesen Erinnerungssplittern oder medialen Mustern, Stereotypen oder
Mythen wird in solchen Medienprodukten gespielt; das Spielmaterial wird
immer wieder neu zusammengesetzt und ironisch überspitzt. Relevant ist
hierbei insbesondere das Verhältnis der Postmoderne zum
Wahrheitsdiskurs sowie ihr Referenzpunkt: die Medien bzw. mediale
Formen der Erinnerung, d.h. die Frage durch welche Elemente, Bilder,
Produkte, in welcher Form an die untergegangene DDR erinnert wird.
Ist „Ostalgie“ oder die Erinnerung an die DDR in den
Medien positiv zu bewerten, weil der Prozess der Aussöhnung zwischen
Ost und West vorangetrieben wird? Oder ist sie negativ zu beurteilen,
weil bei dieser Form des Erinnerns die Gefahr besteht, in der
Vergangenheit stecken zu bleiben? Diese Fragen können und wollen
mediale Inszenierungen, die nach postmodernen Mustern funktionieren,
nicht klären.
Der „Ostalgie“-Begriff wird in der Umgangssprache auf
zweierlei Weise gebraucht – abwertend oder verspielt. Jedenfalls
polarisiert er: Hält das eine Lager das Vermarkten des
„Ostalgie“-Trends für ein profitables Geschäft, hält das andere, das
„anti-ostalgische“ Lager, das Geschäft mit der Erinnerung an die
DDR-Vergangenheit schlichtweg für geschmacklos und ignorant.
TV-Unterhaltungsshows und – in abgeschwächter Form –
Filme wie SONNENALLEE oder GOOD BYE, LENIN! können keinerlei
‚Wahrheit(en)’ im Sinne einer ganzheitlichen bzw. allumfassenden
Beschäftigung mit der DDR liefern, sondern lediglich vereinzelte bzw.
aneinander gereihte Erinnerungssplitter oder ein Mosaik aus einzelnen
Bausteinen zusammensetzen. Häufig wurde diesen Produkten ‚Unwahrheit’
vorgeworfen. An den Mediendarstellungen wurde bemängelt, dass eine
falsche, „idealisierte“ DDR oder Erinnerung an die Vergangenheit
präsentiert wird. Dass in solchen Unterhaltungsshows historische
Wahrheit oder Genauigkeit (‚Authentizität’) vermittelt wird oder werden
soll, erscheint als Erwartungshaltung verfehlt. Die Frage nach der
Wahrheit lässt sich kaum beantworten in der Postmoderne-Diskussion. Die
Macher dieser Produkte sind nicht an einer wahrheitsgetreuen
Rekonstruktion von Geschichte und Erinnerung interessiert, sondern eher
an einer „Annäherung“ an facettenreiche(re) Wahrheit(en) oder
„Neuinterpretationen“ alter, bereits bekannter Zeichen und Muster. Ein
„sozialistisches Zeichenrepertoire“ mit Lenin-Denkmälern,
Honecker-Portraits und einer Palette von Ostprodukten wird nach
bekannter postmoderner Machart verarbeitet.
SONNENALLEE und GOOD BYE, LENIN! kann man durchaus in
dieser „Tradition“ als „post-sozialistische Pop Art“ bezeichnen. So
verbinden beide Alltag und Alltagsgegenstände mit ihrer Darstellung der
DDR im Film. Beide Filme verwenden in ihrer medialen Erinnerung an die
DDR nach ihrem Untergang eine Vielzahl von einzelnen, zeichenhaften
Elementen, die in übertriebener Form vorkommen. Aus diesem „Pool“,
dieser Ansammlung von DDR-Hinweisen, wird ein neues (Medien-)Produkt
zusammengesetzt. Die Lebenswelt der dargestellten Familien ist
durchdrungen von der Struktur des Staates DDR, da es in der Natur der
Sache lag, dass dieser Staat bis in die Privatsphäre dringen konnte.
Massenmediale resp. massenkulturelle Bezüge finden sich
in beiden Filmen zuhauf, angefangen von intertextuellen,
selbstreferentiellen Bezügen zu anderen Filmen bzw. DDR-Mythen und
Zeichen aus der einst alltäglichen Lebenswelt (vgl. Neubert, 32f). Die
Filme sind postmoderne Collagen, die verschiedene typische
Charakteristika eines Zeichenrepertoires ‚Ost’ und ‚West’ miteinander
vermischen. Ähnlich wie populäre Ikonen der Pop Art (wie Elvis Presley,
Marilyn Monroe, aber auch Mao Tsetung oder Wladimir Iljitsch Lenin)
werden in den beiden Filmen populäre Personen wie Sigmund Jähn oder die
Rolling Stones herangezogen und in die Alltagshandlungen der
Jugendlichen eingebaut. Jeans und Rock’n’ Roll oder Popmusik werden in
SONNENALLEE wie Burger King oder Coca Cola in GOOD BYE, LENIN! als
unabdingbare Accessoires des westlichen Lebensstils beworben.
Ostprodukte wie Vita-Cola in SONNENALLEE oder Spreewaldgurken in GOOD
BYE, LENIN! sind konnotiert wie Produkte, die in der Pop Art
aufgegriffen wurden; des ursprünglichen Sinns beraubt und mit Zweitsinn
aufgeladen. Pop Art nutzt mit ihrer sekundären Semantisierung der
entleerten Zeichenhaftigkeit die medial vermittelbare Realität. Die
rigiden Grenzen zwischen Hoch- und Popkultur haben sich aufgelöst u.a.
durch Reflexion, Ironie und Mehrdeutigkeit der Pop Art als eine Form
der `Postmodernität´ (vgl. Fiedler, Hassan).
Die Pop Art-Künstler der 1960er verwendeten Werbung,
Produktdesign und Massenmedien wie Comics als Ausgangspunkt oder Basis
für ihre Arbeiten, d. h. der Pop Art ging „eine den Geschmack der Zeit
dominierende ‚popular art’ voraus“ (Schnell, 419). Das Verhältnis
zwischen Pop Art-Künstlern und der Medien- und Konsumgesellschaft muss
man als ambivalent bezeichnen: Denn einerseits kann man die Haltung der
Künstler zur Massenkultur in kapitalistischen Gesellschaften als
unkritisch und affirmativ oder aber andererseits als kritisch und
reflektiert sehen. So ist Pop Art, wie die Postmoderne, auf mehreren
Ebenen lesbar. Wirkt sie einerseits banal, farbenfroh, attraktiv und
oberflächlich, ist sie andererseits durchaus gesellschaftskritisch und
profund, indem sie fragt, wo Kunst und ‚Wirklichkeit’ anfangen und
enden. Zwar haben Kritiker ihr vorgeworfen, den Kapitalismus nur
zynisch zu reproduzieren, doch durch ihr Spiel mit vorgefertigten
Bildern und Werbeästhetik entlarvte sie gerade das Spiel und die
Werkzeuge des Kapitalismus und stellte sie bloß. Die kritische Frage
der Pop Art lautet, inwieweit die gesamte Gesellschaft nur noch von
populären Inszenierungen und oberflächlichen Ritualen bestimmt wird.
Diese Frage ist heute im Zeitalter der Simulation oder Hyperrealität
aktueller denn je durch die gegenseitige Durchdringung von Fiktion und
Wirklichkeit (Büsser, 10f).
Diese späteren Post-wall-Filme bilden eine
außerfilmische, künstliche ‚Wirklichkeit’ ab, die typische,
fragmentarisierte DDR-Elemente miteinander zu einem Konglomerat oder
Puzzle zusammensetzt. Verwendete Zeichen, die „Ost-Codes“
repräsentieren, dienen verschiedenen Intentionen: Zunächst sollen sie
als Erinnerungszeichen für eine bestimmte sozialistische Welt stehen.
Dann wirken sie als Erinnerung an etwas, das nicht mehr existiert,
teilweise nostalgisch verklärend (oder naiv „ostalgisch“), andererseits
mit der „Ostalgie“ spielend oder diese brechend. Des weiteren
simulieren sie nur mehr etwas, konstruieren eine Vergangenheit durch
ihre Konnotationen. Schließlich entsteht durch ihr geballtes Erscheinen
eine Hyperrealität, die Repräsentation einer Wirklichkeit, die es so
nie gab.
So wie die Coen-Brüder beispielweise in ihren – zur
Postmoderne gehörigen – Filmen ein ironisiertes, karnevalisiertes
Konglomerat aus Erzähl- und Bildmotiven, Figuren und Symbol- oder
Mythenwelten zusammensetzen, das ihrer geistigen Welt bzw. ihrem
kulturellem Kontext entspricht, wird in Haußmanns bzw. in Beckers Film
ein „Post-DDR-Patchwork“ oder eine „postsozialistische Pop Art“
kreiert, welche demselben, postmodernen Diskurs oder Denken folgen. So
wie die Postmoderne mit Stereotypen im westlichen Diskurs umgeht bzw.
wie sie mit bestimmten Mythenrepertoires spielt, so gehen die in dieser
Arbeit untersuchten Filme mit den Mythen und Stereotypen der
untergegangenen DDR ihrerseits um.
Die gesamte DDR-Ideologie war auf eine moderne Prämisse
ausgerichtet: Sozialismus kann man durchaus als eine ‚große Erzählung’
bzw. Leitidee im Sinne Lyotards bezeichnen. Diese Auffassung
widerspricht dem westlichen Postmoderne-Diskurs, der sich längst von
einem Einheitsgedanken verabschiedet hatte und stattdessen Pluralität
und Heterogenität in allen gesellschaftlichen Teilbereichen
konstatierte (vgl. Welsch 1997, passim). Das sozialistische System der
DDR mit seinem Machtmonopol widerspricht dem Denken der Postmoderne,
die politisch für plurale Demokratien stimmt.
Das Auffällige ist also, dass Zeichen, Codewelten oder
Bestände aus „Orten“ der partiellen Verweigerung der Moderne – nämlich
der DDR – mit Mitteln der westlichen Postmoderne dargestellt oder offen
gelegt werden. Die DDR verweigerte sich dem postmodernen Denken, indem
sie keine Pluralität zuließ, sondern stattdessen Einheit und
Geschlossenheit demonstrieren wollte, als Gesellschaft mit präsenter,
dominanter Leitidee des Sozialismus. Die postmodernen Texte über die
DDR als Konstrukt rekurrieren auf die DDR-Codes, und die Postmoderne
bezieht sich auf die DDR-Welten.
„In der Tat scheint eine nostalgische Sehnsucht nach den
Lebens- und Ausdrucksformen der Vergangenheit ein starker Unterstrom in
der Kultur der Postmoderne zu sein, und diese Nostalgie schließt immer
häufiger auch ein sehnsüchtiges Sich-Erinnern an jene Zeiten ein, da
die Moderne noch wirklich eine Moderne war […]“ (Huyssen, 14).
Deutlich wird hier, dass die Zeichenwelten der Moderne zu
Mitteln der Postmoderne geworden sind. Sozialismus ist als Einheits-
oder Ganzheitsdenken zum Scheitern verurteilt; er mutiert als
verbindliche Leitidee nach seinem Scheitern zu purem Spielmaterial, das
in medialen Erinnerungen an ihn fragmentiert und diffus rekombiniert
wird. Der Zusammenbruch resp. Zerfall des kommunistischen Blocks seit
1989 hat Lyotards These vom ‚Ende der großen Erzählungen’ in
politischer Hinsicht plausibel gemacht durch das abrupte ‚Ende der
großen Erzählung Sozialismus’.
Zeit ihres Bestehens wendete sich die DDR gegen westliche
Massenkultur und eine kapitalistische Konsumwelt, wobei sie selbst eine
eigene „Massenkultur“ kreierte, was die Widersprüchlichkeit ihres
Systems noch einmal deutlich macht. Wie gesehen, ist es interessant,
dass es die oberflächlichen Zeichen und Symbole der DDR-Kultur sind, an
die der „Ostalgie“-Diskurs besonders liebevoll erinnert, an die
Uniformen, das eingeschränkte Waren- und Konsumangebot und die
ideologisch stilisierten Heldenfiguren.
6. Literaturverzeichnis
Bach,
Jonathan (1999) `The Taste Remains´: Consumption, (N)ostalgia, and the
Production of East Germany. In:
www.uchicago.edu/research/jnl-pub-cult/current/bach.html (18.11.2003)
Barthes, Roland (2003) [1964] Mythen des Alltags. Frankfurt: Suhrkamp.
Baudrillard,
Jean (1999) Geschichte: Ein Retró-Szenario. In: Die Postmoderne im
Kino. Ein Reader. Hrsg. von Jürgen Felix. Marburg: Schüren, S. 16-20.
Baudrillard, Jean (1988) Die Simulation. In: Wege aus der
Moderne. Schlüsseltexte der Postmoderne-Diskussion. Hrsg. von Wolfgang
Welsch. Weinheim: VCH Acta Humanoria, S. 153-162.
Baumgarten, Oliver (2003) Good Bye, Lenin! In: www.schnitt.de/filme/artikel /good_bye_lenin.shtml.
Bleicher,
Joan Kristin (2002) Die Intermedialität des postmodernen Films. In:
Oberflächenrausch. Postmoderne und Postklassik im Kino der 90er Jahre.
Hrsg. von Jens Eder. Münster: LIT, S. 97-112.
Bleicher, Joan Kristin (2002) Zurück in die Zukunft.
Formen intertextueller Selbstreferentialität im postmodernen Film. In:
Oberflächenrausch. Postmoderne und Postklassik im Kino der 90er Jahre.
Hrsg. von Jens Eder. Münster: LIT, S. 113-132.
Bolz, Norbert (1991) Eine kurze Geschichte des Scheins. München: Fink.
Bolz, Norbert (1992) Die Welt als Chaos und Simulation. München: Fink.
Bordwell, David / Thompson, Kristin (2001) Film Art. An Introduction. New York u.a.: Mc Graw Hill.
Bordwell,
David (1998) Postmoderne und Filmkritik: Bemerkungen zu einigen
endemischen Schwierigkeiten. In: Die Filmgespenster der Postmoderne.
Hrsg. von Andreas Rost/Mike Sandbothe. Frankfurt a. M.: Verlag der
Autoren, S. 29-40.
Blum, Martin (2000) Remaking the East German Past:
Ostalgie, Identity, and Material Culture. In: Journal of Popular
Culture. Jg. 34, Nr. 3 (Winter 2000), S. 229-253.
Brussig, Thomas (2002) Am kürzeren Ende der Sonnenallee. Frankfurt a. M.: Fischer.
Büsser, Martin (2001) Pop-Art. Hamburg: Rotbuch 3000.
Cooke,
Paul (2003) Performing `Ostalgie´: Leander Haussmann´s [sic!]
SONNENALLEE. In: German Life and Letters. Jg. 56, Nr. 2, S. 156-168.
Dieckmann, Christoph (2003) Honis heitere Welt. Das
Unterhaltungsfernsehen verklärt die DDR. Anmerkungen zu Wohl und Wehe
der Ostalgie. In: Die Zeit vom 28.8.2003, S. 37/38.
Eco, Umberto (1988) Postmodernismus, Ironie und
Vergnügen. In: Wege aus der Moderne. Schlüsseltexte der
Postmoderne-Diskussion. Hrsg. von Wolfgang Welsch. Weinheim: VCH Acta
Humanoria, S. 75-78.
Eder, Jens (Hrsg.) (2002) Oberflächenrausch: Postmoderne
und Postklassik im Kino der 90er Jahre. Münster: LIT Verlag (= Beiträge
zur Medienästhetik und Mediengeschichte, hrsg. von Knut Hickethier, Bd.
12).
Elsaesser, Thomas (2002) `Un train peut en cacher un
autre´. Geschichte, Gedächtnis und Medienöffentlichkeit. In: Montage
a/v Jg. 11, Nr. 1, S. 11-25.
Elsaesser, Thomas (1998) Augenweide am Auge des
Maelstroms? – Francis Ford Coppola inszeniert BRAM STOKER´S DRACULA als
den ewig jungen Mythos Hollywood. In: Die Filmgespenster der
Postmoderne. Hrsg. von Andreas Rost/Mike Sandbothe. Frankfurt a. M.:
Verlag der Autoren, S. 63-106.
Eppelmann, Rainer u.a. (Hrsg.) (1996) Lexikon des
Sozialismus: das Staats- und Gesellschaftssystem der Deutschen
Demokratischen Republik. Paderborn u.a.: Schöningh.
Eschke, Hans-Günter (1997) Nostalgie – Ostalgie?
Kritische Bemerkungen zu einer ideologischen Betrachtungsweise der
Wirklichkeit. In: www.gkpn.de/ ostalgie.htm (auch in: Aufklärung und
Kritik: Zeitschrift für freies Denken und humanistische Philosophie
1/1997, S. 116f) (18.11.2003).
Felix, Jürgen (2002) Die Postmoderne im Kino. Ein Reader. Marburg: Schüren.
Festenberg, Nikolaus von (2003) Sandmännchen rettet die DDR. In: Der Spiegel vom 3.2.2003 (Nr. 6), S. 120.
Fiedler,
Leslie A.: Überquert die Grenze, schließt den Graben! Über die
Postmoderne. In: Wege aus der Moderne. Schlüsseltexte der
Postmoderne-Diskussion. Hrsg. von Wolfgang Welsch. Weinheim: VCH, Acta
Humanoria, S. 57-74.
Frey, Matthias (2003) Ostalgie! The Persistence of the
`Good Old GDR´ on the Internet and the Movies. In:
www.somasoma.de/14/ostalgie.html (18.11.2003).
Fux, Nani (2003) Goodbye, Lenin! In: www.artechock.de/arte/text/kritik/g/ goleni.htm (18.11.2003).
Gersch,
Wolfgang (1993) Film in der DDR. Die verlorene Alternative. In:
Geschichte des deutschen Films. Hrsg. von Wolfgang Jacobsen, Anton Kaes
und Hans Helmut Prinzler. Stuttgart: Metzler, S. 323-364.
Habermas, Jürgen (1988) Der philosophische Diskurs der Moderne. Zwölf Vorlesungen. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Hartmann,
Britta (2002) Initiation und Rezeptionssteuerung in Takeshi Kitanos
HANA-BI. Bahnung des Verstehens über die Geschichte hinaus. In: Film
und Psychologie – nach der kognitiven Phase? Hrsg. von Jan Sellmer/Hans
W. Wulff. Marburg: Schüren, S. 59-78.
Hassan, Ihab (1988) Postmoderne heute. In: Wege aus der
Moderne. Schlüsseltexte der Postmoderne-Diskussion. Hrsg. von Wolfgang
Welsch. Weinheim: VCH, Acta Humanoria, S. 47-56.
Haußmann, Leander (Hrsg.) (1999) Sonnenallee: das Buch zum Film. Berlin: Quadriga.
Haußmann, Leander (2003) Es kam dicke genug. In: Der Spiegel vom 8.9.2003, S. 220/221.
Heming,
Michael (2003) Die DDR ist wieder da. In:
www.grimme-institut.de/scripts/archiv/presseschau/prschau10_03.html.
(10.4.2004)
Hickethier, Knut (2001) Film- und Fernsehanalyse. Stuttgart: Metzler.
Hyussen,
Andreas/Scherpe, Klaus R. (Hrsg.) (1997) [1986] Postmoderne. Zeichen
eines kulturellen Wandels. 5. Aufl. Reinbek: Rowohlt.
Jameson, Fredric (1997) [1986] Postmoderne – zur Logik
der Kultur im Spätkapitalismus. In: Postmoderne. Zeichen eines
kulturellen Wandels. Hrsg. von Andreas Huyssen, Klaus R. Scherpe.
Reinbek: Rowohlt, S. 45-102.
Kemper, Peter (1999) `alles so schön bunt hier´. Die Geschichte der Popkultur von den Fünfzigern bis heute. Stuttgart: Reclam.
Kessler,
Frank (1998) Fakt oder Fiktion? Zum pragmatischen Status
dokumentarischer Bilder. In: Montage a/v Jg.7, Nr. 2, S. 63-78.
Kirchmann, Kay (1994) Zwischen Selbstreflexivität und
Selbstreferentialität. Überlegungen zur Ästhetik des Selbstbezüglichen
als filmischer Modernität. In: Film und Kritik Nr. 2, S. 23-38.
Koebner, Thomas (Hrsg.) (2002) Reclams Sachlexikon des Films. Stuttgart: Reclam.
Kothenschulte,
Daniel (1994) Reality TV Bites: Quentin Tarantino und seine Schule –
eine neue Strömung im Hollywood-Kino. In: film-dienst Jg. 47, Nr. 4, S.
7.
Krieg, Peter (1990) WYSIWYG oder das Ende der Wahrheit.
Dokumentarfilm in der Postmoderne. In: Die Postmoderne im Kino. Ein
Reader. Hrsg. von Jürgen Felix. Marburg: Schüren, S. 144-152.
Kuhlmann, Michael (1997) Fernsehen in der DDR. Siegen: MUK.
Kuttner,
Jürgen (1999) Die Funktionäre im Widerstand. Rockmusik in der DDR. In:
`Alles so schön bunt hier´. Die Geschichte der Popkultur von den
Fünfzigern bis heute. Hrsg. von Peter Kemper. Stuttgart: Reclam, S.
209-216.
Löser, Claus (1999): Sonnenallee. In: film-dienst Jg. 52, Nr. 20 (28.9.1999), S. 20.
Lyotard,
Jean-François (1988) Beantwortung der Frage: Was ist postmodern? In:
Wege aus der Moderne. Schlüsseltexte der Postmoderne-Diskussion. Hrsg.
von Wolfgang Welsch. Weinheim: VCH, Acta Humanoria, S. 193-203.
Lyotard, Jean-François (1988) Die Moderne redigieren. In:
Wege aus der Moderne. Schlüsseltexte der Postmoderne-Diskussion. Hrsg.
von Wolfgang Welsch. Weinheim: VCH, Acta Humanoria, S. 204-214.
Lyotard, Jean-François (1999) [1979] Das postmoderne
Wissen: ein Bericht. Aus dem Franz. von Otto Pfersmann. Wien: Passagen.
4. unveränd. Aufl.
Marx, Karl (o. J.) Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. In: MEW, Bd. 1.
Metz,
Christian (1997) Die unpersönliche Enunziation oder der Ort des Films.
Aus dem Franz. von Frank Kessler, Sabine Lenk, Jürgen E. Müller.
Münster: Nodus.
Neubert, Ehrhart (1996) Erfahrene DDR-Wirklichkeit. In:
Lexikon des Sozialismus: das Staats- und Gesellschaftssystem der
Deutschen Demokratischen Republik. Paderborn u. a.: Schöningh, S.
31-42.
Neumann, Thomas W. (1999) Schule in der DDR: Erinnerungen
zwischen Herrschaft und Alltag – Lebensgeschichtliche Erfahrungen und
kollektive Erinnerungsbilder. In: Die DDR – Erinnerung an einen
untergegangenen Staat. Hrsg. von Heiner Timmermann. Berlin:
Duncker&Humblot, S. 359-380.
Nünning, Ansgar (Hrsg.) (2001) Metzler-Lexikon Literatur-
und Kulturtheorie: Ansätze – Personen – Grundbegriffe. Stuttgart,
Weimar: Metzler. 2. überarb. u. erw. Aufl.
Osang, Alexander (2003) Ost-Boom: Zu Gast im Party-Staat
– ein Streifzug durch die Kulissen der Ostalgie. In: Der Spiegel vom
8.9.2003, S. 212-222.
o. V. (1973) Nostalgie – Das Geschäft mit der Sehnsucht. In: Der Spiegel vom 29.1.1973, S. 86-99.
o.
V. (1990) Passen die Deutschen zusammen? Die unterschiedlichen
Lebensverhältnisse in der amtlichen Statistik. In: Der Spiegel vom
24.9.1990, S. 34-53.
o. V. (2003) Good bye, Osten. In: FAZ vom 20.10.2003, S. 33.
o.
V. (2003) Die Ostalgie-Welle rollt. DDR-Fernsehboom: Kritische Stimmen
zu den ‚Ost-Shows’ mehren sich. In: www.pz-news.de/kultur/
lifestyle/berichte/ 33692/ (18.11.2003)
o. V. (2003) Ostalgie im Fernsehen. Folklore von den
DDR-Inseln. In:
www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,262269,00.html (18.11.2003)
o. V. (2003) Deutsche sagen: ‚Ostalgie’- Shows zeigen die
DDR so wie sie war. In: www.quotenmeter.de/index.php?newsid=3224
(18.11.2003).
o. V. (2004) Die erfolgreichsten deutschen Filme 1980-2004. In: www.insidekino.com/DJahr/DAlltimeDeutsch50.htm (10.4.2004).
Pergande, Frank (2003) Ostalgie. Die putzige kleine DDR. In: www.faz.net/s/ (18.11.2003)
Poster, Mark (Hrsg.) (2001) Jean Baudrillard. Selected Writings. Stanford: University Press. 2. überarb. u. erw. Aufl.
Prechtl,
Peter/Burkard, Franz-Peter (Hrsg.) (1999) Metzler-Philosophie-Lexikon:
Begriffe und Definitionen. Stuttgart, Weimar: Metzler. 2. überarb. u.
aktualisierte Aufl.
Rahayel, Oliver (2003) Good Bye, Lenin! In: film-dienst Jg. 56, Nr. 4 (11.2.2003), S. 21.
Ranze,
Michael (2003): Good Bye, Lenin! Für Frau Kerner ist die DDR noch lange
nicht zu Ende. In: epd-Film Jg. 20, Nr. 2, S. 34/35.
Römer, Stefan (2001) Künstlerische Strategien des Fake: Kritik von Original und Fälschung. Köln: DuMont.
Rost, Andreas/Sandbothe, Mike (Hrsg.) (1998) Die Filmgespenster der Postmoderne. Frankfurt a.M.: Verlag der Autoren.
Rother,
Rainer (1990) `Authentizität´. Filmische Strategien zur fiktionalen
Darstellung von Geschichte. In: Zeit-Zeichen. Hrsg. von G. Ch.
Pholen/Michael O. Scholl. Weinheim, S. 305-319.
Sandbothe, Mike (1998) Was heißt hier Postmoderne? – Von
diffuser zu präziser Postmoderne-Bestimmung. In: Die Filmgespenster der
Postmoderne. Hrsg. von Andreas Rost/Mike Sandbothe. Frankfurt a. M.:
Verlag der Autoren, S. 41-54.
Schenk, Ralf (Red.) (1994) Das zweite Leben der Filmstadt Babelsberg: DEFA 1946-92. Berlin: Henschel.
Schnell,
Ralf (Hrsg.) (2000) Metzler-Lexikon Kultur der Gegenwart. Themen und
Theorien, Formen und Institutionen seit 1945. Stuttgart, Weimar:
Metzler.
Schreckenberg, Ernst (1998) Was ist postmodernes Kino? –
Versuch einer kurzen Antwort auf eine schwierige Frage. In: Die
Filmgespenster der Postmoderne. Hrsg. von Andreas Rost/Mike Sandbothe.
Frankfurt a. M.: Verlag der Autoren, S. 118-130.
Schweinitz, Jörg (i.D.) Stereotyp und Film. Theoretische Diskurse – Ästhetische Transformationen. Konstanz: o.V.
Schweinitz,
Jörg (2002) Von Filmgenres, Hybridformen und goldenen Nägeln. In: Film
und Psychologie – nach der kognitiven Phase? Hrsg. von Jan Sellmer/Hans
W. Wulff. Marburg: Schüren, S. 79-92.
Sellmer, Jan/Wulff, Hans W. (Hrsg.) (2002) Film und Psychologie – nach der kognitiven Phase? Marburg: Schüren.
Thomas, Andreas (2003) Good Bye, Lenin! Die sogenannte DDR. In: www.filmzentrale.com/rezis/goodbyeleninat.htm. (10.4.2004)
Thompson,
Kristin (1998) Neoformalistische Filmanalyse. In: Texte zur Theorie des
Films. Hrsg. von Franz-Josef Albersmeier. Stuttgart: Reclam, S.
409-446.
Timmermann, Heiner (Hrsg.) (1999) Die DDR – Erinnerung an einen untergegangenen Staat. Berlin: Duncker&Humblot.
Töteberg, Michael (Hrsg.) (2003) Good Bye, Lenin! Ein Film von Wolfgang Becker. Berlin: Schwarzkopf und Schwarzkopf.
Tröhler,
Margit (2002) Von Weltenkonstellationen und Textgebäuden. Fiktion –
Nichtfiktion – Narration in Spiel- und Dokumentarfilm. In: Montage a/v
Jg.11, Nr. 2, S. 9-41.
Welsch, Wolfgang (1997) Unsere postmoderne Moderne. 5. Aufl. Berlin: Akademie Verlag.
Welsch, Wolfgang (Hrsg.) (1988) Wege aus der Moderne. Schlüssetexte der Postmoderne-Diskussion. Weinheim: VCH, Acta Humanoria.
Witzel, Holger (2003) Das Märchen von der Ostalgie. Die DDR-Welle im Fernsehen. In: Der Stern vom 4.9.2003, S. 190-194.
Wolff,
Franca (2002) Glasnost erst kurz vor Sendeschluss. Die letzten Jahre
des DDR-Fernsehens (1985 – 1989 / 90). Köln u.a.: Böhlau.
Wulff, Hans J. (1999) Darstellen und Mitteilen. Elemente der Pragma-semiotik des Films. Tübingen: Narr.
Wyss, Beat (1997) Die Welt als T-Shirt. Zur Ästhetik und Geschichte der Medien. Köln: DuMont.
Zeitchik,
Steven (2003) German Ostalgie: Fondly recalling the bad old days. In:
International Herald Tribune vom 7.10.2003, www.iht.com/
articles/112582.html (18.11.2003)
Zima, Peter V. (2001) Moderne – Postmoderne: Gesellschaft, Philosophie, Literatur. Tübingen, Basel: Francke. 2. überarb. Aufl.
7. Anhang
7.1. Filmografie
SONNENALLEE
(Deutschland 1999, Farbe, 87 Min.)
Regie: Leander Haußmann
Buch: Thomas Brussig, Leander Haußmann,
nach Brussigs Romanvorlage „Am kürzeren Ende der Sonnenallee“
Produktion: Claus Boje, Detlev Buck
Kamera: Peter-Joachim Krause
Schnitt: Sandy Saffeels
Ton: Frank Kruse
Szenenbild: Lothar Holler
Darsteller:
Alexander Scheer (Micha Ehrenreich)
Katharina Thalbach (Michas Mutter)
Henry Hübchen (Michas Vater)
Ignaz Kirchner (Onkel Heinz)
Detlev Buck (ABV Horkefeld)
Teresa Weißbach (Miriam)
Alexander Beyer (Mario)
Elena Meißner (Sabrina)
Robert Stadlober (Wuschel)
Annika Kuhl (Michas Schwester Sabine)
Margit Carstensen (Schuldirektorin)
Andreas Pietschmann (Miriams West-Freund)
Horst Lebinsky (Grenzbeamter)
Ezard Haußmann (Mann bei der Direktorin)
Hans-Uwe Bauer (Nachbar)
Sabine Orleans (Pionierleiterin)
Steffi Kühnert (FDJ-Funktionärin)
Auszeichnungen
(Jahr, Art der Auszeichnung, Kategorie)
1999
Deutscher Drehbuchpreis Thomas Brussig/Leander Haußmann
2000
Williamsburg Brooklyn Festival (WBFF) (New York, USA)
Certificate of Excellence (Regie), Leander Haußmann
Filmpreis in Gold (Production Design), Lothar Holler
Filmpreis in Silber, Bester Film
2001
U.S. Comedy Arts Festival (USCAF) (Aspen, Colorado, USA), Film Discovery Jury Award, Leander Haußmann, (Bester Film)
2000 Nominierung, Filmpreis in Gold , bester Film
GOOD BYE, LENIN!
(Deutschland 2003, Farbe, 120 Min.)
Regie: Wolfgang Becker
Buch: Bernd Lichtenberg, Wolfgang Becker
Produktion: Stefan Arndt
Kamera: Martin Kukula
Schnitt: Peter R. Adam
Musik: Yann Tiersen
Ton: Wolfgang Schukrafft
Szenenbild: Lothar Holler
Darsteller:
Daniel Brühl (Alexander Kerner)
Katrin Saß (Christiane Kerner)
Chulpan Khamatova (Lara)
Maria Simon (Ariane)
Florian Lukas (Denis)
Alexander Beyer (Rainer)
Burghart Klaußner (Robert Kerner)
Michael Gwisdek (Ex-POS-Rektor Klapprath)
Christine Schorn (Nachbarin Hannah Schäfer)
Jürgen Holtz (Nachbar Ganzke)
Jochen Stern (Nachbar Mehlert)
Stefan Walz (Taxifahrer / „Sigmund Jähn“)
Nico Ledermüller (Alex, 11 Jahre)
Jelena Kratz (Ariane, 13 Jahre)
Auszeichnungen
Jahr, Art der Auszeichnung, Kategorie)
2002 Deutscher Drehbuchpreis, Wolfgang Becker/Bernd Lichtenberg
2003
Internationale Filmfestspiele Berlin (Berlinale): Blauer Engel Wolfgang Becker Bambi-Preisverleihung: Bambi, Daniel Brühl, Katrin Saß, Florian Lukas (Europäischer Filmpreis: Publikumspreis, Daniel Brühl, Katrin Saß, Wolfgang Becker (Europäischen
Filmpreis der Jury, Daniel Brühl (Bester Hauptdarsteller), Stefan Arndt
(Bester Film), Bernd Lichtenberg (Bestes Drehbuch) ( Deutscher
Filmpreis: Publikumspreis für den deutschen Film des Jahres sowie die
Jurypreise, Daniel Brühl (Bester Hauptdarsteller), Florian Lukas
(Bester Nebendarsteller), Wolfgang Becker (Regie), Peter R. Adam
(Schnitt), Yann Tiersen (Musik), Lothar Holler (Ausstattung) Deutscher Drehbuchpreis, Bernd Lichtenberg und Wolfgang Becker Gilde deutscher Filmkunsttheater, Gold, Wolfgang Becker, (Bester Deutscher Film) Internationales Filmfestival Vallodolid (Spanien): Spezialpreis der Jury, Wolfgang Becker
2004 Bayrischer Filmpreis (München) (Publikumspreis), Wolfgang Becker César-Preisverleihung (Paris, Frankreich): César, Wolfgang Becker, (Bester Europäischer Film) Goya-Preisverleihung (Spanien): Goya, Wolfgang Becker, (Bester Europäischer Film) London Critics Circle-Award (London, England): ALFS, Bester ausländischer Film Robert Festival (Kopenhagen, Dänemark): Robert, Bester nicht-amerikanischer Film (Wolfgang Becker) Bodil Award (Kopenhagen, Dänemark): Bodil, Bester nicht-amerikanischer Film, (Wolfgang Becker) U.S. Comedy Arts Festival (USCAF) (Aspen, Colorado, USA), Jurypreis Bester ausländischer Film
Italian National Syndicate of Film Journalists (Taormina, Italien), Wolfgang Becker (Regie im besten ausländischen Film)
2003 Internationale Filmfestspiele Berlin, Wolfgang Becker Euregio Filmball (Alsdorf): Euregio Publikumspreis, Wolfgang Becker Europäischer Filmpreis, Katrin Saß, Wolfgang Becker Deutscher Filmpreis, Katrin Saß (Beste Hauptdarstellerin), Maria Simon (Beste Nebendarstellerin) Internationales Filmfestival Vallodolid (Spanien): Goldene Ähre, Wolfgang Becker
2004
British Academy of Film and Television Arts Awards (BAFTA), (England,
UK): BAFTA-Award, Stefan Arndt und Wolfgang Becker, (Bester
nicht-englischsprachiger Film) Directors Guild of Great Britain (DGGB) (England, UK), DGGB-Award, Wolfgang Becker (Regie im bestem ausländischen Film) Golden Globe (L.A., Kalifornien, USA), Bester ausländischer Film
Guldbagge-Awards (Schweden): Guldbagge, Bester ausländischer Film David di Donatello Awards (Italien), Bester Europäischer Film, (Wolfgang Becker)
(Stand 18. 4. 2004, Angaben nach www.imdb.com)
7.2. Chronologische Auflistung der Post-wall-Filme
LETZTES AUS DER DADAER (D 1990, Jörg Foth)
BANALE TAGE (D 1990, Peter Welz)
DER TANGOSPIELER (D 1991, Roland Gräf)
VERFEHLUNG (D 1991, Heiner Carow)
DER VERDACHT (D 1991, Frank Beyer)
JANA UND JAN (D 1991, Helmut Dziuba)
DAS MÄDCHEN AUS DEM FAHRSTUHL (D 1991, Hermann Zschoche)
TANZ AUF DER KIPPE (D 1991, Jürgen Brauer)
STEIN (D 1991, Egon Günther)
FARSSMANN ODER ZU FUß IN DIE SACKGASSE (D 1991, Roland Oehme)
TRILLERTRINE (D 1991, Karl Heinz Lotz)
ZWISCHEN PANKOW UND ZEHLENDORF (D 1991, Horst Seemann)
OSTKREUZ (D 1991, Michael Klier)
LENA´S HOLIDAY (USA 1991, Michael Keusch)
ALLEMAGNE ANNÉE 90 NEUF ZÉRO (F 1991, Jean-Luc Godard)
GO TRABI GO (D 1991, Peter Timm)
GO TRABI GO 2 - DAS WAR DER WILDE OSTEN (D 1992, Wolfgang Büld/Reinhard Klooss)
DEUTSCHFIEBER (D 1992, Niklaus Schilling)
DAS LAND HINTER DEM REGENBOGEN (D 1992, Herwig Kipping)
MIRACULI (D 1992, Ulrich Weiß)
HERZSPRUNG (D 1992, Helke Misselwitz)
ALLES LÜGE (D 1992, Heiko Schier)
DIE LÜGNERIN (D 1992, Siefried Kühn)
DER BROCKEN (D 1992, Vadim Glowna)
GORILLA BATHES AT NOON (YU/D 1992, Dusan Makavejew)
GENOSSE BRÜGGEMANN (D 1992, Horst Ruprecht)
STILLES LAND (D 1992, Andreas Dresen)
GRÜß GOTT, GENOSSE! (D 1993, Manfred Stelzer)
… UND DER HIMMEL STEHT STILL (D 1993, John Schlesinger)
SCHULZ & SCHULZ (TV) (D 1993, Ilse Hofmann)
DER KONTROLLEUR (D 1995, Kerstin Hensel/Stefan Trampe)
NIKOLAIKIRCHE (TV) (D 1995, Frank Beyer)
DAS VERSPRECHEN (D 1995, Margarethe von Trotta)
ZU TREUEN HÄNDEN (TV) (D 1995, Konrad Sabrautzky)
REISE NACH WEIMAR (TV) (D 1996, Dominik Graf)
DAS DEUTSCHLANDSPIEL (TV) (D 2000, Hans-Christoph Blumenberg)
DAS LEBEN IST EINE BAUSTELLE (D 1997, Wolfgang Becker)
ABGEHAUEN (D 1998, Frank Beyer)
HELDEN WIE WIR (D 1999, Sebastian Peterson)
EINFACH RAUS (D 1999, Peter Vogel)
DIE VERSCHWUNDENE GRENZE (D 1999, Thomas Kutschker)
DIE UNBERÜHRBARE (D 2000, Oskar Röhler)
DIE STILLE NACH DEM SCHUSS (D 2000, Volker Schlöndorff)
HEDWIG AND THE ANGRY INCH (USA 2001, John Cameron Mitchell)
DER TUNNEL (TV) (D 2001, Roland Suso Richter)
BUFFALO SOLDIERS – ARMY GO HOME (UK/D 2001, Gregor Jordan)
DREI STERN ROT (D 2001, Olaf Kaiser)
BERLIN IS IN GERMANY (D 2001, Hannes Stöhr)
DER ZIMMERSPRINGBRUNNEN (D 2001, Peter Timm)
HALBE TREPPE (D 2002, Andreas Dresen)
LIEBESAU – DIE ANDERE HEIMAT (TV) (D 2002, Wolfgang Panzer)
TODAY YOU ARE A FOUNTAIN PEN (USA 2002, Dan Katzir)
HERR LEHMANN (D 2003, Leander Haußmann)
LIEGEN LERNEN (D 2003, Hendrik Handloegten)
TV-Shows
DIE OSTALGIE-SHOW (ZDF) 17. 8. 2003. Moderation: Marco Schreyl und Andrea Kiewel.
EIN KESSEL DDR (MDR) 22. 8. 2003. Moderation: Gunther Emmerlich und Franziska Schenk.
MEYER & SCHULZ – DIE ULTIMATIVE OSTSHOW (SAT1). 23. 8., 30. 8. 2003. Moderation: Ulrich Meyer und Axel Schulz.
DIE DDR-SHOW (RTL) 3. 9., 10. 9., 17. 9., 24. 9. 2003. Moderation: Oliver Geißen und Katarina Witt.
WIR DA DRÜBEN (RTL) 16. 6., 17. 6. 2003. Moderation: Peter Klöppel und André Zalbertus.
FAKT – TODESSCHÜSSE, STACHELDRAHT UND STASIKNAST (2003) (MDR)
|
| |